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Vor fünf Tagen schrieb ich hier: "Endlich wieder Konzert, endlich wieder Fußball!" – heute muss ich eingestehen: wieder nichts. Mindestens noch eine Woche länger Lockdown. Den vielen, hier schon oft aufgezählten Fehlern von Regierung und zuletzt insbesondere EU in Sachen Corona haben nun alle drei parlamentarischen Oppositionsparteien eine besonders arge Dummheit angereiht: Sie lehnen geschlossen die Möglichkeit eines Freitestens aus dem Lockdown ab. Das besonders Groteske daran: Die drei tun das mit komplett unterschiedlichen – ja, einander sogar total widersprechenden Argumentationen. Offenbar gilt für sie nur noch: Hauptsache dagegen! Jedoch: Kaum hat sich diese Tür zu etwas mehr Freiheit verschlossen, scheint sich für die Österreicher eine ganz andere Tür in diese Richtung zu öffnen – wenn auch mit Verspätung.
Doch zuerst zum Impfthema, zum doppelten Versagen auf europäischer wie nationaler Ebene und dem unbegreiflichen Verhalten der drei Oppositionsparteien. Eine Opposition mit Hirn müsste jetzt sowohl Regierung wie auch EU wegen etwas ganz anderem als der Freitest-Idee vor sich her prügeln: wegen des offensichtlichen Versagens bei der Ermöglichung eines schnellen Impfens für möglichst viele Österreicher (und Europäer).
Dieses Versagen ist beklemmend. Über die Feiertage ist seit 30. Dezember in Österreich überhaupt nicht mehr geimpft worden. Und im Gesundheitsministerium wurde am Montag mit ungerührter Kälte verkündet, dass erst kommende Woche – ich wiederhole: kommende Woche! – die weiteren (schon längst in Österreich lagernden) Impfdosen endlich in Oberarmen landen werden.
Offenbar glauben die zuständigen Beamten, dass das Virus Gewerkschaftsmitglied ist und daher zu Feiertagszeiten nicht aktiv ist. Offenbar arbeiten auch im Gesundheitsministerium selber lauter Gewerkschafter, die ihre Arbeitsmoral vorher im Wiener Rathaus gelernt haben. Und ganz eindeutig hat sich die Regierung nach Absolvierung ihrer Fototermine beim Einlangen des ersten Impfstoffes nicht weiter darum gekümmert.
Dabei hat Österreich derzeit mit weniger als 7000 bisher verabreichten Spritzen eine Impfrate, die – auf die Bevölkerungsgröße umgerechnet – nur halb so groß ist wie die in Deutschland. Dort ist jedoch auch schon bei der relativ höheren Impfrate ein Sturm der Empörung über die Langsamkeit losgebrochen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wieso die EU so wenig Impfdosen beschafft hat, während Israel, Großbritannien und die USA schon längst wie wild impfen können. Diese drei Länder verwenden dabei nicht, wie eine ganze Reihe weiterer Staaten russische oder chinesische Erzeugnisse, sondern, wohlgemerkt, vor allem das in Deutschland (mit österreichischer und amerikanischer Mitwirkung) entwickelte Produkt, das derzeit auch als einziges in der EU zugelassen ist.
Die Empörung darüber wird sich noch steigern, wenn jetzt die drei Gründe (neben der üblichen Langsamkeit der europäischen Bürokratie) durchsickern, warum das so ist:
Das ist alles eigentlich unfassbar: Aus der krampfhaft-verzweifelten Sucht der beiden Frauen an der Spitze von EU und Deutschland, der Union weitere Macht zuzuschanzen, ist ein weiteres peinliches Scheitern der EU erwachsen.
Man versteht zwar die Sparsamkeit der Osteuropäer. Aber man versteht absolut nicht, wieso nicht die Gemeinschaft das notwendige Geld aufgebracht hat, um den Osteuropäern zu helfen. Und damit allen Bürgern Europas.
Es hätte nämlich nur eine einzige richtige Einkaufs-Strategie gegeben: Die hätte darin bestanden, schon vor Monaten von jedem einzelnen Impfstoff eine für alle EU-Bürger ausreichende Menge in Auftrag zu geben (also zu einem Zeitpunkt, da man naturgemäß noch nicht gewusst hat, welche Variante sich durchsetzen wird). Das hätte im Verhältnis zu dem europäischen Milliardenstrom nur eine Bagatelle ausgemacht, der sich jetzt – angeblich – Corona-bedingt über die EU-Mittelmeerländer ergießt (in Wahrheit aber fließt das Geld deshalb, weil diese Länder mit Erfolg wieder einmal mit ihren Geldforderungen die von einer Fehlentscheidung zur nächsten stolpernde deutsche Bundeskanzlerin unter Druck gesetzt haben, die ständig die EU "retten" will).
