Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Darf der Staat Geheimnisse haben? Dürfen Politiker lügen?

Wiens sozialistischer Wirtschaftsstadtrat Hanke warnt: Durch das geplante Informationsfreiheitsgesetz werden alle kommunalen Unternehmen in Gefahr geraten, weil sie dann sensible Informationen offenlegen und sich dadurch selbst schädigen müssen. Am gleichen Tag verlangt die SPÖ im Parlament hingegen eine Ausweitung der Wahrheitspflicht, also der Pflicht für jeden Vorgeladenen, alle Informationen offenlegen zu müssen; diese Pflicht solle es künftig für jeden Bürger vor jedem Parlamentsausschuss geben, also nicht nur wie bisher vor dem sogenannten Untersuchungsausschuss. Ein kleiner Widerspruch unter Genossen? Nein, kein kleiner, sondern ein ganz gewaltiger.

Gäbe es irgendwo in diesem Land noch Vernunft, noch Plattformen, die zu gesamthaft staats- und ordnungspolitischem Denken imstande wären, dann gäbe es längst eine sachliche Diskussion nicht nur über diesen Widerspruch zwischen zwei unvereinbaren, aber aufs erste jeweils plausibel klingenden Standpunkten. Österreich braucht darüber hinaus auch eine gesamthafte Diskussion der verfassungsrechtlichen Spielregeln in dem heiklen Viereck zwischen Transparenz, Kontrolle, Korruption und Funktionieren des Staates. Also darüber, wie dieser Staat besser, sauberer und zugleich demokratischer funktionieren kann.

Aber sämtliche Äußerungen, die man rund um dieses Viereck hört, sind derzeit durch die Bank interessengesteuert, beweisen einen engen Tunnelblick. Ob es nun um die Regeln der Parlamentsausschüsse oder um das Informationsfreiheitsgesetz geht. Im Parlament gibt es überhaupt nur noch parteipolitische Wadlbeißerei auf erbärmlicher Ebene. Vom Verfassungsgerichtshof hat man schon lange – im Grunde, seit es dort keinen Karl Korinek mehr gibt, – nichts wirklich Weises, nichts über Plattitüden Hinausgehendes zu den grundlegenden Baufragen der Republik gehört. Zumindest im skizzierten Viereck kann man sich ausnahmsweise auch nicht auf die EU ausreden, die eine vernünftige Regelung unmöglich machen würde.

Das Ausbleiben einer qualitativen Debatte über dieses Viereck hängt nicht zuletzt mit der Entwicklung des politischen Personals, mit seinem kollektiven Qualitätsverlust zusammen. Es ist kein Zufall, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Republik in den höchsten und wichtigsten Positionen dieses Landes kein einziger Jurist mehr zu finden ist. Keiner der Spitzen des Staates kennt sich in der Verfassung, in der staatsrechtlichen Ideengeschichte und in den rechtlichen Grundfragen sonderlich gut aus. Dabei legt diese Verfassung die Spielregeln für all ihr Tun fest!

Aber weder Bundespräsident noch Bundeskanzler noch Vizekanzler noch einer der drei Nationalratspräsidenten ist in Sachen Recht und Verfassung sattelfest. Sie sind das alle schon deshalb nicht, weil sie es alle nicht studiert haben (der Bundeskanzler als wenigstens unfertiger Jurist ist sogar besonders schweigsam zu allen rechtlichen Aspekten, weil ihm sonst sofort höhnisch das nicht abgeschlossene Studium vorgeworfen würde). Als Justizministerin fungiert eine blutige Anfängerin, die nur linksradikale Ideologie, aber keinerlei juristische Kompetenz gezeigt hat. Lediglich die Europaministerin hat zumindest eine gewisse einschlägige Expertise.

Das traurige Bild setzt sich im Parlament fort. Keiner der beiden Klubobleute der Regierungsparteien ist rechtlich gebildet, und auch in den Fraktionen schaut es diesbezüglich sehr dürr aus. Die Zeiten, wo ein Michael Graff, ein Andreas Khol, ein Walter Hauser, ein Christian Broda, ein Peter Kostelka, ein Jörg Haider hohen juristischen Sachverstand eingebracht haben, sind lange vorbei. In Hinblick auf Hannes Jarolim oder Alfred Noll sind sie zwar erst kürzer vorbei. Aber eben auch vorbei.

