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"Und wo kriege ich jetzt meinen grünen Ausweis?", fragte der Mann neben mir zweimal ganz schüchtern. Seine unbeantwortet gebliebene Frage machte mir das nächste große Versäumnis – vor allem, aber nicht nur – der europäischen Politik richtig anschaulich. Diese hatte ja (zum Unterschied von den bösen Rechten Donald Trump, Benjamin Netanyahu und Boris Johnson) schon im Vorjahr jämmerlich dabei versagt, rechtzeitig ausreichende Mengen an Impfstoff zu beschaffen. Und jetzt zeigt sich, dass sie heuer neuerlich dabei versagt hat, rechtzeitig einen Grünen Pass für ganz Europa auf die Beine zu stellen.
Der Mann stand neben mir am Schalter einer Impfstation, in der ich mir meinen ersten Impfschuss abholte, er schon seinen zweiten. Jedoch: Die zwei jungen Männer hinter dem Schalterfenster – dem Typus nach lustige Zivildiener – hatten keine Ahnung, was der Mann eigentlich wollte. Schließlich kamen sie zu dem Schluss, dass er seine abgegebene e-card zurückhaben wollte, weil die ja auch irgendwie grün ist.
Bedrückt ging der Mann heim. Wusste er doch ganz genau, dass er eindeutig etwas anderes gewollt hatte: eben den "Grünen Pass", von dem er seit Monaten ständig in den Nachrichten hört. Vielleicht ist er überhaupt nur deshalb zum Impfen gegangen, weil er gemeint hat, sich damit das ständige Testen etwa für den Gang zum Friseur oder beim Besuch im Altersheim zu ersparen.
Aber nix da. Über den "Grünen Pass" redet die Politik immer nur, den gibt es aber noch immer nicht, obwohl er längst fertig sein könnte. Und müsste. Und nicht erst etwa am 19. Mai, wie es jetzt in Aussicht gestellt worden ist – und auch das nur für Österreich, und auch das nur mit allen Betonungen auf "eventuell".
Zumindest bis auf weiteres muss der Mann, wie auch fast 800.000 andere Österreicher, die schon doppelt geimpft worden sind, also weiterhin die Testprozedur über sich ergehen lassen, wenn er zum Friseur gehen will (sofern der gerade aufgesperrt haben darf). Dabei ist nach übereinstimmender Aussage aller Experten das Testen für Geimpfte eigentlich überflüssig.
Und wieder wird alles durch das haargenau gleiche Match wie bei der Impfstoffbeschaffung aufgehalten: Macht‘s die EU? Macht‘s Österreich alleine? Macht’s ein Bundesland alleine? Blockiert die Opposition? Ergebnis: Zumindest bisher gibt es ihn nicht, obwohl es längst fertig sein hätte können. Obwohl die Menschen schon dringend darauf warten zur Wiedergewinnung einiger Freiheiten.
Keiner der Gründe der Verzögerung der letzten Monate ist hinzunehmen. Etwa der Widerstand der auf EU-Ebene und bei der Opposition lautstarken Anhänger des Datenschutzes und Kämpfer gegen eine angebliche Ungleichbehandlung:
Es kann aber auch keine organisatorischen Gründe geben, warum dieser Grüne Pass nicht schon längst existiert, statt dass es ihn – vielleicht – am 19. Mai gibt. Mit ein bisschen Organisationstalent und Programmierfähigkeit hätte sich dieses Projekt binnen 14 Tagen auf die Beine stellen lassen (und erst recht dann, wenn man dafür auch nur einen kleinen Teil der Geldsummen einsetzt, die Corona wegen schon überall versprüht werden).
Zugegeben: Es wäre zweifellos besser, wenn eine solche App, ein solches Dokument schon EU-weit oder überhaupt international auf die Beine gekommen wäre. Das wäre insbesondere für ein Touristenland wie Österreich gut, das vor einer weiteren bedrohten Saison steht. Aber schnell geht in der EU halt gar nichts.
Das kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, dass es den Grünen Pass nicht schon längst zumindest innerösterreichisch gibt, nämlich für die mittlerweile 800.000 doppelt Geimpften und daher zu weit mehr als 90 Prozent Immunisierten.
Eine eigene Niedertracht ist es schließlich, dass Rot und Blau das von der Regierung endlich vorgelegte Projekt für einen solchen Grünen Pass schon seit längerem im Bundesrat blockieren. Warum? Gute Frage.
Die FPÖ blockiert in ihrem gegenwärtigen Selbstmordtrieb ohnedies alles (übrigens tut sie das nur im Parlament, sind doch Freiheitliche in den meisten Landtagen, Gemeinderäten und Bezirksvertretungen nach wie vor recht konstruktive Akteure).
Aber bei der SPÖ ist das wirklich mehr als erstaunlich. Hat sich doch die aus der Impfmedizin kommende Parteivorsitzende seit längerem mit der Parole "Impfen, impfen, impfen" zu profilieren versucht. Und dennoch hat ihre Partei (bis auf die roten Burgenländer) im Bundesrat das entsprechende Gesetz unter hanebüchenen Begründungen blockiert. Offenbar nur aus dem Prinzip, dass man zuerst halt einmal alles blockiert, was von der Regierung kommt. Obwohl der Grüne Pass zweifellos ein Motiv ist, das viele zum Impfen motiviert. Diesen schweren Fehler kann Rendi-Wagner auch nicht dadurch wieder gutmachen, dass sie nach inoffiziellen Berichten jetzt offenbar doch zuzustimmen bereit ist.
