Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Zur Corona-Krise hat Österreich nun auch eine Anschober-Krise. Und zwar gleich eine doppelte. Mit zunehmender Intensität wünscht man sich lieber die Ärztin Pamela Rendi-Wagner auf dem Sessel des Gesundheitsministers, oder zumindest auf dem des zuständigen Sektionschefs. Hat sie sich ja schon als Medizinerin gerade auf Epidemien spezialisiert, wäre also insofern eine Idealbesetzung. Sie hatte sich aber leider in einen Job wegloben lassen, für den sie völlig ungeeignet ist. Nun hat Sebastian Kurz dem grünen Minister zumindest bei einem seiner beiden Mega-Fehler voll ins Ruder gegriffen – wofür man ihm überaus dankbar sein muss. Zur zweiten Anschober-Katastrophe hat sich Kurz aber leider bisher nicht geäußert.
Zuerst zur ersten: Der Bundeskanzler hat es zwar mit viel Höflichkeit formuliert: Er habe Anschober um ein massives Hochfahren der Corona-Tests "ersucht". Aber in Wahrheit hat Kurz ganz eindeutig und massiv – vielleicht auch lautstark – eingegriffen. Und sich durchgesetzt.
Dabei hat Anschober noch ein paar Stunden vorher der APA erklärt, dass er und sein "Fachbeirat" den auch von der SPÖ-Chefin erhobenen Ruf nach flächendeckenden Tests "als nicht sinnvoll" bewerten. Dieses Verlangen sei "auch aufgrund der Ressourcen nicht umsetzbar." Man habe eh die Labor-Kapazität schrittweise auf 4000 Tests pro Tag erhöht.
Als er jetzt von Kurz zu einer 180-gradigen Kurskorrektur und zu einer Fast-Vervierfachung dieser Zahl gezwungen ("gebeten") worden ist, konnte der Gesundheitsminister sein bisheriges Schlafen nur durch ein gestottertes Argument verteidigen: Man hätte auf die technische Entwicklung der Tests warten wollen.
Dümmer geht’s nimmer. Es muss doch jedem klar sein: Selbst nicht hundertprozentig sichere Tests sind besser als keine. Vor allem, wenn die nun in breiter Front versprochenen Schnelltests nur solche Menschen als infiziert anzeigen, die auch wirklich infiziert sind. Und jener kleine Teil, der zwar schon infiziert ist, wo aber die Schnelltests noch keine Erkrankung anzeigen, hätte ja auch ohne Einführung dieser Schnelltests als vermeintlich nicht-ansteckend gegolten. Also auch nicht perfekte Tests sind nur eine Verbesserung, keine Verschlechterung.
Aber ganz unabhängig von diesen offenbar in Kürze kommenden Do-it-yourself-Schnelltests: Auch die in den Augen des Gesundheitsministers professionellen und daher sichereren Tests werden jetzt – also noch, bevor jeder Österreicher selber zuhause Schnelltests machen kann – als Folge des Kurz-Eingreifens massiv hinaufgefahren. Davon werden jetzt täglich 15.000 möglich sein, also mehr als die Hälfte dessen, was seit Beginn der Epidemie insgesamt(!) an Testungen vorgenommen worden ist. Das ist ein völlig untragbarer Zustand gewesen, bei dem etwa (wie hier gestern berichtet) selbst Asienrückkehrern mit Lungenentzündung vom Rotkreuz-Gesundheitsministeriums-Telefon die Testung verwehrt worden war.
Man kann dem Bundeskanzler nicht genug danken, dass er da jetzt eingegriffen hat. Natürlich kann man immer fragen, ob er das nicht früher tun hätte sollen. Aber erstens gibt es in der österreichischen Verfassung eigentlich eine genaue Kompetenzverteilung. Und zweitens ist ja auch Kurz so wie wir fast alle ein medizinischer Laie.