Nun soll das gewiss nicht heißen, dass nur Juristen Politiker sein dürften. Aber dennoch ist es ganz eindeutig, dass kein anderes Studium so eng mit dem verbunden ist, was Politiker rund um die Uhr machen, wie das von Juristen. Seltsamerweise wird das praktisch nirgendwo diskutiert, während ganz Österreich jubelt, dass nach einem Volksschullehrer jetzt ein Arzt Gesundheitsminister ist.

Dementsprechend fällt nicht einmal mehr auf, wie widersprüchlich etwa die eingangs zitierten Positionen der SPÖ sind, wie sehr jeder nur aus seinem sehr beschränkten eigenen Horizont Interessenspolitik betreibt.

Dabei wird gerade derzeit der Komplex Transparenz vs. Funktionsfähigkeit von zwei ganz verschiedenen Seiten aus andiskutiert. Einerseits rund um die schwere Krise der Institution des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses; diese ist de facto kaputt, seit die Opposition die Möglichkeit entdeckt hat, dort eine ganze Regierung – konkret die einstige ÖVP-FPÖ-Regierung – ununterbrochen auf die Anklagebank zu setzen und jede kleinste Differenz der Aussagen zu einem Kapitalverbrechen hochzuzwirbeln. Andererseits durch den Vorschlag eines  Informationsfreiheitsgesetzes, welches das Amtsgeheimnis ablösen soll.

In beiden Bereichen kann es zu einer bedenklichen Konsequenz kommen: nämlich dass die Republik unregierbar wird. Nur traut sich das angesichts des in allen Parteien dominierenden Populismus niemand mehr offen zu sagen. Für Populisten haben längerfristig Interessen des Staates absolut keinen Wert zu haben.

Zunehmend wird die von der (seit längerem von Verschwörungstheorien aller Art besessenen) Korruptionsstaatsanwaltschaft betriebene Staatslähmung zur allgemeinen Devise. Ständige Durchsuchungen, ständige Handy-Beschlagnahmen, ständige umfangreiche Berichterstattung, ständige Auskunftpflichten, ständige Strafanzeigen werden kein vernünftiges Arbeiten mehr zulassen, werden die Tätigkeit der ohnedies schon trägen Behörden und Ämter noch langsamer, noch ineffizienter, noch bürgerfeindlicher machen, werden jeden Minister, jeden Landesrat ständig auf irgendwelche Verhörbänke zwingen, werden jede vernünftige Regierungstätigkeit immer mehr behindern.

Auf der anderen Seite ist aber auch der Ist-Zustand absolut unerträglich, in dem sich Korruption, beamtete Untätigkeit und provozierende Schlampereien bequem hinter dem Amtsgeheimnis verstecken können.

Eine Lösung zwischen den beiden Polen zu finden, ist absolut nicht einfach. Aber sie müsste eingehend und auf hohem intellektuellem Niveau gesucht werden. Und sie müsste alle Bereiche vom Parlament bis zum Informationsfreiheitsgesetz umfassen.

Freilich: Angesichts des rundum in diesem Staat tätigen Personals wird diese Diskussion, wie Österreich vernünftiger, effizienter, transparenter und sauberer funktionieren könnte, natürlich nicht stattfinden. Dennoch sei festgehalten, welche Aspekte dabei eigentlich entscheidend sein sollten:

  1. Dort, wo es um die Vergabe öffentlicher Mittel geht, vom kleinsten(!) Inserat, das ein Amtsträger aus Steuermitteln vergibt, bis zu jeder sonstigen Vergabe und zu jedem Vertrag der öffentlichen Hand müssten absolute Transparenz, Ausschreibungspflicht und Objektivität einkehren, um Korruption zu verhindern. Das ist für wichtige Bereiche einst durch die Schaffung der Bundesbeschaffungsgesellschaft realisiert worden. Aber große Steuergeldausgeber, vor allem die Länder und Gemeinden und der Gesundheitsbereich sind da leider bisher ausgeschlossen geblieben. Das müsste dringend geändert werden.
  2. Es darf keinesfalls Minimalgrenzen für die Pflicht zur Information geben, sonst könnte man ja mit einer Serie von Kettenverträgen wieder jede Sauerei tarnen. Von der Vergabe etwa eines Auftrags zur PCR-Testung in Tirol bis zu den vor allem von der Gemeinde Wien, in letzter Zeit aber auch vom Bund extrem freigiebig und vor allem freihändig verteilten Inseraten müsste dringend alles einem strengen und objektivierten Vergabe- und Ausschreibungsrecht unterstellt werden. Das muss rechtlich sauber erfolgen. Das muss in jedem Fall durch Gerichte nachprüfbar sein und nicht durch Parlamentsausschüsse, die nur noch zu Wadlbeißerei, aber keiner Objektivität imstande sind. Das muss freilich auch Entscheidungen im Expresstempo binnen weniger Tage ermöglichen, wenn Zeitdruck besteht, wie etwa bei einer Pandemie.
  3. Jede Berufung einer Behörde auf Geheimhaltungspflichten (etwa wegen diesbezüglicher Klauseln in Verträgen mit einem Dritten) müssen einer vertraulichen Prüfung durch Richter ausgesetzt werden können – keinesfalls durch eine problematische Institution wie die Datenschutzbehörde. Diese Prüfung kann auch zu dem Urteil kommen, dass die Vertraulichkeit vom Amt missbräuchlich vereinbart worden ist. Sie kann daher auch zu Strafen gegen die für diese Verträge Verantwortlichen führen. Diese Richter sollen auch selbst die verweigerte Information an den Anfragenden weitergeben können, wenn der Republik dadurch kein Schaden erwächst.
  4. Eng damit zusammenhängend muss endlich klargestellt werden, dass Korruption nicht nur darin bestehen kann, dass Politiker eine bestimmte Handlung im Gegenzug für Spenden vornehmen – ob die nun von einem Unternehmen oder einer Gewerkschaft kommen. Sie kann vielmehr auch darin bestehen – was auch viel öfter der Fall ist! –, dass Steuergelder nach parteipolitischem oder persönlichem Interesse in nicht gesetzlich geregelter Weise vergeben werden.
  5. Ein Informationsfreiheitsgesetz muss jedem Bürger gleichberechtigt mit den Medien und Abgeordneten die Möglichkeit geben, alle Akten kopiert zu bekommen, die eine Vergabe, eine Anschaffung, eine rechtliche Entscheidung wie etwa einen Bescheid zum Inhalt haben (nicht jedoch deren Vorbereitung). Da darf es nur wenige Ausnahmen wie etwa die Landesverteidigung, Schulnoten, individuelle Krankenakte oder den Verfassungsschutz geben. Dazu ist gleichzeitig die Aufhebung der Rechtsfigur des Amtsgeheimnisses nötig.
  6. Da aber ein solches Recht schikanös oder gar zur Lahmlegung einer Behörde benutzt werden kann, ist es notwendig und legitim, dass bei jedem Verlangen nach Information vom Antragsteller ein kostendeckender Beitrag bezahlt werden muss.
  7. Hingegen muss es völlig ausgeschlossen sein, dass der sogenannte "Datenschutz" in irgendeiner Weise zur Verhinderung von Auskünften über die Tätigkeit von Ämtern und Behörden dienen darf.
  8. Weder von einem solchen Gesetz noch einem parlamentarischen Auskunftsrecht dürfen jedoch sonstige Aktivitäten eines Beamten oder Politikers erfasst werden. Denn dann könnte das Land nicht mehr regiert werden. Dann könnte über keine einzige Frage mehr offen nachgedacht werden, wenn jede Äußerung, jeder geäußerte Gedanke sofort in die Öffentlichkeit gezerrt werden kann. Dann würde jeder, bei dem der Bundeskanzler einmal angerufen hat, als "Kanzlerintimus" denunzierbar (weshalb dann viele gar nicht mehr einem Politiker zur Verfügung stehen würden). Dann wäre Österreich insbesondere außenpolitisch zur globalen Lachnummer degradiert. Man stelle sich etwa vor, der amerikanische Präsident oder die deutsche Bundeskanzlerin müssten all ihre Termine und Gespräche offenlegen. Umso erschütternder ist, dass der österreichische VfGH jetzt allen Ernstes vom Bundeskanzler genau eine solche komplette Offenlegung verlangt.
