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Ziemlich dumm: die doppelte Impf-Kriegserklärung der EU an Briten und Russen

Die schweren Fehler der EU-Kommission aus dem Vorjahr sind heute allen Europäern schmerzlich bewusst: Die EU hat damals mit Hilfe der deutschen Bundeskanzlerin das Thema Impfen an sich gerissen, aber sie war nicht imstande, rechtzeitig und mit voller Kraft den Ankauf und vor allem die zusätzliche Herstellung von Impfstoffen auch schon vor deren Genehmigung zu forcieren. Das hätte zwar mehr gekostet, aber die Hersteller hätten dann eben auch viel früher viel mehr produziert. Und Tausende Europäer wären noch am Leben. Das kann nur der kleinen Minderheit der echten Impfgegner egal sein (weil die sich ja gegen einen Schnupfen nicht zu impfen brauchen ...). Dennoch ist es erstaunlich zu sehen, wie dieser Urfehler jetzt zu gleich zwei neuen schweren Fehlern führt. Ist man in Brüssel und Umgebung so sehr vom vorjährigen Impfdebakel traumatisiert, dass man das klare Denken verloren hat und gleich Fehler in Serie begeht? Oder will man generell übertünchen, dass es prinzipiell falsch gewesen ist, die EU, also einen Binnenmarkt, zum Einkäufer zu verwandeln?

Tatsache ist, dass die EU derzeit voller Nervosität wie ein angeschossener Löwe wild um sich schlägt. Dabei legt sie sich gleich mit ihren beiden größten Nachbarn zugleich an, also mit Russland und Großbritannien. Und man begreift dabei nicht, dass man sich selber am meisten schadet – oder genauer: den 447 Millionen EU-Bürgern, die gerade neuerlich Opfer schwerer politischer Fehler im EU-Umgang mit dem Impfthema werden.

Der Impf-Handelskrieg mit Großbritannien

Derzeit werden die Drohungen der EU täglich konkreter, in den allernächsten Tagen einen Exportstopp für in der EU fertiggestellten AstraZeneca-Impfstoff zu verhängen, weil AstraZeneca nach EU-Ansicht seine Lieferverpflichtungen nicht eingehalten hat. Dieses Exportverbot soll vor allem Großbritannien treffen. Dabei ist völlig klar: Es würde genauso auch die EU-Bürger schädigen. Und zwar sogar doppelt, auch wenn sich die EU derzeit aufzuplustern und als vermeintlich kraftvoll hinzustellen versucht.

Ein solches Exportverbot würde sofort von britischen Vergeltungsmaßnahmen beantwortet werden – also einem umgekehrten Exportverbot für Impfstoffe und deren Vorprodukte Richtung EU. Und möglicherweise werden das nicht nur die Briten tun: Jammert die Kommissionpräsidentin doch, dass aus EU-Fabriken heraus 33 andere Länder (mit 41 Millionen Dosen) beliefert worden sind. Diese Länder wären dann automatisch auch von Impfdosen aus Europa abgeschnitten. Auch von dort werden dann einige wohl ähnliche Retorsion gegen Europa üben.

Jede Impfstoffproduktion setzt Zulieferungen aus anderen Ländern voraus. So komplizierte Produkte wie ein Impfstoff können nur in einer globalisierten und interdependenten Weltwirtschaft hergestellt werden. EU-Europa ist alles andere als autark.

Bei einem gegenseitigen Handelsboykott werden daher auch die EU-Europäer Schaden erleiden. Zwar können sie kurzfristig die für den Export bestimmt gewesenen Impfdosen intern umverteilen. Aber dann wird sehr bald die Produktion eingestellt werden müssen, weil bestimmte Zulieferungen ausbleiben. Also auch die für die "eigenen" Impfdosen. Damit würden sowohl weltweit wie auch in Europa viele Tausende Menschen zusätzlich sterben. Es ist daher ungeheuerlich, einen Handelskrieg auch nur anzudenken – noch dazu beim Impfen!

