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Die SPÖ, Corona und der Sputnik

Angesichts der Vorgänge in den letzten Tagen muss man wirklich dem burgenländischen SPÖ-Boss Doskozil zustimmen, der das Verhalten seiner eigenen Partei nur noch mit einem – negativen – Superlativ zu charakterisieren imstande ist. Pamela Rendi-Wagner wird die SPÖ-Absurditäten nicht einmal mehr dem kleinsten Parteifunktionär erklären können: An der Vordertür ruft sie nach einem totalen und mehrwöchigen Lockdown, an der Hintertür blockiert ihre Partei – mit Ausnahme eben des Burgenland-Flügels – im Bundesrat absolut gleichzeitig ein Gesetz für zwei Monate, das einige Anti-Corona-Maßnahmen ermöglicht hätte, die weniger katastrophal als ein neuerlicher Total-Lockdown wären. Und ebenso gleichzeitig bereitet der Wiener SPÖ-Chef eine Maskenpflicht sogar im Freien vor – also ausgerechnet jener Landeschef, der noch vor wenigen Tagen mehrfach betont hat, dass alles, was im Freien stattfindet, besser und ungefährlicher ist, als alles, was in Gebäuden stattfindet. Dieser SPÖ ist wirklich nicht zu helfen, auch durch den ORF nicht, der all das total verschweigt. Dabei wäre eigentlich derzeit eine intensive Diskussion über den von Sebastian Kurz vorangetriebenen Einkauf von einer Million russischer "Sputnik V"-Impfdosen notwendig und über seine durchaus gewagte Politik in Sachen EU-Impfstoffankauf. Und nicht eine absolut unverständliche Bestemmpolitik.

Es ist atemberaubend, wie Corona derzeit die SPÖ zerreißt – ausgerechnet nach den ersten Wochen, da die Partei erstmals seit vielen Jahren bei Umfragen ein paar Prozentpunkte an Wählersympathie dazugewonnen hat. Sie erzielte diesen Erfolg auf Kosten der Grünen, von deren linksradikalen Wählern viele die Rolle einer verantwortungstragenden Regierungspartei so gar nicht goutieren.

Die SPÖ-Krise gleicht übrigens fast spiegelbildlich der Krise der CDU/CSU in Deutschland. Auch dort steht jetzt ein Ministerpräsident (=Landeshauptmann) nach dem anderen auf und legt sich gegen den Kurs der Bundesspitze quer. Es gibt nur drei Unterschiede zwischen SPÖ und CDU/CSU:

  • In Deutschland ist die CDU/CSU in Regierungsverantwortung, in Österreich ist die SPÖ zumindest auf Bundesebene in Opposition, was eigentlich eine geschlossene Politik leichter machen sollte.
  • In Deutschland richtet sich der Aufstand der Länder gegen eine Bundeskanzlerin, die nach glanzvollen Zeiten nun in der Abenddämmerung der letzten Monate eines viel zu lang hinausgezögerten Abschieds steht. Die SPÖ-Chefin hingegen hat noch nie glanzvolle Zeiten erlebt (außer in jenen Medien, wo man monatelang gemeint hat, das Geschlecht von Rendi-Wagner wäre ein ausreichender Grund für Begeisterung).
  • Und in Deutschland ist der Standpunkt der Angela Merkel klar nachvollziehbar (was noch nicht heißt, dass man ihn teilen muss): Sie will schärfere bundeseinheitliche Maßnahmen. In Österreich hingegen ist völlig unklar, was die SPÖ-Spitze eigentlich will, wenn sie einerseits nach einem totalen Lockdown schreit und andererseits die Ermöglichung deutlich milderer Maßnahmen im Bundesrat verhindert, die es – vielleicht – noch ermöglichen könnten, ohne neuerlichen Lockdown auszukommen.

Einen solchen kann die österreichische Bundesregierung jedoch jederzeit verhängen, also auch ohne Bundesrat-Zustimmung. Gernauer gesagt, könnte dies sogar der Gesundheitsminister alleine tun. Dank des Vetos von acht Neuntel der SPÖ im Bundesrat ist ein solcher Gesamtlockdown nun viel wahrscheinlicher geworden. Vielen Dank SPÖ!

