Corona-Chaos, Unfähigkeit, Anschober
27. Juli 2020 00:52
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 8:00
Als ob die Mehrfachblamage durch den Verfassungsgerichtshof nicht gereicht hätte (die Gesundheitsminister Rudolf Anschober übrigens durch Lesen dieses Tagebuchs vermeiden hätte können), wird mit den Verordnungen desselben Ministeriums gleich weiter gepfuscht. Gewiss hat sich während der Krise wochenlang die ganze Regierung hinter alle Maßnahmen des Ministers gestellt. Aber es waren und sind immer nur Verordnungen Anschobers, die er rechtlich auch alleine treffen hätte können.
Ebenso gewiss ist, dass der Beamtenstab im Gesundheitsministerium höflich ausgedrückt suboptimal ist, woran die regenbogenbunten blau-rot-schwarzen Vorgänger durch ihre Personalbesetzungen Mitschuld tragen. Aber es ist immer Anschobers Unterschrift, die unter allen Verordnungen steht. Es ist das von ihm zusammengesetzte Kabinett, welches das Ministerium in seinem Auftrag de facto führt.
Und spätestens seit der Ostererlass-Groteske (wo ein Entwurf des Gesundheitsministeriums etwas erlauben wollte, was gar nicht verboten war) wäre es Anschobers Pflicht und Schuldigkeit gewesen, sich insbesondere juristisch Knowhow zuzukaufen (im Sinne des Steuerzahlers wäre es natürlich gut gewesen, dabei gleichzeitig einige hochbezahlte Beamte zu verabschieden, was aber leider rechtlich nicht geht). Und zumindest nachträglich – wenn wirklich Zeitdruck bestehen sollte – eine Begutachtung vorzunehmen.
Eine bunte Auswahl der Patzereien Anschobers:
- Seit langem wird öffentlich eine regionale Ampelregelung der diversen Corona-Maßnahmen angekündigt – bis heute ist jedoch völlig unklar, was das wann genau sein soll. Das ist alles andere als vertrauenerweckend.
- Statt den x-mal angekündigten Weg einer maßgeschneiderten Regionalisierung zu wählen, wurden erst vorige Woche vom Gesundheitsminister wiederum nur gesamtösterreichische Maßnahmen verhängt – obwohl die Fälle lediglich in den drei Bundesländern Wien, Oberösterreich und Niederösterreich relevant zugenommen haben. Und obwohl es in etlichen anderen Ländern fast keine neuen Fälle gibt.
- In der diesbezüglichen Verordnung des Gesundheitsministers heißt es, "beim Betreten des Kundenbereichs in geschlossenen Räumen" sei "zusätzlich" ein Mund- und Nasenschutz zu tragen. Das ist sprachlich und damit auch juristisch gleich doppelt unklar! Denn erstens: Was heißt "zusätzlich"? Es steht nirgendwo etwas, was sonst noch zu tragen sei! Und zweitens: "Beim Betreten" heißt sprachlich ganz eindeutig: nur beim Hineinkommen! Und nicht auch beim "beim Verweilen" oder "beim sich aufhalten". Nachher darf man den Schutz eigentlich wieder abnehmen, wenn man die Verordnung wörtlich nimmt. Wenn anderes gemeint sein sollte, hätte man das ja auch sagen können. Und müssen.
- Wer die deutsche Sprache nicht präzise beherrscht, sondern sinnlos Phrasen emittiert, kann weder ein guter Jurist noch ein guter Politiker sein. Denn diese Verordnung ist gleich aus zwei Gründen rechtswidrig. Erstens, weil sprachlich unsinnige Regeln (siehe "zusätzlich") keinen Bürger binden können. Und zweitens, weil freiheitseinschränkende Regeln nach ständiger VfGH-Judikatur immer nur in jener Bedeutung interpretiert und angewandt werden dürfen, die die geringste Einschränkung der Freiheit bedeuten (siehe "Betreten").
- Die einzige erkennbare rote Linie bei Anschobers Maßnahmen ist, dass Wien, wo seit Wochen die besorgniserregendste Entwicklung stattfindet, nur ja nicht negativ erwähnt werden soll. Sitzen doch seine Grünen mit in der Wiener Landesregierung und finden doch in wenigen Wochen in Wien Landtagswahlen statt. Stattdessen erregt er sich (Hand in Hand mit den Genossen vom ORF) öffentlich nur über den oberösterreichischen Cluster in St. Wolfgang; der sei "eine besondere Herausforderung". Dem Tourismus kann man ja als Grüner schaden, was natürlich durch diese Heraushebung massiv geschieht, dem rotgrünen Wien nicht. Obwohl hier die Infektionszahlen viel größer sind.