Das ist weder ethisch noch politisch verantwortbar. Das würde langfristig den jetzigen Ärger der Bürger über das vorjährige Versagen der EU-Bürokraten bei der Impfstoffbeschaffung zu einem wahren Orkan ausweiten. Sich selbst zu beschädigen, um zu versuchen, einen anderen zu etwas zu zwingen, ist ein Verhalten, das wir nur bei psychisch kranken Menschen kennen.

Der zweite Schaden für Europa durch ein solches EU-Exportverbot wäre langfristig sogar noch viel größer. Denn der ganze EU-Raum würde zusätzlich zu den jetzt schon gewaltigen Investitionsbremsen (vor allem durch im weltweiten Vergleich sehr hohe Gehälter und die überbordende Regulierung in der EU) noch mehr an Attraktivität für internationale Unternehmen und Investoren verlieren, in Europa Fabriken zu bauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Welches rational kalkulierende Unternehmen ist bereit, Geld in Ländern dieser EU zu investieren, wo es riskieren muss, dass dort aus politischer Opportunität relativ locker ein Exportverbot für die durch die Investition erzeugten Produkte verhängt werden kann? Es würde das wohl nur noch dann tun, wenn es lediglich für den europäischen Markt produzieren will, aber nicht für den Weltmarkt. Oder wenn es wie China europäische Firmen nur deshalb kauft, um dort das ganze technische Knowhow Richtung China abzusaugen.

EU-Verteidiger werden erwidern: "Aber was soll man denn sonst tun, wenn AstraZeneca seine Verträge nicht einhält? Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen!"

Dieser Vorwurf eines Vertragsbruchs beruht freilich vorerst nur auf der einseitigen Darstellung der EU. Diese kann kaum jemand seriös bewerten, da die Verträge nicht komplett offengelegt sind. Deshalb müsste in einem neutralen Schiedsverfahren vieles geprüft werden wie:

  1. Gibt es auch nur einen einzigen haltbaren Hinweis, dass Handlungen von Großbritannien oder andere Staaten die wahre Ursache der unzureichenden Impfstoffversorgung für die EU sind?
  2. Gibt es gar einen Beweis, dass es geheime britische Exportverbote gibt?
  3. Oder gibt es sonst einen validen Grund, ein – angebliches – Fehlverhalten eines britisch-schwedischen Unternehmens zum Anlass eines Handelskrieges mit einem ganzen Land zu machen?
  4. Steckt dahinter nicht einfach Rache, weil die Briten zuerst Good Bye zur EU zu sagen und dann auch noch viel erfolgreicher zu impfen gewagt haben?
  5. Liefert AstraZeneca einfach dorthin, wo es am meisten Geld bekommt?
  6. Selbst wenn das stimmt, heißt das noch lange nicht, dass damit auch der Liefervertrag mit der EU zynisch gebrochen worden ist. Ist doch der Vertrag in wesentlichen Passagen geheim. Dringend müssten externe Sachverständige vertraulich prüfen: Hat sich AstraZeneca vertraglich mit entsprechenden Klauseln gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung abgesichert? Oder behandelt es bei der Vertragserfüllung die EU willkürlich schlechter als andere Länder?
  7. Gibt es irgendwo einen Ausfall in den AstraZeneca-Produktions-Abläufen?
  8. Schließlich müsste auch die neueste in Brüssel ausgestreute Version geprüft werden: Die Briten hätten an zu viele Menschen die erste Impfdosis verspritzt und brauchen jetzt dringend Stoff für die zweite Impfung. Selbst wenn das stimmen sollte, ist die einzig entscheidende Frage aber jene nach den Vertragspflichten von AstraZeneca. Schließlich haben auch österreichische Bundesländer genauso gehandelt wie die Briten und keine zweite Impfcharge für jeden Erstgeimpften bereitgelegt.
  9. Und zugleich wird jede echte Untersuchung auf den ursprünglichen Fehler zurückkommen müssen: Warum hat die EU den Impfstoffentwicklern von AstraZeneca (und den anderen Firmen wie etwa dem innereuropäischen Biontech) nicht genauso früh und genauso viel Geld zugesagt, wie andere Länder es getan haben, damit schon seit Sommer die entsprechenden Fabriken gebaut werden können, selbst auf das Risiko hin, dass die Zulassung nicht erteilt wird?

Es sind alle wichtigen Fragen offen. Solange die Antworten nicht sowohl AstraZeneca wie auch Großbritannien schwer belasten, solange ist der Imageschaden für die EU als Investitionsstandort durch die öffentlich angedrohten Exportverbote katastrophal. Das wird sich wohlgemerkt nicht nur auf Pharma-Investitionen auswirken.

Und selbst wenn alle Vorwürfe stimmen sollten, ist die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die globale Impfstoffproduktion durch einen einschlägigen Handelskrieg geringer wird und Tausende Menschen unnötig sterben, jedenfalls unerträglich.

Die Impfdosen-Kriegserklärung an Großbritannien riecht jedenfalls nach einer Ablenkungsaktion, die vom Impf-Versagen der EU im letzten Jahr ablenken soll. Und die aus den Brüsseler Bürokraten plötzlich mutige und tatkräftige Akteure machen soll. Wie Popeye nach der Spinat-Konsumation.

Auch in Österreich dürften sich ja derzeit solche Ablenkungsaktionen abspielen. Hat doch auch Österreich es lange unterlassen, den notwendigen Druck auf die EU-Behörden auszuüben, damit diese rasch und in großzügigstem Umfang Impfstoff beschaffen. Und überdies hat Österreich (durch alleiniges Verschulden des beauftragten Beamten?) fahrlässig darauf verzichtet, bei den EU-internen Basar-Aktionen allen nur zusätzlich erhältlichen Impfstoff einzukaufen.

Wohl deshalb versucht Bundeskanzler Kurz die Aufmerksamkeit der Debatte auf eine künftige Besserbehandlung bei der nächsten zusätzlichen Impfstoffverteilung abzulenken. Wobei er aber auch da keine besonders guten Karten in der Hand hat, weil Österreich ja auf EU-interner Ebene keinen Rechtsanspruch auf diese künftige Besserbehandlung hat. So wie eben auch die Karten der EU in der Konfrontation mit den Briten nicht sonderlich gut zu sein scheinen.

Sowohl Kurz wie die EU scheinen da gefährlich hoch zu pokern und bluffen.

Die Absage an Russland

Der nächste Impf-Wahnsinn der EU war jetzt die Erklärung des EU-Binnenmarktkommissars Thierry Breton, dass die EU "absolut keinen Bedarf" für den russischen Impfstoff Sputnik V habe. Was soll man von einer Union halten, wo führende Politiker sich so äußern? Er tut das zu einem Zeitpunkt, da die Menschen Europas kaum ein dringlicheres Thema haben als die Frage, warum sie so lange auf eine Impfung warten müssen. Wie kann man nur sagen, die EU hätte "keinen Bedarf" an zusätzlichem Impfstoff, während sie gleichzeitig mit einem selbstbeschädigenden Handelskrieg gegen Großbritannien droht – aus dem einzigen Grund, dass man zu wenig Impfstoff hat!

Thierry Breton meint, dass im zweiten Quartal ohnedies 300 bis 350 Millionen Impfdosen an die Mitgliedsländer geliefert werden. Da diese Zahl angesichts der Notwendigkeit, zweimal zu impfen, zu halbieren ist, ist das bei 447 Millionen EU-Bürgern (plus der hier lebenden Migranten!) nicht gerade eine Überproduktion. Und vor allem haben die Europäer jetzt schon mehrfach gehört, dass vereinbarte Lieferungen ausbleiben, dass technische Probleme in Produktionsstätten auftreten können.

Daher sind solche Ansagen schon rein psychologisch ein verheerender Unsinn. Herr Breton hätte zwar sagen können, dass für Sputnik noch nicht die notwendigen Anträge und Prüfungen erfolgt sind, dass dieser Impfstoff daher vorerst nicht zu verantworten sei. Aber man kann keinesfalls sagen: "Brauch ma net."

Das ist dumm und für die Europäer unerträglich, die auf ihre Impfung warten. Das ist doppelt dumm angesichts der Tatsache, dass etliche EU-Länder schon direkt bei den Russen einkaufen. An der EU vorbei.

Steckt da in Wahrheit dahinter: "Von Russen, die einfach andere Länder überfallen und diesen große Gebiete stehlen wie weiland Hitler, kaufen wir nichts"? Aber auch das wäre unsinnig und widersprüchlich: Baut doch gerade das größte EU-Land trotz vielfacher Proteste eine große Gasleitung, über die die Russen viel Geld verdienen können, wenn sie ihr Gas direkt nach Deutschland und Österreich verkaufen.

Die Mutter aller Fehler

Sowohl hinter diesen beiden neuen wie auch hinter den Fehlern des Vorjahres steht quasi die Mutter aller Fehler: dass sich die EU zum zentralen Einkäufer der Impfstoffe aufgeschwungen hat. Obwohl sie vom Einkauf keine Ahnung hat. Obwohl sie als Binnenmarkt geschaffen worden ist – aber eben als Markt und ein Markt ist niemals selber auch ein Einkäufer.

Aber das alles ist aus der fanatischen Ideologie der EU-Fanatiker entstanden, die der Union immer mehr Kompetenzen zuschanzen wollten, um sie zum alles beherrschenden Zentralstaat zu machen, also zu Vereinigten Staaten von Europa. Es ist der Irrglaube vieler Menschen, dass zentral und einheitlich besser funktioniert als dezentral und vielfältig. Durch diese utopische Überambition und zynische Machtanmaßung zerstören die EU-Fanatiker zunehmend eine Institution, die bis in die 90er Jahre exzellent gut funktioniert hat.

Wie unsinnig diese Impfstrategie gewesen ist, hat jetzt der große deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn treffend auf den Punkt gebracht: "Die zentrale Beschaffung einer knappen Ware funktioniert in der Praxis nie. Das haben 50 Jahre Kommunismus gezeigt. Trotzdem versucht man es immer wieder, und jedes Mal holt man sich aufs Neue eine blutige Nase."

Und weiter: "Bei der Impfstoffbeschaffung sind fundamentale Fehler gemacht worden. Es war falsch, die Sache der EU zu überlassen. Die EU hat sich intern nicht einigen können, sie wollte die Preise drücken. Das Ergebnis war, dass die EU ihren Impfstoff erst im November bestellt hat, während die Amerikaner bereits im Juli und viele anderen Länder im August bestellt haben. Weil die EU die Preise gedrückt hat, gab es für die Impfstoffhersteller überhaupt keinen Anreiz, zuerst die Europäer zu beliefern. Jetzt müssen wir uns hinten anstellen. … Die Einzelstaaten hätten jeweils für sich kaufen sollen. Das hätte die Preise hochgetrieben und so die Impfstoffproduktion forciert, weil die Anbieter früher und mehr in den Aufbau von Produktionskapazitäten investiert hätten. Das ist der Marktmechanismus, der besser als jeder andere in der Lage ist, Knappheiten zu überwinden."

Diese fundamentale Weisheit wird von der heutigen Politikergeneration weitgehend ignoriert, die von der eigenen Wichtigkeit so sehr überzeugt ist, dass sie es besser kann als der Markt. Und doppelt wichtig fühlen sie sich, wenn sie als EU-Politiker walten dürfen.

PS: Der Krieg der EU gegen AstraZeneca und die Briten ist noch aus einem anderen Grund grotesk. So haben am Beginn dieses Monats große Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien erst ein Fünftel der bereits erhaltenen(!) Astra-Impfdosen in Oberarme gebracht. So hat dann einige Tage danach eine Reihe von EU-Ländern den Impfstoff überhaupt für rund eine Woche lahmgelegt, weil aus zwei Ländern in ganz seltenen Fällen ein Thrombose-Risiko gemeldet worden ist. Da fragt sich schon: Gibt’s da eine Retourkutsche gegen AstraZeneca, weil sich die EU beim Einkauf so schwer verkalkuliert hat? Und wenn das nicht der Fall ist: Warum beginnt man einen noch nie dagewesenen Handelskrieg nach Trump-Art wegen eines Impfstoffes, den die meisten Länder ohnedies nicht wollen? Sind da noch irgendwo Logik und langfristiges Denken zu sehen oder wirklich nur noch panikartige Ablenkungsaktionen?

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