Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Europas Sicherheit und Frieden sind in ernster Gefahr

Europa und damit auch Österreich sind von der größten Gefahr seit dem Kalten Krieg bedroht: Gleich drei große Staaten in seiner Nachbarschaft – Russland, Belarus und die Türkei – radikalisieren sich in einem Tempo, das bei wirklichen Staatsmännern eigentlich alle Alarmglocken schrillen lassen müsste. Aber solche sind höchstens noch in Paris zu finden, während sich London, wo es ebenfalls welche gibt, nicht mehr dem Kontinent zugehörig fühlt. Europa und damit auch Österreich sollten die Gefahr sogar viel ernster nehmen als zu Zeiten des Kalten Krieges. Denn damals konnten sich Europa und damit auch Österreich trotz der Hochrüstung des Ostblocks auf den amerikanischen Schutzschirm verlassen. Der ist heute jedoch wegen des isolationistischen America-First von Donald Trump eingezogen, aber auch wegen der ständigen Provokationen der USA insbesondere durch Angela Merkel und die europäische Linke. Und dieser Schutzschirm wird höchstwahrscheinlich auch unter einem Joe Biden nicht wieder aufgespannt werden.

Es würde sämtliche Grenzen dieses Tagebuchs sprengen, alle Beweise aufzuzählen, warum in den drei genannten Ländern die Lage als so gefährlich einzuschätzen ist. Das wichtigste Faktum: Die Herrscher in Moskau, Minsk und Ankara stehen alle innenpolitisch wie vor allem wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Nicht nur, aber auch wegen Corona. Sie können die internen Regimegegner nur mit immer noch größerer Brutalität niederhalten. In solchen Situationen haben Diktatoren der Geschichte schon oft ihre Flucht in der Aggression nach außen gesucht, um von Not und Wirtschaftskrise abzulenken, um das Volk hinter sich zu zwingen.

Ein wenig optimistisch stimmt, dass die Türkei und Russland eigentlich immer Feinde gewesen sind. Aber dennoch könnten in Zukunft ihre strategischen Interessen angesichts der morschen Implosion der westlichen Sicherheitspolitik zusammenfallen, sobald sie ihre kolonialistischen Machtansprüche in Syrien und Libyen geklärt und abgegrenzt haben. Etwa nach Art des für die gesamte Welt damals völlig überraschenden Molotow-Ribbentrop-Paktes. Damals hatten auch viele geglaubt, dass sich rechter und linker Totalitarismus niemals versöhnen könnten. Eine solche Versöhnung haben Berlin und Moskau 1939 jedoch zumindest für zwei Jahre geschafft, bevor sie sich dann wieder gegenseitig an die Gurgel gegangen sind.

Dass sich da zwischen Moskau und Ankara ein Tauwetter anzubahnen scheint, hat man in den letzten Wochen an einem sehr eigenartigen Nicht-Vorgang beobachten können: nämlich am Schweigen Russlands zur Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee.

Dabei war diese lange das zentrale, größte und wichtigste Heiligtum der gesamten Orthodoxie. Dabei gibt sich Russlands Machthaber Putin gerne als großer Schutzherr der Orthodoxie. Aber ganz offensichtlich war das nur ein propagandistischer Trick des einstigen KGB-Schergen im Kreml gewesen. Ganz offensichtlich war sein christliches Getue nie ernst gemeint.

  • Das enge Aneinanderrücken zwischen Minsk und Moskau;
  • die brutalen Attacken aller drei Länder gegen Exponenten einer demokratischen Opposition im Inneren, von russischen Mordversuchen über türkische Spionageaktionen bis zu den neuerlichen Massenverhaftungen in Belarus;
  • die völkerrechtswidrigen Gasbohrungen der Türkei im Kontinentalsockel von EU-Ländern;
  • die noch aggressiveren türkischen Seemanöver;
  • die regelmäßigen Versuche Erdogans, Migrantenmassen nach Westen zu treiben, um der EU noch weitere Schwierigkeiten zu bereiten; 
  • die fast völlig konsequenzenlos gebliebenen russischen und türkischen Eroberungen fremder Territorien:

Wer diese großen Schriftzeichen nicht zu lesen vermag, der hat absolut nichts aus der Geschichte gelernt.

Viel schwieriger als diese Erkenntnis ist freilich die Frage, was Europa in dieser Situation tun kann, tun soll.

Unter den notwendigen Antworten steht mit absoluter Sicherheit ein Imperativ an der Spitze: Europa und damit auch Österreich müssen die eigene Verteidigung, die militärische Dimension, die (leider) zu jedem überlebensfähigen Staatengebilde gehört, raschest wieder viel ernster nehmen. Seit Jahren spricht man zwar in der EU von einer gemeinsamen Verteidigungsstruktur, einer gemeinsamen Armee – aber nichts ist geschehen.

Vor allem unter sozialdemokratischem Einfluss hat das größte EU-Land, also Deutschland, sogar von Jahr zu Jahr seine Bundeswehr noch mehr zu einer Karnevalstruppe reduziert. Ähnliches geschieht in den meisten anderen europäischen Ländern. Lediglich Frankreich macht dabei eine Ausnahme. Dort kann man zwar viel an der Politik des Präsidenten kritisieren, aber Macron ist eindeutig ein Mann, der besser als alle anderen versteht, was sich da rund ums Mittelmeer und an den Außengrenzen Europas abspielt, und dass man das nicht nur mit Sonntagsreden beeinflussen kann.

