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Österreich braucht eine zweite bürgerliche Partei

Die FPÖ ist 2020 bei Umfragen und den Wiener Gemeinderatswahlen an ihrem bisherigen Tiefpunkt angelangt. Freilich sollte man nie sicher sein, ob ein Tiefpunkt auch schon der Tiefstpunkt ist. Es kann immer noch weiter abwärts gehen. Aber zugleich ist absolut sicher, dass Österreich dauerhaft eine lebensfähige zweite Partei rechts der Mitte dringend benötigt, wenn nicht die Linksparteien eine Ewigkeitsgarantie haben sollen, dass zumindest eine von ihnen in der Regierung sitzt. Was eine Katastrophe für Österreich wäre. Ob der FPÖ freilich eine echte Renaissance gelingt, hängt von vielen externen Faktoren ab, etwa der Entwicklung anderer Parteien. Das hängt aber genauso stark davon ab, wie sich die Freiheitlichen selbst entwickeln.

Wäre ich hochbezahlter Politikberater, würde ich ihnen folgende Empfehlungsliste erstellen (allerdings in Power-Point, auf Hochglanzpapier und mit dicker Honorarnote). So aber als schlichte journalistische Denkarbeit im Interesse Österreichs, das eine zweite Partei rechts der Mitte braucht:

  1. Beendigung der Doppelköpfigkeit der Parteiführung. Gerade bei der potenziellen FPÖ-Wählerschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass diese nur dann wirklich ansprechbar ist, wenn die Partei durch einen einzigen Kopf verkörpert wird. Ein Duumvirat verwirrt in einer Partei mit Hang zum Personenkult noch mehr als bei anderen. Es sollte daher nur einen Leitwolf geben – wohin er leitet, ist für viele Wähler dann schon eher eine sekundäre Frage. Zunehmend scheint es auch, dass sich der nie offen ausgetragene, aber dennoch erkennbare Richtungsstreit zwischen A und B überhaupt nur noch lösen lässt, wenn man sich für C entscheidet.
  2. Die Entscheidung für einen C wird wohl umso erfolgreicher sein, je weniger dessen Karriere mit der von H.C. Strache verbunden gewesen ist.
  3. Will die FPÖ jemals wieder Relevanz erlangen, kann sie das nur in Kooperation mit der ÖVP – außer im Fall einer absoluten Mehrheit (der aber auch für die ÖVP absolut undenkbar ist). Mit den Linksparteien hingegen wird es ein Wieder-Relevantwerden der FPÖ sowieso nie gehen. Haben diese doch einen großen Teil ihres eigenen Identitätsgefühls fast nur noch aus dem FPÖ-Bashing gewonnen. Diese nüchterne Erkenntnis und die damit verbundene Selbstüberwindung müssen, müssten daher FPÖ-intern stärker werden als der Ärger über den Hinauswurf aus der Regierung durch Sebastian Kurz.
  4. Gleichzeitig ist die relativ größte Hoffnung auf Wähler-(Rück-)Gewinnung für die FPÖ im kommunizierenden Gefäß ÖVP zu finden. Dort wird bei liberalkonservativen Wählern mit Sicherheit der Frust über die Koalition der ÖVP mit den Grünen zunehmend wachsen, die jenseits aller Corona-Gemeinsamkeiten vor allem wegen des Streits um das von den Grünen unter der Überschrift "Klima" verlangte Geldverbrennen, aber auch um Migration und die Gesellschaftspolitik zunehmend teuer und konfliktbeladen werden wird.
  5. Was noch schwerer zu akzeptieren ist für den durchschnittlichen FPÖ-Funktionär: ÖVP-Wähler gewinnt man nicht durch tägliche Frontalattacken auf die ÖVP, sondern indem man sich ihnen als die bessere liberalkonservative Partei präsentiert und indem man ihnen für ihren irgendwann eintretenden Frust eine Plattform bietet.
  6. Eine Rückgewinnung von ÖVP-Wählern für die FPÖ scheint zwar in Zeiten der Sebastian-Kurz-Erfolge utopisch. Sie hat aber in etlichen anderen Ländern ganz ähnlich längst stattgefunden. Dort sind traditionelle christdemokratische Parteien durch Konkurrenten abgelöst worden, die rechts von ihnen entstanden waren. In Italien oder Spanien gibt es da besonders gute Beispiele, aber auch in etlichen mittelosteuropäischen Ländern.
  7. Das große Lager der bürgerlichen Liberalkonservativen kann in Ländern ohne Mehrheitswahlrecht immer nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn es mindestens zwei Parteien im Rennen hat. Gäbe es nämlich nur eine, dann wäre jeder Wähler, der sich einmal konkret über seine bisherige Partei ärgert, für dieses Lager total verloren. Das aber wird es immer geben, dass administrative oder politische Entscheidungen einzelne oder viele Wähler verärgern.
  8. Freilich gibt es immer das Risiko für die FPÖ, dass sie durch einen solchen Kurs eine Zeitlang nur indirekt zum Erfolg kommt: nämlich indem sie allein schon durch ihre Existenz die ÖVP wie schon zweimal auf den – in zweierlei Bedeutung – rechten Weg bringt und zwingt. Das wäre gut für Österreich, weniger gut für die FPÖ. 
  9. Die Alternative für die FPÖ im Alleingang heißt aber: ewige, wenn auch oft als solche erfolgreiche Opposition bei dauerhafter eigener Bedeutungslosigkeit.
  10. Besonders raffiniert für die FPÖ wären Aktionen, bei denen eigentlich Akzente der ÖVP aufgegriffen werden, bei denen die ÖVP aber aus koalitionärer Rücksicht auf die Grünen nicht mitkann: Das wäre etwa das Drängen auf einen Untersuchungsausschuss über die zahllosen bedenklichen Vorgänge in der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Oder auf einen über die Berechtigung von ORF-Zwangsgebühren im Zeitalter zahlreicher auch inländischer Alternativen, die via Satellit, Kabel, Internet und bisweilen auch noch terrestrisch empfangbar sind. Und die immer attraktiver und erfolgreicher werden.
  11. Sollte sich die FPÖ tatsächlich bemühen, sich als bessere liberalkonservative Partei zu präsentieren statt als hasssprühende Totalopposition, würde sich in der ÖVP wieder zwangsläufig die Erkenntnis durchsetzen, dass sie sich nur mit der FPÖ aus der ewigen Fesselung an eine Linkspartei befreien kann.
  12. Warum nimmt die FPÖ nicht selber das von anderen als Beschimpfung verwendete Wort "Populismus" positiv auf? Schließlich heißt dieses Wort mit lateinischen Wurzeln praktisch dasselbe wie das griechischstämmige Wort "Demokratie". Das Wort Demokratie war in Feudalzeiten auch lange ein streng verpöntes Wort, dessen Verwendung bisweilen sehr gefährlich werden konnte. Es ist eigentlich durchaus ehrenvoll, sich in Ablehnung einer abgehobenen und aristokratisch-feudal denkenden Elite zu einer Politik für den kleinen Mann zu bekennen.
  13. In Hinblick auf die eigene, problematische Parteigründungsgeschichte empfiehlt sich für die FPÖ ein noch stärkeres Bekenntnis zur Kulturnation Österreich samt einem wertschätzenden Verweis auf die doppelten Wurzeln dieses Österreichs einerseits im deutschen und andererseits im mitteleuropäischen Kulturraum. Dazu gehört aber vor allem das Bekenntnis, dass aus diesen Wurzeln längst ein komplett eigenständiger, nämlich rein österreichischer Baum erwachsen ist.
  14. Dieses Bekenntnis sollte auch von einer ähnlichen Deklaration mit der FPÖ befreundeter, aber geistig derzeit teilweise noch in der napoleonischen Zeit steckengebliebener Verbindungen begleitet werden. Aus jener Zeit hat ja auch einst das heute total anachronistisch gewordene Verlangen nach einer Vereinigung des ganzen deutschen Sprachraumes gestammt (woran auch in der Schweiz seit Generationen niemand mehr denkt; selbst nach bloß 40 Jahren der Trennung zwischen West- und Ostdeutschland ist auch in Deutschland die Vereinigung zu einem erstaunlich großen Problem geworden, das nur mit viel Geld überwunden worden ist).
  15. Zugleich empfiehlt sich eine stärkere Hinwendung zu Mitteleuropa. Eine solche wäre insbesondere in vielen Werten begründet, die man von Budapest über Prag bis Warschau viel besser verkörpert findet als in Berlin.
  16. Zu dieser Öffnung würde auch die Wiederaufnahme des konzentrierten Werbens um die Austroserben passen, die ja einerseits eine der größten migrantischen Wählergruppen bilden. Und die andererseits in ihrem kollektiven Denken noch viel unmittelbarer als die Österreicher von der Bedrohung und Konfrontation mit dem Islam geprägt sind.
  17. Die konservativen Werte, die sich zumindest zeitweise sowohl bei der FPÖ wie auch ÖVP gefunden haben, sollten betont und - wo notwendig - wiederbelebt werden. Die wichtigsten Elemente einer solchen Positionierung, von denen jedes einzelne lange Vertiefung verdienen würde:
    Freiheit, Recht und Ordnung, Betonung der inneren und äußeren Sicherheit, Abwehr des Islamismus, Ablehnung einer weiteren Migration in den Wohlfahrtsstaat, Assimilation der gekommenen Migranten anstelle der Entstehung von Parallelgesellschaften, Bedeutung der Natur-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und Skepsis gegenüber Ideologiewissenschaften, Heimatverbundenheit, Betonung der christlich-abendländischen Wurzeln, Familie, Leistungsorientierung, Wettbewerb, Marktwirtschaft, Ablehnung des Genderismus, Traditionsbewusstsein, Regionalität, Einsatz für eine Entwicklung der EU zu einem Europa der Vaterländer, Kritik an Kammer- und ORF-Zwangsgebühren.
  18. In einigen dieser Punkte hat die ÖVP sogar deutlich größere Glaubwürdigkeitsprobleme, was der FPÖ Chancen böte: Siehe etwa den auch bei der ÖVP um sich greifenden Feminismus, siehe etwa die Zwangsgebührenfrage (Kammern, ORF), siehe etwa den Fanatismus einiger ÖVP-Abgeordneter für einen EU-Zentralstaat.
  19. Was der FPÖ aber massiv fehlt, ist eine intellektuelle Vertiefung rund um all diese Werte und Denkansätze. Diese wäre viel wichtiger als die parteipolitische Verkürzung und Zuspitzung zu Kampfbegriffen. Dazu braucht es wissenschaftliche und intensive Think-Tank-Kapazität und Dialogbereitschaft mit der Wissenschaft.
  20. Bemühungen um einen ruhigen, respektvollen Dialog (trotz eventueller zeitweiliger Verweigerungshaltungen auf der Gegenseite) mit Kirchen, Kultusgemeinde und Wirtschaftsverbänden.
  21. Bei aller Kritik an illegaler und Wohlfahrts-Immigration demonstrativ positive Haltung gegenüber der Zuwanderung von Leistungsträgern aus aller Welt, sofern sich diese in die österreichische Kultur und Identität einzufügen bereit sind.
  22. Außenpolitische Abwendung von der zeitweise grotesk gewesenen Orientierung an der imperialistischen Diktatur Russland.