  9. Aus der österreichischen Rechtswirklichkeit müsste der Begriff "abstrakt relevant" sofort wieder eliminiert werden. Dieser skurrile Gummibegriff hat ja in der Praxis  die Bedeutung erlangt, dass das Parlament als politisches Tribunal in jede Unterhose schauen kann, weil dort vielleicht ja etwas Relevantes drinnen sein kann. Auch wenn nur das drinnen ist, was normal halt in Unterhosen drinnen ist (was aber trotzdem dann sofort von einem sehr SPÖ-nahen Schmutzkübelspezialisten sofort voyeuristisch unter die Menschheit gebracht wird).
  10. Ein Unsinn ist das Verlangen der ÖVP, dass der Verfassungsgerichtshof Minderheitsvoten veröffentlichen muss (Dissenting Opinion), in denen auch überstimmte Richter ihre Rechtsmeinung darlegen. Dann würde die ohnedies schon zerbrechende Verfassungseinheit dieser Republik noch weiter zerfallen. Das ist ein völlig untauglicher Revancheversuch für die in der Tat extrem problematische und sehr weit nach links abgeglittene Judikatur des VfGH.
  11. Sehr problematisch ist es auch, dass Parlamentspräsident Sobotka die Abschaffung der Wahrheitspflicht für Zeugen vor dem Parlaments-U-Ausschuss vorgeschlagen hat. Allerdings noch viel problematischer ist, dass in solchen Ausschüssen Abgeordnete, ohne Richter zu sein und ohne Ahnung von den Verhaltensweisen eines Richters zu haben, wie ein Hasstribunal einer totalitären Diktatur agieren und versuchen, Menschen fertig zu machen. Besonders provozierend ist: Die Abgeordneten, die in einer unerträglichen Selbstüberhöhung von jedem verhörten Staatsbürger die Wahrheitspflicht ihnen gegenüber einfordern, dürfen selber unbegrenzt lügen und sich zynisch über die für das einfache Volk geltenden Gesetze hinwegsetzen. Siehe die ständige Weitergabe eigentlich vertraulicher Inhalte durch Parlamentarier, siehe die regelmäßige Provokation der zum Maskentragen verpflichteten Bürger durch die Maskenlosigkeit von Herbert Kickl & Co.
  12. Die Parlamentarischen U-Ausschüsse haben sich als völlig unbrauchbare Instrumente zur Verbesserung von Verwaltung oder Gesetzen erwiesen, obwohl sie ursprünglich genau dafür gedacht gewesen sind. Diese Unbrauchbarkeit ist wohl nicht zuletzt Folge des oben beschriebenen Verschwindens der juristischen Qualität aus der Politik. Sie sind reine Denunziationsversammlungen geworden. Die einzige Lösung könnte nur darin bestehen, dass statt dessen eine politische Minderheit die Einberufung einer wirklich unabhängigen Untersuchungskommission über konkrete Fragestellungen zur Verbesserung von Verwaltung oder Gesetzen verlangen kann. Diese Kommissionen sollten völlig vertraulich Zeugen befragen können. Sie sollten ohne Parteienvertreter nur aus Richtern und echten Experten zusammengesetzt sein und am Schluss ohne politischen Einfluss einen Bericht veröffentlichen können. Diese Kommissionen wären stark dem Vorbild der sehr erfolgreichen Royal Commissions in einigen angelsächsischen Ländern nachgebildet.
  13. Der Wiener Wirtschaftsstadtrat Hanke hat zu Recht beklagt, dass Unternehmen im Bundes- oder Landesbesitz durch ständige Auskunftspflichten und politische wie mediale Querschüsse gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen schwer benachteiligt werden. Um das zu stoppen, kann aber sicher nicht wieder alles, also auch alle Schweinereien, im Rauchvorhang der beamteten Vertraulichkeit verschwinden, was Hanke offenbar wünscht. Die einzige richtige Lösung kann nur in einer Privatisierung bestehen, wie sie hunderte Male schon erfolgreich passiert ist.
    Privatisierungen sind überall dort besser, logischer, erfolgreicher, wo es einen Wettbewerb geben kann, also dort, wo es keine natürlichen Monopole gibt. Etwa eine schlecht gehende Veranstaltungshalle einer Gemeinde wird mit 99-prozentiger Sicherheit nach einer Privatisierung viel erfolgreicher sein. Hingegen muss es in jenen Unternehmen, wo Politiker de facto (oder auch de jure) die Letztentscheidenden sind, volle Informationspflicht geben. Denn da agiert als Eigentümer jemand, der Wahlen gewinnen will, der ideologische Ziele hat, der Parteifreunde versorgen will, für den der Erfolg des Unternehmens hingegen völlig sekundär ist.
  14. Und keinesfalls darf es bei der Infomationsfreiheit, beim Recht auf Information in irgendeiner Weise, einen Unterschied zwischen den Rechten der einfachen Bürger und irgendwelchen Sonderrechten von Journalisten oder Abgeordneten geben.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung