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Gerade wenn man am schönsten unterwegs ist, passiert oft der völlige unerwartete Fehltritt – egal ob man daran schuldlos ist oder mitschuldig, weil man in der Erfolgseuphorie die nötige Achtsamkeit vergessen hat. Das erlebt jetzt Sebastian Kurz. Dieses politische Gesetz haben aber auch viele andere Politiker (genauso wie gewöhnliche Menschen) kennenlernen müssen, Pamela Rendi-Wagner ebenso wie Donald Trump, H.C. Strache, Friedrich Merz oder Matteo Salvini. Und ganz zuletzt auch der Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn. Im Fall des Bundeskanzlers und ÖVP-Chefs gilt übrigens auch noch ein anderer Spruch: Bilder wirken mehr als tausend Worte.
Die Bilder über Kurz, die von seinen professionellen Gegnern mit erwartbarer Inbrunst über alle Internetkanäle verteilt werden, zeigen eine dichte Menge von rund 50 Menschen, die sich beim ersten öffentlichen Auftritt des Bundeskanzlers nach zehn Corona-Wochen – bei einem Besuch im Kleinen Walsertal – um ihn drängen, und die er mit einem Mikrophon in der Hand anspricht.
Diese Bilder sind verheerend für Kurz. Sie werden auch mit Sicherheit zu einem Rückgang seiner zuletzt auf astronomischen Höhen befindlichen Beliebtheitswerte führen. Denn sie senden ganz klar die Botschaft aus: Von uns verlangt die Bundesregierung den Verzicht auf sehr viel, ein Grundrecht nach dem anderen ist kastriert worden, noch immer darf man nicht einmal Fußballspiele in freier Luft besuchen, Schulklassen werden zumindest noch bis Sommer artifiziell geteilt (sofern überhaupt wieder Unterricht stattfindet); Sebastian Kurz hingegen badet fröhlich in der Menge.
Dieser Eindruck ist für Kurz ganz schlimm. Er kostet ihn etliches vom wichtigsten Kapital, das ein Politiker überhaupt haben kann, und von dem er selbst ja zuletzt besonders viel hatte: Das sind Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Überzeugungskraft.
Daran ändern auch die vielen Aspekte nichts, die die Botschaft dieser kurzen Filmsequenzen relativieren, und ebensowenig die Tatsache, dass die über soziale Medien verbreitete Darstellung der Kurz-Gegner (mit einer Vorarlberger Tageszeitung an der Spitze) ziemlich manipulativ ist. Denn:
Alle diese Gegenargumente können die für Kurz verheerende Wirkung nicht wirklich reduzieren. Zu deutlich haben wir alle die unglaublichen Formulierungen des Innenministers im Ohr, dass jeder ein "Lebensgefährder" sei, der anderen Menschen näher als einen Meter kommt. Zu oft haben wir Polizisten martialisch provozierend aufmarschieren gesehen, die Bürger wegen lächerlicher "Vergehen" verfolgt haben. Zu intensiv sind die auch jetzt noch ständig vom Gesundheitsminister, aber auch vom Bundeskanzler selbst ständig wiederholten Botschaften, dass noch gar nichts vorbei sei.
Ohne dass es schon eine neue Meinungsumfrage gäbe: Aber von seinen zuletzt extrem hohen Beliebtheitswerten wird Kurz nun etliches verlieren. Sobald die Menschen zu erkennen glauben, dass ein Politiker für sich andere Regeln anwendet, als für sie selbst gelten, verlieren sie an Vertrauen in ihn. Selbst wenn sie diesen Politiker zwei Jahre lang geradezu messianisch verehrt haben.
Dabei hatte Kurz ein unglaubliches Erfolgsjahr hinter sich mit besonderen Steigerungen in den letzten Wochen, die ihn bei einer Umfrage sogar auf 48 Prozent gebracht haben, was de facto die absolute Mandatsmehrheit wäre. Die wichtigsten Stationen seines Erfolgswegs nach seiner parlamentarischen Abwahl:
Diese sach- und parteipolitischen Erfolge schienen alle nur noch Etappen zu einem quasi endgültigen Gipfelsieg von Kurz zu sein. Dann aber passierte das Kleine Walsertal.
Interessant ist freilich das Verhalten der Medien während der letzten Stunden:
Der (von Kurz intensiv unterstützte) ORF verschwieg viele der für Kurz erfreulichen Nachrichten weitgehend – von Volkshilfe bis Bloomberg –, betrommelte hingegen groß die Vorarlberger Geschehnisse; der Gebührensender erregte sich sogar darüber, dass der besuchte Bürgermeister zur rot-weiß-roten Beflaggung der Häuser anlässlich des Bundeskanzler-Besuches aufgerufen hat (was Linke halt alles so stört ..)..
Die (von Kurz intensiv unterstützten – allein für die drei Wiener Boulevardmedien gab es zusätzliche 6,3 Millionen Corona-Gelder!) Tageszeitungen wiederum spielten den Kleinwalsertaler Auftritt total herunter, und interessierten sich viel stärker für den LASK, weil man dort beim Training nicht die vorgeschriebenen Abstände eingehalten hat.
Wer also kann da jetzt die Oberhoheit über die Stammtische gewinnen? Die Manipulationen des ORF oder die des Boulevards?
Offen muss daher vorerst bleiben, ob das Kleine Walsertal für Kurz nur eine kleine Delle in seiner Erfolgsbiographie bedeuten wird oder wirklich eine Wende. Jedenfalls erinnert seine plötzliche Krise in vielerlei Hinsicht an die Volatilität auch anderer Politikerschicksale:
Aber auch der pinke Sepp Schellhorn gehört in diese Liste. Da fällt der Opposition das Kleinwalsertaler Video wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß – und was tut da Schellhorn? Statt genüsslich das politische Glaubwürdigkeitsproblem des bisherigen Überkanzlers wirken zu lassen, kündigte er eine Anzeige gegen Kurz an. Das aber ist doppelt selbstbeschädigend:
Denn erstens ist keine persönliche Rechtsverletzung durch den Bundeskanzler erkennbar, weshalb sich Schellhorn damit rechtlich nur eine blutige Nase holen wird;
Und zweitens hat sich Schellhorn damit in die widerliche und während der Corona-Wochen so umtriebige Menschensorte der Denunzianten eingeordnet. Das aber ist das allerallerletzte, was sich die wenigen wirklichen Liberalen in diesem Land von einem angeblich liberalen Politiker erwarten würden. Damit hat der Denunzianten-Sepp alle potenziellen Punktegewinne für seine Partei gleich wieder verspielt.
PS: Noch einen weiteren empfindlichen Rückschlag für Kurz bedeutet das erste Urteil eines Verwaltungsgerichts zu den angeblichen und von Kurz wie auch den anderen Regierungsmitgliedern bei ihren Corona-Auftritten immer wieder behaupteten Ausgangsverboten, um private Besuche zu erledigen. Wie zumindest dieses Tagebuch von Anfang geschrieben hat, waren diese Kanzler-Aussagen glatte Unwahrheit. Das hat nun auch das niederösterreichische Verwaltungsgericht festgehalten, das wegen einer 600-Euro-Strafe für einen Privatbesuch eines Ehepaares bei anderen Familien angerufen worden ist. Das, was jeder, der lesen kann, immer schon lesen konnte, hat nun auch das Gericht festgehalten: Man habe immer den öffentlichen Raum aus jedem Grund betreten dürfen. "Der Aufenthalt in privaten Räumen unterlag zu keinem Zeitpunkt einem Verbot." Herr Bundeskanzler, das sind keine "juristischen Spitzfindigkeiten"; das ist halt nur das, was für jeden lesbar in Gesetzen und Verordnungen steht. Und es ärgert sehr, dass Sie diese Bestimmungen mehrfach und höchstwahrscheinlich bewusst falsch dargestellt haben. Offenbar um die Menschen zu einem rechtlich gar nicht durchsetzbaren Verhalten zu bringen.