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Europa und Belarus, Österreich und China: beschämende Speichellecker

Einige Tage hat man nach dem frechsten Piratenakt der letzten Jahrzehnte glauben können, dass sich die EU dem belarussischen Diktator gegenüber endlich einmal als mehr denn ein lächerlicher Papiertiger zeigen könnte, da sie doch unmittelbares Opfer dieses Aktes geworden ist. Doch die Reaktionen der EU auf die Entführung eines Flugzeuges, das zwischen zwei EU-Mitgliedsstaaten unterwegs gewesen ist, kann man nur als armselig bezeichnen. So beschämend diese EU-Fast-Nicht-Reaktion auch ist, so ist doch die in den letzten Stunden zu sehende Anbiederung hoher ÖVP und SPÖ-Politiker an einen anderen Staat, der sich mindestens ebenso zynisch über Völkerrecht und Menschenrechte hinwegsetzt wie Belarus, wohl noch erbärmlicher (mit nachträglicher Ergänzung).

Denn in Hinblick auf Belarus kann man vielleicht noch glauben, dass der EU außer sehr starken Worten nichts eingefallen ist, wie man denn reagieren kann (obwohl die richtigen Reaktionsmöglichkeiten klar auf der Hand liegen - dazu mehr weiter unten). In Hinblick auf China ist das österreichische Verhalten jedoch noch grauslicher. Denn da ist der Republik nicht nur nichts eingefallen, wie man auf die Unzahl gravierender Rechtsverletzungen durch China reagieren könnte. Gegenüber China haben sich hohe Repräsentanten Österreichs jetzt sogar in völlig überflüssiger Speichelleckerei ergangen.

So pries Nationalratspräsident Sobotka ohne jede Notwendigkeit in einer Hommage an China "die hohe Qualität unserer Beziehungen". So freute er sich öffentlich über die "freundschaftliche strategische Partnerschaft" zwischen den beiden Ländern. So begeisterte sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) über die "große Bedeutung der Zusammenarbeit" mit China.

Keiner aber ist auf die dramatischen Bedrohungen von Weltfrieden und Menschenrechten durch China eingegangen.

Jetzt wissen die Österreicher also, was höchste Repräsentanten der Republik in Begeisterung versetzt, welche Länder unsere "Freunde" sind und mit wem wir sogar eine "strategische Partnerschaft" pflegen. Nämlich mit einem Land,

  1. das Tausende Dissidenten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten als politische Gefangene ins Lager geworfen hat;
  2. das Millionen Uiguren und Tibetaner versklavt hat;
  3. das den Bürgern des einst so eindrucksvoll demokratischen und rechtsstaatlichen Hongkong alle Rechte genommen und seine Bürger geknebelt hat;
  4. das vielen österreichischen Investoren ihr Knowhow zynisch gestohlen hat;
  5. das sich gerade zum Zorn der südostasiatischen Anrainerstaaten große Teile des Ozeans widerrechtlich und mit militärischer Gewalt unter den Nagel gerissen hat;
  6. das höchstwahrscheinlich fahrlässig den Ausbruch der globalen Pandemie verschuldet und diesen Ausbruch durch seine Geheimnistuerei im Winter 2019/20 entscheidend verschlimmert hat (wovon nicht nur große Teile des US-Geheimdienstes überzeugt sind);
  7. das den in jeder Hinsicht vorbildlichen Staat Taiwan mit immer schlimmeren Angriffs- und Eroberungsankündigungen massiv bedroht, was zu einem ganz großen Krieg führen kann;
  8. das zum Schaden der globalen Gesundheit verhindert, dass Taiwan an den Beratungen der WHO teilnehmen darf (obwohl Taiwan im Vorjahr viel besser auf Corona reagiert hat als die Volksrepublik China!);
  9. das Nordkoreas Diktator, den überhaupt schlimmsten Menschenrechtsverletzer und Gewaltherrscher auf diesem Globus, unterstützt und zynisch an der Macht hält;
  10. das für mehr als die Hälfte des globalen Kohleverbrauchs verantwortlich ist, das jedes Jahr mehr Kohlekraftwerke in Betrieb nimmt, als es vom Netz nimmt, und das damit alle die für die europäische Zukunft so belastenden Wirtschafts-Abwürgeanstrengungen der EU, mit denen die Europäer den Planeten zu retten behaupten, zu einer völlig sinnlosen Schikane für die Bürger Europas macht (selbst wenn all die Global-Warming-Thesen der europäischen Grünen stimmen würden).

Diese Punkte sind nur eine knappe Aufzählung der allerärgsten Untaten Chinas. Es ist daher auch kein Zufall, dass China der einzige Fall ist, wo Donald Trump und Joe Biden eine weitgehende deckungsgleiche Politik betreiben, beziehungsweise betrieben haben. Biden hat jetzt – genau gleichzeitig mit der Wiener Ordensverleihung – Importe bestimmter chinesischer Unternehmen wegen gravierender chinesischer Menschenrechtsverletzungen gestoppt.

Österreich hingegen macht sich zum Bettvorleger Chinas. Und das aus dem einzigen Anlass, dass Österreich vor 50 Jahren unter Bruno Kreisky Beziehungen zu China aufgenommen hat. Dabei war das ja selbst eine der bis heute beschämendsten Aktionen der österreichischen Außenpolitik gewesen: Denn gleichzeitig damit hat Österreich auch die Beziehungen zu Taiwan abgebrochen, einem in jeder Hinsicht vorbildlichen Land.

Aber, statt dass man versucht, diesen (angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung Chinas vielleicht unvermeidlich gewesenen) Akt des Opportunismus wenigstens mit betretenem Schweigen in Vergessenheit geraten zu lassen, hat die ÖVP nichts Besseres zu tun, als sich und Österreich durch Weihrauch für China zu demütigen (obwohl sie damals Kreiskys Wechsel von Taiwan zu China noch ganz anders kommentiert hat). In Tschechien und einigen anderen Ländern, die aus eigener Erfahrung noch sehr genau wissen, wie man sich Diktatoren gegenüber verhalten sollte, wertet man gerade die Beziehungen zu Taiwan demonstrativ auf. Österreichs Außenpolitik hingegen erwähnt Taiwan nicht einmal mehr.

Wem darob noch nicht schlecht geworden, der richte jetzt seinen Blick aufs Wiener Rathaus. Denn dieses übertrifft wieder einmal den Bund sogar noch an Widerlichkeit. Während Außenminister und Parlamentspräsident "nur" reden, handelt Bürgermeister Ludwig: Er hängt dem chinesischen Botschafter das "Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien" um.

Dieser Orden ist wohlgemerkt alles andere als eine Routine-Auszeichnung. Das ist er umso weniger, als seine Verleihung überhaupt die erste Ehrungszeremonie des Rathauses nach dem Corona-Jahr gewesen ist. Diese Ehrung ist umso auffallender, als Ludwig als Festredner gar den Altpräsidenten – und Nordkorea-Freund! – Heinz Fischer engagiert hat.

Die "Verdienste" des Botschafters haben gemäß Ludwig erstens in der Lieferung von 37.000 FFP2-Masken bestanden (dabei hat Österreich schon viele Millionen solcher Masken verbraucht; dabei hat die SPÖ pikanterweise eine österreichische Firma angezeigt, nur weil sie unter ihrer Marke chinesische Masken importiert hat …); und zweitens in der Eröffnung eines großen Huawei-Ladens in der Kärntner Straße (solche Läden in der Innenstadt sind offenbar jene kulturelle Aufwertung Wiens, die sich Ludwig ersehnt; noch dazu erfolgt die Aufwertung durch ein Unternehmen, das in mehreren westlichen Ländern wegen seiner engen Zusammenarbeit mit dem chinesischen Geheim- und Folterdienst auf der schwarzen Liste steht).

