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"Österreich war uns immer ein Stück voraus." Dieser Satz der deutschen Bundeskanzlerin ist etwas historisch absolut Triumphales. Man kann ihn gar nicht oft genug hören, so schön klingt er für die oft mit preußischer Arroganz als Hinterwäldler hingestellten Alpenrepublikaner. Er klingt zweifellos auch in den Ohren des Sebastian Kurz besonders wohltuend. War doch das Verhältnis Kurz-Merkel in den letzten fünf Jahren nicht gerade eine Liebesbeziehung. Ganz unabhängig vom erstaunlichen Merkel-Lob ist auch zu den jüngsten Auftritten des österreichischen Bundeskanzlers zu sagen: Kurz hat sich erneut als sensationeller Kommunikator erwiesen, der fast immer perfekt den richtigen Ton, die richtigen Argumente findet, der nie, wie viele andere Politiker, abgehoben und belehrend klingt. Die Entscheidung, erstmals statt ständig nur Verschärfungen auch einige Erleichterungen der massiven Corona-Einschränkungen anzukündigen, kam auch zum richtigen Zeitpunkt. Dennoch muss man ebenso klar kritisieren: Die Regierung Kurz hat sich im rechtlichen Dickicht entweder ordentlich verirrt oder sie hat die Bürger wie auch die Medien ganz bewusst in die Irre geschickt. Was in Hinblick auf die Medien gleich eine weitere beklemmende Frage aufkommen lässt: Sind sie in rechtlichen Dingen so hilflos, dass sie nicht einmal einen zweizeiligen Paragraphen lesen können, oder produzieren sie gar auf Wunsch der Regierung ganz bewusst Fake-News?
Zuerst zum Positiven.
Nach jedem Auftritt des Bundeskanzlers wird neuerlich deutlich: Der Mann hat Leadership und strahlt trotz seiner Jugend Kompetenz, Glaubwürdigkeit, Ruhe und Weisheit aus. Gratulation. Kein Wunder, dass sich heute praktisch kein Österreicher irgendeinen anderen Akteur der gesamten Politszene an der Spitze der Regierung vorstellen kann. Die SPÖ-Chefin wünscht man sich als Gesundheitsministerin. Aber ganz gewiss auch nicht mehr.
Allerdings sollte sich auch Kurz sehr bewusst sein, dass ein solcher Hype oft sehr kurzlebig ist. Und dass zweitens weltweit ganz Ähnliches zu beobachten ist: Praktisch alle Regierungs- und Staatschefs dieser Welt haben derzeit enorm positive Umfragewerte. Ob sie nun sehr rigide Maßnahmen gegen die Pandemie durchsetzen oder nicht. Ob sie zickzack oder geradlinig fahren.
Weltweit bestätigt sich die uralte Regel: In Zeiten einer neu auftauchenden Gefahr drängen sich die Schafe um den Leithammel und Hirten. Das ist aber nur relativ kurze Zeit so und kann rasch ins Gegenteil umschlagen. Man denke etwa daran, wie begeistert 1914 die ganze Monarchie (zumindest in ihren deutschsprachigen Teilen) in den Krieg wegen des serbischen Mordes am Thronfolger gegangen ist – und wie intensiv vier Jahre später die einst Begeisterten das Kaiserhaus gehasst haben (1939 war es übrigens anders. Da fand die Begeisterung auch schon am Beginn des Krieges fast nur in den Propagandamedien statt).
Zurück zu Kurz: Auch die Wahl des Zeitpunkts zur Ankündigung erster Entspannungsmaßnahmen signalisiert große und mutige Entscheidungssicherheit. Kurz kann dabei triumphierend auf die letzten Tage zurückblicken: Die österreichische Entwicklung ist die beste von ganz Europa. Nur deshalb kann es als erstes Land nach den Asiaten eine Lockerung der Maßnahmen wagen. Denn:
Aber ein solcher Rückschlag und das mögliche Ziehen der "Notbremse" sind für die Regierung dennoch ein limitiertes Risiko: Denn politisch würde sich jede Oppositionspartei schwertun, im Falle einer neuerlichen Verschlechterung der diversen Messzahlen Kurz zu kritisieren, haben doch jetzt auch alle anderen Parteien die Milderung begrüßt oder gar schon danach verlangt.
Vor allem scheint es, ohne dass die Regierung allzuviel darüber redet, einige medizinisch deutliche Fortschritte zu geben. Einige – aus Sicht eines medizinischen Laien – ermutigende Details, auch wenn diese noch keinesfalls ein Ende der Bedrohung darstellen:
Dadurch könnte vermutlich auch ohne allzu katastrophale Folgen ein leichter Rückfall aufgefangen werden.
In all diesen Fragen kann der österreichischen Regierung also ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt werden. Auch wenn es im Gesundheitsministerium wochenlang üble Pannen gegeben hat, die über das unvermeidliche Ausmaß an Fehlern hinausgehen, die jeder begeht, der in schweren Krisenzeiten handelt.