In Italien, dem dabei meistprofitierenden Land, ist ob der Verteilung des EU-Geldsegens bezeichnenderweise bereits eine heftige Regierungskrise ausgebrochen. Die Gier nach dem europäischen Geld (insgeheim wohl verbunden mit Korruptionswünschen) lässt dort derzeit alle Dämme brechen. Aber keine Sorge: Beim Abkassieren wird Italien zweifellos wieder voll handlungsfähig sein.
Auch Frankreich gehört zu den Profiteuren des EU-Großkredits. Dass die raffinierten Franzosen aber nicht nur beim Kredit, sondern offensichtlich auch beim Impfstoff ihre Interessen zu Lasten der Resteuropäer durchgesetzt haben, ist wirklich empörend.
Diese Vorwürfe sind zwar in den auf jede Kritik an der EU verzichtenden österreichischen Mainstream-Medien kaum zu hören, liegen aber in anderen Ländern inzwischen schon in aller Deutlichkeit auf dem Tisch. So tadelte etwa der bayrische Ministerpräsident Söder: "Die EU hat zu wenig bestellt und auf die falschen Hersteller gesetzt." Und Söder weiter mit Blick auf die viel erfolgreicher impfenden Länder Israel, USA und Großbritannien: "Offenkundig war das europäische Auswahlverfahren unzureichend. Es ist schwer zu erklären, dass ein sehr guter Impfstoff in Deutschland entwickelt, aber woanders schneller verimpft wird."
"Gratulation EU!" kann man da nur zynisch hinzufügen.
Als Österreicher muss man aber auch mit einem "Gratulation ans Gesundheitsministerium!" ergänzen. Läuft die Impfaktion in Österreich doch sogar noch signifikant langsamer als in den meisten anderen EU-Ländern. Der vielgepriesene österreichische "Impfplan" des Gesundheitsministeriums dürfte ein enger Verwandter der einstigen kommunistischen "Fünfjahrespläne" sein, die ja auch nur auf dem Papier bestanden haben.
Es ist fast nicht zu glauben: All diese katastrophalen Fehlleistungen von EU und Regierung werden jetzt noch übertroffen vom Njet der Oppositionsparteien zum Vorschlag, die Möglichkeit eines Freitestens ab 18. Jänner zu schaffen. Was Rot und Blau ja in der zweiten Parlamentskammer um Monate verzögern können, wenn sie gemeinsam agieren (Pink, das zwar ebenfalls "Njet" sagt, ist aber dabei wegen seiner Kleinheit irrelevant). Plötzlich stört Rot und Blau diese Gemeinsamkeit überhaupt nicht, obwohl man sich im Rest der Woche lebhaft bekriegt.
Gewiss: Psychologisch ist der Frust der Oppositionsparteien nachvollziehbar. Jahraus, jahrein haben sie nichts zu sagen, können immer nur schimpfen – da kommt endlich einmal die Möglichkeit, wichtig zu sein, weil die Regierung ihre Kooperation brauchen würde. Und diese Möglichkeit versuchen sie daher zu nutzen. Nur haben sie vergessen: Bei den meisten Österreichern – außerhalb der eigenen Funktionärszirkel – kommt dieses totale Nein gar nicht gut an.
Rot wie Blau sagen a priori Nein, statt:
Aber nein. Alle drei Parteien haben offenbar im Internet unter "Wie mache ich mich möglichst rasch möglichst unbeliebt" nachgeschlagen. Freilich begründen sie ihr kategorisches Nein mit einander total widersprechenden Begründungen:
Die FPÖ tut dies gemäß ihrem neuen Dogma, das in etwa lautet: "Welche Pandemie? Das ist ja alles nur eine Erfindung des jungen Bundeskanzlers!" (der offenbar auch in 180 anderen Ländern der Welt die Pandemie erfunden hat, um ein totalitäres Regime zu errichten …). Die Freiheitlichen merken nicht einmal den Widerspruch, wenn sie gleichzeitig argumentieren: A) Wir sind gegen jeden Lockdown; B) Wir sind auch gegen die Möglichkeit, früher dem Lockdown zu entkommen.
Offenbar ist dort derzeit überhaupt niemand Vernünftiger auf der Kommandobrücke, der stattdessen ungefähr Folgendes sagen würde: "Wenigstens gibt es die Möglichkeit, den unsinnigen Lockdown eine Woche früher wegzukriegen, also stimmen wir dem Freitesten zu – stellen aber gleichzeitig die Bedingung, dass jedenfalls die Schulklassen wieder aufmachen und dass es nie wieder einen Lockdown ohne gleichzeitige Möglichkeit geben darf, sich freizutesten." Das würde die Regierung ins Schwitzen bringen. Aber nur zu schreien: "Kurz muss weg" bringt die Umwelt höchstens zum Lachen.
Die SPÖ hingegen sagt genau das Gegenteil: Die Infektionszahlen seien viel zu hoch, als dass man sie durch ein Freitesten frühzeitig beenden könnte. Das klingt an sich wenigstens nach einem Argument, auch wenn "Zu hoch" keine gerade exakte Antwort ist. Aber vor allem ist die Bundes-SPÖ nicht mehr zum eigentlich logisch aus diesem Argument folgenden nächsten Schritt imstande: Zum Angebot, gesetzlich die Möglichkeit eines Freitestens nur für den Fall zu schaffen, dass die Infektionszahlen ein gleichzeitig fixiertes Limit unterschreiten.
Wenn es aber diese Möglichkeit eines Freitestens grundsätzlich nicht gibt, dann wird nicht nur für die fragliche Jännerwoche, sondern – wie es ja auch im Ausland schon vorbereitet wird – auch noch im Februar und März ein weiterer totaler Lockdown stattfinden. Mindestens so lange ist auf Grund des zähen Impftempos und der zu erwartenden niedrigen Temperaturen keine substanzielle Pandemie-Reduktion zu erwarten.
Ob das dann der zwischen konstruktiven Äußerungen und parteipolitischer Obstruktion schwankenden Parteichefin Rendi-Wagner politisch gut tun wird, wenn ihr täglich vorgehalten wird: Alle Theater, alle Hotels müssen zubleiben, weil sie ein Freitesten blockiert hat? Das scheint ziemlich fraglich.
Zugleich aber steht dieses Njet der Bundes-SPÖ in totalem Gegensatz zu dem, was ein paar Stunden später als Konsens der Landeshauptleute verkündet worden ist – also auch der roten (wobei allerdings der eigenwilligste, der aus dem Burgenland, wieder einmal krankheitshalber ausgefallen ist).
Die Landeshauptleute nehmen offenbar die vom Parlament fallengelassenen Zügel in die Hand und haben – wenn auch noch nicht in juristisch und organisatorisch konkretisierter Form – gleich zwei schlaue Dinge verabredet:
Sollten die Bundesländer diesen Konsens durchhalten, dann wäre das der Ober-Gag: Dann würde fast genau das, was auf Bundesebene alle drei Oppositionsparteien (mit der Bundesrats-Vetodrohung) abgeschmettert haben, plötzlich über die Bundesländer zur Realität werden. Denn die Formulierung, durch Absolvierung eines Tests würde der Eintritt zu Kultur und Tourismus ermöglicht werden, ist ja praktisch identisch mit der Freitest-Konstruktion.
Das ist im Übrigen auch genau das, was das Tagebuch seit vielen Wochen vorschlägt. Das ist wohl auch das, was die große Mehrheit der Österreicher will. Und was durchaus das Zeug hat, für mehrere Monate als Regelung endlich einmal stabil zu bleiben.
Diese neue Konstruktion ist freilich juristisch und organisatorisch noch so kompliziert, dass sie wohl nicht mehr für die eigentlich geplant gewesene Woche vom 18. bis 24. Jänner wirksam werden kann. Daher werden Theater und Konzertsäle in dieser Zeit wohl geschlossen bleiben.
Als leidgeprüfter Österreicher sollte man auch sonst vorsichtig bleiben: Der Teufel liegt da noch in vielen Details. Werden alle SPÖ-Landeshauptleute entgegen dem von ihrem rabiaten Tiroler Parteikollegen verlangten totalen Njet der Bundespartei auf dem konstruktiven Kurs bleiben? Muss das Ganze nicht doch wieder durchs Parlament samt den oben skizzierten Problemen? Und werden nicht irgendwelche Verfassungsgerichtshöfe sagen, solches Freitesten, pardon: solche Eintrittskarten seien aus irgendeinem formalen Grund verfassungswidrig?
Jedenfalls haben aber auch die Landeshauptleute aus Wien und Kärnten begriffen: Die Menschen wollen wieder Konzerte, Theater und Fußballspiele besuchen können. Selbst wenn sie sich vorher testen lassen müssen. Und nur wenige von ihnen haben stattdessen Lust auf das Ersatzprogramm "Kurz muss weg", das Herbert Kickl in seinem blinden Hass ausgerufen hat.
Ein Konsens auf dieser sich nun abzeichnenden Linie würde eine dramatische Veränderung der österreichischen Realverfassung bedeuten. Die Republik würde dann wie eine Ellipse funktionieren mit der Dialogachse Landeshauptleute-Bundesregierung als Verbindung zwischen ihren beiden Brennpunkten; in Hinblick auf das Parlament würde einem dann jedoch beinahe das Wort "Selbstausschaltung" in den Sinn kommen – aber natürlich nur beinahe, weil dieses Wort historisch ja allzu negativ besetzt ist ...