Jetzt wissen wir, was einen der höchsten Orden der Stadt Wien wert ist ...

Die "Sanktionen" auf einen Piratenakt

Angesichts dieses österreichischen Verhaltens gegenüber einem der anrüchigsten Staaten dieser Erde fällt es fast schwer, die EU wegen ihres knieweichen Verhaltens gegenüber einem der anrüchigsten Staaten auf dem eigenen Kontinent zu tadeln. Also gegenüber Belarus. Dieses hat vor einigen Tagen in Piratenmanier ein Flugzeug abgefangen, das zwischen zwei EU-Staaten unterwegs gewesen ist, um zwei Regimekritiker abfangen und in seine Folterkeller werfen zu können. Dort sitzen derzeit mindestens 400 andere Demokratie-Anhänger, dort sind in den letzten Monaten schon rund 40.000 verprügelt und gequält worden.

Zwar waren so gut wie alle europäischen Regierungschefs überaus wortreich in der Verurteilung von Belarus und in der Ankündigung gewaltiger Sanktionen. Aber die wirklichen Reaktionen der EU stehen in keinem Verhältnis zu diesen Worten.

So gibt es halt einige Einschränkungen im Flugverkehr. So dürfen westliche Linien nicht mehr über Belarus fliegen (was sie hoffentlich auch ohne EU-Beschluss im Interesse ihrer Passagiere nicht mehr getan hätten). So kann man aus der EU nicht mehr direkt nach Minsk fliegen, sondern muss halt in Moskau umsteigen. So wurde es ein paar weiteren Spitzenfunktionären des Regimes verboten, in die EU einzureisen oder dort Geschäfte zu machen. So verlieren diese auch den Zugriff auf ihre Bankkonten in der EU – sofern sie welche hatten (was ziemlich unwahrscheinlich ist). So wird in der EU schließlich noch darüber nachgedacht, ob man die Exporte aus Belarus irgendwie beschränken könnte.

Aber sofort bangt der österreichische Außenminister Schallenberg: "Wir wollen nicht die Menschen treffen" und: Wir wollen uns doch nicht "ins eigene Fleisch schneiden". Womit Schallenberg in Wahrheit meint: Wir werden nichts tun, was uns selbst unangenehm wäre.

Da aber österreichische Unternehmen wie Telekom Austria oder Raiffeisen so wie Dutzende andere zu den größten Investoren in Belarus gehören, wird Österreich noch sehr oft bei den EU-internen Beratungen entdecken, dass konkrete, über Symbole hinausgehende Maßnahmen immer irgendwelche "Menschen treffen" und daher keinesfalls kommen sollten.

Was aber können Europa und Österreich wirklich tun? Man kann ja Belarus nicht den Krieg erklären!

Solchen Einwänden kann man nur entgegenhalten: Natürlich kann und soll man keinen Krieg erklären. Aber es gibt etliche andere konkrete Möglichkeiten, zu zeigen, dass unzivilisiertes Verhalten unangenehme Folgen hat. Diese würden vor allem darin bestehen, sowohl Belarus wie auch Russland dort zu treffen, wo es ihnen in ihrer ohnedies schlechten wirtschaftlichen Situation besonders weh tut.

Die EU müsste versuchen, Russlands Eigeninteresse an einer Distanz zu Belarus zu wecken, statt ihm volle Rückendeckung zu geben. Denn ohne die Unterstützung durch Russland kann sich Belarus weder wirtschaftlich noch politisch 14 Tage halten. Es ist völlig falsch und naiv – oder eine billige Ausrede –, wenn Schallenberg warnt, man solle Belarus "nicht in die Arme Russlands treiben". Denn dort ist Belarus schon längst. Wirtschaftlich wie militärisch wie politisch.

