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Wien darf nicht anders werden

Natürlich: Der August ist der Monat zum Seelebaumeln. Aber die Wien-Wahl steht so kurz bevor, dass man einen wenigstens zaghaft-sanften Wettbewerb der Ideen erwarten dürfte. Doch sämtliche Wahlwerber sind wohl physisch, vor allem aber auch geistig und politisch auf Urlaub. Es ist gespenstisch.

Dabei gäbe es eine interessante Ausgangsposition: Ein relativ neuer Bürgermeister, der sich in den Jahren davor als Wohnbaustadtrat nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat; eine bisher in Wien sehr starke FPÖ, die als Folge von Ibiza ohne Zugpferd dasteht und in die Bedeutungslosigkeit zu stürzen scheint; dass sie auch noch von Straches Konkurrenz-Antreten in die Bredouille gebracht wird, ohne dass dieser das große Comeback feiern wird können (wo immer er nun seinen heiß diskutierten Hauptwohnsitz hat), macht die Sache nicht gerade besser.

Schlägt also die Stunde für den Zangenangriff einer türkis-pink-grünen Dirndl-Koalition, die nach hundert Jahren dem Roten Wien ein Ende setzt?

Ganz abgesehen davon, dass diese Projektion nichts anderes ist, als ein künstlich von der SPÖ aufgeblasener Popanz, der die eigenen Wähler schrecken soll, damit sie an die Urnen gehen: Es stimmt sicher, dass wohl diesmal die nie dagewesene und sicher auch nicht so bald wiederkehrende Chance da gewesen wäre, dass sich in dieser Stadt etwas ändert.

Aber die ist jetzt schon vergeben.

Die Türkisen, mit einem niemals präsenten und völlig uninteressierten Finanzminister Blümel an der Spitze eines lethargischen Häufchens, verlassen sich samt und sonders auf die Strahlkraft ihres jungen Bundeskanzlers. Das wird schon einiges bringen – schließlich war ihr letztes Wahlergebnis so grottenschlecht, dass es nur aufwärts gehen kann.

Die Pinken, die außer großen und groben Worten kaum etwas zu bieten haben, locken nicht einmal mehr ihre eigenen Döblinger Regimenter hinter dem Ofen hervor.

Und die Grünen scharen sich hinter einer Vizebürgermeisterin Hebein, die gerade noch ihre fanatischste Kernwählerschicht begeistern kann. Da aber die Pandemie bis Anfang Oktober nicht verschwunden sein wird, können sie (anders als bei den Bundeswahlen im Vorjahr) nicht mit einem rettenden Greta-Effekt rechnen (auch wenn womöglich noch eine seltene Weberknecht-Art nach dem Frl. Tunberg benannt wird).

Man lässt den lächelnden Ludwig auf Kosten der Allgemeinheit Taxi- und Gasthaus-Gutscheine herschenken, wie früher die Gutsherren den Kindern des Dorfes zu Weihnachten ein paar Kreuzer zukommen ließen – nur haben die das wenigstens aus der eigenen Schatulle gezahlt.  Herr Ludwig greift für seine Publicity-Aktionen lieber in unser aller Tasche. Wo sind die anderen Bürgermeister-Kandidaten mit Konzepten, die zeigen, wie sie eine Welt-Stadt wirklich führen könnten und nicht nur fremdes Geld für Wähler- und Medienbestechung ausgeben wollen?

Keiner hinterfragt, warum in Wien die meisten Corona-Fälle sind – vielleicht fürchtet man die Antwort des Gesundheitsstadtrats, dessen größte Fähigkeit das Abkanzeln jedes noch so vorsichtigen Kritikers ist. Man könnte ihn auch fragen, warum nach jedem Spitals-Skandal in Wien die Spitäler umbenannt werden, statt dass man endlich etwas an ihrer Organisation ändert. Wo sind die so genannten Mit-Bewerber mit überzeugenden gesundheitspolitischen Vorstellungen für die Bürger der Bundeshauptstadt?

Man könnte den Bildungsdirektor fragen, ob es wirklich die einzige Reaktion sein kann, einen jungen Lehrer zu entlassen, weil er (leider in einer sehr ungeschickten Aktion) angeprangert hat, dass er unter 23 Schülern nur einen einzigen Nicht-Migranten hat. Wo sind die anderen Parteien, die den besorgten Wiener Eltern ihre Wege vorstellen, dass solche Zustände das Bildungssystem nicht noch weiter ruinieren?

Und – um nur noch einen absolut chaotischen Bereich zu nennen in dieser angeblich so gut verwalteten Stadt – wo, bitte, sind die Verkehrspolitiker aller Parteien? Da darf Frau Hebein Radwege und Begegnungszonen "aufpoppen" lassen, wie es ihr gefällt, damit die Stadt endlich unter noch mehr Staus und Abgasen zu leiden hat; da darf sie mit tatkräftiger Unterstützung des türkisen Bezirksvorstehers, der zwar einen großen Namen trägt, aber wenig brauchbare Ideen hat, zur Förderung der großen Einkaufszentren am Stadtrand den 1. Bezirk für den Autoverkehr sperren wollen; da wird ein Schwimmbassin mitten am Gürtel errichtet für 150.000 Euro – wohl weil die beiden angrenzenden Bezirke, die den Unsinn finanzieren, zu viel Geld haben; da herrscht auf den Straßen und vor allem den Gehsteigen Krieg: Radfahrer und Elektro-Tretroller-Fahrer dürfen vor lauter angeblichem Umweltbewusstsein alle anderen Verkehrsteilnehmer tyrannisieren und gefährden. Und wo sind die alternativen Vorschläge aus den anderen Lagern? Vielleicht sogar ein echtes Verkehrskonzept oder zumindest die Forderung nach Fahrrad-Nummernschildern und einem verpflichtenden Kurs in Straßenverkehrsregeln für alle, die sich auf Rädern im Verkehr bewegen?

So wie es aussieht, wartet man in den Wiener Parteien nur geduldig auf das Schicksal und welche Stimmanteile es einem zufallen lassen wird. Unter dem Motto: Nur nicht mit politischen Vorschlägen die mächtige SPÖ verärgern, die sich ja einen Partner aussuchen können wird – wohl den, der’s am billigsten gibt. Wien darf doch nicht anders werden.

Es ist ein demokratisches Armutszeugnis.

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