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Wir sind mit großer Wahrscheinlichkeit unterwegs in eine Fünfklassengesellschaft. Das klingt nicht nur für Linke schlimm. Das wird aber für den Fall eines zweiten und dritten Aufbrandens der Corona-Welle bald zur wahrscheinlichsten Entwicklung werden. Modelle dieser Art werden dann auch die Zustimmung sehr vieler Österreicher erhalten (die derzeit den bloßen Gedanken an so etwas entrüstet zurückweisen würden). Denn im Falle eines neuen heftigen oder lange dauernden Ausbruchs der Epidemie wird mit Sicherheit rascher Konsens entstehen, dass das Land keinesfalls noch einmal einen so totalen Lockdown wie zuletzt durchstehen kann, der alle Bürger gleichermaßen trifft.
Vorerst hängen allerdings noch viele Österreicher zwei gefährlichen Illusionen nach:
Daher werden wir uns jenseits von allen Phrasen wie "Gemeinsam schaffen wir das" mit gesellschaftlichen Strategien befassen müssen, wie wir auf längere Dauer mit dem Virus umgehen und leben können.
Hier gibt es wiederum zwei grundsätzlich unterschiedliche Strategien: entweder doch eine Durchseuchung zulassen oder aber an Stelle eines generellen Zusperrens der Republik eine ganz neue Vorgangsweise versuchen, eine Art Fünfklassenstrategie.
Der Weg zur "Durchseuchung" ist der zu einer circa 60-prozentigen Infektion der Bevölkerung, was den Virus aushungern lassen würde. Er gilt vielen als zynisch. Denn er nimmt in Kauf, dass es Hochbetagte und Menschen mit schweren Vorerkrankungen halt erwischen wird. Für alle anderen stellt der Tod durch Corona ein sehr kleines Risiko dar, wie wir heute wissen (und für die überdurchschnittlich exponierten Ärzte und Krankenschwestern wird es ausreichende und bessere Schutzeinrichtungen geben).
Wir werden Corona als neuen Teil der Conditio humana zur Kenntnis nehmen. Die Opfer sind dabei ein überschaubarer Kollateralschaden. Wir werden – außer ein bisschen mehr Händewaschen – das bisherige Leben wieder aufnehmen.
Gegen das Argument: "Für Menschenleben kann kein Preis zu hoch sein, Gesundheit ist das Wichtigste" wird immer mehr das Gegenargument an Stellenwert gewinnen: "Der Kampf gegen viele andere Krankheiten hat uns doch auch weitgehend kalt gelassen, obwohl im Kampf gegen sie mit viel weniger Geld und mit viel weniger strengen Maßnahmen eine viel stärkere Opferreduktion erreichbar wäre."
Dieses Argument hat in der Tat viel für sich: Vergleicht man etwa die Zahl der durch Rauchen ums Leben kommenden Menschen im bisherigen Verlauf des Jahres mit den Corona-Toten (also einschließlich der "mit" und nicht nur "durch" Corona Umgekommenen), dann entdeckt man, dass die Zahl der Rauchopfer weit mehr als zehnmal so groß ist! Und selbst durch Selbstmorde sind seit Jahresbeginn global mehr Menschen gestorben als – ebenfalls global – mit dem Covid-19-Virus. Auch die Zahl der Todesopfer von Unfällen ist größer.
All diese Arten zu sterben gehören zweifellos weitgehend zur Kategorie vermeidbarer Todesfälle. Dennoch habe ich in den letzten drei Monaten keinen einzigen Medienbericht, keine einzige Politikeräußerung zu einem dieser Themen gehört. Dabei wäre etwa das globale Verbot sämtlicher Tabakwaren ein weit geringerer Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen als die unglaubliche Einschränkung von Meinungs-, Bewegungs-, Gewerbe-, Versammlungs-, Begegnungs-Freiheit, die wir seit März hinnehmen mussten.
Die Menschen haben zwar bisher diese Einschränkungen mehrheitlich problemlos hingenommen. Sie haben sich von den Medien in so atemberaubende Panik versetzen lassen, dass ihre Mehrheit weltweit den schlimmen Zerstörungen der eigenen Grundrechte zugejubelt hat.
Die Regierungen werden daher in ein Dilemma geraten, wenn die nächste Virus-Welle über uns rollt: Sie können keinesfalls noch einmal den totalen Lockdown der letzten Wochen wiederholen. Sie können aber andererseits auch nicht einfach zugeben: Wir lassen der Infektion jetzt doch als überschaubares Risiko freien Lauf hin zur Durchseuchung. Da würden sie unter gewaltigen Druck bringen zu erklären: Warum nicht gleich? Warum haben Rechtsstaat und Wirtschaft zuerst so schwere Megaschäden erleiden müssen, wenn das Ganze gar nicht notwendig war?
Daher scheint die Suche nach einem ganz anderen Weg das wahrscheinlichste Szenario. Es wird mit Sicherheit der schon angesprochenen Idee einer "Fünfklassengesellschaft" ähneln. Diese Klasseneinteilung dürfte in etwa so aussehen:
Die Gesellschaft wird diese fünf Gruppen zunehmend unterschiedlich behandeln, auch wenn der abstoßende Ausdruck "Fünfklassengesellschaft" sicher nie ausdrücklich beschlossen werden wird. Worin diese Unterschiede genau bestehen werden, zeichnet sich zumindest in Umrissen ab.
Die erstgenannte Gruppe wird überhaupt keine Restriktionen mehr erleiden. Mit einer Ausnahme: Alle aus dieser Gruppe der Antikörper-Träger werden eine klare gesetzliche Pflicht auferlegt bekommen, Blut zu spenden, weil offenbar das daraus gewonnene Plasma für eine der besten der derzeit bekannten Therapie-Strategien benötigt wird.
Umgekehrt ist ganz sicher, dass die, deren Infektion bekannt ist, zwar Anspruch auf alle vorhandenen Therapien haben, dass sie aber zugleich viel strenger als derzeit komplett weggeschlossen werden (das erfolgt ja zum Glück nur vorübergehend, bis sich nach einigen Wochen Antikörper bilden). Eine viel strenger kontrollierte Quarantäne ist vor allem bei denen wichtig, die nicht ins Spital müssen. Etliche Infektionsherde sind ja jetzt schon nachgewiesenermaßen durch sie entstanden. Bei ihnen wird die Gesellschaft eine enorme Ähnlichkeit zu jenen Strafgefangenen entdecken, die mit einer elektronischen Fußfessel daheim wohnen dürfen, die rund um die Uhr überwacht ist. Auch dort wird dle Gesellschaft vor gefährlichen Mitmenschen geschützt. Das heißt: Es wird nicht mehr bloß zahnlose, aber von niemandem überprüfte Quarantäne-Anordnungen geben, sondern einen sehr effektiv durchgesetzten Hausarrest und totale Abschließung während der problematischen Wochen.
Die dritte Gruppe, die nichtsahnend Infizierten, wird nur durch breit angelegte Tests zu finden und zu reduzieren sein.
Am schwierigsten wird der Umgang mit der vierten Gruppe, also etwa Altersheiminsassen, Fällen der 24-Stunden-Betreuung, Krebskranken, an Lungen- Herz- oder Kreislaufproblemen Leidenden. Da es bei ihnen um einen dauernden Schutzbedarf geht, können keinesfalls die Maßnahmen der zweiten Gruppe, der Angesteckten, angewendet werden. Hier wird eine Fülle intensiver Betreuungsangebote und kreativer Maßnahmen notwendig werden, die aber zugleich austariert, dass diesen ohnedies belasteten Menschen nicht auf Monate und Jahre die Lebensfreude genommen wird. Dazu werden strenge regelmäßige Kontrollen der Betreuer und jener Familienangehörigen gehören, die sie wieder besuchen dürfen.
Jedenfalls wird die fünfte, also die größte Gruppe deutlich weniger Restriktionen erleiden als zuletzt; wahrscheinlich wird nur eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und das Recht auf Home-Office bleiben.
Diese Gesamtstrategie hat natürlich nur dann einen Sinn, wenn die Anzahl der Testungen auch in Österreich endlich so wie in anderen erfolgreichen Ländern (Südkorea, Taiwan bis Venetien) dramatisch erhöht wird. Damit wird sich die Zahl der zweiten Gruppe erhöhen, aber die Zahl der dritten Gruppe, also der eigentlichen Problemträger, wird sich signifikant verringern. Und es wird zweifellos auch zur Pflicht gehören müssen, sich testen zu lassen, wenn man nicht selbst in Quarantäne kommen will.
Der schwierigste Teil der Corona-Krise liegt also noch vor uns. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man die Zustimmung der Bürger für eine diesem Fünfklassenmodell ähnelnden Strategie nach dem Motto gewinnen können: Lieber dieses Modell als noch einmal eine Kollektivstrafe, als noch einmal den totalen Stillstand der März- und Aprilwochen 2020, an dessen Folgen in vielerlei Hinsicht wir ohnedies jetzt schon ein Jahrzehnt leiden werden.