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Österreichs Corona-Bilanz: von außen hui, von innen - Naja

Österreich hat sich alles in allem während der Corona-Krise gut geschlagen. Zu diesem Urteil kommt man zumindest dann, wenn man mit anderen Ländern vergleicht. Aus innerösterreichischer Perspektive freilich, in der man viele Details in Nahaufnahme sieht, wird die exzellente Außensicht in etlichen Punkten deutlich relativiert. Das gilt noch mehr für die freilich noch in keiner Weise abschließend beurteilbare Zeit nach der unmittelbaren Krise, wo sich zunehmend die schlechte juristische Qualität der Verordnungen des Gesundheitsministers gezeigt hat.

Die internationalen Vergleiche klingen exzellent:

  1. Die Zahl der Corona-Todesopfer (genauer: der "mit" dem Virus gestorbenen Menschen, da die "durch" das Virus Getöteten ja nirgendwo erfasst sind) ist in Österreich in Relation zur Einwohnerzahl signifikant geringer gewesen als in vielen anderen Ländern, deren Statistiken seriös sind. Deutschland: um ein Drittel mehr Corona-Tote; USA: eine fünf Mal so hohe Todesrate; Italien: sieben Mal so viel; Spanien wie Großbritannien: acht Mal so viel; und "Spitzenreiter" Belgien: elf Mal so viel.
  2. Die britische Forschungsgruppe "Economist Intelligence Unit" hat 21 Länder von der Zahl der Testungen bis zur Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems verglichen. Da liegt Neuseeland an erster Stelle der Gesamtbeurteilung, aber schon die 2. Stelle teilen sich Österreich und Deutschland.
  3. Die EU-Kommission hat den für 2020 zu erwartenden Rückgang des BIP einzelner Mitgliedsländer geschätzt. Da steht Österreich trotz des eigentlich schlechten Wertes von minus 7,1 Prozent BIP-Entwicklung gegenüber dem Vorjahr im Vergleich dennoch gut da. Es liegt nämlich immer noch deutlich besser als der Schnitt der ganzen EU (minus 8,3) oder gar jener der Euro-Zone (minus 8,7). Das relativ gute Abschneiden Österreichs überrascht umso mehr, als es ja einen hohen Tourismus-Anteil hat. Dieser aber leidet eigentlich mehr als alle anderen Branchen.
  4. Selbst die deutsche Bundeskanzlerin Merkel musste zugeben: "Österreich liegt uns in jeder Hinsicht eine Woche voran."
  5. Laut der amerikanischen Nachrichtenagentur Bloomberg hat die US-Regierung genau drei Länder als "Musterstaaten" beim Umgang mit der Pandemie identifiziert: Südkorea, Singapur und Österreich.

Diese Vergleiche geben dem Pandemie-Verhalten Österreichs ein hervorragendes internationales Zeugnis.

Das sehen auch die Österreicher mehrheitlich so. Die beiden Regierungsparteien haben in allen Umfragen während der Corona-Zeit signifikant zugelegt. Dies trifft vor allem auf die ÖVP zu, die zeitweise sogar Aussichten auf eine absolute Mehrheit hatte. Aber auch den Grünen hat Corona gut getan; sie konnten sich zeitweise sogar von der vierten an die zweite Stelle vorschieben. Die Grünen sind erstmals als staatstragende Partei aufgetreten. Vor allem ihr Gesundheitsminister Rudolf Anschober ist medial gut weggekommen.

Am meisten gestärkt geht aber Bundeskanzler Sebastian Kurz aus den Krisenwochen heraus. Er hat sich als brillanter Kommunikator bestätigt. Er war nach allem, was man aus den diversen internen Sitzungen weiß, zugleich auch jener, der am stärksten auf frühzeitige konsequente Maßnahmen gedrängt hat.

Die Imagegewinne von Schwarzgrün hängen natürlich auch mit den inneren Krisen bei SPÖ und FPÖ zusammen. Beiden ist seit ihrem Hinauswurf aus der Regierung (2017 beziehungsweise 2019) noch keine Neuprofilierung gelungen. Beide haben überdies Führungsprobleme.

Die Demoskopie zeigt freilich, dass das Hoch der Regierungsparteien im Mai seinen Gipfel erreicht hat. Seit jenem Monat sinkt auch die Zahl jener Österreicher deutlich, die das Virus als "sehr bedrohlich" ansehen; und es steigt die Zahl jener, die meinen, die Gefahren seien übertrieben dargestellt worden. Aber es ist dennoch weiterhin bloß ein rundes Drittel, das Corona-Übertreibungen tadelt.

Zugleich werden sich freilich die Österreicher – wie der Rest der Welt – zunehmend bewusst, wie dramatisch die wirtschaftlichen Folgen noch sein werden. Der Konjunkturverlauf wird lange nicht die Form eines "V" annehmen.

Die Regierung hat in den Corona-Wochen mehrmals das Budgetdefizit vergrößert. Das Fehlen von 50 Milliarden Euro auf einen Schlag ist gewaltig im Verhältnis zur gesamten in Jahrzehnten angehäuften Staatsverschuldung von 290 Milliarden. Etliche Ökonomen bezweifeln daher die Regierungsaussagen, dass die Republik ohne Sparpaket auskommen kann. Allerdings stimmt es, dass Österreich im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in den beiden Jahren davor nahezu ein ausgeglichenes Budget geschafft hat. Was naturgemäß den finanziellen Spielraum erleichtert.

Auch wenn Österreich im internationalen Vergleich positiv abschneidet, darf man in einer Gesamtbilanz keinesfalls das übersehen, was missglückt ist. Und da gibt es etliches – auch wenn man all jene Probleme beiseite lässt, die überall aufgetreten sind. Wie die zu späte Reaktion im Winter, weil alle zu lange den Beschwichtigungen Chinas und der WHO geglaubt und zu wenig etwa auf Taiwan gehört haben. Wie das wochenlange Fehlen von Schutzkleidungen, Masken und Test-Möglichkeiten.

Spezifisch österreichisch sind aber die folgenden Problempunkte:

  • Die mancherorts zu laxe Reaktion auf Ausbruchsherde: Eine solche gab es im März im Skiort Ischgl, wo man die Touristenmassen trotz Bekanntwerden der ersten Fälle noch weiterfeiern ließ; und im Mai ließ man in einem Quarantäne-Quartier der Gemeinde Wien Asylanten ungehindert arbeiten gehen, was zu einem weiteren großen Cluster geführt hat.
  • Die Durchführung von "Antirassismus"-Massenkundgebungen während der Corona-Maßnahmen.
  • Die Lawine an Forderungen, die Sebastian Kurz durch sein Versprechen ausgelöst hat, alle Schäden "koste es, was es wolle" zu kompensieren. Als ob nicht die Kosten für jeden Schaden am Ende zwangsläufig irgendjemanden treffen müssen, in der Regel sind es die Steuerzahler. Das hat sogar dort Forderungen ausgelöst, wo gar kein spezifischer Corona-Schaden eingetreten ist, etwa bei Pensionen. Jetzt wird die Rückkehr zu einer verantwortungsbewussten Finanzpolitik extrem mühsam.
  • Die Entschädigungsleistungen wurden so bürokratisch und umständlich gestaltet, dass in der Wirtschaft viel Ärger und Frust entstanden ist.
  • Unter Druck der Gewerkschaft ist die Kurzarbeit für viele Arbeitgeber zu teuer geregelt worden.
  • Nicht nur Juristen beklagen, dass in den Corona-Wochen viel zu rücksichtslos mit Grundrechten und Rechtsstaat umgegangen worden ist:
    - So hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass man rechtlich keinesfalls ein Betretungsverbot für den ganzen öffentlichen Raum verhängen hätte dürfen. 
    - So hat die Regierung wochenlang zu Unrecht kommuniziert, man dürfe nur zum "Füße Vertreten" die eigene Wohnung verlassen, sowie für Dinge wie Einkäufe oder Arztbesuche. Inzwischen haben aber Gerichtsurteile klargestellt, dass man immer und zu jedem Zweck auf die Straße hinaus hätte dürfen.
  • - So hat es in einem offiziellen Regierungspapier geheißen, dass es "vorerst" keine Kontrollen der Corona-Maßnahmen in Wohnungen geben werde. Dieses Wort "vorerst" ist allgemein als Drohung mit Bruch des seit 1867 fast durchgehend als heilig geltenden Hausrechts empfunden worden.
    - So war es eine klare Bedrohung der Meinungsfreiheit, dass im Bundeskanzleramt Polizeischüler zusammengezogen worden sind, um "Fake News" zu jagen.
    - So hat Kurz etwas salopp gemeint, bei den Warnungen vor Verletzung der Grundrechte – so auch der Gewerbefreiheit, der Religionsfreiheit – ginge es nur um "juristische Spitzfindigkeiten".
    - So wurde mehrfach zynisch gesagt, dass die Maßnahmen eh auslaufen würden, bevor das Verfassungsgericht darüber urteilen kann.
    - So hat die Regierung die unter Anzeigen- und Leserverlusten leidenden Medien so üppig und so besonders rasch gefördert, dass man darin eine massive Beeinflussung der Unabhängigkeit der Medien sehen musste.

Aber trotz all dieser gravierenden Kritikpunkte bleibt die Bilanz dennoch klar: Auch wenn Regierung und Medien in den ersten Tagen sehr bewusst und sehr robust die Angst vor dem Virus geschürt haben, so war das wohl notwendig, um eine flächendeckende Einhaltung des Lockdowns durchzusetzen. Das sieht jedenfalls die große Mehrheit der Österreicher nach wie vor so.

(Dieser Beitrag ist in teilweise ähnlicher Form auch in "ROTWEISSROT - Das Magazin für Auslandsösterreicher" erschienen.)

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