Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Ohne Zwang wird da nichts draus – nur ein noch größerer Zwang

Vielleicht lernt die Regierung aus der – höflich ausgedrückt – suboptimalen Teilnahme der Menschen am Corona-Massentest jetzt doch dazu und begreift: Allzu viel Angst vor unpopulären Maßnahmen führt am Ende nur zu einem – dass man am Ende erst recht unpopulär wird. Denn zu nichts anderem werden die totale Freiwilligkeit und Unverbindlichkeit der angelaufenen Massentests führen. Denn es war von Anfang an klar, dass ein Massentest ohne Konsequenzen für die Nichtteilnehmer nur zu einer Minderheitenfeststellung der ohnedies Braven wird, dessen zu erwartendes Ergebnis man nicht wirklich schönreden kann. Und dass nach einem solchen Minderheitentest ein dritter Lockdown wohl unvermeidlich werden dürfte.

Das ist nicht nur ein Klugschwätzen im Nachhinein. Das hat gerade dieses Tagebuch mehrmals (etwa hier und hier) lange vor den Tests ganz klar vorausgesagt. Dabei hat das Tagebuch Massentests ja als durchaus richtige Strategie zur Vermeidung schlimmerer Maßnahmen gehalten, aber immer nur unter der Voraussetzung, dass eine Nichtteilnahme natürlich Konsequenzen hätte. Wörtlich: "Eine der größten und unsinnigsten Dummheiten, die gegenwärtig quer durchs Land galoppiert, ist die von der angeblich unbedingt notwendigen Freiwilligkeit aller Corona-Massentestungen".

Man könnte das Vorgehen der Regierung auch mit Grillparzer als ein typisch österreichisches erkennen:

"Das ist der Fluch von unserm edeln Haus:
Auf halben Wegen und zu halber Tat
Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.
Ja oder nein, hier ist kein Mittelweg."

In der Koalition hat man jedoch naiverweise offensichtlich auf die Kraft der eigenen Millionenpropaganda und Überredungskraft vertraut, auf die Wirkung des ungewöhnlich geschlossenen Auftretens aller Bundesländer und des Mittuns auch der SPÖ und aller Mainstreammedien. Diese Fehlkalkulation zeugt jedoch von einer erschreckend mangelhaften Einschätzung dessen, was eine solche politmediale Dampfwalze im Konflikt mit der Eigenständigkeit vieler Bürger wirklich vermag.

Schwarz und Grün wollten wieder einmal – ähnlich wie schon beim Abschluss des Koalitionspakts – das Beste aus zwei Welten ohne die jeweils untrennbar dazugehörigen Nachteile haben. Sie wollten so wie etwa die Nachbarn Slowakei und Südtirol zwar die erkennbaren Vorteile eines Massentests haben, aber ohne den Österreichern die dort mit den Massentests verbundenen Nachteile zuzumuten, also die Verpflichtung aller Nichtteilnehmer zu häuslicher Quarantäne und zum Fernbleiben vom Arbeitsplatz (was die meisten Unternehmen verständlicherweise gar nicht gerne sehen).

Diese Quarantänepflicht wäre gewiss kurzfristig unpopulär geworden. Aber nur mit dieser Konsequenz wären die Tests wirklich Massentests geworden. Und nur die hätten die Chance auf eine dauerhafte Senkung der Infektionszahlen gebracht. Was wieder langfristig die Regierung beliebt gemacht hätte.

Vielleicht begreift die Regierung diesen Zusammenhang wenigstens beim – ja schon angekündigten – nächsten Massentest. Und hoffentlich begreift sie das, bevor der Schaden für das gesamte Bildungssystem, Zehntausende Unternehmen und Selbständige, Hunderttausende Arbeitsplätze und die jetzt schon aus dem letzten Loch ächzende Staatsverschuldung noch größer wird.

Die Gründe, warum der gegenwärtige Ansatz nicht funktionieren kann, sind vielfältig und bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen oft sehr unterschiedlich. Aber mit ein bisschen psychologischer Empathie waren die meisten Gründe schon vorher klar sichtbar:

