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Von Tag zu Tag sinkt weltweit die Zahl jener, die überzeugt sind, der (beinahe) globale Lockdown wäre absolut richtig und notwendig gewesen. Und täglich steigt die Zahl jener, die sich fragen: Wie konnte das alles trotz der vermeintlich eisernen Absicherung des demokratischen Rechtsstaats gegen totalitären Zugriff passieren? Trotz der tausenden Schwüre und Aktionen im Zeichen eines "Nie wieder" in vielen Ländern, ganz besonders in den deutschsprachigen? Trotz der großen Zahl von Ärzten, Wirtschaftsexperten und Rechtsgelehrten, die den Anfang März zwar möglicherweise gerechtfertigten, aber inzwischen längst durch viel mildere Mittel ersetzbaren Lockdown insbesondere wegen seiner verheerenden Nebenwirkungen verurteilen – die längst zu Hauptwirkungen geworden sind? Diese Fragen führen zu einigen ganz erstaunlichen Antworten.
Diese Antworten hängen mit absoluter Sicherheit nicht mit jenen abstrusen und jetzt überall kursierenden Verschwörungstheorien zusammen, die sich irgendwer aus dem Finger gesogen hat – teils aus böser Absicht, teils aus Dummheit, teils aus dem total verständlichen und positiven Drang des Menschen heraus, die Zusammenhänge hinter der größten globalen Umwälzung seit 1989, wenn nicht gar seit 1945 zu finden.
Es gibt mit absoluter Sicherheit nicht den einen großen Bösewicht, der hinter all dem Unheil dieses Jahres steht. Menschen, die glauben, dass die Funktechnologie 5G oder der Microsoft-Gründer Bill Gates oder der Neoliberalismus (was auch immer das genau sein soll) oder irgendeine Religionsgruppe oder Ähnliches der große Regisseur der Katastrophe von 2020 seien, sollten primär den eigenen Geisteszustand überprüfen lassen. Keiner der genannten Faktoren hat auch nur im Geringsten etwas mit der Corona-Katastrophe zu tun, weder mit der Epidemie noch mit den Panik-Reaktionen.
Es gibt jedoch eine lange Liste all jener Akteure, die durch große oder kleinere Fahrlässigkeiten und Irrtümer im Zusammenwirken Schuld auf sich geladen haben. Dabei steht ganz zweifellos China an der Spitze, das wochenlang den Ausbruch der Seuche vertuschen wollte und sich dadurch erst richtig schuldig an der globalen Ausbreitung machte. China zeigte das klassische Verhalten einer totalitären Diktatur, die nicht zugeben will, dass "der Partei" und dem in einem globalen Propaganda-Feldzug befindlichen Land gravierende Fehler passiert sind. Was die Fehler erst so richtig folgenschwer gemacht hat.
Aber dennoch steht außer Frage: China hat mit absoluter Sicherheit die Seuche nicht absichtlich inszeniert oder gewollt, was da passiert ist.
Auch die Liste der weiteren Verantwortlichen für – aus heutiger Sicht – erkennbare Fehler und Fehleinschätzungen ist lang. Sie reicht von der Weltgesundheitsorganisation über den Gesundheitsminister bis zum Betreiber einer Bar in Ischgl. Auch jeder der jetzt ständig durch Fernsehinterviews und Krisenstäbe tingelnden Experten hat immer wieder Dinge gesagt, die sich einige Tage oder Wochen später als falsch herausgestellt haben. Dennoch sei ihnen allen zugebilligt, dass man im Nachhinein immer gescheiter ist, speziell angesichts einer solchen Herausforderung.
Der schlimmste dieser Fehler war jedoch, blind einem Experten oder einer herrschend gewordenen Lehre geglaubt und nicht ständig die kritische Diskussion erlaubt, ja geradezu gefördert zu haben. Dabei sind die klassischen Naturwissenschaften genau wegen dieses Prinzips der ständigen Überprüfungsmöglichkeit jeder Aussage in den letzten Jahrhunderten so erfolgreich geworden, während Aussagen, die nicht überprüfbar sind, auch keine Wissenschaft sind. Hingegen hat die Wissenschaft in der Geschichte immer wieder katastrophale Fehler begangen, wenn sie – meist mit Hilfe der politischen Macht – kritische Gelehrte zum Schweigen gebracht hat, weil diese der jeweils herrschenden Lehre widersprechen.
Das gelang am Beginn der Neuzeit der herrschenden Wissenschaft mit Hilfe des Scheiterhaufens und der päpstlichen Autorität. Dagegen anzukämpfen sowie zu rufen "Und sie bewegt sich doch" hatte großen Mutes bedurft. Das geschieht aber auch derzeit auf frappierend ähnliche Art mit fast totalitärer Unterdrückung angeblich "falscher" Aussagen, angeblicher "Fake News" durch die Wahrheitspolizei der Mächtigen, durch Google, Twitter oder Facebook, durch von der politischen Macht instrumentalisierte Mainstream-Medien, die alle unterwegs sind, "falsche" Meinungen, andersdenkende Wissenschaftler möglichst mundtot zu machen. Selbst die von einem gestandenen Sozialisten geleitete Ärztekammer macht da munter mit.
So schlimm das ist, so erfreulich ist zugleich, dass die politmediale Elite dabei nicht wirklich erfolgreich ist. Es gelingt ihr weniger denn je, die so wichtigen andersdenkenden Wissenschaftler zum Verstummen zu bringen. Vielleicht auch deshalb, weil diese heute nur Verächtlichmachung oder Totschweigeversuche durch den Mainstream riskieren, aber nicht mehr den Scheiterhaufen. Insbesondere über das Internet, aber auch über einzelne mutige Fernsehsender und Zeitungen haben sie auch ohne Twitter, Facebook und Youtube immer mehr Möglichkeiten, kritische Fakten einzubringen.
Dieses Plädoyer für anders denkende Wissenschaftler heißt nun nicht, dass diese Kritiker immer im Recht wären. Genausowenig aber wie die Annahme absurd ist, dass die staatsoffiziellen Wissenschaftler Drosten & Co automatisch im Recht wären.
Es wäre daher ganz zentral, dass Meinungsverschiedenheiten offen und sauber ausgetragen werden, vor allem dann, wenn deren Ergebnis uns alle angehen; dass niemand wissenschaftliche Diskussionen für beendet erklären darf, sie sind vielmehr bei jedem neuen Argument neu aufzunehmen; dass es keine Verbote geben darf, sich öffentlich und gleichberechtigt zu Wort zu melden; dass niemand im Gesundheits- oder Innenministerium auch nur eine Sekunde einen Wahrheitsanspruch erheben kann; dass niemals ein Bundeskanzler eine medizinische Aussage als Dummheit bezeichnen darf.
Wir wollen eigentlich alle nur in so einer Gesellschaft leben, wo diese Regeln gelten. Auch unsere Verfassungen und Menschenrechtskataloge haben eine solche Gesellschaft konzipiert. Aber dennoch war niemand in den letzten zwei Monaten imstande, diese Konzeption zu schützen.
Viele Menschen, die Unbehagen ob dieser Degeneration der wissenschaftlichen Debatte, ob des Allmachtsanspruchs einer einzigen Disziplin wider viele andere Ärzte und Wissenschaftler, ob der katastrophalen Schäden an Rechtsstaat und Wirtschaft spüren, wagen freilich noch nicht ganz, ihrem Unbehagen Recht zu geben. Und zwar aus einer einfachen Überlegung heraus: "Können wirklich alle Regierungen dieser Welt gleichzeitig Unrecht haben, die ja alle auf den totalen Lockdown gesetzt und nicht auf die Kritiker des Lockdown-Konzepts gehört haben?"
Die Antwort: Ja, das können sie! Selbst wenn alle etwas sagen, glauben oder tun, muss es noch nicht automatisch richtig sein.
Das beweist etwa die Entwicklung der Astronomie im letzten halben Jahrtausend, in der sich das geozentrische Weltbild (fast) aller Wissenschaftler erst langsam zu einem heute durch unzählige Experimente, Beobachtungen und Weltraumreisen halbwegs gesicherten (Teil-)Wissen über die Vorgänge da oben gewandelt hat: Diese stellen das hundertprozentige Gegenteil der einst herrschenden Lehre dar. Das beweist auch der Rückblick auf den Ersten Weltkrieg: Damals haben auch alle Regierungen geglaubt, absolut richtig zu handeln, als sie ihre Völker ohne echte Not in den verheerendsten Krieg der jüngeren Weltgeschichte geschickt haben, der ja gleich auch den Zweiten Weltkrieg mitausgelöst hat.
Die geistigen und ideologischen Ursachen der damaligen Fehlentwicklungen sind inzwischen von vielen Historikern recht detailliert aufgedröselt worden.
Das hat uns aber offenbar nicht immun dagegen gemacht, ein Jahrhundert später einen neuen Zug der Lemminge zu beginnen.
Aber, so kann man nun zu Recht einwenden: Heute will doch – fast – kein Staat mehr fremdes Territorium erobern (wie damals etwa Italien, Frankreich oder Japan), seine Jagd auf Mörder in fremden Ländern durchsetzen (wie etwa Österreich-Ungarn), einen sinnlosen und schon verlorenen Krieg mit Millionenopfern fortsetzen (wie etwa das Deutsche Reich) oder sich in panslawistischen Machtphantasien selbst vernichten (wie etwa das zaristische Russland).
Das stimmt schon zum Teil. Jedoch: Das Unheil für die Menschheit kommt nie in der gleichen Gestalt. Daher ist es so lächerlich, dass heute zwar von den Eiernockerln bis zu den Ziffern 1 und 8 alle möglichen unwichtigen Randdetails des nationalsozialistischen Verbrecherstaates gejagt werden, aber die wirkliche Gefahr nicht gesehen wird. Und die besteht einerseits in der offenbar noch immer so leicht möglichen Ausschaltung des Rechtssystems und andererseits in dem in Wahrheit nie ausrottbaren Streben, Macht im Eigeninteresse der Akteure zu missbrauchen.
Das heißt nicht, dass jetzt schon eine neue Diktatur voll ausgebrochen wäre. Aber das heißt sehr wohl, dass die Sorge groß ist, weil wir zu wenig Schutzmauern gegen Machtmissbrauch, gegen die Vorherrschaft des Eigeninteresses haben. Dieses Defizit sollte eigentlich die wichtigste Lehre der letzten Wochen sein.
Was wären nun die besten Schutzmauern?
Gewiss glauben viele Menschen den politischen Argumenten, dass die Rettung von Menschenleben vor dem Virus wichtiger wäre als alles andere, als Gesetze, Grundrechte und demokratische Mehrheiten.
Aber wäre die Lebensrettung wirklich so absolut zu setzen, dann dürfte zum Beispiel:
Und so weiter. Schon diese Beispiele zeigen, dass unsere Gesellschaften bei anderen zu vielfachem Tod führenden Dingen keineswegs so radikal sind wie beim Kampf gegen Corona. In Sachen Erwärmung wird von einer lautstarken Gruppe sogar für das Gegenteil gekämpft.
Das Corona-Virus wird auch 2020 bei weitem nicht die häufigste Todesursache gewesen sein, auch wenn es bei einer kleinen Zahl der Erkrankten zum Tod führt (bei einer größeren zu schlimmen Krankheitswochen, bei der großen Mehrheit aber zu recht harmlosen bis gar nicht bemerkbaren Phänomenen). Bei viel mehr Menschen werden – auch heuer – als Todesursache Krebs, Herz/Kreislauf-Krankheiten, Unfälle und vieles andere auf dem Totenschein stehen. Von den dominierenden Todesursachen der Dritten Welt von Malaria bis zur Gewalt gar nicht zu reden – oder dem neuerdings außer Mode gekommenen Aids.
Wenn wir aber ausgerechnet bei der jetzigen Corona-Epidemie plötzlich einen so totalitären Durchgriff erleben, dann spielen da ganz offensichtlich auch andere Interessen eine entscheidende Rolle als nur das Vermeiden von Leiden und Tod für einige Mitmenschen.
Das dominanteste dieser Interessen ist ganz eindeutig das Eigeninteresse. Viele Gruppen haben in den letzten Wochen entdeckt, wie intensiv eine Seuche für das Eigeninteresse eingesetzt werden kann:
Jetzt endlich haben sie alle es geschafft, die Mehrheit der Bürger für eine Ausdehnung der eigenen Ambitionen und Eigeninteressen zu gewinnen. Das ist für all diese Gruppen wie Weihnachten und Silvester und ein Totozwölfer am gleichen Tag. Und niemand soll glauben, dass die um Virologen erweiterte politmediale Machtelite jetzt, da sich zunehmend alles als übertrieben herausstellt, daran denkt, den Bürgern alles an Macht und Freiheit zurückzugeben, was eigentlich des Bürgers sein sollte.
Man wird doch eine so schöne Krise nicht ungenutzt verstreichen lassen …