- Aus eindeutig parteipolitischen Gründen war Anschober auch nicht bereit, irgendetwas zum weitaus ärgsten politischen Corona-Skandal zu sagen, als die Gemeinde Wien Asylanten aus einem Quarantäne-Quartier täglich unkontrolliert arbeiten gehen hat lassen.
- Anschober äußerte sich auch nicht dazu, dass Wien als einziges Bundesland nicht die Polizei (die zwar dem Bund untersteht, aber auch Landesaufträge zu erfüllen hat) zur Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten herangezogen hat, sondern Rathausbeamte einsetzt – die sich offensichtlich als überfordert erwiesen haben.
- Besonders chaotisch – und die Republik ganz bewusst an die Grenze der Lächerlichkeit führend – ist die soeben in Kraft tretende Verordnung in Hinblick auf Einreisende aus der Türkei, Serbien, Rumänien und Bosnien. Sie alle sollen sich nach der Einreise binnen 48 Stunden einem Corona-Test unterziehen und auf jeden Fall zehn Tage in selbstüberwachte Heimquarantäne begeben. Wie soll das gehen, Herr Minister? Wie soll das kontrolliert werden, da allein aus diesen vier Ländern Hunderttausende in Österreich lebende Menschen stammen, da auch heuer ein großer Teil von ihnen mit Gewissheit Urlaub in der alten Heimat macht, und da die Grenzen Richtung Balkan weiterhin offen sind? Glaubt der oberösterreichische Volksschullehrer wirklich, dass sich all diese Menschen daran halten werden? Will er jetzt Zehntausende Polizisten in Marsch setzen? Oder ist da grob fahrlässig von vornherein totes Recht geschaffen worden? Ist Anschober bewusst, dass so etwas gerade diese Menschengruppe motivieren wird, österreichische Gesetze noch weniger als bisher ernst zu nehmen?
- Unabhängig davon hat das Gesundheitsministerium noch in den letzten Stunden sich selbst in Hinblick auf diese Regelung ständig widersprochen: Einmal wurde die Quarantäne als frei wählbare Alternative zur Testung genannt. Dann hieß es wieder: Der Test müsste in jedem Fall nachgeholt werden.
- Erklärungsbedürftig ist aber auch, warum "Lebenspartner" und Teilnehmer an Hochzeiten von den genannten Beschränkungen nicht getroffen sind? Woher weiß Anschober, dass gerade bei denen keine Virusgefahr besteht? Glaubt er, dass die Teilnehmer an den in dieser Jahreszeit zahlreichen türkischen oder serbischen Hochzeiten sich wirklich zehn Tage vor der Hochzeit freiwillig und unkontrolliert in Quarantäne begeben werden?
- Noch absurder ist die Ausnahme für Saisonarbeiter, die von diesen Corona-Maßnahmen verschont bleiben. Gibt es irgendeinen Grund (außer dem Jammern der Landwirtschaft) für deren Privilegierung? Ist doch erst vor wenigen Stunden der größte Corona-Cluster Europas seit langem unter Gemüse-Erntehelfern in Bayern entdeckt worden! Dort hat man binnen Stunden mehr Infizierte entdeckt, als es in ganz Österreich an irgendeinem Tag der letzten drei Monate Neuinfizierte gegeben hat.
- Glaubt Anschober ernsthaft, dass diese neuerlichen Chaos-Verordnungen einer Prüfung durch das Verfassungsgericht besser standhalten werden?
- Anschober ist zwar eindeutig rechtlich der einzige Schuldige an den jetzt schon vom VfGH gehobenen Verordnungen, schaut aber tatenlos den gegenseitigen Schuldvorwürfen zwischen Polizei und den Gesundheitslandes-(Stadt-)Räten der Bundesländer zu, wer verantwortlich für die zahllosen Strafbescheide und Organmandate sei, die die Polizei wegen Verstoßes gegen diese Verordnungen des Gesundheitsministers ausgestellt hat. Schwarzes Innenministerium und rotgrüne Gemeinde Wien schieben sich perverserweise lieber gegenseitig die Verantwortung zu, statt den einzigen Schuldigen zu nennen. Aus irgendwie symmetrischen Ursachen: Der Innenminister hält sich in koalitionärer Solidarität mit jeder Kritik an seinem Ministerkollegen zurück, die Genossen im Rathaus hingegen üben parteipolitische Solidarität mit dem grünen Minister.