Letztlich kann eine sinnvolle und für Österreich so notwendige Repositionierung der FPÖ in einem Satz zusammengefasst werden:

Es gilt für die FPÖ, die zuletzt ihr gegenüber verstärkt skeptisch gewordenen Österreicher davon zu überzeugen: Ja, die können es auch; wir können Gebrauch machen von ihnen, sobald wir uns nach einem Wechsel sehnen – egal wodurch diese Sehnsucht geweckt wird.

Eine solche Zukunfts-Positionierung der FPÖ würde aber intensive und jahrelange Arbeit erfordern und nicht bloß hingeschleuderten Eintagsaktionismus oder gar die Konzentration auf den Schenkelklatsch-Sager vom Tag. Und er würde die Erkenntnis erfordern, dass die Scharfmach-Stimmung bei internen Parteiversammlungen, wo es umso mehr Beifall gibt, je emotionaler und aggressiver ein Redner ist, ziemlich genau in die gegenteilige Richtung jener Politik geht, mit der die FPÖ für viele Wähler aus dem Relevanz-Koma wiedergeweckt werden könnte.

Dieser Beitrag wurde auf Einladung der Zeitschrift "Freilich" verfasst. Er erschien auch auf freilich-magazin.at. unter https://freilich-magazin.at/andreas-unterberger-was-der-zukunft-der-fpoe-im-interesse-oesterreichs-not-taete/

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