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Wir Marionetten und die Marionettenspieler

Es sind gewiss Lächerlichkeiten, die in den letzten Tagen Österreich erregt haben. Wenn der Bundespräsident weit über die Sperrstunde hinaus bei einem teuren Innenstadtitaliener feiert (das einem prominenzaffinen Albaner gehört), dann fällt das in die Kategorie jener Dinge, die wohl jeder von uns schon ein paarmal gemacht hat. Wenn auch in eher billigeren Lokalen. In die gleiche Kategorie gehören auch andere Aufregungen der letzten Tage, in deren Zentrum weitere Spitzenpolitiker gestanden sind. Aber zugleich bringen diese Vorfälle gleich mehrere ganz fundamentale Lehren und Erkenntnisse, derer wir alle, aber ganz besonders die politische Macht sich viel stärker bewusst werden sollte.

Die Erkenntnisse bestehen nicht darin, dass Herr Van der Bellen wegen dieses Gasthausbesuches ein besonders schlechter Mensch wäre. Oder Sebastian Kurz, weil sich vor ein paar Tagen im Kleinen Walsertal die Menschen an ihn herangedrängt haben. Oder Werner Kogler, weil er die Maske nicht überall getragen haben soll, wo das vorgeschrieben ist.

Dennoch ist es sehr wichtig, dass sie dabei erwischt werden. Denn das zeigt hoffentlich auch ihnen selbst, wie unerträglich heuchlerisch die täglichen Predigten gerade dieser drei Genannten selbst während der letzten zehn Wochen gewesen sind, wie maßlos überzogen Formulierungen wie "Lebensgefährder" für jene gewesen sind, die irgendeine Kleinregelung nicht eingehalten haben. Hätten sie sich nicht selbst so maßlos wie ein Gott überinszeniert, der täglich neue Gebote für die Menschlein da unten auf der Erde verkündet, dann wäre nicht jetzt der Ruf "Heuchler!" so laut geworden.

Die Überfülle an Verordnungen, Regulierungen, Richtlinien, Gesetzen, Bescheiden und Erlässen hat nicht erst zu Corona-Zeiten mit Zehntausenden Bestimmungen unser Leben zunehmend unerträglich gemacht. Daher löst Van der Bellens Gasthausbesuch die Hoffnung aus, dass sein Schock und der der anderen Spitzenpolitiker über die laute Reaktion der Öffentlichkeit zur Folge hat, dass diese Gesetzes-Überfülle reduziert wird, statt ständig zu wachsen. Das wäre dann ein geradezu historischer Segen.

Jedoch: Die Hoffnung ist klein. Die ganze Mainstreampresse, aber auch eine (wenn auch rasch schrumpfende) Mehrheit der Österreicher bejubelt ja den Gesundheitsminister, weil er mit einer Fülle von – juristisch noch dazu extrem fehlerhaften – Verordnungen Österreich in einen Polizeistaat verwandelt hat. Aber auch viele andere, insbesondere die Gemeinde Wien, weiten ihren Regulierungsterror ununterbrochen noch mehr aus. In einem Großteil der Stadt wird man inzwischen schon drakonisch bestraft, weil man mit 45 statt 30 Stundenkilometern unterwegs ist.

Die Grünen sind zweifellos Weltmeister an sadistischer Regulierungslust. Lustgefühle scheint es aber offensichtlich auch anderen zu bereiten, wenn man die Menschen immer mehr in Marionetten verwandeln kann, die an zahllosen Fäden hängen, welche man nach Belieben ziehen kann. Die Politik sollte halt nur aufpassen, dass die Marionetten nicht mitkriegen, dass die Marionettenspieler selbst nicht durch Fäden fremdgesteuert sind.

Das Tragische: Es gibt keine einzige Partei, die wirklich ein glaubhafter Kämpfer für weniger Regulierung wäre. ÖVP, FPÖ und Neos reden zwar gern von Deregulierung. Aber mehr auch nicht. Ihre liberalen Flügel sind nicht flugfähig. Und die Linksparteien nennen sich zwar neuerdings "liberal" (obwohl das ein paar Jahre davor für sie eigentlich noch ein Schimpfwort war), sind aber noch viel weiter von jeder Liberalität entfernt als die anderen drei Parteien.

Die Herren Kurz und Faßmann haben in den letzten Tagen zwar immerhin erfreuliche Vokabel in die richtige Richtung verwendet: mehr "Eigenverantwortung", mehr "gesunder Menschenverstand". Nur getan haben sie in diese Richtung nichts. Sie haben zu keiner einzigen der schikanösen Verordnung des Gesundheitsministers zu sagen gewagt: "Der oberösterreichische Volksschullehrer soll aus seinen Verordnungen Papierflieger machen, aber die Österreicher damit endlich in Ruhe lassen."

Ganz im Gegenteil: Bei keiner einzigen Regelung hat die ÖVP den Eindruck erweckt, dass sie da nicht auch selbst voll Begeisterung dahinterstünde, dass sie nur aus Koalitionsräson dazu schweigen würde. Dass sie wenigstens jetzt Zweifel bekäme, ob die Radikalmaßnahmen des März wirklich richtig gewesen sind.

Dabei ertönte gerade in den letzten Stunden wieder eine mehr als qualifizierte Stimme eines Nobelpreisträgers, der mit recht überzeugenden Argumenten den fast globalen Lockdown als Unsinn zu entlarven versucht (etwa hier gut nachzulesen – die österreichischen Medien sind in ihrer finanziellen Not allerdings bis auf Servus-TV viel zu regierungsabhängig geworden, um die Aussagen solche Persönlichkeiten zu veröffentlichen). Für ihn spricht vor allem seine Beobachtung, dass die Epidemie eigentlich in allen Ländern einen ähnlichen Verlauf genommen hat, dass nirgendwo die Zahl der dem Corona-Virus zugeschriebenen Toten die Promille-Dimension überstiegen hat.

Die bedenklichen Antworten der Regierung auf die Infektion werden von immer mehr Bürgern immer weniger akzeptiert. Freilich können Demonstrationen nicht die Antwort sein. Lautstärke ist nie ein Argument. Eine gute Antwort könnte nur eine faire direkte Demokratie sein, wo nicht eine marketingmäßige Inszenierung, sondern die Menschen selbst entscheiden, welche kollektiven Risken und Regeln eine Gesellschaft einzugehen bereit ist. Wo die Bürger vor allem beide Seiten hören dürfen und nicht nur die eine von der Regierung gewollte.

Aber da die politmediale Klasse bis auf ein paar rhetorische Luftballons null Bereitschaft zeigt, den Bürgern wirklich mehr Freiheit zu lassen, oder gar mehr Mitsprache, wird es ihr nicht erspart bleiben, auch künftig bei jeder noch so klein scheinenden Übertretung der selbst dekretierten Regeln öffentlich vorgeführt zu werden.

Ich selbst muss neuerdings, wenn ich wieder solche Berichte über einen verboten zechenden Bundespräsidenten höre, künftig immer zornig an meinen achtjährigen Enkel denken, der sich auf die Rückkehr in die Schule so gefreut hat, und der jetzt tieftraurig ist, weil er mit seinem Klassenfreund in der Schule nicht einmal mehr Lego spielen darf. Auch er ist Opfer des Gesundheitsministeriums, das ständig voll Begeisterung Papiere produziert, die Legospielen genauso verbieten wie ein nächtliches Glas Wein. Der kleine Unterschied: Er hat nie den Gesundheitsminister bejubelt.

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