Das ist Anschober allerdings auch. Deshalb hat er sich viel zu lange auf irgendwelche in der Anonymität werkende "Experten" eines Fachbeirats verlassen, die sich wochenlang skurrilen Spielen und Kurvendiskussionen hingegeben haben, die vermutlich auch an der bei Wissenschaftlern und Beamten so häufigen Krankheit leiden: "Ich bin der Klügste und wenn ich mich einmal verrannt habe, dann bleibe ich konsequent auf dem Irrweg". Dabei sind ständig spieltheoretische Simulationen herausgekommen: Wenn wir die Kontakte um soundso viel Prozent verringern, dann reduzieren wir die Infektionen um soundso viel Prozent. Der Rest – wie Tests und Anschaffung von Masken, Schutzanzügen und Sauerstoffgeräten – hat Anschobers Spieltheoretiker nicht interessiert.
Ihren von Anschober gedeckten Spielen haben wir wochenlange Verspätung bei den diversen Anschaffungen – und einen horriblen Polizeistaat zu danken!
Jetzt hat es sich zumindest mit dem Verlassen auf Kurven und Simulationen ausgespielt. Jetzt hat Kurz das getan, was auch ein grüner Minister tun hätte können: Er hat den gesunden Menschenverstand eingeschaltet. Man könnte ein wenig eitel auch sagen: Kurz hat in den letzten Tagen intensiv das Tagebuch gelesen.
Kurz hat jedenfalls erstens genau das getrommelt, was hier schon mehrfach – durchaus laienhaft, aber dem zentralen Ratschlag der Weltgesundheitsorganisation folgend – verlangt worden ist: "Testen, testen, testen!" Und er hat in seinen Auftritten auch den zweiten, im Tagebuch immer wieder angesprochenen Gedanken aufgegriffen: Der heißt in Kurzform "Südkorea". Und in Langform: Man schaut sich in solchen Krisen jene Länder an, von denen man etwas lernen kann, weil sie schon früher erfolgreich mit der Epidemie umgegangen sind, ohne die Gesellschaft so abzutöten, wie es bei uns geschehen ist.
Der Blick nach Südkorea macht die Ausrede von Anschober auch lächerlich, er habe halt auf die technische Entwicklung der Tests warten wollen: Denn Südkorea hat schon viele Wochen früher 300.000 Tests gemacht, ohne auf irgendwelche Entwicklungen zu warten (und dann jeden positiv Getesteten – aber eben nicht eine ganze Nation – zu strengster Isolation gezwungen). 300.000 sind zehnmal so viel, wie bis heute in Österreich getestet worden sind. Was die Südkoreaner technisch geschafft haben, was dort schon damals ohne Aufhebung des Rechtsstaats möglich war, muss doch auch bei uns möglich sein.
Gewiss, Anschober hat im Regierungsteam mit seinen falschen Strategievorschlägen einen kongenialen Partner gefunden: den Polizeiminister Nehammer. Nicht nur mir, sondern vielen Österreichern wird bei jedem Auftritt Nehammers angst und bang, wenn er sadistisch-lustvoll von den strengen Strafen spricht, mit denen jetzt der totale Kontrollstaat von seinen auch nicht gerade sadismusfreien Truppen durchgesetzt wird.
Kurz hat höchstwahrscheinlich deshalb eingegriffen, weil er zu spüren begonnen hat, dass die Stimmung zu kippen beginnt. Deshalb hat er sich – mit seinem nach wie vor sensationellen Kommunikationsgenie – wieder voll an die Front gestürzt. Ich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass der Bundeskanzler neben einer Pressekonferenz am Vormittag am gleichen Abend in den meist gesehenen Nachrichtensendungen – also jedenfalls der des ORF und der von Servus-TV sowie möglicherweise auch in denen von kleineren Sendern – lange Exklusivinterviews gegeben hat (wobei die Qualität der Interviewfragen übrigens wieder einmal nicht für den ORF gesprochen hat …).
