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In Frankreich ist Streit um den 200. Todestag Napoleons ausgebrochen. Präsident Macron wird dazu eine große Rede halten und ein Blumengebinde am Prunkgrab Napoleons im Invalidendom niederlegen. Marine Le Pen, seiner großen Konkurrentin bei der nächsten Präsidentenwahl, ist das hingegen viel zu wenig; Napoleon hätte "bedeutendere Erinnerungsfeiern" verdient. Das ist an sich eine unwichtige innenpolitische Kontroverse der Qualitätsklasse, mit der uns auch unsere Innenpolitik täglich langweilt. Aber für den Österreicher ist der Anlass selbst umso spannender und erstaunlicher. Er macht nämlich das total unterschiedliche Verhältnis zur Geschichte der eigenen Nation zwischen Franzosen und Österreichern deutlich.
In Frankreich herrscht ein Wettbewerb, wer am meisten für die Ehrung des einstigen selbsternannten Kaisers tut. Sonst kann man dort offensichtlich Wahlen nicht gewinnen. Österreichs Verhältnis zur Vergangenheit besteht hingegen vor allem aus Verdrängung, aus Totschweigen – und gleichzeitig aus erbarmungslosem Ausbeuten der Hinterlassenschaften der eigenen Geschichte, wie wenn die Republik eine Hehlerbande wäre.
Hierzulande tut etwa die total missglückte Konstruktion eines "Hauses der Geschichte" durch einstige SPÖ-Minister so, als ob Österreich und seine Geschichte erst mit dem Entstehen des Sozialismus begonnen hätte (Für jene, die nicht mehr wissen, was Sozialismus gewesen ist: Das war eine skurrile politökonomische Theorie aus dem 19. Jahrhundert, die im 20. Jahrhundert viel Elend und Verarmung über Europa gebracht hat, die heute noch in Restbeständen bei den Grünen, Teilen der SPÖ und in Nordkorea weiterlebt).
In Österreich gibt es im Unterschied zu Frankreich keinerlei Gedenkfeier des Staates zu irgendeinem Todes- und Geburtstag seiner früheren Staatsoberhäupter, ob sie nun Habsburger oder Babenberger gewesen sind. Das gibt es auch nicht für den für die Steiermark so wichtigen Erzherzog Johann, von Prinz Eugen ganz zu schweigen. Würde man etwa anregen, dass sich Alexander van der Bellen hie und da in die Kapuzinergruft oder auf den Heldenplatz begeben und dort einen Kranz niederlegen sollte, bekommt man wahrscheinlich gleich von linksradikalen Staatsanwälten ein Strafverfahren wegen nicht korrekten Denkens angehängt …
Dabei profitieren nicht nur die Bundespräsidenten, die in der kaiserlichen Hofburg amtieren und die bei großen Essen noch das kaiserliche Service verwenden, enorm vom monarchischen Erbe. Das tun auch viele andere Teile der Republik. Vom Staat angefangen, der sich auch außerhalb der Hofburg in den Palais des Kaiserstaates breitgemacht hat, über die imposante und fast total auf habsburgische Sammlungen aufbauende Museumsszene, bis zur Staatsoper, die ohne die Vorgeschichte der Hofoper nie die unbestrittene Weltgeltung erlangt hätte. Hunderttausende Arbeitsplätze hängen über den Städtetourismus direkt oder indirekt von dieser großen Geschichte ab, von der vor allem die Stadt Wien profitiert. Ohne das habsburgische Erbe wäre Wien hingegen so reizvoll wie Düsseldorf …
Das moralische Gebot, dass anständige Erben den Erblassern gegenüber wenigstens minimale Dankbarkeit zeigen sollten, steht in totalem Gegensatz zum Benehmen von Staat und Stadt. Familien zünden bisweilen Kerzen auf dem Friedhof für ihre Vorfahren an – selbst wenn sie nichts von ihnen geerbt haben. Die Republik hingegen zündet nur Kerzen für die verstorbenen Bundespräsidenten an, obwohl mir von keinem einzigen dieser Präsidenten bedeutende Leistungen für das Land bekannt sind. Ganz im Gegenteil, bei Karl Renner muss man eher bemüht sein, seine antisemitischen Äußerungen und seine Anbiederungen an Hitler wie Stalin in Vergessenheit zu rücken.
Geschichtskundige (irgendwo soll es noch welche geben, wenn auch nicht mehr in der Politik dieses Landes) könnten als leuchtenden Kontrast zur Rolle Renners oder auch Kurt Waldheims in der Nazi-Zeit daran erinnern, dass gleichzeitig ein Otto Habsburg in Amerika als Vorkämpfer für das Wiedererstehen eines unabhängigen Österreichs die Klinken geputzt hat. Die Republik hat, statt ihn dafür zu rühmen, dem Sohn des letzten Kaisers und seiner Familie in einer der größten Peinlichkeiten, die die Sozialisten je diesem Land angetan haben, verboten, sich "Otto von Habsburg" zu nennen.
