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Wofür Blümel wirklich zu kritisieren wäre

So verzerrt die Vorwürfe der Opposition und die Gründe für eine Ministeranklage gegen Gernot Blümel auch sind, so klar ist gleichzeitig festzuhalten, dass Blümel dennoch scharf zu kritisieren ist. Dieses Urteil hat aber ganz andere Zusammenhänge als den Zirkus rund um den Untersuchungsausschuss, für den in der Tat die Bezeichnung "Löwingerbühne" angebracht ist, und rund um den juristischen Konflikt zwischen zwei staatlichen Rechtsinstitutionen, die sich beide alles andere als mit Ruhm bekleckert haben.

Zur Causa Ausschuss-Verfassungsgerichtshof-Aktenlieferung ist in diesem Tagebuch vor wenigen Tagen an sich schon alles Wesentliche gesagt worden. Ein Vorwurf, der bereits in jenem Text erhoben worden ist, hat sich inzwischen signifikant bestätigt, nämlich dass Blümel anwaltlich nur suboptimal vertreten worden ist.

Blümel hat sich nämlich durch die Finanzprokuratur, den "Anwalt der Republik", vertreten lassen. Damit hat er zwar sparsam agiert und dem Ministerium Anwaltskosten erspart. Aber die von ihm beauftragte Prokuratur hat nicht sehr geschickt agiert. Sie hat nämlich geglaubt, ein rechtskräftiges Urteil gleichsam noch nachverhandeln zu können. Das aber lässt sich kein Gericht gefallen, und schon gar nicht der macht- und selbstbewusste Verfassungsgerichtshof. Das war daher dumm.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Blümel und die Finanzprokuratur an sich absolut recht mit ihrem Vorwurf haben, dass das Erkenntnis des VfGH wahnwitzig ist, der eine komplette und ungeprüfte Übergabe des gesamten Inhalts der Postfächer mehrerer Beamter verlangt. Noch dazu an eine Institution, die in Sachen Vertraulichkeit persönlicher Daten mehr Löcher als jedes Sieb hat.

Blümel hat auch recht damit, dass er zum Schutz der Arbeitnehmer durch Verhängung einer hohen Geheimhaltungspflicht zumindest versucht, diese als Vorgesetzter pflichtgemäß zu schützen, damit nur jene Dinge in den Ausschuss gelangen, die mit dessen Thema eindeutig zu tun haben. So fragwürdig die Suche nach "dem" Thema des Ausschusses auch ist – ist doch dessen Breite in fragwürdiger Weise allumfassend geworden, befasst er sich doch mit allem und jedem (wo die Opposition glaubt, die ÖVP attackieren zu können), nur nicht der Ibiza-Affäre, obwohl ihn der Bundespräsient voll Naivität noch "Ibiza-Ausschuss" nennt.

Der VfGH hat mit seinem Spruch zweifellos bei seiner Pflicht, die Grundrechte der Österreicher zu schützen, grob versagt. Daran ändert es nichts, dass sich das Gericht seither – wohl aus schlechtem Gewissen – hinter Schweigemauern zurückgezogen hat. Allerdings könnte der VfGH schon mit gutem Recht darauf hinweisen, dass Ministerium und Finanzprokuratur bereits während des Verfahrens viel deutlicher auf diese Grundrechtsproblematik hinweisen hätten müssen, die ein solches Total-Strip-Tease für die gesamte Kommunikation einzelner Beamter zweifellos darstellt.

Rechtlich überaus spannend wäre auch die Frage, ob angesichts der Grundrechtsdimension nicht auch eine Vorabentscheidung durch den EU-Gerichtshof beantragt hätte werden müssen, der sich ja schon in viel banalere Kleinigkeiten eingemischt hat. Mehr als spannend – wenn auch rechtlich irrelevant – ist schließlich auch die Frage, wozu Beamte eigentlich eine Personalvertretung und eine Gewerkschaft haben (außer zum Mitgliedsbeiträge abkassieren), wenn diese nicht einmal imstande sind, lautstark für die legitimen Schutz-Interessen der Staatsdiener gegen infame Aktionen von Parlament und VfGH aufzutreten.

Juristisch und kommunikationsmäßig war Blümel also eindeutig suboptimal unterwegs, so legitim und berechtigt seine Haltung in der Sache auch ist. Das scheint er inzwischen auch selbst einzusehen. Aber sein Grundanliegen, also der Schutz der Beamten vor der Gefahr einer ähnlichen Demütigung, wie sie etwa dem ehemaligen Finanzministeriums-Beamten Thomas Schmid durch Bekanntwerden von pornographischen Inhalten auf seinem Handy widerfahren ist, ist zweifellos mehr als berechtigt und anständig.