Das SPÖ-Verhalten ist damit exakt so zu bewerten, wie es etwa Gesundheitsminister Anschober tut: Die achtwöchige Verzögerung von Zutrittstests (im Handel) und verpflichtenden Berufsgruppentests durch das SPÖ-Nein im Bundesrat bedeutet einen "massiven Rückschritt für die Bekämpfung der Ausbreitung der schwersten Pandemie seit hundert Jahren". Oder wie es Rendi-Wagners Parteifreund (Freund?) Hans-Peter Doskozil noch schärfer tut: "Angesichts der Situation auf den Intensivstationen ist es der dümmste Zeitpunkt, aus parteipolitischem Kalkül wichtige rechtliche Rahmenbedingungen zu blockieren."

Aus dieser Erkenntnis heraus hat Doskozil seine beiden SPÖ-Burgenland-Abgeordneten im Bundesrat dazu angehalten, gegen die Linie der Bundes-SPÖ und für das Maßnahmenpaket Anschobers zu stimmen (was der Koalition aber dennoch keine Mehrheit gebracht hat, weil gleich drei eigene Mandatare krank sind). Ein solcher massiver Bruch der Partei-Disziplin ist im Parlament seit vielen Jahrzehnten nicht passiert.

Natürlich sehen Gewerkschaft und auch ein Teil der Wirtschaft enorme Probleme für den Fall der Zutrittstest-Pflicht auf sich zukommen, die durchaus ernst zu nehmen sind. Aber wenn man zur Vermeidung dieser Probleme jetzt gleich einen mehrwöchigen kompletten Lockdown, also ein Zusperren des ganzen Handels, verlangt, dann ist das absolut jenseits aller nachvollziehbaren Logik. Dann kann sich auch bei den Sozialpartnern niemand freuen.

Da ist das Verhalten der FPÖ wenigstens in sich viel logischer. Diese hat immer und konsequent (wenn auch gesundheitspolitisch recht verantwortungslos) so gut wie alle Maßnahmen abgelehnt und statt dessen ununterbrochen Argumente gegen Impfen wie Testen trompetet.

Die Impfaversion der Blauen steht im diametralen Gegensatz zu Sebastian Kurz. Dieser hat seit einigen Wochen das Thema Impfen an sich gerissen und zu seiner absoluten Priorität gemacht (freilich ein paar Monate zu spät), während er das mühsame Verhandeln mit den mühsamen Landeshauptleuten über einzelne mühsame Maßnahmen, die dann eh nur für mühsame sechs Tage gelten sollen, ganz dem Gesundheitsminister überlassen hat. Das ist eine auffällige neue Arbeitsteilung zwischen den beiden: Kurz kann in der EU ja schon durch seine Funktion auf mehreren Ebenen agieren; umgekehrt tut sich Anschober zumindest theoretisch leichter mit den Landeshauptleuten, wo er ja auf der Gegenseite kein Gegenüber der eigenen Partei sitzen hat.

Die neue Kurz-Strategie

Dennoch ist die neue Impfstrategie des Bundeskanzlers ziemlich atemberaubend:

Am riskantesten und spektakulärsten dabei ist seine zumindest aus dem EU-Ausland kolportierte Drohung, mit Hilfe eines Vetos die notwendigen Einstimmigkeit beim Ankauf der nächsten Lieferung von Pfizer/Biontech-Impfstoffen durch die EU zu verhindern, sollte Österreich nicht mehr als die ihm anteilsmäßigen Dosen bekommen. Diese Vetodrohung wird vom Wiener Bundeskanzleramt zwar dementiert – aber das geschieht so gewunden, dass man daraus fast schon eine Bestätigung ableiten muss.

Dieses Verhalten Österreichs bringt wiederum andere Regierungen, insbesondere den linken italienischen Ministerpräsidenten Draghi zur Weißglut. Dieser hatte sich ja in den letzten Tagen sehr weit mit anti-österreichischen Äußerungen ("keine einzige Impfdosis zusätzlich für Österreich") aus dem Fenster gelehnt.

Angela Merkel hingegen hatte schon gespürt, dass es jetzt gilt, einen Frontalzusammenstoß zweier aufeinander zurasender Züge zu verhindern, und hat mit vagen Formulierungen von einer notwendigen Quadratur des Kreises schon Kompromissbereitschaft angedeutet. Und von Matteo Salvini, dem starken Mann der italienischen Rechtsopposition, gibt es sogar gleichzeitig demonstratives Lob für Kurz, wenn auch in einem anderen Impfzusammenhang, nämlich wegen der Verhandlungen des Österreichers über den Ankauf russischer Impfstoffe.

In der EU ist jetzt ein Poker mit höchstem Einsatz in Gang, bei dem es von Tag zu Tag schwieriger wird, einen Ausgang zu finden, bei dem sowohl Draghi wie Kurz ohne Schrammen davonkommen. Ich würde fast auf kleine Vorteile für Kurz tippen. Denn die (in der EU mit ihren vielen schwachen Regierungschefs noch starke und angesehene) Merkel dürfte interessiert sein, den für sie immer lästigen und in Teilen der CDU sehr populären Österreicher durch Konzessionen ruhigzustellen und zu Dank an Berlin zu verpflichten. Andererseits haben es die Italiener ja ihr zu verdanken, dass sie jetzt viel Geld durch den EU-Großkredit bekommen werden – von dem freilich noch kein Cent geflossen ist. Deshalb sollte Draghi den Mund nicht zu weit aufreißen und begreifen, dass in der EU letztlich alles mit allem zusammenhängt.

Einen engen Zusammenhang mit diesem EU-Poker hat zweifellos auch die zweite spektakuläre Impf-Aktion von Kurz: Er hat jetzt ganz gezielt bekanntgegeben, dass die Verhandlungen mit Moskau über den russischen Sputnik-Impfstoff schon sehr weit gediehen sind. Er hat damit allen EU-Partnern jedenfalls einmal signalisiert, dass Österreich Alternativen hat. Die nun bekanntgegebene Zahl von einer Million russischer Impfdosen würde Österreich ja ziemlich unabhängig von zusätzlichen EU-Lieferungen machen. Das macht die Vetodrohung glaubwürdig.

Jenseits dieses Pokers wird aber für die österreichische Regierung freilich auch die innerösterreichische Frage extrem heikel: Soll sie wirklich den Sputnik-Impfstoff anschaffen, bevor dieser eine offizielle EU-Zulassung hat? Wobei ja niemand weiß, ob und wann Sputnik diese überhaupt bekommen wird. Denn die EU-Zulassungsbehörden sind ganz offensichtlich nicht gerade im Eiltempo dabei, den russischen Stoff zu bewerten. Offen muss vorerst bleiben, ob da in der EU bewusst verzögert wird (sagen doch tatsächlich dort manche schon, dass man jetzt eh schon genug von anderen Impfstoffen bestellt hätte), oder ob die Russen mit den notwendigen Dokumenten und Studien geschlampt haben (was nun auch nicht ganz überraschend wäre).

Aber wie werden die Österreicher selber auf einen nicht formell EU-approbierten russischen Impfstoff reagieren? Das ist noch völlig offen. Macht der ORF doch schon recht gezielt unterschwellig Stimmung gegen Sputnik. Kurz hat sich andererseits für seinen Sputnik-Vorstoß bereits die zweifellos gewichtige Unterstützung des österreichischen Ärztekammer-Präsidenten gesichert. Und er kann darauf verweisen, dass Sputnik schon in über 60 Ländern an Millionen Menschen verimpft worden ist, ohne dass größere Komplikationen bekannt geworden sind. Dass zählt eigentlich fast mehr als eine offizielle EU-Genehmigung.

Dennoch wären Kurz und Anschober extrem gut beraten, würden sie das Impf-Procedere jetzt umstellen. Bisher haben die Österreicher ja nicht gewusst, welchen Impfstoff sie bekommen werden, wenn sie sich anmelden. Das sollte jetzt rasch geändert werden.

Auch deshalb, weil die Impfstoff-Frage noch aus einem zweiten Grund immer problematischer wird: Werden doch schon wieder von AstraZeneca Probleme gemeldet, obwohl dieser Impfstoff mehrmals von den EU-Prüfbehörden grünes Licht bekommen hat. Offenbar gibt es bei diesem Impfstoff trotz dieser EU-Genehmigung doch ein leicht erhöhtes Risiko, das etwa bei jeder 100.000 Impfung schlagend werden könnte. Das deuten zumindest deutsche Zahlen an. Vor allem Frauen unter 60 könnten von diesen seltenen Risiken betroffen sein, gegen das man sich aber durch rechtzeitige Therapie (im Unterschied zum Virus) ziemlich gut wappnen könnte. Deutschland hat jedenfalls beschlossen, vorerst nur noch die Über-60-Jährigen mit Astra zu impfen.

Diese Entwicklung darf man freilich schon auch als mehrfache Ironie der (Impf-)Geschichte empfinden:

  • War doch vor einigen Wochen noch die gegenteilige Panik im Laufen, dass nämlich der Astra-Impfstoff für ältere Personen ein Risiko darstellen würde, weil er da noch nicht voll ausgetestet war. Deshalb wurde er am Beginn des Jahres mancherorts nur an Jüngere verimpft. Jetzt wird er nur an Ältere verimpft ...
  • Die zweite Ironie: Am Anfang der Impfungen waren die jetzt so beliebten Impfstoffe von Biontech und Moderna von panikartigen Warnungen begleitet, weil sie auf der modernen mRNA-Technologie beruhen, die manche der unendlich vielen jetzt auftretenden Experten für zu wenig ausgetestet erklärt haben. Und AstraZeneca war der problemlose Impfstoff ...
  • Die dritte Ironie der (Impf-)Geschichte: Gerade erst hat die EU AstraZenca massiv mit (rechtlich extrem problematischen) Exportverboten gedroht, weil angeblich andere Länder wie Großbritannien bevorzugt würden. Und jetzt stoppen plötzlich etliche EU-Länder (nicht Österreich) die Verwendung von AstraZeneca. Ziemlich schizophren: Die EU beklagt sich, dass sie zu wenig von jenem Impfstoff bekommt, den ein Teil ihrer Mitglieder gar nicht mehr haben will ...

Die Briten werden jedenfalls von keinen solchen Bedenken geplagt. Sie haben sich frühzeitig mit genügend Impfstoffen eingedeckt und haben durch ihre eindrucksvolle Impfkampagne inzwischen auch schon eine sensationelle Zurückdrängung der Pandemie erreicht: Die Corona-Spitalsaufenthalte sind dort auf ein Zehntel gefallen, während sie in den meisten EU-Ländern noch steil nach oben gehen, und die Pubs öffnen wieder (das wird freilich von ORF&Co kaum berichtet, weil es ja eine konservative Regierung ist, die diesen in Europa einmaligen Erfolg erzielt hat. Großbritannien war nur zu jenen Zeiten großes ORF-Thema, als es dort noch viele Infektionen gegeben hatte).

Aber die Ängste mancher Menschen sind dennoch Faktum, sowohl in Hinblick auf AstraZeneca wie auch auf den russischen Impfstoff, und bei manchen anderen eben auch noch in Hinblick auf die mRNA-Impfstoffe.

Daher sollte die Politik – wenn sie gut beraten ist – die Impfstrategie umstellen: Jeder Österreicher sollte sich gezielt für jene Impfstoffe anmelden können, die er auch wirklich haben will, wobei natürlich auch eine Anmeldung für "jeden Impfstoff" möglich sein muss. Dadurch werden alle jene rascher zum rettenden Stich kommen, die auch für die weniger nachgefragten Impfstoffe bereit sind, während man bei anderen vielleicht noch Monate warten wird müssen. Allerdings könnte es sich je nach der von den Medien geschürten Panik-Lage wellenförmig ändern, welcher Impfstoff gerade gemieden und welcher gesucht wird.

Das wäre kein Delegieren der Verantwortung. Das wäre vielmehr Respekt vor der Eigenverantwortung der Bürger, von der sonst immer nur geredet wird. Immerhin nehmen diese Bürger ja ununterbrochen auf vielen anderen Gebieten ganz freiwillig viel größere Risiken auf sich (vom Übergewicht bis zum Rauchen, vom ungesunden Essen bis zum Alkohol, von riskanten Sportarten bis zum Verhalten im Straßenverkehr). Und schließlich sind es ja auch die Bürger selbst, die einerseits die hohen Risiken der Folgen einer Infektion tragen, und die andererseits aber auch das winzig kleine Risiko von Impffolgen tragen. Aber all diese Risiken hat ja immer der Einzelne zu tragen, egal wie das versicherungstechnisch (also finanziell) gelöst wird.

Ein solcher Schritt zur Selbstentscheidung würde mit Sicherheit die Impfgeschwindigkeit erhöhen (auch wenn die Behörden dafür jetzt einigen Intelligenzaufwand investieren müssen, um die Impfanmeldungen umzustellen und durch die Wahlmöglichkeit in Hinblick auf die Impfstoffe zu erweitern). Zugleich würde ein solcher Schritt auch das kranke Denken unserer Gesellschaft ein wenig zurückdrängen (das vor allem von Journalisten und Juristen gefördert worden ist), dass "der Staat" alles Mögliche mit absoluter Sicherheit garantieren müsse. Obwohl es absolute Sicherheit in keiner Frage geben kann.

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