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Jetzt wird’s spannend – aber noch sind die Europäer nicht gerettet

Ganz schön mutig plötzlich, diese Deutschen, möchte man aufs erste meinen und laut "Bravi!" zum Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofs über die hemmungslosen Anleihenkäufe der EZB rufen. Aufs zweite zögert man aber: Denn das Gericht ist zwar viel weiter gegangen als bei seinen bisherigen Urteilen zu vertragswidrigen Machtusurpationen durch EU-Instanzen. Es hat vor allem gewagt, einem eindeutigen Urteil des bisher als sakrosankt geltenden EU-Gerichtshofs frontal zu widersprechen. Was eine der größten Sensationen in der Geschichte EU-Europas ist, sicher die größte seit dem Brexit. Aber das deutsche Gericht hat sich doch noch einen Millimeter vor jener Roten Linie eingebremst, deren Überschreiten erst wirklich eine Abkehr von der kritisierten Gelddruck- und Schuldenstaaten-Finanzierungs-Politik der EZB bringen würde. Es hat im Grund nur einen Warnschuss abgegeben – wenn auch den bisher lautesten. Aber immerhin, nur zum Vergleich: Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat bisher nicht einmal ein Fingerschnipsen gegen den EuGH gewagt. Er engagiert sich lieber für die Homoehe.

Das deutsche Gericht hat sich hingegen als erstes europäisches Höchstgericht nicht mehr demütig der Judikatur des EU-Gerichtshofs gebeugt. Sondern es wagt erstmals, rechtskräftig zu sagen: Das, was die da tun, ist Unrecht; wir anerkennen keinen absoluten Vorrang der EU-Instanzen, Recht und Verträge unkontrolliert auszulegen und zu verbiegen!

Das ist für die so arrogant gewordenen europäischen Machtträger ein unerhörtes Aufbegehren, eine skandalöse Gehorsams-Verweigerung. Für viele europäischen Bürger ist das aber ein "Endlich!" Vor allem für die aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Finnland, die seit Jahren rechtswidrig zugunsten vor allem der südeuropäischen Schuldenstaaten ausgepresst werden.

Denn erstmals in der Geschichte ist jetzt durch das oberste Gericht des größten EU-Staats offiziell festgehalten, "dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt sind und daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten können", wie es Gerichtspräsident Voßkuhle wörtlich formuliert hat.

Das ist eine absolut historische Dimension des Urteils aus Karlsruhe. Jedoch: Im Grund bleibt offen, ob es am Ende aber auch Folgen haben wird. Denn so leicht lassen sich die EU-Zentralisierer und ihre Helfershelfer wie auch die Profiteure in vielen Ländern nicht zurückdrängen. Um es mit einem Satz zu sagen: Das Urteil bedeutet noch keineswegs, dass die  Sparer, die fürs Alter Vorsorgenden, die jungen Wohnungssuchenden und insbesondere die nächste Generation künftig nicht mehr Italien und Co via EZB und EU dauerfinanzieren müssen.

Dazu sind die Schuldenstaaten speziell nach dem Ausscheiden der Briten EU-intern schon rein quantitativ zu sehr in der Überzahl. Dazu fehlt den deutschen Verfassungsrichtern auch in Deutschland die politische Unterstützung, vor allem von Frau Merkel. Dazu ist überdies die Corona-Krise ein allzu starkes Druckmittel gegen die Rückkehr von Vernunft, Recht und Grundrechnungsarten. Dazu ist der Bundesgerichtshof auch zu schwach aufgestellt, geht doch ausgerechnet jetzt Voßkuhle in Pension (wollte er sich nur ein Denkmal setzen?). Dazu ist das Urteil auch in sich zu widersprüchlich.

Denn die Richter haben zwar zu Recht festgestellt,

  • dass die EZB durch die europäische Rechtsordnung nicht zum Ankauf von 2,2 Billionen Euro von Staatsanleihen berechtigt gewesen ist, die sie in den letzten fünf Jahren erworben hat,
  • dass die Europäische Zentralbank rechtswidrig ihre Beschlüsse nicht auf deren Verhältnismäßigkeit überprüft hat,
  • dass der Verweis auf das (Anmerkung: höchstproblematische) Ziel einer höheren Inflation keinesfalls ausreicht, um die Ankäufe zu rechtfertigen,
  • dass die deutsche Regierung deswegen dagegen vorgehen hätte müssen,
  • und – am wichtigsten – dass ein anderslautendes EuGH-Urteil, das das Verhalten der EZB voll gerechtfertigt hatte, "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar" und deshalb nicht bindend sei.

So sensationell dieses Aufbegehren auch ist, so klar muss man festhalten, dass die Karlsruher Richter der europäischen Zentralmacht gleich auch das Hintertürl gezeigt haben: Der EZB-Rat soll nun bei weiteren Ankauf-Beschlüssen in der Zukunft halt zeigen, dass das Kaufprogramm "verhältnismäßig" sei. Ansonsten sei es der deutschen Bundesbank nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten untersagt, daran teilzunehmen.

Gleichsam entschuldigend für den eigenen Mut betont der deutsche Gerichtspräsident daher: Der EZB würden "keine Handlungsmöglichkeiten von vornherein aus der Hand geschlagen". Überdies wurde gleich hinzugefügt, dass das Urteil nicht die mit der Corona-Krise begründeten EZB-Beschlüsse betreffe. Um die es derzeit eigentlich vor allem geht – wo allein Italien weitere 100 Milliarden Euro verlangt (das ist mehr als das gesamte Jahresbudget der Republik Österreich!).

Juristen müssen daher schmunzeln: Die Imponiergeste des deutschen Verfassungsgerichts ist zwar eindrucksvoll. Die Ohrfeige für den EuGH schallt laut. Das Urteil ist aber eigentlich nur wie das Auf-die-Brust-Schlagen von Gorillas, die anderen Männchen zeigen wollen, wie toll und mutig sie seien. Die aber keineswegs einen wirklichen Konflikt wollen.

Letztlich müssen die Juristen und Ökonomen der EZB sich halt nur ein paar Tage hinsetzen und eine Begründung fabulieren, wie sehr die EZB-Anleihenkäufe doch richtig, notwendig und verhältnismäßig seien. Das ist zwar lästig, aber problemlos machbar. Ist doch Papier mehr als geduldig. Man schreibt halt als "Begründung" in etwa: Sparer und Wohnungssucher sollen lieber froh sein (und schweigen), dass Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland oder Portugal dank der EZB nicht in Gefahr geraten, pleite zu gehen.

Das werden sie wohl in etwa schreiben. Es sei denn, die Gorillas zu Frankfurt (wo die EZB ihren Sitz hat) würden nun ebenfalls zu Imponiergesten ansetzen und sagen: Von denen lassen wir uns gar nichts sagen; wir sind die EU und daher allen solchen Provinz-Gerichten überlegen; wir denken nicht daran, unsere Beschlüsse auch noch zu begründen.

Erst dann würde es haarig. Erst dann würden sich die Gorillas zu Karlsruhe (wo das deutsche Verfassungsgericht sitzt) entscheiden müssen, ob sie die Konsequenzen aus ihrem Urteil zu ziehen bereit sind, dass sie zu mehr bereit und imstande sind, als sich martialisch auf die Brust zu trommeln.

Die EU-Kommission würde jedenfalls nicht an der Seite Karlsruhes stehen. Sie hat sofort – wenn auch innerlich vielleicht doch ein wenig ob des deutschen Urteils verunsichert – betont: Die Entscheidungen des EuGHs seien für alle nationalen Gerichte bindend. Und dieser hat eben schon vor eineinhalb Jahren gesagt: Alles was die EZB da tut, ist vollkommen in Ordnung.

Aber auch die Karlsruhe-Richter selbst haben ihre so mutig klingenden Worte durch einen anderen Teil ihres Urteils geschwächt: Die bisherigen begründungslos erfolgten Käufe von nicht weniger als 2,2 Billionen Euro an staatlichen Anleihen seien keine unzulässige Staatsfinanzierung.

Wie bitte? Was mit Verlaub sollen diese Megatransaktionen denn sonst sein? Wer bekommt denn da sonst das Geld, das – wie das Gericht gerade selbst gesagt hat – zu Unrecht Sparern, Pensionsvorsorgern und Wohnungssuchenden weggenommen wird?

Absurder geht’s nimmer.

Dieses Urteil erinnert in seiner Widersprüchlichkeit lebhaft an die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern. Das Gericht stellt zuerst korrekt fest, dass der Kaiser keine Hose, keine Unterhose, kein Hemd, keine Jacke, keinen Mantel, kein gar nichts an hat – um dann plötzlich zu sagen: aber nein, nackt ist er nicht.

Wer nun fragt, ob die Richter ganz übergeschnappt sind, wenn sie jenseits jeder Logik so urteilen, der sollte halt bedenken: Fast jedes Urteil, bei dem sich ein ganzer Senat zusammenfinden muss (7:1 war das Abstimmungsverhältnis), ist irgendwo ein Kompromiss. Und bei Kompromissen geht nun mal oft die Logik verloren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat es im Senat welche gegeben, die inhaltlich in etwa gesagt haben: Ich stimme einem Schuss auf die EZB nur dann zu, wenn dabei bloß Gummigeschoße verwendet werden.

In der Tat: Das Verlangen nach einer Begründung ist ein solches harmloses Gummigeschoß. Hätte Karlsruhe hingegen auch wahrheitsgemäß gesagt, da findet Staatsfinanzierung statt, dann wäre das ganz große Artilleriemunition gewesen. Denn dabei geht es um die allerhärteste Währung, die es in der EU gibt: Das wäre nämlich der gerichtliche Vorwurf einer frontalen Verletzung des EU-Vertrags, also der obersten EU-Verfassung. Diese verbietet ja eine Staatsfinanzierung ausdrücklich!

Die Deutschen haben in den 90er Jahren noch gewusst, warum sie genau dieses Verbot in den Vertrag hineinschreiben haben lassen. Sie kannten ihre schon damals schuldfreudigen südeuropäischen Partner. 2020 ignorieren sie jedoch diesen Vertragstext voll, der – ein wenig juristisch sperrig formuliert, aber dennoch – ganz klar sagt:

"Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken."

Dieser "Erwerb von Schuldtiteln" ist aber genau das, was seit vielen Jahren geschieht. Er ist halt formaljuristisch nur nicht ganz "unmittelbar". Pro forma werden halt Banken zwischengeschaltet, die den Staaten solche Schuldtitel (=Anleihen) abkaufen, um sie dann der EZB weiterzuverkaufen. Diese Zwischenschaltung ist nichts als ein ganz mieser juristischer Trick. Der in Österreich bei keinem Gericht, keinem Finanzamt durchginge. Denn es ist völlig klar: Keine Bank würde ohne diese Weiterverkaufsmöglichkeit an die EZB Anleihen von Italien & Co kaufen, oder nur zu horrenden Wucherzinsen.

Aber in der EU geht alles durch. Und das einzige nationale Gericht in Europa, das gegen die freche Rechtsverdrehung durch die EZB endlich wenigstens verbal aufzubegehren wagt, wagt nicht, zugleich auch das wahre Delikt, die eigentliche Vertragsverletzung beim Namen zu nennen.

Nicht nur EU-Amtsträger, sondern auch Richter aller Kategorien sollten sich ob solcher Gaunereien zu wundern aufhören, warum ihr Image immer schlechter wird.

PS: Auffällig ist, dass das Verfahren – unter anderen – vom Gründer der AfD, Bernd Lucke, in die Wege geleitet worden ist, der inzwischen von radikaleren Kräften aus der AfD hinausintrigiert worden ist (die nur noch das Migrationsthema im Auge haben). Aber andererseits kann man mit gutem Grund bezweifeln, ob das Verfassungsgericht sich getraut hätte, wenigstens so weit zu gehen, wenn ein Klagsführer noch Chef der größten Oppositionspartei wäre …

PPS: Nur ganz naive EU-Gläubige meinen, es wäre Zufall, dass seit 2003 alle EZB-Präsidenten nur aus Frankreich oder Italien gekommen sind. Wahr ist vielmehr: Alle anderen Positionen dürfen auch von anderen besetzt werden – aber dort, wo es ums Geld geht, behält man lieber den Drücker in der Hand. Da sind die beiden Gründungsmitglieder der ursprünglich sechs EU/EG/EWG-Staaten sehr konsequent.

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