  1. Eine Teilnahme an den Massentests ist vergleichbar mit dem Zahlen von Steuern. Wir wissen zwar, dass Steuern für den Staat ziemlich notwendig sind, macht er doch auch – auch! – viel Notwendiges mit dem Geld. Dennoch ist das freiwillige Zahlen von Steuern, also von Spenden an den Staat, nicht sonderlich üblich. Da betrügen wir ihn lieber ein bisschen, wenn möglich.
  2. Die Teilnahme an Massentests hilft nur der Allgemeinheit, aber nicht einem selber. Nur im Lesebuch sind alle Menschen altruistisch. Letztlich denken sich viele: Die einzige Folge eines positiven Tests wäre ja der Schutz der anderen, während ich selber in Quarantäne gehen müsste, also einen Nachteil hätte. Es gibt jedoch nach einem positiven Test medizinisch absolut nichts, was getan werden könnte, damit aus einer symptomlosen Infektion nicht eine schwere Erkrankung, etwa gar mit Spitals- oder Intensivaufenthalt wird. Ich könnte nur bange warten, ob das eintritt, während ich ohne Test in vielen Fällen gar nicht erfahren hätte, dass Virusspuren in mir auffindbar sind.
  3. Viele Menschen haben derzeit erhöhte Angst um ihren Job, egal ob angestellt oder selbständig. Den sehen sie doppelt gefährdet, wenn sie positiv getestet werden – auch wenn sie ohne Symptome bleiben: Einerseits weil sie zehn Tage ganz ausfallen, und andererseits weil sie glauben, am Arbeitsplatz (entweder als vermeintlich gefährlicher "Superspreader" oder aber als vermeintlich fauler Tachinierer) diskriminiert zu werden.
  4. Viele Menschen neigen prinzipiell dazu, Unangenehmes zu verdrängen. Daher ihr Motto: Ich will‘s lieber gar nicht wissen.
  5. Viele Menschen fühlen sich "eh gesund": Zugleich ist in unserer ganzen genetisch ererbten Einstellung zur Gesundheit und Erfahrung mit allen bisherigen Krankheiten eine neue Krankheit nicht wirklich begreifbar, bei der man auch als komplett Gesunder einige Tage lang ansteckend sein kann.
  6. Es war unschlau, diese Massentests genau am Ende eines mehrwöchigen (Halb- und Ganz-)Lockdowns anzusetzen, an dessen Ende tagelang Entspannungssignale kommuniziert werden. Da denkt sich so mancher: Na also, warum soll ich mir das dann jetzt antun?
  7. Durch die – von den Bundesländern durchgesetzte – Vorverlegung der von der Regierung ursprünglich für knapp vor Weihnachten angesetzten Tests hat die Zeit gefehlt, diese kommunikations-, beschaffungs- und IT-mäßig besser vorzubereiten.
  8. Es kursieren zu viele widersprüchlich Informationen – auch aus durchaus seriöser Quelle – darüber, wie effizient eine solche Testung wirklich ist. "Zu ungenau" sagen die einen Kritiker, "zu übergenau" die anderen: Das verwirrt viele Menschen, die den Krieg der Eitelkeit und Wichtigmacherei unter Medizinern und Wissenschaftlern nicht wirklich durchschauen. Warum dann hingehen, wenn eh alles so unklar ist?
  9. Einige Medien und die sich derzeit leider wieder radikalisierende FPÖ haben sogar bewusst Panikmache betrieben – etwa, dass man bei den Tests verletzt werden könnte.
  10. Besonders kontraproduktiv für die Testteilnahme war es, dass das ORF-Fernsehen – obwohl es sonst heftig die Regierungspropaganda mitträgt – plötzlich unter Trommelwirbel geheimnisvolle Protokolle anonymer Expertengremien gegen die Massentests präsentiert hat.
  11. Viele Menschen leiden längst unter den vielen verwirrenden und noch dazu alle paar Wochen wechselnden Anti-Corona-Zwängen. Sie haben als Ursache dieser Regeln kaum noch eine objektive Bedrohung, sondern eher Willkür wie Unsicherheit der Regierung geortet. Daher haben sie, als jetzt schon wieder etwas Neues gekommen ist, fast automatisch den Drang gespürt, der Regierung endlich einmal zu zeigen: Ich kämpfe um meine Freiheit, ich lasse mich nicht noch zu etwas zwingen, nachdem mir schon so vieles  verboten worden ist.
  12. Eine besonders große Gruppe erreicht man überhaupt nicht: Das sind die nicht assimilierten Migranten. Sie schauen türkisches oder serbisches Fernsehen und konsumieren jedenfalls nicht jene Medien, in denen die Regierung teure Inserate schaltet. Sie verstehen oft die Landessprache auch nur schlecht. Bei ihnen ist außer dem Maskenzwang nicht viel angekommen. Bei ihnen kommen Dinge, die nur auf Argumenten und Überreden basieren, schon gar nicht an. Dementsprechend sind die Intensivstationen mehrheitlich durch nicht deutschsprechende Patienten belegt.
  13. Aber auch die Österreicher selber sind im Schnitt keine Weltmeister in Sachen bürgerlicher Eigenverantwortung und Selbstdisziplin. Sie nehmen selten etwas sonderlich ernst, das nicht anbefohlen ist.
  14. Viele sind auch durch die vielen Pannenberichte der letzten Tage abgeschreckt worden, die sich teils auf die katastrophal schlechte IT, teils auf die überhöhten Einkaufspreise der Tests bezogen haben. Das hat zwar alles nichts mit der Sinnhaftigkeit einer Testteilnahme zu tun, aber dennoch ein negatives Klima für die Tests geschaffen.
  15. Ein gar nicht so kleiner Teil der Österreicher glaubt: "Ich bin eh getestet" – und bezieht sich dabei freilich oft auf Tests, die schon etliche Tage oder Wochen alt sind.
  16. Die Massentests werden wohl von gar nicht so wenigen auch aus parteipolitischer Motivation boykottiert. Gelten diese Massentests doch als ganz persönliches Projekt von Sebastian Kurz. Und da sieht so mancher die Chance, es Kurz ein wenig heimzuzahlen.
  17. Fast am rationalsten klingt die Nichtteilnahme bei jenen – meist älteren – Österreichern, die sich schon seit vielen Wochen aus Angst in totale Selbstisolation begeben haben, die daher eigentlich nicht angesteckt sein können. Sie fürchten sich mehr vor Ansteckungen durch Besuch eines (vermeintlich) stark frequentierten Impfzentrums und noch mehr vor der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die sie ja seit März meiden.
  18. Dieses Gefühl wird durch die medial dominierende Bezeichnung "Massentests" noch verstärkt, hat doch gerade der eigentlich verantwortungspenible Teil der Bevölkerung ständig von der gleichen Regierung eindringliche Warnungen vor Massenveranstaltungen gehört.
  19. Besonders negativ auf die Teilnahme an den Tests wirken sich zweifellos auch die täglich konkreter werdenden Meldungen über Impfungen aus, die in zwei großen europäischen Staaten sogar schon ausgeteilt werden. Das führt zur Überlegung: Für die paar Tage bis zur Impfung zahlt es sich gar nicht mehr aus, zu einem Test zu gehen.
  20. Im letztgenannten Punkt wirken sich mediale Mechanismen derzeit besonders negativ aus: Während etliche Medien Spaß daran haben, negative Details über die Testabläufe zu berichten, sind aus dem Bereich der Impfungen fast nur positive Meldungen zu hören und zu lesen. Dadurch ist im Bewusstsein der Menschen die Botschaft einzementiert: "Im Jänner ist es eh vorbei". Dabei ist vorerst völlig untergegangen, nämlich dass es mit Gewissheit noch viele Monate dauern wird, bis alle Impfwilligen geimpft sind. Denn selbst wenn die gegenwärtig laufenden Testphasen durch die Gesundheitsbehörden zu keinem Rückschlag führen sollten, wird es noch lange gewaltige Probleme geben, durch Mangel an Impfstoff, durch logistische Probleme. In manchen Ländern wird schon besonderer polizeilicher Schutz für jene Zentren vorbereitet, wo der begehrte Impfstoff lagert.

