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Es ist wie in den Nachkriegsjahren an den Zonengrenzen der Besatzungsmächte: Zwischen österreichischen Bundesländern werden nun wieder alle Reisenden kontrolliert. Ob man auch damals 1000 Uniformierte für die Abriegelung eines einzigen Bundeslandes gebraucht hat, ist zwar ungewiss (es hat freilich damals noch keine Autobahnen gegeben …). Klar ist jedoch, dass die nun für das Bundesland Tirol beschlossenen Maßnahmen ähnlich unpopulär sind, wie es einst die Kontrollen durch die Besatzungsmächte gewesen sind.
Diese Assoziation und dieser Mangel an Popularität lassen freilich noch offen, ob die nunmehrigen Maßnahmen in Sachen Seuchenbekämpfung falsch oder notwendig sind. Aber immerhin wird Tirol doch nicht abgeriegelt, wie tagelang verlangt, sondern jeder aus Tirol Ausreisende muss einen aktuellen Test vorweisen können. So wie halt damals eine I-Karte.
In einer einzigen Hinsicht sind die jetzigen Maßnahmen rund um Nordtirol freilich unvermeidlich und notwendig: Wären sie nicht beschlossen worden, wäre Österreich als Ganzes vom Zuchtmeister Europas, also von Deutschland, mit Quarantäne belegt worden, seit das eine aus Deutschland stammende, wenn auch in Innsbruck wirkende Virologin gefordert hat. Daher ist wohl nicht viel anderes übriggeblieben. Das hat inzwischen sogar der Tiroler Landeshauptmann begriffen.
Das ändert aber absolut nichts am Frust und Zorn, an der Depression und Verzweiflung nicht nur in Tirol darüber, dass wir dem schon mehrfach versprochenen Licht am Ende des Tunnels einfach nicht näherkommen. Es scheint vielmehr, dass es sich bei diesem Licht bloß um das Licht an der Rückseite eines vor uns mit hoher Geschwindigkeit davonfahrenden anderen Fahrzeuges handelt.
Unsere Wut wird auch dadurch nicht gerade kleiner, dass allzu viele Fragezeichen über der Tirol-Kontroll-Entscheidung hängen:
Die große Corona-Erschöpfung der Menschen nach elf Monaten der unterschiedlichsten Restriktionen wird mit Sicherheit noch dramatische Folgen haben. Psychische, wirtschaftliche, gesundheitliche, soziale.
Daran ändert die Tatsache nichts, dass praktisch alle Länder der Welt mehr oder weniger ähnlich unter der Pandemie und den verschiedenen Versuchen, sie einzudämmen, gelitten haben. Diese globale Ähnlichkeit der Krise beweist freilich eines: Es ist eine totale Realitätsverweigerung, wenn manche Menschen ernsthaft die von der FPÖ seit einiger Zeit ausgestreute Gräueltheorie glauben, dass alles eigentlich nur eine bösartige Erfindung des österreichischer Bundeskanzlers wäre, und dass alles wieder gut wäre, wenn dieser gestürzt würde.
Aber Tatsache ist ebenso, dass sich die Stimmungslage im Land immer mehr polarisiert. Das sieht man am Rückgang der im Frühjahr noch überragenden Glaubwürdigkeit von Sebastian Kurz. Das sieht man an den rückgehenden Umfragewerten der beiden Koalitionsparteien. Das sieht man daran, dass erstmals zwei andere seit 2019 in Agonie gelegene Parteien einen wahrnehmbaren Auftrieb erleben: Die SPÖ als Partei des Rufes nach noch viel schärferen Maßnahmen; und die FPÖ als Partei, welche im Gegenteil alle Maßnahmen für Blödsinn erklärt, welche die Pandemie für eine normale Grippe hält.
Das ist aber nur der im Grund sekundäre Blick auf die parteipolitische Ebene. Viel problematischer ist der Blick auf den emotionalen und gesundheitlichen Zustand der Menschen in allen Ländern als Folge der Lockdowns aller Arten. Schließlich sind wir soziale Wesen, die es kaum aushalten, wenn sie monatelang, ja ein Jahr lang total abgeschlossen sind. Dennoch leben allein in Österreich seit fast einem Jahr aus Angst vor dem Virus viele Hunderttausende in totaler, weit über alle behördlichen Vorschriften und Empfehlungen hinausgehender Isolation. Und europaweit sind das viele Millionen.
Noch folgenreicher sind die gewaltigen wirtschaftlichen Verluste, die mittel- und langfristig auch wieder zwangsläufig gesellschaftliche und politische Krisen auslösen werden. Hier drängt sich statt des Blickes auf die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg einer auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auf: Damals glaubte man auch, die großen Schäden durch den Krieg einfach durch Gelddrucken kompensieren zu können, wodurch alles binnen kurzem wieder gut werden wird. Stattdessen kam es zu einer unaufhaltsamen Kettenreaktion: Inflation, Verlust aller Ersparnisse, Weltwirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, Nationalsozialismus, Holocaust (man muss ja immer einen Schuldigen für die eigenen Fehler jagen) und Weltkrieg II.
Ganz ähnlich wie nach 1918 wird uns auch heute ständig versichert, dass durch wirtschaftliches Wachstum und die weise Politik der EZB der gesamte Corona-Schaden binnen weniger Jahre wieder gutgemacht werden kann. Wer’s glaubt – ist nicht bereit, aus der Geschichte zu lernen.
Zurück zu unserer aktuellen Corona-Lage. Diese wirft gleich fünf Fragen auf, die freilich alle einen starken "Was wäre wenn?"-Charakter haben:
PS: All das wird noch übertroffen durch die Dummheit des jetzt präsentierten Wiener Planes eines Teilzeit-Lockdowns während des Wochenendes, während von Montag bis Donnerstag alles offen sein soll. Offenbar hat man im Wiener Rathaus entdeckt, dass das Virus nur von Freitag bis Sonntag ansteckend ist …