Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Es war zuletzt gar nicht mehr möglich, ausländischen Journalisten zu erklären, dass Wien nicht in der Dritten Welt, sondern durchaus in Mitteleuropa liegt, und dass es dennoch nach Schluss der Wahllokale letztlich 55 Stunden gedauert hat, bis lange schon eingetroffene Stimmzettel auch fertig ausgezählt sind. Diese unerträgliche Langsamkeit ist ein weiteres Beweisstück dafür geworden, wie sehr die Wiener Verwaltung auf vielen Ebenen versagt. Langsamkeit ist freilich nur die viel harmlosere von zwei möglichen Erklärungen. Denn der seltsame Zeitpunkt der Bekanntgabe der nun endgültigen Zahlen genau um Mitternacht könnte ja auch damit zusammenhängen, dass das nunmehrige Endergebnis für die Rathausmenschen im Gegensatz zur Berichterstattung am Wahlabend enorm enttäuschend sein muss. Und dass man es daher gezielt - aber völlig unangekündigt - zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, wo es weder die diversen Abendnachrichten noch die meisten Morgenzeitungen berichten können. Denn nun zeigen die Zahlen eindeutig, dass die sich zwei Tage rundum feiernde SPÖ eindeutig zweiter Verlierer der Wahl ist. Und dass auch die Rathauskoalition in Summe eindeutig verloren hat.
Die SPÖ hat nämlich ein deutliches Minus bei den Stimmen (immerhin 27.806). Zwar haben die Freiheitlichen (minus 204.848) noch viel mehr verloren. Aber sonst haben absolut alle anderen dazugewonnen: Von der ÖVP (plus 71.279) bis zu den diversen Kleinstparteien.
Damit ist das Wiener Ergebnis zwar unverändert eine Mega-Katastrophe für die Freiheitlichen. Sie ist für diese sogar noch ein wenig größer geworden, weil die bisher zweitgrößte Partei nun nicht nur auf den vierten, sondern jetzt sogar auf den fünften Platz abgestürzt ist. Aber das Endergebnis ist jetzt auch ein klarer Dämpfer für die Rathauskoalition, selbst wenn man berücksichtigt, dass es 10.066 Wahlberechtigte weniger gegeben hat. Denn auch wenn man dieses Wahlberechtigten-Minus komplett der SPÖ gutschreiben würde (was natürlich statistisch ein Nonsens ist), und selbst wenn man die grünen Zugewinne (8771) ebenfalls abzieht, bleibt für die roten Machthaber ein Minus von mehr als 9000.
Da ist es schon mehr als kühn, dass sich die SPÖ als großer Wahlsieger feiert. Sie hat nur deshalb zwei Prozentpunkte und zwei Mandate mehr, weil sich frühere FPÖ-Wähler angesichts des totalen inhaltlichen, moralischen und personellen Verfalls der derzeitigen FPÖ zu vier Fünftel von der Partei abgewendet haben, und weil von diesen FPÖ-Flüchtlingen zwei Fünftel überhaupt nicht zur Wahl gegangen sind. Sie sind daheim geblieben, weil die FPÖ derzeit in keinem wählbaren Zustand ist, und weil sie mit der ÖVP noch eine offene Rechnung haben wegen des vorjährigen Sprengens der schwarz-blauen Koalition. Allerdings hat sich ein weiteres Fünftel sehr wohl für die ja inhaltlich nicht so fern stehende ÖVP entschieden. (Alle weiteren Zahlen finden sich hier). Hätten alle ehemaligen FPÖ-Wähler hingegen statt daheim zu bleiben irgendeine andere Oppositionspartei gewählt, dann hätte es eine signifikante SPÖ-Niederlage gegeben.
Trotz des logischen Interesses von Rotgrün, die nunmehr wahren Zahlen nur möglichst "versteckt" bekannt werden zu lassen, glaube ich aber dennoch nicht daran. Ich halte vielmehr die 55 Stunden Verspätung "nur" für einen Beweis von Rathaus-Unfähigkeit. Einen weiteren Beweis dafür hat die Wiener Administration mit noch viel katastrophaleren Folgen rund um die Corona-Epidemie geliefert, wo die Wiener auch nach Monaten noch immer unter der unerträglichen Langsamkeit der Gesundheitsverwaltung leiden: beim Corona-Telefon, bei der Durchführung von Tests, bei der Information über Test-Ergebnisse und bei der Nachverfolgung von Kontakten von Infizierten.
Es erstaunt dennoch, dass diesem Mega-Kollaps der Rathaus-Administration jetzt so rasch der nächste gefolgt ist. Dabei hat man auch in Wien schon seit Monaten um den Wahltermin und seit Wochen um den gewaltigen Ansturm auf die Wahlkarten gewusst.
Es gibt auch in vielen anderen der zahllosen zur Belästigung der Bürger Wiens geschaffenen Magistratsabteilungen viele Anzeichen einer weitgehenden Arbeitsniederlegung, die in Summe etliches zu der ursprünglich nur durch den Corona-Lockdown ausgelösten Wirtschaftskrise beitragen.
Ganz offensichtlich sind die entscheidenden Faktoren die Unfähigkeit der Wiener Beamtenschaft und ihre Lust, sich jeder Begründung für Langsamkeit zu bedienen, wie jetzt der Pandemie-Abstandsempfehlungen (sonst gibt es eigentlich gar keine einschlägigen Gründe, die bei der Auszählung relevant sein könnten).
Die Menge der Wahlkarten kann es nämlich nicht sein. Denn die am Wahltag selbst abgegebenen Stimmen waren ja trotz der reduzierten Lust, ein Wahllokal zu betreten, etwas mehr als die mit der Post gekommenen. Die Wahltagsstimmen waren aber nach zwei Stunden ausgezählt gewesen.
Wäre man im Rathaus geistig flexibel, dann hätte man bloß mehr Wahlkommissionen für die erhöhte Wahlkartenzahl einrichten müssen. Hätte nur die Hälfte der am Sonntag tätigen Kommissionen auch am Montag nach der Wahl gewerkt, wäre schon am Vormittag des Montags die Auszählung beendet gewesen. So aber …
Nun stimmt die schon von Ausländern geäußerte Vermutung wohl sicher nicht, dass damit vielleicht ein Schwindel zugedeckt werden soll. Dafür gibt es nicht das geringste Anzeichen.
Dennoch ist verständlich, dass solche Vermutungen aufkommen. Gibt es doch in fast allen Ländern, wo Auszählungen so lange dauern, wilde Konflikte und Anschuldigungen um angebliche oder wirkliche Fälschungen und Manipulationen. Darob sind auch schon etliche Bürgerkriege entbrannt.
Und auch in den USA sind die Wahlkarten schon vor dem Wahltag das dominierende Thema geworden und werden es mit großer Wahrscheinlichkeit noch mehr in den Tagen nach dem US-Wahltag werden. Je länger dort die Nachwahl-Ungewissheit infolge der Wahlkarten dauert, um so lauter wird der Streit ob der Korrektheit der Wahl werden.
In den USA finden ja tatsächlich jetzt schon merkwürdige Vorgänge statt: Denn viele demokratisch regierte Bundesstaaten haben ganz automatisch gleich an alle in ihren Wählerlisten stehenden Namen Wahlkarten ausgeschickt, vor allem um die als Sympathisanten der Demokraten erhofften Unterschichten trotz Corona zu einer Stimmabgabe zu bewegen. Damit gingen Wahlkarten aber auch an eine große Zahl inzwischen schon Verstorbener oder Weggezogener. Damit ist das gesetzwidrige Abfangen wie auch das Einsammeln und Einschicken fremder Wahlkarten sehr einfach geworden.
All das ist in Österreich weitgehend undenkbar (obwohl es einmal schon in einer Moschee passiert ist). Aber in Österreich hätte man sehr wohl die Pflicht gehabt, angesichts so vieler globaler Probleme rund um Wahlkarten und Auszählungsdauer ganz anders zu agieren, um das Aufkommen von Imageproblemen der demokratischen Qualitäten dieses Landes sofort im Keim zu ersticken.
Dieses Wiener Bürokratie-Versagen wird gerne mit angeblichen Corona-Problemen verteidigt. Seltsam nur, dass es die am Wahltag selbst überhaupt nicht gegeben hat, der eigentlich viel problematischer gewesen wäre, und an dem viel mehr Stimmzettel auszuzählen gewesen sind. Oder haben sie jetzt plötzlich entdeckt, jede einzelne Wahlkarte vor dem Auszählen mühevoll desinfizieren zu müssen?
Neben diesen schweren administrativen Patzern gibt es noch einen weiteren echten Grund für die Verzögerungen: Und der heißt Verfassungsgerichtshof.
Dessen Beschluss aus dem Jahr 2017, die Bundespräsidentenwahl wiederholen zu lassen, nur weil mancherorts zur Beschleunigung die Überkuverts schon vor der Auszählung aufgeschlitzt worden sind, hat alle Beamten dieser Republik darin bestärkt, dass nicht Schnelligkeit, nicht Effizienz, nicht Mitdenken des Beamten Pflichten sind, sondern einzig der "Dienst nach Vorschrift". Das ist genau jene Haltung, die im gewerkschaftlichen Kampfrepertoire die schärfste Waffe gleich hinter dem Streik ist.
Aber das war dem VfGH völlig wurscht. Und das hat seither viele österreichische Beamte in ihrer phäakischen Wurschtigkeit und in einem extrem-formalistischen Ausleben des Legalitätsprinzips einbetoniert.
Da bräuchte es schon eine politische Führung, die versucht, diesem Ungeist der eigenen Verwaltung Gegendruck entgegenzustellen. Aber im Wiener Rathaus gibt es so etwas überhaupt nicht.