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Anschober und die Erfindung der Langsamkeit

Während die Infektionen mit dem Coronavirus wieder steigen, strickt der Gesundheitsminister in unglaublicher Langsamkeit an einem Ampelsystem. Das scheint ihn beinahe vollständig auszulasten.So, wir wissen jetzt, in welchen Farben das versprochene und viel gepriesene Ampelsystem leuchten wird – wer hätte es gedacht: grün, gelb, orange und rot! Welche Überraschung. Schön wäre es natürlich zu wissen, welche Maßnahmen die Signalfarbe auslöst – aber so schnell schießt der Gesundheitsminister nicht.

Die weltweit gefürchtete zweite Welle: Sie wird wohl keinen Bogen um Österreich machen, nur weil Rudolf Anschober sagt, dass wir sie unbedingt vermeiden müssen. Ein Virus lässt sich nicht hypnotisieren. Es lässt sich – hoffentlich – durch die richtigen Maßnahmen bekämpfen.

Womit wir mitten im Thema wären: Hat Anschober die richtigen Lehren aus der Bewältigung der ersten Welle gezogen?

Nun, seinen eigenen Angaben nach hat er Vorsorge getroffen. Doch bei einem Volksschullehrer hört man natürlich mit brav gespitzten Ohren ganz genau auf den Einsatz der Worte und Zeitformen: Mehr Schutzausrüstungen "werden" angeschafft – warum nicht: wurden? Das Kontaktpersonenmanagement "soll schneller und professionalisiert werden" – und warum bitte ist es das noch nicht? Mehr Medikamente "werden" (warum nicht: wurden) angeschafft und "die Vorbereitungen für den Impfstoff laufen". Freilich weiß keiner, welchen Impfstoff es wann geben wird, welcher Pharmakonzern ihn als erster auf den Markt bringen kann – und ob die Vorbereitungen des Gesundheitsministers dann in die richtige Richtung gelaufen sind.

Nehmen wir das alles als Ankündigung, für deren Umsetzung er ja noch ein paar Wochen Zeit zu haben glaubt – bevor das Wetter uns alle wieder in die geschlossenen Räume mit der erhöhten Infektionsgefahr treibt. Hoffen wir, dass Herr Anschober sich nicht irrt.

Worüber er aber kein Wort verliert: Hat er die Lehren aus den vernichtenden Verfassungsgerichtshof-Urteilen gezogen? Hat er bessere Verordnungen für den Bedarfsfall vorbereiten lassen?

Beim ersten Mal könnte man der Regierung zugutehalten, dass da einiges schiefgelaufen ist, weil sie in einer Ausnahmesituation, die es in dieser Form noch nie gegeben hat, rasch zu handeln gezwungen war. Diese Entschuldigung aber fällt bei einer zweiten Welle weg.

Ob da der Startschuss für einen radikalen Umbau des Gesundheitsministeriums – Anschobers einziger Anfall von Multitasking – gerade jetzt erfolgen musste, darf bezweifelt werden. Immerhin wird es zwei neu aufgestellte Sektionen geben, die noch dazu am stärksten gefordert sind, in der Corona-Krise Kompetenz zu zeigen: die neue Sektion VI (Humanmedizinrecht und Gesundheitstelematik) und die ebenfalls neue Sektion VII (Gesundheitsdienst und -system). Dafür müssen aber jetzt die Chefposten erst neu ausgeschrieben und dann besetzt werden. Und da wird es wohl mindestens bis November dauern, bis man startklar ist.

So schnell, wie der grüne Minister seine Parteikollegin Madeleine Petrovic auf einen wohlbestallten Posten in seinem Reich versorgen konnte, geht es halt nicht immer. (Zumindest das Macht-ABC der Postenvergabe jenseits der Ausschreibungspflicht scheint er ausgezeichnet zu beherrschen. Er muss sich ja auch nicht fürchten, dass irgendein Mainstream-Medium jemals das böse Wort "umfärben" auf ihn anwenden könnte…)

In vielen vitalen Fragen hält uns der oberste Gesundheits-Grüne hin: Wie es in den Klassenzimmern weitergehen soll, will er erst im September entscheiden. Da werden Eltern, Lehrer und Schüler sich freuen.

Und noch gar nichts hat man gehört, wie sich Anschober vorstellt, dass mit den Hochbetagten und Pflegebedürftigen umgegangen werden soll, wenn die nächste Welle da ist. Schon jetzt wird auf Freiheitsbeschränkung geklagt, weil die Menschen in den Seniorenheimen nicht ausgehen, keine Besuche empfangen durften und manchmal auch grundlos auf ihren Zimmern isoliert wurden.

Trotz aller strikten Maßnahmen wurde aber ein Drittel aller österreichischen Corona-Toten in Pflegeheimen gezählt. Und es wird immer deutlicher, dass der Lockdown an sich dort auch tödlich war. Nicht nur sind viele Demenzkranke durch die unmenschliche und für sie unverständliche Isolation noch stärker in die Krankheit gestürzt, sie hat auch Todesfälle verursacht: England weist als "Lockdown-Nebenwirkung"(!) 10.000 Demenztote allein im April aus.

Das sollte einem Gesundheitsminister zu denken geben – auch wenn es dazu keine österreichischen Daten gibt. Da wird er sich mit seinen Experten einen anderen Umgang mit den schwächsten Alten einfallen lassen müssen. Unmenschlichkeit als Schutzschild, der auch nicht hält: Das kann es nicht sein.

Anschober sollte sich von seinen hohen Beliebtheitswerten nicht blenden lassen: Wenn er auf eine zweite Welle nicht ausreichend vorbereitet ist, dann helfen die ihm auch nicht – und uns schon gar nicht.

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