Unverständlich bleibt es aber, dass die Bundesgärten und Wiener Gemeindespielplätze noch eine weitere Woche geschlossen bleiben. Obwohl das Wetter nach einem Parkbesuch schreit. Obwohl seit Wochen viele Eltern eine Öffnung verlangen.
Die Regierung tut aber noch immer so, wie wenn es wahnsinnig kompliziert wäre, Ordnung bei den Eingängen der Bundesgärten herzustellen. Sie braucht mehr als eine Woche Vorbereitung, damit dort kein Flaschenhals entsteht. Das ist ziemlich lächerlich. Wie wäre es beispielsweise mit:
Ebenso ließen sich Regelungen für Kinderspielplätze denken, die eine eingeschränkte Benutzung ermöglichen würden. Aber freilich: Über all das müssen erst Beamtenhirne nachdenken. Und für die ist ein "Alles verbieten" immer einfacher.
Noch schwerer scheint sich die Regierung im rechtlichen Dickicht zu tun. Neuerlich rächt es sich, dass in der Regierung und offensichtlich auch in den agierenden Stäben keine guten Juristen sitzen. Oder wird gar von der Regierung die rechtliche Lage bewusst verwischt? Das wäre ein gefährlicher Vertrauensbruch, auch wenn es die Menschen vorerst noch nicht mitbekommen haben.
Rechtlich ist es jedenfalls eindeutig, dass das Zusammentreffen auch fremder Personen in Privatwohnungen nicht verboten ist. Auch nicht durch die Verordnung des Gesundheitsministers vom 15. März. An dieser eindeutigen Rechtslage ändern die zornbebenden Auftritte von Polizeiminister Nehammer nichts, der sich gerne über "Corona-Partys" erregt, die seine Polizisten sprengen mussten.
Mit Verlaub, Herr Minister, aber die Polizisten haben dabei rechtswidrig gehandelt. Alle wegen "Corona-Partys" gemachten Anzeigen können, wenn die Betroffenen Rechtsmittel dagegen ergreifen, rechtlich nur zu einer Einstellung führen.
Das hat auch dieses Tagebuch auf Grund von Gesprächen mit hochrangigen Juristen immer wieder klar gemacht. Zwei davon haben das auch jetzt in juristischer Sprache ausgeführt.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte solche "Corona-Partys" keineswegs für gut. Natürlich ist der weitestgehende Verzicht auf persönliche Kontakte dringend wünschens- und empfehlenswert, ob in Wohnungen oder sonstwo.
Aber es wäre dennoch zentral, den Innenminister und die Polizei daran zu erinnern, dass wir ein Rechtsstaat sind, in dem das Hausrecht seit 1867 (mit unrühmlichen Unterbrechungen) heiliges Grundrecht ist. Eine Einschränkung des Hausrechts ist nur mit Verfassungsgesetz möglich und nicht einfach mit einer Verordnung des Gesundheitsministers am Parlament vorbei. Wahrscheinlich wäre es abgesehen von der Verfassungswidrigkeit auch eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine solche Verletzung ist rechtlich auch mit Zweidrittelmehrheit nicht möglich.
Das sind keineswegs juristische Spitzfindigkeiten, wie Sebastian Kurz sie nun bezeichnet. Da geht es vielmehr um absolut zentrale Grund- und Freiheitsrechte, die auch in der Krise unantastbar bleiben müssen.
Außerdem: Eine solche Einschränkung des Hausrechts steht ohnedies nicht in dieser Verordnung drinnen! Denn § 2 Ziffer 5 dieser Verordnung erlaubt ganz eindeutig, ohne dass man einen Grund nennen muss, JEDES Betreten des öffentlichen Raumes, solange man dort einen Meter Abstand hält. Lediglich die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bei einem solchen "Betreten öffentlicher Orte" ist verboten. In dieser Ziffer 5 steht ganz eindeutig nichts von einer Ausnahme nur für das "Spazierengehen", wie es von der Regierung immer wieder behauptet wird. Da steht nichts davon, dass das Betreten nur erlaubt wäre, "um sich die Beine zu vertreten oder Sport zu betreiben", wie es Kurz soeben wieder formuliert hat.
Und darüber, was sich dann in einer privaten Wohnung abspielt, nachdem man den öffentlichen Raum erlaubterweise durchschritten hat – darüber steht erst recht nichts in dieser Verordnung. Mit gutem Grund: Denn das wäre eben schlicht verfassungswidrig.
Warum aber kursieren dennoch in der politmedialen Kommunikation so viele Falschbehauptungen über eine eigentlich klare Regelung? Warum haben auch am Montagabend sämtliche von mir gesehene Fernseh-Abendnachrichten behauptet, man dürfe überhaupt keinen Besuch in seiner Wohnung empfangen? Warum wird in Österreich so beängstigend geschlossen diese Fake-News-Behauptung verbreitet?
Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen:
Das Motiv der Regierung so vorzugehen ist eigentlich ein guter Zweck: Sie will einerseits die zwischenmenschlichen Kontakte reduzieren und daher in den Menschen den Eindruck erwecken, dass private Besuche total verboten sind. Sie weiß aber andererseits, dass sie das eigentlich gar nicht so darf und dass sie rechtlich eine direkte Brechung des Hausrechts nicht durchbringt. Siehe Verfassung, siehe Menschenrechtskonvention, siehe auch den drohenden öffentlichen Aufschrei (wie er ja schon wegen des im Vergleich unbedeutenden Schutzes der Bewegungsdaten ausgebrochen ist).
Die Doppelstrategie der Regierung ist allerdings durch das Chaos um den sogenannten Ostererlass des Gesundheitsministers durchkreuzt worden. Dieser schon ein paar Tage in Kraft gewesene Erlass hat rechtlich eine Einschränkung des bisher unlimitiert möglichen Besuchsrechts bedeutet; er wurde aber öffentlich als das Gegenteil, nämlich als Ausweitung des Besuchsrechts interpretiert. In diesem Chaos hat man ihn nach turbulenten Tagen ohne weitere Erklärung entsorgt. Damit ist aber erst recht diese Ziffer-fünf-Bestimmung der Anschober-Verordnung ins Scheinwerferlicht geraten.
Eine solche strategische Fake-News-Produktion ist jedenfalls extrem problematisch. Zwar hat sie bisher eindeutig funktioniert, weil die Menschen von Politik und Medien falsch informiert worden sind. Aber es könnte dennoch sehr gefährlich werden, wenn die Menschen draufkommen, dass sie in einer so wichtigen Frage angeschwindelt worden sind.
Juristisch in trüben Gewässern bewegt sich die Regierung aber auch noch in zwei anderen Bereichen.
Jenseits aller technischen Zweifel, wieweit die jetzt so stark propagierte Rotkreuz-App zur nachträglichen Aufspürung aller Kontakte eines als infiziert Getesteten wirklich gut funktioniert und nicht zu einer Fülle von Fehlalarmen führen wird; jenseits aller peinlichen Datenschutz-Diskussionen, bei denen ständig Daten mehr geschützt werden als Menschen: Neben diesen beiden in der Öffentlichkeit vieldiskutierten Aspekten ist auch der Aspekt der Freiwilligkeit rechtlich viel problematischer.
Denn die Datenschutzgrundverordnung der EU erlaubt so eine freiwillige App eigentlich nicht, wenn so massiver öffentlicher Druck ausgeübt wird wie derzeit, sagen mir juristische Experten. Dann ist das laut dieser Verordnung nur noch eine Scheinfreiwilligkeit (Siehe Artikel 7 Ziffer 4 dieser DSGVO).
Wohl deswegen hat Nationalratspräsident Sobotka eine Zeitlang (bevor er durch die "Message Control" der Regierung zurückgepfiffen worden ist) den Vorschlag ventiliert, dass diese App doch gleich gesetzlich verpflichtend sein sollte.
Und wohl genau deswegen wird jetzt in anderen EU-Ländern intensiv diskutiert, ob eine solche App nicht am besten EU-rechtlich eingeführt werden sollte. Dadurch entstünde wertvolle Einheitlichkeit in Europa beim sogenannten Tracking. Dadurch könnten aber vor allem die skizzierten Probleme mit der DSGVO gelöst werden (die ja schon lange als das unsinnigste Überregulierungs-Werk der EU zu erkennen ist).
Verwirrung herrscht auch um ein angebliches Reiseverbot Richtung Ausland, die durch missverstandene Äußerungen des Bundeskanzlers entstanden sein dürfte. Das ist aber die derzeit wohl überflüssigste Verwirrung.
Denn abgesehen von den vielfältigen Reisewarnungen des Außenministeriums gibt es in sehr vielen Ländern ohnedies Einreiseverbot für Österreicher. Und außerdem gibt es für fast alle, also auch österreichische Staatsbürger, bei der Wiedereinreise nach Österreich eine Quarantänepflicht, wenn sie nicht ausreichende ärztliche Zeugnisse haben.
Das alles macht Auslandsreisen derzeit sowieso zu einer ziemlich sinnlosen Idee.
Trotzdem sollte in Österreich keine Sekunde der Eindruck eines Reiseverbots entstehen dürfen, sollte keinesfalls auch nur die Andeutung gemacht werden, dass die Republik irgendjemanden am Verlassen des Landes hindert! Haben wir doch rings um Ostösterreich so lange miterlebt, wie Tschechen, Polen, Ungarn & Co 40 Jahre lang in ein Gefängnis gesperrt worden sind (noch dazu ein Gefängnis voll realsozialistischer Armut und geistiger Unfreiheit).
Eingesperrt werden sollte man maximal durch einen unabhängigen Strafrichter nach einem peniblen Verfahren. Aber niemals sollten alle Österreicher eingesperrt werden.
PS: Den größten Schnitzer des Landes leistet sich wohl gerade die Billa-Kette, die nun in all ihren Geschäften für jede Gesichtsmaske einen Euro verlangt. Zum Unterschied von allen anderen. Eine seltsame Kunden-Vertreibungsaktion. Man sieht, manchen schlägt sich Corona nicht auf die Lunge, sondern aufs Hirn.