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Herr Söder ist in seiner Inszenierung so leicht zu durchschauen, dass man eigentlich laut über ihn lachen müsste – wenn der Mann nicht mit dieser Inszenierung gute Chancen hätte, bald zum mächtigsten Mann im einwohnerstärksten Staat der EU zu werden. Das aber macht sein Vorgehen widerlich und beängstigend. Gleichzeitig wünscht man sich instinktiv deutlich deutlichere Antworten aus Österreich auf die bayrischen Holzhacker-Methoden. Österreich kann nämlich neuerdings durchaus auf eigene Erfolge in Sachen Corona verweisen, die man den präpotenten Tönen aus dem Nordosten entgegenhalten sollte. Auch wenn Österreich in den letzten Wochen des Jahres 2020 diesbezüglich nur Mist gebaut hatte. Und auch wenn zweifellos auch heute an vielen Punkten deutlich Kritik zu üben ist.
Zuerst zu Markus Söder. Bei dem Mann ist seit einem Jahr jede Aktion dadurch geprägt, dass am 21. September Bundestagswahlen sind. Söder ist wirklich zu allem bereit, um Nachfolger Angela Merkels zu werden. Bei den bayrischen Wahlen hatte er hingegen Merkel noch scharf kritisiert, insbesondere, aber nicht nur in der Migrationsfrage. Er gab sich als Bewunderer von Sebastian Kurz und sagte im Wahlkampf, um das demonstrativ zu unterstreichen, sogar: "Zu meiner Abschlusskundgebung kommt keine Bundeskanzlerin, sondern ein Bundeskanzler."
Jetzt will er aber ganz Deutschland erobern und da ändert er eiskalt und komplett seine Identität (von der man zumindest geglaubt hat, dass er eine solche hat). Sein Kalkül: Den Sprung auf den Bundeskanzlersessel schafft er nicht gegen Merkel, sondern nur mit ihr. Daher streut er ihr jetzt ständig Weihrauch, verzichtet komplett auf jede Kritik an der Bundeskanzlerin und kooperiert mit Merkel in der Corona-Krise enger als jedes andere Bundesland.
Freilich: Ein politischer Holzhacker braucht immer Feinde. Die hat er jetzt in Tirol gefunden. Söder ist zum Hauptinitiator der über Tirol verhängten Quarantäne geworden. Gewiss haben ihm die Tiroler dazu erst so richtig den Ball aufgelegt: Denn diese, insbesondere der Tiroler Wirtschaftskammer-Chef, haben – in ganz ähnlicher alpiner Holzhacker-Manier – davor zum Kampf gegen Wien gerufen. Sie haben geglaubt, den Gesundheitsminister aufs Kreuz legen zu können, der sich von den – üblichen – Experten zu Panikaktionen wegen der angeblich so supergefährlichen "südafrikanischen" Corona-Variante verleiten hat lassen.
Jedenfalls hat erst der öffentlich ausgetragene Tirol-Wiener Watschentanz den bayrischen Ministerpräsidenten auf den Gedanken gebracht: Da krempeln wir doch selbst die Hemdsärmeln auf und zeigen es den Tirolern einmal. Die ärgern uns eh schon so lang mit ihrem Kampf gegen den LKW-Transit über den Brenner. Vor allem kann er durch die Hetze gegen die Tiroler den Wählern einen starken Mann fingieren, der keine Hemmungen hat.
Es macht Angst, dass ein solcher Mann bald an der Spitze Deutschlands stehen wird. Denn dann kommt zu der in vielen Fragen inhaltlich falschen Politik von Merkel auch noch die rücksichtlose Hemmungs- und Charakterlosigkeit dieses Mannes.
Da wird sich Österreich wirklich fest anschnallen müssen. Es sollte daher jetzt schon viel intensiver nachdenken, ob es – jenseits der sprachlichen Gemeinschaft mit Deutschland – nicht in vielerlei Hinsicht enger zu seinen mitteleuropäischen Nachbarn gehört. Diese haben nicht nur eine viel vernünftigere Migrationspolitik als Deutschland; mit diesen verbinden Österreich viel mehr historische Bande; dort gibt es kein großes dominantes Land, das die anderen herumschubsen könnte; und diese Länder befinden sich seit Jahren in einer viel dynamischeren wirtschaftlichen Entwicklung als Deutschland, das ja dank Merkel einer katastrophalen Entwicklung als Möchtegern-Weltenretter ohne Atom- und ohne Kohleenergie entgegengeht.
Aber zurück zu Corona. Auch in dieser Frage hat Österreich inzwischen viel bessere Argumente als früher und als der Krakeeler aus Bayern meint.
Aus Deutschland erfährt man zwar nur die wöchentliche "Testkapazität", von der man freilich nicht weiß, ob sie auch voll genutzt worden ist. Diese hat dort in der letzten gemeldeten Woche 2,3 Millionen betragen. In Österreich hingegen haben in einer Woche 1,5 Millionen Tests auch wirklich stattgefunden. Das ist ein dramatischer Unterschied! Hat doch Deutschland rund zehn Mal so viele Einwohner wie die Alpenrepublik. Würden die Deutschen sich ebenso intensiv testen lassen wie die Österreicher, dann würden dort wöchentlich 15 Millionen Tests gemacht und nicht bloß 2,3 Millionen!
Es ist daher schlichte Frechheit, wenn sich die Deutschen jetzt als Oberlehrer Österreichs gerieren und gleichzeitig eine Sperre der Grenzen zu Tirol de facto nur auf Grund der eigenen Test-Faulheit vornehmen.
Man kann auch die Behauptung der angeblichen Experten nicht mehr glauben, die davor warnen, dass die in Tirol kursierende "südafrikanische" Variante halt besonders gefährlich sei, weil sie sich schneller ausbreiten würde.
Man kann zu Recht sagen, das geschieht um Monate zu spät. Das Tagebuch darf ein wenig eitel einwerfen, dass es schon im Herbst immer wieder für dieses Konzept des Freitestens geworben hat. Aber genauso richtig ist: Österreich ist damit dennoch fast allen anderen Industrieländern weit voraus.
So hat man allein in dieser Woche bei den verpflichtenden Schultests 536 positive Fälle gefunden. Das sind wohlgemerkt alles Schüler oder Lehrer, die sich noch vollkommen gesund gefühlt haben, als sie in die Schule gekommen sind. Jetzt kann man sie als Folge des Tests rechtzeitig aus dem Ansteckungsverkehr ziehen.
Jetzt kommen schon die ersten ausländischen Delegationen in die Republik, um sich anzuschauen, wie das geht mit diesem Freitesten.
Da ist etwas gelungen, auf das man durchaus stolz sein kann. Und das man voll Stolz auch den Söders entgegenschleudern sollte. Das Festhalten der Deutschen am längsten und strengsten Lockdown in ganz Europa erinnert freilich wieder einmal daran, dass straffe Disziplin schon seit langem als Zentrum des dortigen Nationalcharakters gilt, schon lange vor Hitler.
Wie sehr dort das Einheitsdenken mittlerweile Pflicht geworden ist, kann man etwa auch daran sehen, dass in Bayern ein Professor jetzt einfach aus dem Ethikrat geworfen worden ist, weil er gewagt hat, anderer Meinung als Herr Söder zu sein, weil er für die Aufhebung des Lockdowns eingetreten ist.
Aber Merkel hat unbedingt ihrer Freundin Ursula von der Leyen an der EU-Spitze einen großen Erfolg zuschanzen wollen und daher gegen nationale Alleingänge gekämpft (letztlich hat nur Ungarn einen solchen gewagt). Aus dem zugeschanzten Erfolg ist jetzt halt die größte Blamage in der EU-Geschichte geworden.
Auch wenn man als Österreicher wie Journalist lieber schimpft und kritisiert als zu loben, gibt es neben den genannten Fakten auch sonst noch eine ganze Menge, mit dem man zufrieden sein kann:
Dennoch darf man keinesfalls die Negativa verschweigen. Im Wissen, dass sich die Regierung keinesfalls trauen wird, alle Lockdown-Maßnahmen gänzlich abzubauen, seien einige konkrete Dinge vorgeschlagen, wo das behördliche Verbot besonders unverständlich ist:
Auf Linie all der genannten – durchaus vorsichtigen und durchaus nicht maximalistischen – Anregungen sollten spätestens am Wochenende weitere Lockdown-Lockerungen beschlossen werden, sofern sich auch in der zweiten Wochenhälfte keine signifikante Verschlechterung bei mehreren Indikatoren ergibt.
PS: Skurril ist der Westkärntner Bezirk Hermagor, der jetzt überall als problematischstes Eck der Republik gehandelt wird. Ich erinnere mich noch gut, wie ich dort im Sommer Urlaub gemacht habe: Damals waren dort alle maßlos stolz darauf, dass sie in Sachen Corona am besten von ganz Österreich dastehen. Eine weitere Lehre wie volatil und unberechenbar sich diese Pandemie entwickelt.