Auch beim Blick in die Vergangenheit würden Geschichtskundigen im Vergleich mit Frankreich viele Aspekte auffallen, wo etliche österreichische Monarchen viel mehr Respekt verdienen würden als Napoleon. Es gab jedenfalls in der langen Geschichte nie einen österreichischen Herrscher, der auch nur in Ansätzen so aggressiv und imperialistisch ganz Europa zu unterjochen versucht hätte wie Napoleon.
Gewiss, Napoleon hat seinem Land eine innere Stabilisierung nach den Jahren der Revolution gebracht, welche die schönen Parolen "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" in einen Albtraum an staatlichem Terror verwandelt haben, mit massenweisen politischen Morden, Denunziationen und Raubzügen.
Gewiss, Napoleon hat dem Land erstmals Gesetzbücher mit großer Qualität gebracht.
Aber dennoch war er primär der Verantwortliche für großflächige und mörderische Angriffskriege. Für große Teile Europas – etwa Russland – löst sein Name deshalb sogar Assoziationen mit Adolf Hitler aus. Aber auch außerhalb Europas fällt vielen zu Napoleon wenig Rühmliches ein, sondern eher, dass er in den französischen Kolonien die Sklaverei wieder(!) eingeführt hat.
Die Habsburger Maria Theresia, Joseph II. und Leopold II. haben ihren Ländern hingegen schon lange vor Napoleon zentrale Errungenschaften der Aufklärung gebracht. Schritt für Schritt, mit manchen Holperern, aber ohne Blutvergießen. Das ABGB – das auch heute noch sprachlich großartigste österreichische Gesetzbuch – geht in seiner wichtigsten Wurzel auf Leopold II. zurück. Und ebenfalls bis heute wirkt sich auch die überhaupt segensreichste juristische Leistung der Monarchie in all jenen Regionen positiv aus, die damals dazugehört haben: die Institution eines Grundbuches, dessen Bedeutung man erst dort merkt, wo es das nicht gibt.
Von der heutigen Republik wird gerne verschwiegen, dass sie selbst nie einen eigenen Katalog der Menschenrechte und Grundfreiheiten zustandegebracht hat, sondern bis heute den unter Franz Joseph erlassenen benutzt. Im Gegensatz zu jenem Geschichtsbild, das den meisten heutigen Österreichern staatsoffiziell vermittelt wird, hatte auch die Demokratie schon in den letzten Jahrzehnten der Monarchie mit wichtigen Elementen Fuß gefasst (allerdings noch nicht für Frauen).
Gewiss hat sich das "Haus Österreich" nicht nur durch seine Heiratspolitik vergrößert, auch wenn das für die meisten habsburgisch gewordenen Länder sehr wohl zutrifft. Joseph II. etwa hat sich – gegen den Widerstand Maria Theresias übrigens – letztlich doch bei den Teilungen Polens ebenfalls mit einem Stück bedient, nachdem die Preußen und Russen schon den Großteil des Landes aufgeteilt hatten. Aber immerhin sagen heute sämtliche polnischen Historiker und Intellektuellen, dass die im habsburgischen Südpolen lebenden Polen viel mehr Rechte und Freiheiten hatten, viel mehr polnische Identität leben konnten als jene in den von Berlin, beziehungsweise Petersburg, beherrschten.
Überhaupt das größte und zugleich am meisten heute totgeschwiegene Verdienst Österreichs war es, über Jahrhunderte die türkischen Aggressionen abgewehrt zu haben, und diese dann durch Prinz Eugen mit dauerhaftem Erfolg zurückgedrängt zu haben. Wer den heutigen kulturellen, zivilisatorischen, ökonomischen Zustand jener Regionen, wo die osmanische Herrschaft bis ins 20. Jahrhundert geblieben ist, mit sämtlichen, selbst den ärmsten, einst k. und k. regierten Regionen vergleicht, müsste eigentlich täglich dieses Verdienst preisen.
Aber statt dass diese Republik in irgendeiner Weise dem große Erbe Tribut zahlt, auf dem sie steht, schwingt sie nur für sich selbst und die zunehmend zentralistisch-autoritär gewordene EU das Weihrauchfass. Sie schweigt de facto verschämt alles tot, was vorher gewesen ist. Das ist schlicht charakterlos.
Dieser Text ist kein Ruf nach Wiederherstellung einer Monarchie – auch wenn die Benelux-Länder, Skandinavien und Großbritannien mit ihren rein repräsentativen Königen als nationaler Identifikationsfigur gar nicht so schlecht fahren. Aber er ist umso mehr ein Ruf nach deutlich mehr Respekt vor der eigenen Vergangenheit und ihren oft großen Leistungen.
Bei vielen andere Nationen ist solcher Respekt vor der eigenen Geschichte die ganz natürliche Haltung. Dieser Respekt ermöglicht ja überhaupt erst, gleichzeitig auch Fehler seriös aufzuarbeiten. Die verkrampfte Geschichts- und Identitätsverdrängung nach österreichischer Art ist für die meisten anderen Nationen Europas und der Welt hingegen völlig unverständlich.
Aber hierzulande taucht das Wort Respekt absurderweise einzig und allein auf Fußballplätzen auf, wo die (übrigens schwer korrupten) internationalen Verbände ihn für nichteuropäische Spieler einfordern. Für die österreichische Geschichte fordert ihn hingegen niemand ein ...