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Das haben sich Österreichs Richter nicht verdient …

… dass da jemand so in ihrem Namen spricht. Viele Richter sind empört, dass die Präsidentin des Richtervereins jetzt öffentlich mit einer sehr parteipolitischen Positionierung in die Debatte um die Korruptionsstaatsanwaltschaft eingegriffen hat. Ihre Empörung hat gleich mehrere Gründe. Vor allem wissen sie zum Unterschied von Sabine Matejka, dass Richter gut beraten sind, wenn sie sich aus öffentlichen politischen Debatten zurückhalten.

Daher üben sie trotz ihrer Empörung ihre eigene Kritik an Matejka nur hinter vorgehaltener Hand, weil sie sich ja von deren Verhalten unterscheiden wollen. Aber umso präziser sind die dabei geäußerten Vorwürfe:

  • Erstens werden es eindeutig Richter sein, die in der Zukunft über das Vorgehen dieser von Matejka verteidigten WKStA zu entscheiden haben. Schon aus diesem Grund wäre es für die Richter-Vertreterin mehr als angebracht gewesen, zu schweigen und nicht frisch-fröhlich Interviews zu geben, die den Eindruck erwecken, diese Entscheidungen präjudizieren zu wollen.
  • Zweitens haben schon in der Vergangenheit Gerichte oft genug mit gutem Grund gegen die WKStA entschieden und ihr Vorgehen scharf kritisiert. Aber das waren die zuständigen Gerichte und nicht eine Vereinspräsidentin ohne jede Aktenkenntnis.
  • Drittens übernimmt Matejka in ihren Aussagen präzise das Wording von Rot und Pink, dass es Anschuldigungen der ÖVP gegen die Justiz gäbe. Es sind aber weit und breit keine Angriffe "auf die Justiz" zu finden, sondern nur solche auf eine ganz bestimmte Staatsanwaltschaft. Die seltsame Verallgemeinerung der Frau Matejka hieße ja, dass man alle Oberösterreicher als Verbrecher bezeichnet, nur wenn man einen so nennt.
  • Viertens ärgert es Matejka-kritische Richter noch viel mehr, wenn die Vereins-Präsidentin mit diesen Worten die Staatsanwaltschaft in den Gesamtbegriff "Justiz" eingemeindet. Dabei sind es ganz eindeutig nur die Richter, die durch Verfassungsgarantie unabhängig, unabsetzbar und unversetzbar sind, nicht die Staatsanwälte. Diese unterstehen hingegen Weisungen (noch dazu solchen einer sehr parteipolitisch-ideologischen Ministerin). Die Verfassung hat den Staatsanwälten hingegen immer zu Recht die von diesen angestrebte Gleichstellung mit den Richtern verwehrt. Daher ist es nicht sonderlich klug, wenn jetzt ausgerechnet die Richtervereins-Präsidentin verbal die Gleichstellung vollzieht.
  • Fünftens weisen Richter darauf hin, dass auch Kritik an jedem einzelnen von ihnen selbst beziehungsweise an gerichtlichen Entscheidungen, also eine sogenannte Urteilsschelte, eindeutig erlaubt ist. Das Recht darauf ist sogar grundrechtlich garantiert. Umso mehr ist natürlich Kritik an Staatsanwälten zulässig.
  • Daher ist sechstens die polemische Matejka-Formulierung in keiner Weise gerechtfertigt, sondern rein parteipolitische Agitation: "Das greift schon nach und nach den Rechtsstaat an."

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer der Tatsache, dass wegen eines Satzes von Sebastian Kurz ein derartiger Aufwand betrieben und von der Korruptionsstaatsanwaltschaft ein 58-seitiger Schriftsatz verfasst wird, der im Grund den üblen Charakter einer Fernpsychiatrierung hat, wie sie seit üblen Diktaturzeiten in der Justiz verpönt ist (diesmal wirklich in "der" Justiz).  

Gleichzeitig mit solchen Aktionen ist die Staatsanwaltschaft (wenn auch einer anderen Abteilung) zwei Jahre lang nicht imstande gewesen, einen des Mordes verdächtigen Terroristen vor Gericht zu stellen, sodass er ob dieses Versäumnisses aus der U-Haft freigelassen werden muss und sich wo auch immer hinbewegen kann. Das zeigt, dass die Staatsanwaltschaft entweder selbst in gravierenden Fällen schwer überfordert ist – oder ihre zeitlichen und personellen Ressourcen völlig falsch einsetzt. 

Gleichzeitig hat es diese eigentlich zur Bekämpfung der Korruption geschaffene Staatsanwaltschaft seit Jahren peinlich vermieden, den größten und vor unser aller Augen stattfindenden Korruptionsfall Österreichs auch nur ein einziges Mal vor einen unabhängigen Richter zu bringen. Das ist die fortwährende Medienbestechung und gezielte Subventionierung ideologisch nahestehender Medien durch von Ministern, Landesräten und Bürgermeistern freihändig vergebene Inserate im alljährlichen Ausmaß einer dreistelligen Millionensumme. Dieses Versäumnis riecht geradezu danach, mit der Parteifarbe jener Politiker zusammenzuhängen, die sich da am meisten schuldig gemacht haben: Es sind die der rot geführten Gemeinde Wien (wobei freilich inzwischen sämtliche anderen Parteien, die derzeit im Parlament sitzen, mitschuldig geworden sind).

Angesichts all dieser Fakten gehört schon eine ordentliche Portion Kühnheit (oder Naivität?) dazu, generell zu behaupten, die Staatsanwaltschaft "ermittelt objektiv und nicht politisch motiviert".

Eine Vertreterin der wirklichen Interessen der Richter hätte sich in Hinblick auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuss auch unbedingt mit der Frage befassen müssen, ob nicht die Art und Weise, wie in diesem Ausschuss Staatsbürger behandelt werden, eine massive Verletzung des Rechtsstaates und eine Verhöhnung der Richter dieses Landes ist. Maßt sich doch das Parlament (durch selbst gefasste Beschlüsse) an, jede Falschaussage vor einem solchen Ausschuss wie ein Gericht bestrafen lassen zu können. Dieser Ausschuss benimmt sich aber nicht einmal annähernd so, wie österreichische Richter Zeugen behandeln.

Dieser Ausschuss ist in Wahrheit ein Rückfall in den im 18. Jahrhundert wohlweislich abgeschafften Inquisitionsprozess, wo ein Ankläger gleichzeitig Richter gewesen ist. Daher ist es auch mehr als wahrscheinlich, dass diese Konstruktion auch eine massive Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt.

Das sind keineswegs aus der Luft gegriffene Vorwürfe. Sie decken sich beispielsweise auch voll mit den Aussagen der damaligen Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs, die empört über die Behandlung von Zeugen durch den Ausschuss ihre Funktion als Verfahrensrichterin in diesem Ausschuss zurückgelegt hat: "So etwas habe ich in meiner jahrzehntelangen Laufbahn als Richterin nie erlebt."

Aber Frau Matejka macht halt lieber jener Korruptionsstaatsanwaltschaft die Mauer, als sich vor eine Angehörige des eigenen Standes zu stellen. Diese hat sich auch noch von der sattsam bekannten Frau Krisper von den Neos wüst beschimpfen lassen müssen. Auch das, ohne dass ein Kommentar von Frau Matejka bekannt geworden wäre.

Die Frage, ob die Zustände in diesem Ausschuss nicht an sich eine schwere Menschenrechtsverletzung sind, wird mit Sicherheit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen. Es ist schwer vorzustellen, dass dieser Gerichtshof eine Situation billigt, wo sich Parteipolitiker etwa in Hinblick auf die Wahrheitspflicht Zeugen gegenüber die Macht eines Gerichtes herausnehmen, ohne sich wie ein solches zu verhalten.

Eine andere ebenso zentrale Frage ist in den letzten Tagen vom anderen europäischen Gerichtshof, dem der EU zu Luxemburg, eindeutig entschieden worden. Aber, ohne dass man es in Österreich bisher mitbekommen hätte. Dabei zieht dessen Urteil dem Vorgehen von Ausschuss und Korruptionsstaatsanwaltschaft weitestgehend den Boden unter den Füßen weg und rückt sämtliche Beschlagnahmen und Aushändigungen der gesamten Handy- und Mail-Kommunikation von Politikern, Beamten und Managern ins Unrecht. Jedoch die ÖVP ist wieder einmal juristisch so schlecht aufgestellt, dass sie das bisher noch überhaupt nicht thematisiert hat. Die anderen werden das natürlich nicht.

Denn der EuGH hat am 3. März geurteilt: Staatsanwaltschaft und Polizei dürfen nur zur Aufklärung schwerer Kriminalität, etwa Terrorismus, Zugang zu Kommunikationsdaten erhalten!

Also wohlgemerkt: Sie dürfen diese also nicht einmal dann greifen, wenn die beschlagnahmten Daten, Mails und sonstige Kommunikationen in der Folge vertraulich behandelt würden, und nicht auf "geheimnisvollen" Wegen regelmäßig in bestimmten Medien landen würden.

Das ist ein absolut sensationelles Erkenntnis des in der Judikatur-Hierarchie eindeutig auch über dem österreichischen Verfassungsgerichtshofs stehenden EuGH. Mit diesem Urteil hat dieser seine sehr weitgehende Datenschutz-Judikatur in einem ganz wichtigen Punkt präzisiert.

Und nicht einmal die Möchtegern-Scharfrichter Krisper und Krainer haben bisher zu behaupten gewagt, dass irgendeiner der von ihnen jetzt gejagten ÖVP-Politiker (beziehungsweise der früher gejagten FPÖ-Politiker) ein Terrorist wäre.

Freilich kann auch das noch kommen …

Apropos Krisper: Die ÖVP und zumindest ein erstinstanzliches Urteil haben ihr nachgewiesen, selbst im Ausschuss die Unwahrheit gesagt zu haben. Macht aber nichts: Sie gehört ja zu den höheren Wesen dieser Republik, den Abgeordneten. Die dürfen nämlich die Unwahrheit sagen. Haben sich doch diese höheren Wesen ihre Regeln (selber) so zurechtgeschnitzt.

Zur politisch heiß diskutierten Frage, ob Kurz bei Anklageerhebung genötigt wäre,  zurückzutreten, zwei Anmerkungen:

  • Würde eine solche Anklageerhebung wirklich gleichbedeutend mit der Pflicht zum Rücktritt sein, dann würde man einer so problematischen Organisation wie der WKStA die uneingeschränkte Macht in die Hände legen, jedes Regierungsmitglied stürzen zu können. Dann hätte sie völlig an allen demokratischen Strukturen vorbei mehr Macht als Wahlen oder parlamentarische Mehrheiten. Das wäre eine Aushebelung der Demokratie.
  • Da im konkreten Fall nur ein bloßer Strafantrag geplant ist, hat Kurz nicht einmal die sonst einem Beschuldigten bei einer Anklageschrift zustehende Möglichkeit eines Einspruches dagegen, über den von einem Obergericht entschieden werden muss, bevor(!) es überhaupt zu einem Prozess kommt. Das heißt: Kurz ist im Gegensatz zu Beschuldigten in einem Schöffen- oder Geschwornenverfahren absolut wehrlos gegen die Absicht der WKStA, ihn vor Gericht zu stellen.

Aus beiden Gründen wäre es demokratie- wie rechtspolitisch völlig falsch, den schon jetzt – siehe die 58 Seiten lange Fernpsychiatrierung –, also vor der ersten Vernehmung von Kurz vorbereiteten Strafantrag für relevant zu halten. Ausschlaggebend darf nur die rechtskräftige Entscheidung sein.

In der inhaltlichen Rechtsfrage, ob Kurz vorsätzlich gelogen hat, geht das muntere Parteien- und Juristen-Hickhack weiter. Jede Seite präsentiert jeweils Gutachten ihres Geschmacks. Jede Seite, jedes "unabhängige" Medium weiß dabei in aller Regel schon vorher, wenn man dazu fragen soll, um die "richtige" Antwort zu bekommen. Das ist also an sich nicht weiter ernst zu nehmen.

In den Stellungnahmen mancher dieser Juristen findet sich allerdings eine weitere empörende und eindeutig an totalitäre Diktaturen erinnernde Behauptung: Man hätte, so behaupten sie, schon dann zu bestrafen, wenn man nicht alles gesagt hat, was man gewusst hat.

Sollte sich dieser ungeheuerliche Argumentation wirklich durchsetzen, kann man nur noch sagen: Gute Nacht, Privatsphäre! Gute Nacht, Rechtsstaat! Gute Nacht, Grundrechte! Guten Morgen, Franz Kafka! Guten Morgen, George Orwell!

Eine solche Pflicht, alles von sich aus zu sagen, was man weiß, ist im Grunde noch schlimmer als die Zustände im Vormärz der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals haben die freiheitsliebenden Studenten wenigstens noch singen können: "Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen. Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei."

Bald wird man das nicht mehr singen können. Oder es wird zumindest nicht mehr stimmen.

PS: Wetten, dass weder die WKStA noch die Justizministerin etwas an dem neuesten Skandal finden werden, der da soeben bekannt geworden ist: nämlich an der dubiosen Verschiebung des Internetportals der ehemaligen Liste Pilz um einen Euro. Aber freilich: Frau Zadic war ja Fraktionskollegin des Peter Pilz in dessen einstiger Minifraktion ...  

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