Zugleich sollte EU-Europa endlich entdecken, dass es erstaunlich wenige Freunde in seiner Nachbarschaft hat. Die einzigen Chancen, welche zu entwickeln, werden nicht begriffen und sogar durch dümmliche Provokationen vertan: Das wären zweifellos Israel und die gemäßigten Araber von Ägypten bis Saudi-Arabien.

Gewiss ist es schmerzhaft, dass die letzteren sehr undemokratisch aufgestellt sind. Aber sie sind dennoch das einzige Bollwerk gegen die große islamistische Bedrohung, die immer stärker von der einst demokratischen und liberalen Türkei verkörpert wird. Möglicherweise - man traut es sich freilich kaum, so etwas zu denken, - sind die arabischen Länder angesichts der islamistischen Renaissance auch noch nicht reif für eine echte Demokratie.

Noch einmal sei in diesem Zusammenhang an den Zweiten Weltkrieg erinnert: Weil der Westen bei Hitlers Aufrüstung und seinen Aggressions- und Eroberungsakten viel zu lange weggeschaut hat, hat man die Nazis letztlich nur im Bündnis mit Diktator Stalin niederringen können. Und der war tausendmal widerlicher als etwa die Saudis.

Kurzer Einschub zu Österreich: Wer in diesem Land glaubt, dass neutrales Sich-Heraushalten noch irgendeine Chance darstellt, irgendeine sinnvolle Politik sein kann, der lebt am Mond. Der hat keine Ahnung, wie bedrohlich die Situation auch für Österreich ist. Die Funktion der Neutralität im Kalten Krieg hat überhaupt nur deshalb funktioniert, weil auch Österreich eindeutig unter dem Schirm der USA gestanden ist. Österreich dürfte also keinesfalls ein Bremser bei den Bemühungen um eine militärische Wiederbelebung Europas sein. So schwer diese Vorstellung angesichts des Zustands des heimischen Bundesheers auch fällt.

Europa müsste auch in seiner sonstigen Außenpolitik dringend von einem salbungsvollen Sonntagsredner zu einem Akteur werden, der als Großmacht auftritt, der ernstgenommen werden will, eben um den Frieden zu sichern. Das müsste in etwa in folgenden Schwerpunkten bestehen:

  1. Wenn die deutsche Regierung in diesen Stunden (zu Recht) deutlich ihren Zorn über neuerliche russische Giftmordversuche und eine Reihe russischer Politverbrechen auf deutschem Boden äußert, wenn Berlin die russischen Eroberungen in der Ukraine verurteilt, dann ist das keinen Augenblick glaubwürdig, solange das gleiche Deutschland mit Russland weiter eine riesige Gaspipeline quer durch die Ostsee baut. Obwohl nicht nur die USA (die aber im präpotenten Berlin niemand mehr als Freund sieht), sondern auch Staaten wie Polen vehement davor warnen.
  2. Wenn die EU wirklich ernstzunehmende Signale gegen die Brutalitäten des Diktators von Minsk aussenden will, dann ist es lächerlich, nur gegen knappe zwei Dutzend Funktionäre persönliche Sanktionen zu verhängen. Dann müsste die EU laut und deutlich über alle Richter, Beamten und vor allem Polizisten Weißrusslands persönliche Sanktionen für den Rest ihres Lebens verhängen, sofern sie nicht binnen kurzem erkennbar die Seiten wechseln. Sobald Teile der Polizei und Justiz fallen, würde auch Lukaschenko fallen. Aber nur dann. Durch Studentendemonstrationen fällt er nicht.
  3. Wenn die EU den türkischen Diktator zur Räson bringen will, dürfte kein Euro mehr an das Land am Bosporus fließen, solange aus der Türkei auch nur ein pakistanischer, afghanischer, tschetschenischer oder sonstiger Migrant nach Europa gelassen wird.
  4. Ebenso müssten alle Länder der EU mit ihrer Marine im Mittelmeer Präsenz zeigen, um die türkische Aggression zurückweisen, und jene Länder, die keine Kriegsschiffe haben, müssten den Griechen zu Lande beistehen.

Nur solche – hier schlagwortartig skizzierten – starken Maßnahmen in der Stunde der Herausforderung würden die EU endlich zu jener stabilitätsschaffenden Großmacht machen, von der sie in Sonntagsreden immer schwätzt.

Natürlich können und sollen all diese Maßnahmen auch von echter Dialogbereitschaft begleitet werden. Aber eben: begleitet und nicht ersetzt! Jedoch in den meisten EU-Metropolen denken alle immer schon und immer nur an Dialog, an Nachgeben, an Schwanzeinziehen, bevor Europa überhaupt klare Positionen bezogen und definiert hat. Diese wären aber nicht nur für Europa, sondern auch für die Menschen seiner Nachbarschaft entscheidend und wichtig. Nicht jedoch für kriegstreiberische Diktatoren.

Letztlich ist Europa nur dann zu retten, wenn es erstens begreift, dass man auch Stärke, dass man Konsequenz haben und zeigen muss, will man ernst genommen werden. Und dass man zweitens Freunde haben und pflegen muss, statt alle Welt moralistisch zu belehren, sei es über die eigene Klima- und Atompanik, sei es, wie rassistisch andere Völker doch seien.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung