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In zwei Wochen darf Österreich weitestgehend zur Normalität zurückkehren. Das ist gut so. Das ist freilich auch schon längst fällig gewesen. Das ist alles andere als eine Gnade der Regierung. Wir sollten uns alle viel stärker bewusst werden, dass Freiheit unser absolutes und unabdingbares Recht ist, und zwar in allen durch den Grundrechtskatalog aufgefächerten Aspekten. Sie ist daher nicht etwas, was uns ein gnädiger Herrscher in marketingmäßig abgemessenen Dosen zu gewähren hat. Sie steht uns zu. Punkt. Und wenn eine Regierung sie uns ohne ausreichenden Grund nimmt, dann putscht sie. Punkt. Und nicht wir, wenn wir sie uns zurückholen. Punkt.
Zumindest das deutsche Grundgesetz hat dieses Widerstandsrecht sogar ausdrücklich festgehalten.
Es wäre katastrophal, müssten wir dieses fundamentale Prinzip eines Rechtsstaats erst mühsam neu argumentieren und begründen. Manche Minister – vor allem jene für Gesundheit und Inneres – scheinen allerdings in der Tat einer diesbezüglichen Belehrung zu bedürfen. Sie erwecken nämlich ganz den Eindruck, dass sie sich innerlich in einer absoluten Monarchie weit oben in der Spitze einer Befehlspyramide am wohlsten fühlen würden. Es ist kein Zufall, dass beide aus Top-Down-denkenden Berufen kommen, aus dem des Lehrers und aus dem des Offiziers.
Diese kritischen Anmerkungen heißen nicht, dass in Österreich schon eine Diktatur begonnen hätte. Es geht bei dieser sensiblen Frage nach der Freiheit vielmehr immer darum, schon kleinsten Anfängen zu wehren. Vor allem deshalb, weil in fast jedem Menschen – nicht nur in Politikern – ein geradezu genetischer Hang zu finden ist, auch bloß geliehene Macht zu missbrauchen. Doppelt aufmerksam muss man sein, wenn die Medien – einst ein wichtiger Faktor bei der Abwehr von Machtmissbrauch – aus finanziellen Nöten zu einem Faktor des Machtgebrauchs geworden sind.
Freilich muss auch klar sein: Der fundamentale Wert der Freiheit heißt nicht, dass man sie absolut setzen dürfte oder könnte. So stößt die Freiheit des einzelnen ja fast ununterbrochen mit Freiheiten der anderen zusammen. Ein großer Teil der Rechtsordnung dreht sich daher genau um diese Frage und versucht ständig Konfliktregelungen zu finden.
Viele sind geglückt, manche missglückt. Zu den missglückten Regelungen zählen etwa die seit Jahren viel zu weit gehenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Ist diese doch einer der wesentlichsten Kerne einer rechtsstaatlichen Demokratie. Sie ist weit gewichtiger als atavistische Werte wie "Ehre" oder "Das sagt man nicht". Dennoch ist es linker Political Correctness gelungen, hier skandalöse Einschränkungen durchzusetzen (und das Justizministerium plant sogar schon wieder weitere). Aber auch viele Konservative finden es gut, dass gute Erziehung neuerdings auch wieder per Gericht durchgesetzt wird.
Zurück zur Corona-Pandemie. Wie weit waren da die Einschränkungen der Freiheit wirklich gerechtfertigt? Und wo ist man zu weit gegangen?
Das wird in den nächsten Monaten der Verfassungsgerichtshof sehr genau zu prüfen haben. Wollen wir hoffen, dass er dabei weiser sein wird als bei so manchen Erkenntnissen der letzten Jahre.
Es würde jedenfalls keinesfalls ausreichen, würde er einfach zur Kenntnis nehmen, dass ein Epidemiegesetz es dem Gesundheitsminister erlaubt, durch Verordnungen und Erlässe die allerfundamentalsten Grundrechte fast nach Belieben ad absurdum zu führen. Stehen doch Verordnungen und Erlässe in der Hierarchie der Rechtsordnung eindeutig weit unter dem einfachen Gesetz. Es kann einfach nicht sein, dass solche niederrangigen Rechtsinstitute reihenweise Grundrechte aushöhlen können. Sie taten das aber in einem solchen Maße, für das eigentlich nicht nur ein Verfassungsgesetz, sondern sogar eine verpflichtende Volksabstimmung nötig gewesen wäre.
Auf der anderen Seite – auch wenn manche davon jetzt nichts mehr wissen wollen – herrschte im März allgemein die Überzeugung (nachdem das Ministerium freilich mehr als zwei Monate geschlafen hat!), dass höchste Dringlichkeit am Platz ist. Denn die Freiheit jedes Einzelnen auf Ausübung seiner Freiheits-Grundrechte, obwohl er vielleicht mit dem Virus infiziert ist – was man ja tagelang nicht weiß –, kollidiert ganz massiv mit der Freiheit der vielen anderen, nicht infiziert zu werden. Da geht deren Freiheit im Zweifel vor.
Noch ein zweiter Faktor erhöhte damals die Dringlichkeit des Lockdowns: Vorkommnisse in Italien machten die Gefahr sehr realistisch, dass eine explosiv angestiegene Menge an Infizierten die Kapazitäten der Spitäler, insbesondere der Intensivstationen, übersteigen könnte. Das drohte die Rechte der Bürger gleich ein zweites Mal zu verletzen, nämlich die auf bestmögliche medizinische Behandlung.
Diese zwei Gründe werden es wohl auch in den Augen des VfGH als gerechtfertigt erscheinen lassen, dass im März ein radikaler Lockdown über Österreich verhängt worden ist. Angesichts der (allerdings auch wegen der schlimmen Irreführung durch die WHO) unzureichenden Vorbereitungen musste die Regierung höchste kollektive Lebensgefahr im Verzug erkennen, ohne dass lange Zeit für saubere Verfassungsgesetzgebung gewesen wäre.
So weit dürfte also wohl der Regierung für ihre Lockdown-Beschlüsse recht zu geben sein, auch wenn die davorliegenden Versäumnisse keinesfalls unter den Tisch gekehrt werden dürfen. Diese werden allerdings seltsamerweise von keiner Oppositionspartei thematisiert. Der taktische Grund: Sie sind eindeutig dem Gesundheitsminister anzulasten. Alle Oppositionsparteien haben aber politisch nur ein Angriffsziel: Das ist Bundeskanzler Sebastian Kurz, zu dessen Aufgaben jedoch sicher nicht die prophylaktische Beobachtung globaler Epidemien zählt.
Kurz hat sich erst Mitte März eingeschaltet. Und er dürfte mit dem von ihm durchgesetzten Lockdown richtig gehandelt haben. Es war damals völlig unmöglich gewesen zu erkennen, dass die schockierenden Berichte aus Oberitalien – wo die Krankenhäuser wirklich entscheiden mussten, wer bekommt die lebensrettende Intubation und wer muss sterben, – in erstaunlich hohem Ausmaß mit italienischen Verhältnissen und Fehlern zu tun hatten.
Dennoch sind auch Kurz Fehler anzulasten. Nur liegen diese auf anderen Gebieten:
Gleich eine ganze Reihe von Gründen spricht für dieses Urteil "Zu spät!":
All diese Gründe können rechtlich nur eines bedeuten: Regierung und eigentlich auch das in völlige Bedeutungslosigkeit gestoßene Parlament hätten die tägliche Pflicht gehabt zu prüfen: "Sind alle derzeit geltenden Einschränkungen der Grundrechte noch zu rechtfertigen?". Für die Aufrechterhaltung dieser Einschränkungen reicht die Argumentation "Es läuft zwar super, aber die Krankheit ist noch nicht besiegt! Wer weiß, die Infektionszahlen könnten ja auch wieder schlechter werden!" bei weitem nicht.
Aber warten wir jetzt, wie der VfGH die Dinge sieht. Er ist ja – trotz aller politischen Besetzungen – noch immer die einzige Instanz, die diese Fragen halbwegs unabhängig klären kann.
Was freilich allen Juristen besonders schwer fällt, wie auch vielen Beamten, Politikern und Bürgern: In dieser Frage ist noch weniger als in allen anderen ein Schwarz-Weiß-Denken sinnvoll. Man muss lernen, in Wahrscheinlichkeiten zu denken. War die sehr geringe Gefahr angesteckt zu werden, all die Lockdown-Folgen wert? Wie passt die Erkenntnis, dass wir mit dieser neuartigen Krankheit vielleicht noch lange leben müssen, ins Rechtsgefüge? Können deswegen permanent unsere Freiheitsrechte suspendiert werden?
Seit 16. April, also seit eineinhalb Monaten, liegt die Zahl der bekannten Neuerkrankungen in Österreich jeden Tag deutlich unter 100. Die Zahl der bei Verkehrsunfällen hierzulande Verletzten beträgt im Schnitt hingegen täglich 125! Sie ist also weit größer. Und dennoch hat noch niemand, nicht einmal die Grünen, laut daran gedacht, den Verkehr einfach zu verbieten.
Im Gegenteil: Die hemmungslose Förderung des Radfahrens durch die Grünen bedeutet sogar eine eindeutige Erhöhung des Unfallrisikos. Nicht nur weil die Körper von Radfahrern völlig ungeschützt sind, sondern auch weil sie als politisch höherwertig geltende Wesen sehr oft ungehindert ohne Beleuchtung, ohne Rücksicht auf die vorgeschriebene Fahrtrichtung, und ohne Rücksicht auf (beispielsweise aus einem Haustor tretende) Fußgänger fahren.
Wenn man daher vergleicht – und gute Juristen sollten immer vergleichen –, dann kommt die weitgehende Aufhebung der Restriktionen mindestens ein Monat zu spät. Einmal angenommen, die lange von WHO und vielen Ärzten ja als irrelevant bis schädlich verurteilte Maskenpflicht war überhaupt jemals eine sinnvolle Maßnahme ...