In Wahrheit weiß ja niemand außer den Betroffenen, was in diesen Tausenden von Mails alles drinnensteht (und die wahrscheinlich auch längst nicht mehr). Denn auch wenn natürlich jeder Beamte, jeder Politiker, jeder Universitätsprofessor eigentlich verpflichtet wäre, bei Mail-Adressen, Telefonnummern und Handy-Gebrauch strikt zwischen dienstlich und privat zu trennen, also alles doppelt zu haben, also auch immer zwei Handys eingesteckt zu haben, bin ich in den letzten Jahren keinem einzigen begegnet, der das wirklich konsequent eingehalten hätte.

Und selbst wenn, hätte ihm das nichts genutzt: Denn dann würde sofort die Forderung auftauchen, dass der Betreffende auch alle Mails von seinem Privataccount herausgeben müsse. Genau das hat jetzt etwa die CDU von SPD-Finanzminister Scholz wegen der Wirecard-Affäre verlangt (das zeigt übrigens auch, dass auch in Deutschland Koalitionspartner einander mit Hass und Feindschaft verfolgen, sobald nicht beide rechts oder beide links der Mitte stehen …).

Aber egal: So sehr man Blümel in dieser ganzen Affäre in Schutz nehmen muss, so enttäuschend ist er in seiner eigentlichen Rolle als Finanzminister. Denn er hat bisher noch keinen einzigen Tag das gezeigt, was alle Steuerzahler als oberste Pflicht eines Finanzministers eigentlich sehen wollen: dass er regelmäßig laut und deutlich das Wort "Nein!" zu den zahllosen Forderungen sagt, die an den Minister heranbranden. Das hat er bisher nicht geschafft – und das war vielleicht auch gar nicht der Auftrag des Sebastian Kurz, als er Blümel ins Finanzministerium transferiert hat, beziehungsweise als er in seinen dreieinhalb Kanzlerjahren schon zwei andere Finanzminister verabschiedet hatte, die offensichtlich zu oft "Nein!" gesagt haben.

Freilich ist die Inthronisation eines Finanzministers, der nicht ständig "Nein!" sagt, sogar geradezu zwingend, wenn man eine Koalition mit den Grünen eingeht. Denn es war – noch lange vor jeder Pandemie – klar, dass die Grünen ein oberstes Ziel haben: für die angeblich notwendige "Rettung des Planeten gegen das Verbrutzeln" und Dutzende andere Wünsche aus ihrem Parteiprogramm möglichst tief in die Staatskasse zu greifen. Stabilität, Sparsamkeit, Disziplin sind für sie prinzipiell Teufelszeug.

Und dann hat noch dazu die Pandemie noch viel tiefere Griffe in diese Kasse ausgelöst. Diese waren gewiss großteils unumgänglich. Aber auch da hat man jedenfalls nie den Eindruck bekommen, ein Finanzminister würde darauf aufpassen, dass nirgendwo ein Tausender zuviel herausgenommen wird.

Es ist ja nur eine Propaganda-Mär, dass Österreich auf Grund früherer Sparsamkeit finanziell so gut dastünde, dass es sich deswegen die weit mehr als 30 Milliarden zusätzlicher Staatsverschuldung leisten könnte. Die Wahrheit ist eine ganz andere, eine deprimierende: Österreich steht innerhalb der 27 EU-Länder in Hinblick auf die Verschuldung an neuntschlechtester Stelle (nach einem anderen Vergleich sogar an der achtschlechtesten)!

Undisziplinierter als Österreich, also noch höher verschuldet im Verhältnis zur nationalen Wirtschaftsleistung (BIP) sind neben Belgien ausschließlich Mittelmeerländer, also jene Länder, über deren verantwortungslosen Umgang mit den Staatsfinanzen man sich hierzulande gerne lustig macht. Die man als "Club Med" zusammenfasst, also als dauernd Partymachende.

Aber offensichtlich ist Sparsamkeit und Rücksicht auf die nächste Generation, der das alles ja einmal auf den Kopf fallen wird, spätestens seit den Zeiten Wolfgang Schüssels und Karl-Heinz Grassers keine politische Kategorie mehr. Und niemand ist sich bewusst, dass das vielleicht schon dieser Generation passieren kann.

Es gibt auch keine Oppositionspartei, der das irgendwie ein Anliegen wäre. Die SPÖ als größte ist ja überhaupt Weltmeister im Aufstellen täglich neuer finanzieller Forderungen.