Wenn man in Belarus etwas erreichen will, so muss man daher solange beide Staaten zum Ziel von Sanktionen machen, bis Russlands Interesse die Oberhand gewinnt, diese Sanktionen rasch wieder loszuwerden und dafür Lukaschenko fallen zu lassen. Daher sollte man:

  1. beiden Ländern alle Kredite sperren, egal ob sie an staatliche oder (oft nur schein-)private Organisationen gehen;
  2. den Weiterbau der Nordstream-2-Pipeline zumindest solange stoppen, als Lukaschenko noch im Amt ist;
  3. nicht nur über ein paar Dutzend Funktionäre, sondern über alle Angehörigen der bewaffneten Einheiten von Belarus ein lebenslängliches Einreiseverbot nach EU-Europa verhängen, solange sie nicht von der demokratischen Opposition als sauber identifiziert werden; denn ohne diese Polizisten und Armeeangehörigen hält sich Lukaschenko nicht einmal einen Tag;
  4. eine breite Versorgung der Belarus-Bürger mit unabhängigen Informationen auf vielerlei Kanälen vom Ausland her sicherzustellen, wie Radio, Fernsehen, Satellit oder Internet;
  5. die Teilnahme von Belarus an sämtlichen internationalen Sportereignissen stoppen.

Solange die EU zögert, Maßnahmen aus diesem Katalog zu ergreifen, solange haben die verzweifelten Bürger aus Belarus recht, die das, was Europa unternimmt, als "einfach lächerlich" bezeichnen. Aber wir sehen wieder einmal: Die EU – vor allem ihr Parlament mit seiner linksliberalen Mehrheit ­­– ist nur dann großmundig, wenn es um die Demütigung der konservativ regierten, aber eindeutig demokratischen Länder Ostmitteleuropas mit lächerlichen Vorwürfen geht. Oder wenn es darum geht, Österreich als rassistisch zu brandmarken, nur weil Schwarze hier relativ öfter von der Polizei perlustriert werden als Weiße (was natürlich überhaupt nicht damit zusammenhängt, dass der Rauschgifthandel überwiegend in schwarzer Hand ist …).

Die wirklichen Verbrecherregime sind dieser EU hingegen völlig egal. Entweder weil man denen nur mit Maßnahmen beikommen könnte, die einem selbst wehtun. Oder aber sogar gerade deshalb, weil dort ja noch die altkommunistischen Folterknechte regieren. Und die sind ja für einen Linken lange nicht so böse wie ein demokratisch gewählter Konservativer.

Was für ein jämmerlicher Verein.

Offen bleibt die Frage, ob es wirklich schlau ist, Russland die Chance auf Rehabilitation zu geben, wenn es Lukaschanko fallen lässt. Darüber kann man sicher diskutieren. Haben doch der Fall und die Behandlung des Demokratievorkämpfers Nawalny wie auch die Explosion in Tschechien durch russische Saboteure wie auch die Okkupation von Teilen der Ukraine gezeigt, dass sich das Regime Putin nicht gerade in eine positive Richtung entwickelt.

Dennoch könnte sich die skizzierte zweigeteilte Strategie gegenüber Putin und Lukaschenko als klug erweisen. Denn Putin hat ganz eindeutig Interesse, im Westen nicht als neuer Lenin oder Stalin dazustehen. Er ist zweifellos daran interessiert, die Beziehungen zu verbessern, solange er dabei keinesfalls das Gesicht verliert.

Eine solche Russland-Strategie würde freilich große außenpolitische Kunst mit Fingerspitzengefühl, Mut, Raffinesse und Erfahrung erfordern. Die aber ist weder in Washington, noch in Brüssel noch in Berlin zu finden.

Nachträgliche Ergänzung: Wenige Stunden nach Schwarz und Rot haben auch die Grünen nachgestoßen. Ausgerechnet die grüne Klimaschutz(!!)ministerin unterzeichnete jetzt voll Begeisterung ein Zusammenarbeitsmemorandum mit China ...

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