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Rund um Schulen und Universitäten ist es in den letzten Wochen hinter den gesundheitspolitischen Fragen eines Ob, Wann und Wie einer Wiedereröffnung zu einer erschreckenden Diskussion gekommen: Lässt man das Sommersemester dieses Schuljahres fast ersatzlos ausfallen? Welche Leistungen müssen erbracht werden, um ein Zeugnis zu erhalten? Dahinter steht die zentrale Frage, die wohl jeder Pubertierende einmal gestellt hat: Wozu überhaupt Schule?
Diese Frage wird umso wichtiger, je klarer die Möglichkeit am Horizont auftaucht, dass es auch noch in einem Jahr die Notwendigkeit von Corona-Maßnahmen geben könnte. Umso bestürzender ist ein in der Politik ausgebrochener Wettbewerb: Wer legt die zu überspringende Latte noch niedriger?
Möglicherweise meint der Mann damit den Druck auf die Schulbehörden selber. Diese würden sich dadurch bis September jedes pädagogische und organisatorische Nachdenken ersparen. Möglicherweise glaubt die Wiener SPÖ aber auch, dass ihr das bei den herbstlichen Wahlen helfen könnte, damit viele Schüler – die ja in den letzten Jahren primär schwarz oder grün gewählt haben – diesmal rot wählen.
Was Czernohorszky aber vergisst: Zumindest die nun solcherart beschenkten Maturanten werden immer den Makel haben, dass auf ihren Maturazeugnissen das Datum 2020 steht. Jeder Personalchef, der ein solches Zeugnis in die Hände bekommt, wird wissen: Damals gab es gar keine echte Matura. Zumindest die Bundesschulsprecherin hat dieses Problem im Gegensatz zum Rathaus besser erkannt und verlangt, dass man nichts geschenkt bekommt
Gewiss: Wir alle haben Mitgefühl mit jenen jungen Menschen, die jetzt in die Corona-Mühle geraten sind. Wenn man wochen- oder monatelang nur daheim lernen kann, ist das viel schwieriger und weniger ergiebig, als wenn man das im Klassenverband mit einem lebendigen Lehrer tut. Schüler und Studenten sind aber dennoch bei weitem nicht die ärmsten Opfer von Corona. Andere Gruppen sind deutlich härter getroffen: an der Infektion Leidende; in Quarantäne Gezwungene; arbeitslos Gewordene; pleite Gehende, deren gesamtes Lebenswerk jetzt kollabiert …
Die Schuldiskussion ist aus einem ganz anderen Grund beklemmend. Von Politikern wie Medien wird derzeit der Eindruck erweckt, als ob es dabei nur um eine Auseinandersetzung zwischen bösem Sadismus und nächstenliebender Milde ginge. Es wird so getan, also ob der Mildeste der ethisch Beste wäre. Das mag zwar in sozialistischen Denkkategorien so sein. Das ist jedoch absolut falsch.
Man denke beispielsweise an einen Mediziner, bei dessen Ausbildung das Prinzip Milde geherrscht hat. Auch SPÖ-Stadträte würden zweifellos lieber zu einem anderen Arzt gehen, der streng ausgebildet worden ist. Und es wäre ihnen absolut kein Trost, wenn ein milde ausgebildeter Arzt sich damit entschuldigt: "Ich hab ihre Krankheit wegen Corona nicht lernen müssen."
Man könnte auch an einen milde ausgebildeten Techniker denken, der Mitverantwortung für den Bau einer Brücke oder einer Maschine trägt. Auch da ist Milde unschwer als suboptimal zu erkennen. Dasselbe gilt auch für jeden anderen qualifizierten Beruf: ob Rechtsanwalt, ob Elektriker, ob Kindergärtnerin, ob Buschauffeur, ob Lehrer, ob Krankenschwester, ob Richter, ob Gemeindebeamter.
Fast immer wird die Fähigkeit und damit Vertrauenswürdigkeit größer sein, wenn jemand streng ausgebildet worden ist. Daran ändern Einzelfälle nichts, wo ein milde Ausgebildeter exzellente Leistungen bringt, oder wo ein streng Behandelter nur mäßig geeignet ist, weil er halt mit Glück irgendwie bei den Prüfungen durchgerutscht ist. Aber wie immer kann es nur um den Durchschnitt, um den Medianwert gehen, und nicht um einzelne Ausreißer. Und dieser Durchschnitt ist mit Sicherheit dann besser, wenn die Ausbildung eine strenge gewesen ist und wenn nicht nach Gemeinde-Wien-Methode eh jeder seine Berufsberechtigung bekommt.
Es gibt auch keinen Grund, warum dieses Prinzip nur bei unmittelbaren Berufsausbildungen gelten sollte und nicht auch bei allgemeinbildenden Schulen jeder Art. Der wohl jedem einstigen Schüler – zumindest, wenn er Latein gehabt hat – gut erinnerliche Spruch "Non scholae sed vitae discimus" sagt ja genau das. Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir. Viele Medien tun aber jetzt so, als ob man nur für von Politikern willkürlich gesetzte Ziele des Schulunterrichts lernen würde.
Bei dem "Leben", für das man lernt, geht es nicht nur um die philosophische Sinnsuche, bei der ein guter Bildungsuntergrund zweifellos immer hilfreich ist. Es geht vielmehr auch um das Berufs-Leben, das Leben als Staatsbürger und (bei Gesundheits-, Rechts- und Managementberufen ganz besonders) das Leben der anderen, für die man später etwas tut.
Was man besonders gerne vergisst: Auch bei tertiären Bildungs- und Ausbildungswegen wie etwa Universitäten ist ganz eindeutig die Qualität des Fundaments der zwölf Schuljahre davor entscheidend. Es haben schon vor Corona viele Universitäts-Lehrer mit gutem Grund geklagt, dass dieses Fundament immer brüchiger geworden ist, dass man von der Allgemeinbildung angefangen über mathematische Fähigkeiten (insbesondere für naturwissenschaftliche Studien) bis zur fehlerfreien Beherrschung der eigenen und anderer Sprachen bei Studienanfängern immer weniger voraussetzen kann, was Studienanfänger von der Schule her mitbringen.
Daher ist es völlig falsch zu sagen: Der aktuelle Schulausfall sei doch eh nur eine Kleinigkeit von ein paar Monaten; es sei doch nur ein letztlich irrelevanter Ausnahmefall, wenn man da jetzt Corona-Milde walten lässt; das würde im nächsten Schuljahr problemlos wettgemacht.
Dennoch hat keine einzige Partei, kein einziger Politiker auch nur nachzudenken gewagt, wie man ohne Abstriche am Bildungsniveau durch die Krise kommt. Keiner dringt auf solche unorthodoxen, aber notwendigen Vorschläge wie: Die eine Hälfte der Klasse hat im Juli Unterricht, und die andere im August. Oder die eine am Vormittag, und die andere am Nachmittag.
Der Gedanke, die Sommerferien zur Kompensation des Ausgefallenen zu nutzen, wird zwar in Hinblick auf die Unis zumindest diskutiert, bei den Schulen wagt man das aber offenbar nicht einmal zu denken.
Rot, Grün und Blau haben sich sowieso fast immer nur als Niveausenker und Feinde des Leistungsprinzips positioniert. Und bei den Schwarzen, die sich derzeit Türkise nennen, waren immer schon die Interessen von Lehrerschaft und Tourismus wichtiger als vieles andere, und Aussagen zur Leistung bloße Verbalbekenntnisse. Daher kommt von keiner Partei etwas.
Die Corona-Milde ist keineswegs ein ein- und erstmaliger Ausnahmefall, sondern nur die Fortsetzung eines langfristigen Bildungsabbau-Trends. Der letzte Unterrichtsminister, der noch Qualität der Schule und Leistungsanspruch an die Spitze stellen wollte, hat schon in den 60er Jahren seinen Rücktritt eingereicht, weil er sich mit diesem Anspruch nicht gegen andere Interessen durchsetzen hat können.
Seither haben sich die populistischen Schulprinzipien Milde und Leistungsreduktion noch immer weiter durchgesetzt.
Das ist in Summe ein ganz großes nationales Problem, dessen Auswirkungen noch auf viele Jahre zu spüren sein werden. Es verdient die gleiche Aufmerksamkeit wie der derzeit (zu Recht, wenn auch verspätet) von vielen beklagte schwere Absturz von Wirtschaftskonjunktur und Rechtsstaat. Intensives Nachdenken, wie man den Schaden am generellen Bildungsniveau reduzieren könnte, wäre daher dringend notwendig. Es wäre alles andere als Sadismus, sondern sollte zu den Topprioritäten der Nation gehören.
Politik und Medien haben das jedoch in keiner Weise erkannt. Sie befassen sich im Zusammenhang mit Schule nur mit drei anderen, im Vergleich marginalen Problemen:
Hingegen wird die Frage, ob das überhaupt jemals möglich sein wird, solange noch kein Entspannungssignal durch Impfungen oder funktionierende Therapie zu erwarten ist, tunlichst verdrängt.
PS: Diese Kritik an der Entwicklung im Bildungssystem wäre einseitig, würde man nicht jene Lehrer laut loben und vor den Vorhang holen, die sich in den letzten Wochen mit großem Engagement und Kreativität auf den elektronischen Fernunterricht gestürzt haben. Dabei haben zweifellos jene am besten punkten können, die sich schon seit langem offen und zukunftsorientiert mit einschlägigen Möglichkeiten des Internets befasst haben. Andere wiederum haben viel von diesbezüglichen Defiziten nachgeholt. Eine dritte Gruppe jedoch hat sich über solche dummen Maschinen erhaben gefühlt …