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Die Tragikomödie der Corona-Bekämpfung findet nun auch auf einer weiteren Bühne der Republik statt: auf der des Föderalismus. Dabei wird aber die dort seit Generationen übliche Rollenverteilung komplett ins Gegenteil umgedreht – so radikal, dass dem Bürger im Zuschauerraum der Mund offen bleibt. Das zeigt sich jetzt rund um das jüngste Maßnahmenpaket der Regierung mit besonderer Deutlichkeit. Einen ähnlichen Rollentausch kann man ganz ähnlich aber auch in Deutschland und der EU beobachten.
Die nun von der Regierung, beziehungsweise ihrem seit den Frühjahrstagen wohlbekannten koalitionären Corona-Quartett, angesichts steil steigender Infektionszahlen verkündeten Maßnahmen bewegen sich in einem erstaunlich milden Rahmen.
Wie das? So fragt man sich in Erinnerung an das Frühjahr erstaunt. Denn damals stand Österreich zweifellos an der Spitze der Anti-Corona-Kämpfer.
Nun, die Ursache ist klar: Die Corona-Stimmung der Bevölkerung ist zumindest teilweise gekippt. Die Begeisterung für starke Auftritte der Bundesregierung ist abgeflaut. Die Gemüter der Österreicher sind nicht mehr geschockt von einstigen Bildern langer Militärfahrzeug- Kolonnen, die in Italien Särge mit Corona-Opfern abtransportieren (auch wenn sie der ORF prompt aus dem Archiv holt). Trotz der vielen eindeutig schweren und bisweilen tödlichen Erkrankungen überwiegt inzwischen der Eindruck der noch viel größeren Zahl der Infizierten, die ganz ohne Symptome bleiben, die also gar nicht krank sind, oder die nur milde Krankheitserscheinungen haben.
Statt der Krankheits- und Sterbe-Fakten dominieren nun im Bewusstsein der Österreicher – verständlicherweise – viele andere Fakten:
All diese Phänomene wirken mittlerweile zumindest bei einem wachsenden Teil der Bevölkerung stärker als die Angst vor einer Krankheit, die sich trotz all der vielen schlimmen Einzelfälle als lange nicht so verheerend erwiesen hat wie anfangs befürchtet, wie etwa eine Pest-, Cholera- oder Ebola-Epidemie der Geschichte.
Die Meinungsforscher spüren diesen Stimmungswandel bei einem Teil der Bevölkerung. Die von ihnen beratenen Regierungspolitiker sind deshalb viel zurückhaltender geworden. Sie sehen aber gleichzeitig auch, dass ein weiteres ungebremstes Ansteigen der Infektionszahlen etwa rund um die Weihnachtstage doch noch zu dem führen könnte, was sie zu Recht wie der Teufel das Weihwasser fürchten: zu einer Überlastung der Spitäler und Intensivstationen, wo ein sehr kleiner, aber eben jetzt stark wachsender Teil der Infizierten landet. Dies könnte wiederum zu einer Systemüberlastung führen und dazu, dass Menschen sterben, die an sich gerettet werden könnten.
Wenn das aber passiert, würde sich – zumindest, wenn die ja sehr beeinflussbaren Mainstreammedien nicht allzu stark manipulieren, – die Stimmung sofort wieder komplett gegen die Politik richten: Ihr habt versagt! Ihr habt die Gefahr nicht erkannt! Ihr habt das Land ins Unheil geritten!
Das wäre dann der GAU für jede Regierung. Das wäre für sie weit schlimmer als die derzeit lauten Vorwürfe, sie würde rücksichtslos übertreiben, mit Freiheit und Geld viel zu leichtfertig oder gar totalitär umgehen.
Dieser Zwiespalt ergibt für amtierende Politiker ein ganz neues, schwieriger gewordenes Anforderungsprofil: Sie müssen etwas tun, sie wollen auch den Eindruck erwecken, etwas zu tun, sie wollen aber keinesfalls bei ihrem Tun irgendjemandem wehtun. Das ist aber der Wunsch nach einer Quadratur des Kreises.