Bis alle Impfwilligen durchgeimpft sind, müssen also leider die Tests noch sehr im Vordergrund stehen. Diese haben aber eben nur mit Konsequenzen einen Sinn. Diese Konsequenzen sind besonders für jene wichtig, die sich testen haben lassen, und bei denen kein Virus gefunden worden ist. Denn sie haben ja überhaupt nichts davon, wenn Ungetestete genauso ins Theater und Konzert gehen und sie dort anstecken können. Wenn die Ungetesteten genauso bei beruflichen Meetings, Gerichtsverhandlungen, Zugreisen, Museumsbesuchen und vielem anderen mitmachen können.

Das können jene, die zum Test gegangen sind, nur als Provokation empfinden. Und daher werden viele Menschen weitere Monate nicht in Theater, Konzerte, Museen, Kinos, Skilifte usw. gehen, solange sich dort Getestete und Ungetestete bunt mischen können.

Einige Landespolitiker und der Operndirektor haben diese Gefahr inzwischen begriffen. Es wäre schön und notwendig, wenn auch die Regierung das bald begreift. Selbst wenn eine kleine, aber laute Minderheit aufschreien würde. Die offenbar lieber einen dritten Voll-Lockdown hat. Die aber sowieso immer aufschreit …

Sollte aber die Regierung aus ängstlichem Populismus weiterhin das slowakische Modell von Zwangsquarantäne für alle nicht zum Test Gegangenen meiden wollen, dann sollte sie zumindest statt einer großen weiteren Testaktion lieber kleinere, aber dafür dauerhafte Gratis-Testmöglichkeiten schaffen. Dort könnte sich dann jeder, der in den nächsten 24 Stunden einen Termin, ein Fest, eine Veranstaltung mit anderen Menschen hat, testen lassen, damit er teilnehmen kann. Und alle anderen könnten dann eben nicht teilnehmen. Und dort könnten und müssten alle, die tägliche Kontakte mit vielen Menschen haben – vom Handel bis zur Polizei –, sich jede Woche zweimal testen lassen.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung