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Es ist beklemmend zu erkennen, vor welchen Alternativen Österreich derzeit politisch in der Corona-Krise steht, da diese ja zumindest noch Monate dauern wird. Es wimmelt nur so von Pannen, Beweisen der Unfähigkeit und von internen Zerwürfnissen – sowohl in den Oppositionsparteien wie auch in der Regierung. Darüber können auch einige kleine Teilerfolge nicht hinwegtäuschen. Die Meinungsumfragen zeigen zwar sowohl für SPÖ wie FPÖ erstmals seit langem ein paar Punkte Zuwachs, während die ÖVP leicht und die Grünen schwer verlieren. Aber gerade die leichten Zugewinne von Rot wie Blau machen klar, wie sehr es die Nation derzeit zerreißt: Denn gerade diese beiden Parteien streben zueinander in absolut entgegengesetzte Richtungen. Nicht nur in der generellen Ideologie, sondern gerade auch beim Thema Corona. Und sie sind überdies intern noch mehr zerstritten als die Regierung.
Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner klingt wie eine hängengebliebene Schallplatte, bei der immer nur das Wort "Lockdown" zu hören ist. Sie will diesen stets noch weiter ausbauen, verschärfen und verlängern. Fast scheint es, dass ihr das chinesische Modell am liebsten wäre, wo die Menschen oft wochenlang die eigene Wohnung nicht verlassen durften.
Die Schallplatte mit der Stimme des FPÖ-Klubobmanns Herbert Kickl ist hingegen bei den Worten "Kurz muss weg" hängengeblieben, die ständig wiederholt werden. Kickl hat schon jede einzelne Corona-Maßnahme vehement abgelehnt, hat von den Masken über Lockdowns bis zu Impfungen und Tests praktisch alles lautstark für Unsinn erklärt.
Für jede der beiden Richtungen gibt es zwar eine eingeschworene Fangemeinde. Aber mehrheitsfähig ist zweifellos weder die eine noch die andere.
Insbesondere auch deshalb, weil es selbst parteiintern alles andere als Einheitlichkeit gibt. Rendi-Wagner stößt etwa regelmäßig auf das "burgenländische Reaktionsgesetz": Was auch immer sie sagt, wird am nächsten Tag von Landeshauptmann Doskozil konterkariert (der freilich auch selten Mühe hat, seinen eigenen Worten von vorgestern zu widersprechen).
Und bei der FPÖ würde niemand, der es nicht schon gewusst hat, auf die Idee kommen, dass Kickl und Norbert Hofer – der theoretisch ja (noch?) Kickls Parteichef ist – zur selben Partei gehören.
So kündigte Hofer im Gegensatz zu den ständigen wütenden Kickl-Attacken an, sich selbst impfen zu lassen. So sagte Hofer schon vorige Woche wörtlich: "Maßnahmen wie Abstand halten, Maske tragen, Hygiene und Testungen werden daher von mir klar unterstützt."
Kickl hingegen stänkert ständig gegen Masken- und Testpflichten. Vor allem aber verärgert er bei jeder Parlamentssitzung fast die ganze Nation, die sich ja ziemlich geschlossen – wenn auch gewiss oft mürrisch – ans Maskentragen hält, indem er und etliche seiner Fraktionskollegen im Parlament unter Berufung auf das angeblich sonst bedrohte freie Mandat keine Masken tragen. Das und die an pubertären Trotz erinnernden Begründungen Kickls dafür erzürnen viele Österreicher (bis auf den harten Kern der Coronaleugner, der begeistert ist), weil Kickl damit provokativ ein Politikerprivileg für sich in Anspruch nimmt. Kickls Verhalten lässt – selbst wenn er Corona wirklich nur für eine Grippe und Masken für völlig wirkungslos halten sollte – an seiner Intelligenz zweifeln, will er doch wiedergewählt werden. Denn die meisten Wähler fühlen sich schlicht verhöhnt, wenn jemand demonstrativ eine für alle anderen geltende Regel nicht einhält, weil er sich offenbar für etwas Besseres hält als das gemeine Volk.
Das Verhalten Kickls hat nun Hofer den Kragen platzen lassen, der bisher mit zusammengebissenen Zähnen den inneren Burgfrieden zwischen den zwei so unterschiedlichen Burgvögten auf der FPÖ-Trutzburg gehalten hat: Wer das tue (was Kickl tut), so Hofer in einem Tweet, stelle sich "in einer Selbstüberhöhung über alle Menschen, die sich an Regeln halten müssen." Hofer musste auch deshalb so deutlich werden, weil er jetzt als dritter Parlamentspräsident die beiden anderen vertreten muss, die derzeit – wegen Corona! – ausgefallen sind. Da kann er Kickls Verhalten, in dem viele andere Abgeordnete und Parlamentsangestellte eine persönliche Gefährdung erblicken, nicht einfach übergehen. Sonst würde ja die Parlamentsmehrheit fragen, ob er der richtige dritte Parlamentspräsident ist (was die Linksparteien ohnedies nie gewollt haben).
Freilich: Kaum ist Hofer der Kragen geplatzt, machte er wieder einen feigen Rückzieher: Statt Masken würden eh auch Plastiktrennwände genügen (wie es sie im Parlament ja eh schon länger seitlich zwischen den Abgeordneten gibt, allerdings nicht vor und hinter ihnen - allerdings reichen anderswo, etwa im Supermarkt, auch Plastikwände vor dem Arbeitsplatz nicht aus, weshalb die Kassiere auch hinter ihrer Plastikwand Maske tragen müssen). Offenbar hat ihn ein wütender Kickl-Anruf dazu gebracht, wieder den Schwanz einzuziehen. Damit hat aber nun auch Hofer selbst sein eigenes Image beschädigt. Er steht jetzt als einer da, der beim leisesten Lufthauch umfällt.
Hofer steht vor einem unlösbaren Dilemma: Er will eigentlich seine Partei wieder regierungsfähig machen (und sich selbst als repräsentablen Präsidentschafts-Kandidaten zeigen), während Kickl daran überhaupt nicht interessiert ist. Kickl setzt aus tiefer innerer Kränkung über sein eigenes Schicksal ganz auf Radikalopposition, ist damit viel lautstärker als Hofer und kommt daher beim radikalen Teil der eigenen Basis besser an.
Im Schatten dieser parteiinternen Polarisierungen bei Blau und Rot gehen die Neos in der öffentlichen Wahrnehmung völlig unter. Zu Recht. Weiß doch niemand so wirklich, wofür sie eigentlich stehen. Einmal ein bisschen SPÖ, einmal ein bisschen FPÖ, einmal ein bisschen Regierung. Mit einer solchen Strategie der bewussten Unklarheit kommt man zwar vielleicht kurzfristig ganz gut durch; gewinnt man doch so jene eine Zeitlang, die irgendwie unzufrieden mit Regierung (und Corona) sind, die aber selbst nicht wissen, ob sie eigentlich wegen eines "zu wenig" oder eines "zu viel" an Maßnahmen unzufrieden sind. Langfristig werden die Neos aber so gewiss nicht glaubwürdiger.
Und die Koalition selber? Sie hat lange vom Leithammeleffekt profitiert: Wenn der Wolf kommt, drängen sich die Schafe eng an den Leithammel. Doch inzwischen tun das immer weniger. Etliche sind des ständigen Gedränges um den Leithammel überdrüssig geworden, andere wieder entdecken, dass auch dieser keinen echten Schutz geben kann und laufen von der Herde weg.
Jetzt wirkt der Leithammel-Effekt kaum mehr, jetzt fallen die anfangs überragenden Umfragewerte der Regierung. Jetzt gibt es auch Indizien für innere Meinungsverschiedenheiten. Diese sind freilich in einer schwierigen Situation an sich normal, in der es keine Antworten aus der Erfahrung heraus gibt.
Die regierungsinterne Bruchlinie verläuft nicht entlang der Parteigrenzen, sondern quer durch die Parteien. Der grüne Parteichef Werner Kogler teilt offensichtlich immer weniger die Noch-mehr-Lockdown-Forderungen von Gesundheitsminister Anschober. Auf ÖVP-Seite hat sich Sebastian Kurz selbst von der Position des Verfechters ganz strenger Maßnahmen hin zu einer milderen Haltung bewegt. Er tat dies zwar so langsam, dass man die Veränderung kaum merkte, aber eben doch. Offensichtlich steckt da eine Konzession an den ständig auf Öffnung drängenden Wirtschaftsflügel dahinter wie auch an die auf Grund ihrer relativ guten Zahlen strikt jeden gesamtösterreichischen Lockdown ablehnenden Westbundesländer.
Dennoch sind die Spekulationen mancher Medien Wunschdenken, dass es die Koalition zerreißen könnte. Jedenfalls wird das nicht wegen Corona geschehen. Viel explosiver ist der ÖVP-Ärger über die Provokationen aus dem Justizministerium, welches ständig vertrauliche Dialoge aus ziemlich willkürlich beschlagnahmten Handys ans Parlament und damit an die Öffentlichkeit spielt. Aber dennoch dürfte die Koalition mit hoher Wahrscheinlichkeit halten. Dafür dürfte insbesondere das recht gute und professionell-rationale Verhältnis zwischen den beiden Parteichefs, aber auch den beiden Fraktionschefs sorgen.
Wie ist nun hinter all diesen Frontlinien aber eigentlich Österreichs Corona-Politik selbst inhaltlich zu bewerten? Mit einem Satz: nicht besser als in den meisten anderen EU-Ländern, und deutlich schlechter als in den rechtsregierten Ländern Israel und Großbritannien. Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Punkte, die dabei zuletzt positiv wie negativ aufgefallen sind.
PS: Ein kleines Beispiel dafür, dass auch in anderen Ländern peinliche Uneinigkeit herrscht: Während sich der deutsche Bundespräsident Steinmeier bedenken- und problemlos mit AstraZeneca impfen hat lassen, verweigert der deutsche Innenminister Seehofer diesen Impfstoff. Dabei ist er meines Wissens keine junge Frau (er hat auch nicht die von Radikalfeministen propagierte freie Wahl eines "sozialen Geschlechts" wahrgenommen …).