Das führt nun seit einiger Zeit zu einem skurrilen Föderalismus-Konflikt: Bund und Länder, die sonst jeweils für sich immer nach mehr Kompetenzen und Macht gerufen haben, fordern nun jeweils die Gegenseite auf, aktiver zu werden, mehr gegen die Pandemie zu tun. Keiner will plötzlich den Schwarzen Peter in der Hand haben.
Wir lernen wieder einmal: Verantwortung ist ein seltsam Ding. Sie wird nur dann gern verbal verlangt, wenn man gefahrlos mehr Macht und Geld beanspruchen kann, aber nicht, wenn man damit ins Risiko gerät.
Es ist jedenfalls an sich sehr merkwürdig, dass Sebastian Kurz und seine Regierungskollegen jetzt ständig die Bundesländer, die noch im Frühjahr bei ihren ständigen Pressekonferenzen nie eine sonderliche Rolle gespielt haben, zu Anti-Corona-Aktivitäten ermuntern.
Es ist andererseits aber auch sehr fragwürdig, warum die stark mit Infektionen belasteten Bundesländer im Westen die Ansteckungsgefahr durch frühere Sperrstunden in den Griff bekommen wollen, während Wien, wo noch immer ein deutlich höherer Prozentsatz infiziert ist als in jedem anderen Bundesland, und Oberösterreich hingegen glauben, genau das gleiche Ziel ohne Vorverlegung der Sperrstunde durch Zettel zu erreichen, auf denen die Gäste unleserlich irgendwelche Namen schreiben und die mangels Digitalisierung mit Sicherheit nie wieder angeschaut werden. Oder: Warum aktiviert das wenig belastete Kärnten das Bundesheer, um beim Testen und "Contact-Tracing" zu helfen, während das stark belastete Wien sogar die Mithilfe der Polizei dabei abgelehnt hat (und damit krachend gescheitert ist)?
Jedenfalls rufen alle Bundesländer jetzt nach einheitlichen Bundesmaßnahmen. Das ist eine seltsame, eine auffallende Diskrepanz zu ihrem sonst üblichen Verhalten. Denn ihr an sich richtiges Argument, dass die länderweisen Unterschiede bei den meisten Corona-Maßnahmen unsinnig sind, ließe sich auch auf so gut wie alle anderen Bereiche übertragen. Dort aber pochen die Länder eifersüchtig darauf, dass sie da selber eine ganz eigenständige Verfassungskompetenz haben. Beim Baurecht, beim Jagdrecht, beim Jugendschutz etwa. Und bei den geld- und personalschweren Verwaltungskompetenzen von den Pflichtschulen bis zu den Spitälern sowieso.
Die Bundesländer glauben ganz offensichtlich, dass ihnen bei diesen Materien keine großen Schnitzer drohen, dass Bauen oder Jagen politisch keine so heiße Kartoffel, aber doch wichtig sind. Diese Rechtsbereiche sind in der Tat lange nicht so emotional besetzt wie derzeit alles rund um Corona. Mit ihnen kann man zugleich weiterhin die eigene Wichtigkeit und die Notwendigkeit einer eigenen Gesetzgebungs-Maschinerie fingieren.
Übrigens: Ein ganz ähnlicher Verantwortungsabschiebe-Kampf spielt sich auch in Deutschland mit seinen besonders starken Länderrechten ab. Er ist dort sogar noch viel heftiger. Denn dort kracht es auch zwischen den Bundesländern.
Was noch viel mehr verblüfft: Wer hätte sich jemals vorstellen können, dass der lauteste Rufer nach mehr Bundeskompetenz, nach mehr einheitlicher Regelung durch Berlin ausgerechnet der Ministerpräsident von Bayern sein wird. Betont man doch in Bayern seit Generationen, ein eigener Freistaat zu sein, der von Berlin möglichst wenig wissen will!
Übrigens: Ein ganz ähnlicher Kampf spielt sich auch auf EU-Ebene ab. Die EU-Kommission schiebt alles Unangenehme nach unten ab. Sie hat in Sachen Corona außer der (verdienstvollen) Bestellung großer Impfstoffmengen und der (fragwürdigen) Einrichtung einer zusätzlichen Corona-Ampel wenig Erkennbares gemacht – außer Corona geschickt als Vorwand zu benutzen, um erstmals selber Kredite aufnehmen und riesige Milliardensummen auf Kosten der Zukunft an die sozialistisch regierten Länder im Süden umverteilen zu können. Die EU akkumuliert dadurch von Jahr zu Jahr mehr Macht, Geld und Einfluss. Und drückt sich um Verantwortung.
Aber dort, wo die EU wirklich einheitlich auftreten müsste, weil die Nationalstaaten zu wenig Gewicht haben, ist sie sofort absent, sobald es heikel wird: So unternimmt sie vor allem keine großangelegte und geschlossene Aktion, um durch die notwendige Bündelung aller Möglichkeiten Druck auf die Herkunftsländer auszuüben, illegale Migranten zurückzunehmen. Sie ist gegenüber den massiv rechtsbrechenden Staaten in der unmittelbaren Nachbarschaft – Belarus, Russland und vor allem gegenüber der völlig außer Rand und Band geratenen Türkei – bestenfalls ein Papiertiger. Sie hat auch keine Ahnung, wie mit China umzugehen ist.
PS: Zu den wenigen konkreten Maßnahmen, die die Regierung jetzt verkündet hat, gibt es weniger zu sagen. Außer, dass es dumm ist, eine absolute Begrenzung von Zuschauerzahlen zu dekretieren (1000 innerhalb von Gebäuden und 1500 außerhalb). Das bräuchte sicher zusätzlich eine flexible Regelung für die – ohnedies nur ganz wenigen – großen Sportstadien und Kulturtempel. Denn dort kann man ja viel besser als in kleinen Häusern etwa mit einem einzigen Eingang Corona-Maßnahmen organisieren. Dort würden die Zuschauer viel weiter auseinander sitzen als vor kleineren Bühnen. Dort ist daher die Beschränkung eine dumme Schikane.
PPS: Das relativ milde Vorgehen der Regierung erweist sich aber ansonsten als parteitaktisch geschickt. Denn die Opposition hat offensichtlich keine Ansatzpunkte gefunden. SPÖ-Chefin Rendi-Wagner kennt sich einfach nicht aus, was nicht gerade für ihre Intelligenz spricht, denn die von ihr als "unklar" kritisierte 6-Personen-Regel ist rechtlich (zum Unterschied von Regelungen aus dem Frühjahr) glasklar: Sie gilt überall, nur in privaten Wohnungen nicht, wo die Regel nur als juristisch völlig unverbindliche Empfehlung anzusehen ist. FPÖ-Chef Hofer wiederum fordert als Reaktion jetzt plötzlich eine Allparteienregierung, was höflich ausgedrückt einigermaßen überraschend, aber nicht wirklich begründet ist.
PPPS: Wenn sie stimmen sollten, dann sind die Anzeichen aus dem Wiener Rathaus erfreulich: Michael Ludwig scheint den versagenden Krakeeler Peter Hacker nun doch weitestgehend entmachtet und verräumt zu haben. Freilich wahlkampfbedingt zwei Monate zu spät.
PPPPS: Weniger erfreulich ist, dass sowohl in Deutschland wie in Österreich Großhochzeiten im Migrantenmilieu eine besonders üble Rolle bei der Virusverbreitung gespielt haben, dass dies jedoch von Politik wie Mainstreammedien fast total unter den Teppich gekehrt wird.