- Geradezu grenzintelligent sind die zwei Aussagen Anschobers als Reaktion auf den Gerichtshof: Erstens: Es gebe keinen Grund, die Strafen in Frage zu stellen; zweitens: Nicht die Strafen seien wichtig, sondern das Bewusstsein in der Bevölkerung. Mit solchem wirren Herumgerede kann er vielleicht vor einer Volksschulklasse agieren, aber nicht in einem Rechtsstaat. Merkt der Minister nicht den eklatanten Widerspruch zwischen den beiden Sätzen? Irgendwie liegt der zweite Satz auf dem Niveau der grünen Schulpolitik: Noten abschaffen, aber dafür verbal ans Bewusstsein der Schüler zu appellieren. Außerdem: Anschober selber war der Mann, der die Strafen eingeführt hat. Die er zwar nicht abschaffen will, die aber jetzt plötzlich für ihn nicht wichtig sind.
Das Corona-Chaos pur erstreckt sich freilich auch auf andere Akteure:
- So ist völlig unverständlich, warum sich die Volksanwaltschaft bei zu Unrecht, aber rechtskräftig gezahlten Corona-Strafbescheiden einmischt: Nur um sich wichtig zu machen, damit sie auch wieder einmal in die Zeitung kommt? Oder kann jeder Österreicher künftig verlangen, von der Volksanwaltschaft vertreten zu werden, wenn er meint, dass er eine Strafe – etwa für ein Verkehrsdelikt – eigentlich zu Unrecht bezahlt hat, es aber rechtlich keine Möglichkeiten mehr gibt, das Geld zurückzubekommen? Dann haben wir als nächstes im Herbst vor allem einmal die Forderung der Volksanwaltschaft nach hundert zusätzlichen Beamten auf dem Tisch.
- Eine besondere Infamie der Mainstream-Presse war während der letzten Wochen deren automatische Reaktion auf die Hinweise des Innenministers, dass Wien bei den Corona-Maßnahmen nachhinkt: Ohne diese – eindeutig berechtigten – Vorwürfe auch nur eine Sekunde lang nachzuprüfen, wurde überall in Übernahme der SPÖ-Diktion nur gestänkert, Nehammer führe halt Wahlkampf. Dabei war die Politik Wiens zehnmal mehr Wahlkampf, niemanden in die Wiener Schlampereien (siehe Asylanten-Quarantäne-Quartier) hineinschauen zu lassen. (Freilich ist auch Nehammer im Corona-Zusammenhang oft genug tadelnswert gewesen – aber das war er wegen seiner anfänglichen verbalen Kraftmeierei und Scharfmacherei gegen angebliche "Lebensgefährder").
- Bedenklich ist auch ein Richter, der zwar eine Frau wegen Nichteinhaltung der Quarantäne-Pflicht – obwohl sie nachträglich infiziert gewesen ist – zu einer Geldstrafe verurteilt hat, der aber im Prozess verbal primär eine Zeugin als Denunziantin attackiert hat, weil sie die Quarantäne-Brecherin angezeigt hat. Das ist mit Verlaub die ganz persönliche Meinung des Richters, die in einem Prozess nichts zu suchen haben sollte. Oder soll man künftig auch Diebstähle nicht mehr melden, nur damit man in den Augen mancher Richter kein Querulant ist? Und: Warum schweigt die Justizministerin eigentlich immer zu solchen Problemfällen?
PS: Nur zur Klarstellung: Auch ich habe Denunzianten scharf kritisiert, aber immer dafür, dass sie wegen lächerlicher Obrigkeits-Schikanen aktiv geworden sind. Etwa weil zwei Menschen auf einer Parkbank zu nahe nebeneinandersitzen; oder weil jemand eines der von der Staatsmacht neuerdings so gerne verfolgten Meinungsdelikte begangen hat. Der Strafrechtsparagraph gegen sich nicht an die behördlichen Auflagen haltende Infizierte ist hingegen ein durchaus sinnvoller (wörtlich: "Wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört").
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