So wenig wie sie kann auch die Regierung wiedergutmachen, dass der Grüne Pass nicht längst Realität ist, weil man zu spät damit angefangen hat. Und die EU schon gar nicht, wo wieder alles steht und wo auch die Kommissionspräsidentin keinen erkennbaren Druck macht.
Manche Bremser fragen: Was ist, wenn Österreich jetzt den Grünen Pass endlich realisieren sollte, und wenn dann irgendwann vielleicht doch auch von der EU ein solcher kommen sollte? Die Antwort ist einfach: Dann übernimmt man halt sofort den Grünen Pass der EU – ob man nun die österreichische Programmierung dabei großteils verwenden kann (was höchstwahrscheinlich möglich ist) oder nicht.
So macht es etwa Südtirol schon ab diesem Wochenende: Dort können Geimpfte, Getestete und Genesene damit schon ab Montag wieder viel von ihrem Leben genießen. Sogar im Innenbereich von Lokalen. Und dort kümmert man sich nicht um Proteste und bürokratische Querschüsse der Zentralregierung in Rom, die Südtirol zum Warten auf eine gesamtitalienische Lösung zwingen will. Der Südtiroler Landeshauptmann ist im Übrigen auch sicher, dass der Südtiroler Pass mit dem kompatibel ist, was irgendwann aus Italien oder gar der EU kommen wird – kommen könnte.
Meine persönlichen Impferlebnisse waren aber nicht nur durch das Mitleid mit dem auf seinen Grünen Pass hoffenden Mann geprägt.
Sie fanden in einem Wiener Bezirksamt statt, das sich in einem Zustand befindet, der seit Kaisers Zeiten von keiner Renovierung heimgesucht worden ist (offenbar hat man so viel Geld für Bestechungsinserate und Donauinselfeste ausgeben müssen, dass für so etwas kein Geld mehr da war …).
Die vielen netten Zivildiener-artigen Burschen, die dort mit unklaren Aufgaben herumstanden, waren nicht von irgendwelchen Organisationsfähigkeiten gekennzeichnet (und unterschieden sich damit sehr von den Präsenzdienern, die ich einst beim Testen beobachten habe können, die offensichtlich unter dem ordnenden Blick eines Unteroffiziers gestanden sind). Es kümmerte sich auch niemand von ihnen um den befehlsgemäß mitgebrachten Lichtbildausweis, also darum, ob da jetzt wirklich der Andreas Unterberger geimpft wird.
Nachdem ich die Aufmerksamkeit des jungen Mannes an jenem Schalter errungen hatte und ihm e-card und Impfpass geben konnte, wurde ich angewiesen, durch eine Tür zur Impfung zu gehen. Das kam mir irgendwie seltsam vor, weil in den letzten Minuten eindeutig niemand durch diese Türe hinein- oder herausgegangen ist. Dahinter habe ich dann eine einsam hinter einem Schreibtisch wartende Frau – vermutlich eine Ärztin – angetroffen, die sich offenbar freute, dass sie wieder einmal etwas zu tun bekam. Diese Beobachtung ließ mich rätseln, ob das "Impfservice Wien" so schlecht plant, dass die Impfärztin den Großteil ihrer Zeit offenbar nicht ausgelastet ist, oder ob auch bei dem dort verabreichten Moderna-Impfstoff so viele Menschen im letzten Augenblick absagen, weil ihnen irgendwer Angst vor der Impfung eingejagt hat.
Die mutmaßliche Ärztin stellte mir nur eine einzige Frage: "Linker Arm oder rechter Arm?" und nachher gab sie mir den Rat, im Vorraum noch 15 Minuten zu warten. Sonst gab es keine Kommunikation. Was mich neuerlich erstaunte. Denn meine Ehefrau, die über ihre Ärztin zu einem Impftermin gekommen ist, wurde ganz im Gegensatz dazu zusammen mit anderen Impfkandidaten zu einem eigenen und längeren Impf-Vorgespräch-Termin geladen.
Aber beim Gemeinde-eigenen Impfservice ist so etwas offenbar nicht notwendig. Ich bekam auch keinen Aufklärungszettel in die Hand, wie es ihn als Beipackzettel bei jeder Aspirin-Packung gibt, was zu tun oder nicht zu tun ist, womit zu rechnen ist und auf was man achten sollte.
Daheim schaute ich dann in den gelben Impfpass, in den seit 20 Jahren alle meine Impfungen (die ich vor allem bei Reisen in Drittweltländer gegen Typhus, Cholera und vieles andere bekommen habe) eingetragen sind. Das ließ mich neuerlich staunen: Denn dort fand ich neben einem Datumsstempel und einem "Moderna"-Kleber noch den Stempel mit dem Namen eines Arztes. Das war aber ein Name mit dem all meinen Erfahrungen nach eindeutig männlichen Vornamen "Andreas". Drinnen aber bin ich einer Frau begegnet.
Jetzt darf ich rätseln: Bin ich zum ersten Mal einem Exemplar der von den Linksparteien so begeistert propagierten Geschlechtsumwandlungen begegnet? Oder einer Frau, die sich zum "sozialen Geschlecht" eines Mannes verändern hat lassen? Oder schlicht einem Beispiel einer Falschbeurkundung?
PS: Falls sich jemand für meine persönlichen Impf-Nebenwirkungen interessieren sollte: Ja, die hatte ich eineinhalb Tage. Ich war schlapp und müde, und der Arm ließ sich nicht wirklich heben. Inzwischen ist aber alles wieder bestens und vorbei. Und voller gesunder Energie für das Tagebuch ...