Völlig illusorisch ist auch der Glaube, die EU wäre eine Institution, die sich für verantwortungsbewussten Umgang mit öffentlichen Geldern einsetzt. Im Gegenteil: Sie hat sich gerade erst selbst in die Verschuldung gestürzt. Sie verlangt zugleich von den Mitgliedsstaaten, dass diese immer noch mehr Geld für den Windmühlenkampf gegen das "Global Warming" einsetzen. Abgesehen davon, dass es extrem zweifelhaft ist, die globalen Temperaturen würden sich von den Turnübungen des kleinen Europas irgendwie beeindrucken lassen, ist umso sicherer, dass diese Klimaopfergelder keinen Beitrag fürs Wirtschaftswachstum, sondern nur einen zum Schuldenwachstum leisten können.

Noch deutlicher zeigt ein anderer Vergleich, dass die EU alles andere als eine Anstalt zum Erlernen von verantwortungsbewusstem Umgang mit Geld ist: nämlich der Vergleich mit der Schweiz und Norwegen. Das sind jene beiden westeuropäischen Länder, die nie der EU beigetreten sind. Offensichtlich ist das nicht zu ihrem Schaden ausgegangen: Beide haben nämlich eine Staatsschuldenquote, die nicht einmal halb so hoch ist wie der EU-Schnitt oder wie die österreichische Quote. Und dennoch – nein gerade deswegen haben sie zugleich einen sehr hohen Lebensstandard.

Bei Norwegen könnte man vielleicht noch zu sagen versuchen: Die haben aber Rohstoffe. Bei der Schweiz kann man nicht einmal das sagen. Sie hat kein Öl, kein Gas. Aber was sie hat, ist Vernunft, Verständnis für ökonomische Zusammenhänge, Leistungsorientierung und Disziplin. Auch ein jetzt vielleicht noch versuchter Einwand, dass die Schweiz den Vorteil einer Nichtteilnahme an den Weltkriegen hat, geht fehl. 80 Jahre nachher sind solche Argumente erstens längst völlig absurd geworden. Und zweitens haben sich die Verschuldungsdaten der beiden Alpenländer in den letzten Jahrzehnten auseinanderentwickelt und keineswegs mit fortdauernder Entfernung von den Kriegstagen aneinander angeglichen.

Der entscheidende Unterschied ist etwas anderes. Länder wie die Schweiz wissen: Wenn sie verantwortungslos in den Tag hinein wirtschaften, hilft ihnen in der Stunde der Not niemand. Daher achten sie selber peinlichst darauf, dass sie möglichst niemals in Not geraten. Daher wirtschaften sie traditionell sparsam. Daher haben sie auch immer viel mehr für die Landesverteidigung ausgegeben als die allermeisten anderen Länder Europas. Und die Schweizer Bürger leben eindeutig sehr gut damit und davon, dass ihr Land immer sehr sparsam war und ist.

Aber auch für jedes einzelne EU-Land ist es in Wahrheit längst nur noch eine Illusion zu glauben, dass immer jemand da sein wird, der verschuldete Partner herauspaukt. Das hat in den letzten Jahrzehnten zwar sehr oft Deutschland gemacht. Direkt oder über die Banknotendruckerei der EZB. Aber Deutschland hat sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren durch eine von Rot und Schwarz exekutierte Grünpolitik wirtschaftlich weitgehend ruiniert. Die wichtigsten Stichworte dieses Abstiegs: Kampf gegen die einst so bedeutende Autoindustrie; Abdrehen aller Atomkraftwerke; Abdrehen der Kohlekraftwerke; massive Belastungen durch die Massenimmigration aus der Dritten Welt.

Das heißt zwar keineswegs, dass eine EU-Mitgliedschaft Unsinn wäre. Der EU-Binnenmarkt selber ist vielmehr für jedes Mitgliedsland und ganz besonders für das kleine exportabhängige Österreich weiterhin sehr wichtig. Aber die Entwicklungen spezielle in Deutschland heißen für Österreich, dass es selbst viel mehr Verantwortung für die eigene Zukunft tragen müsste, als das Land derzeit glaubt.

Über all diese Fragen müsste dieses Land ernst und eingehend diskutieren. Aber kein einziger Politiker, keine Partei, fast kein Medium tut das.

Dabei müsste das Verhalten des Finanzministers in einem sehr kritischen Licht stehen. Aber statt dessen steht Blümel wegen des skurril eskalierten Juristenkrieges zwischen zwei Staatsinstitutionen im schiefen Licht, obwohl eigentlich diese beiden dabei schwer gepatzt haben.

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