Noch viel ärger als Anschobers Versagen in Sachen Tests sowie bei der rechtzeitigen Beschaffung von Masken, Sauerstoffgeräten und Isolieranzügen sind aber jene unglaublichen Sätze, die der Gesundheitsminister vor ein paar Tagen in einem Radio-Interview formuliert hat. Damit sind die Vorahnungen noch weit übertroffen worden, die man schon bekommen hat, als Anschober bei Amtsantritt gesagt hat, er wolle sein Ressort in "Ministerium für Zusammenhalt" umbenannt sehen. Das ist eine Formulierung, wie wenn sie von George Orwell als Teil einer ultimativen Diktatur ausgedacht worden wäre (die ja auch ein "Ministerium für Liebe" betreibt ...).
In diesem Interview wird Anschober von einem roten ORF-Politruk um Zustimmung heischend gefragt, ob die jetzt ergriffenen "drastischen Maßnahmen" nicht auch gegen die "Erderhitzung" am Platze wären. Diese Frage heißt nichts anderes als: Sollen wir unter Berufung auf weitere Panik-Szenarien nicht den jetzigen totalitären Polizeistaat praktischerweise gleich dauerhaft fortführen? Das "Erderhitzungs"-Szenario eignet sich ja auch nach dem in einem Jahr wohl abgenutzten Corona-Virus noch für viele Jahrzehnte hervorragend (Notfalls holt man halt die Weltuntergangs-Schülerin aus Schweden wieder aus der Requisitenkiste, um das zu begründen; ist sie doch ohnedies vom Papst über unseren Bundespräsidenten bis zum UN-Präsidenten wie eine Prophetin angehimmelt worden).
Aus Anschobers Antwort ist mit jedem Ton zu hören, wie fasziniert er sofort von der Anregung des ORF-Genossen ist. Er weist den Gedanken einer Perpetuierung der drastischen Maßnahmen nicht etwa zurück, sondern stimmt ihm sogar ausdrücklich zu. Wörtlich:
"Es ist beachtlich, dass wir Dinge in die Wege geleitet haben, wo vor einer Woche jeder gesagt hätte: Das ist unmöglich in Österreich. Dieses Denken werden wir beim Klimaschutz, bei der größten globalen Krise, die wir haben, genauso brauchen. Ich halte das für einen Lernprozess. Und ich freue mich darauf, wenn wir die Corona-Krise überstanden haben, dass wir dann die Klimakrise mit einer ähnlichen politischen Konsequenz angehen werden."
Da muss man sich wirklich jedes Wort zweimal durchlesen, auch wenn einem schon beim ersten Mal der kalte Angstschweiß auf die Stirne getreten ist.
Da wird ganz offen und intensiv von der permanenten Diktatur geträumt! Da hat sich einer wirklich schon alle argumentativen Bausteine zur Ewig-Erklärung des Polizeitotalitarismus bereitgelegt. Man braucht Anschober nur genau zuzuhören, um sogar eine noch viel schlimmere und längere Diktatur herankommen zu sehen. Ist doch für ihn die Klimakrise überhaupt die "größte Krise", also jedenfalls eine größere noch als die ohnedies schon heute das ganze Land lahmlegende Corona-Krise. Damit kann man dann spielend noch härtere Maßnahmen einer grünen Ökodiktatur begründen (für uns wird das allerdings nichts mit spielend, sondern nur mit bedrückend zu tun haben).
Wenn die CO2-Emissionen im Corona-Jahr (die jetzt durchs Parlament gepeitschte Ausnahmezustands-Gesetzgebung ist ja eh gleich bis Jahresende datiert!) so drastisch zurückgehen, wie sie es in den letzten Wochen zweifelsfrei getan haben, dann ist ja der – scheinbare – Beweis erbracht: Man muss nur die Leute in ihre Wohnungen sperren, alle Fabriken und Baustellen herunterfahren, alle Schulen und Veranstaltungen verbieten, und schon ist der Planet gerettet.
Bitte, lieber Herr Bundeskanzler: Sie müssen ja nicht jedes Anschober-Interview gehört haben, aber lesen Sie dieses nach und fahren dann bitte mit einem noch viel lauteren Donnerkeil hinein als bei den Corona-Tests! Wenn Sie das nicht tun, dann werden Sie nämlich – bei allen Verdiensten, die Sie in Sachen Tests errungen haben – mitschuldig. Qui tacet consentire videtur. Dieser Satz gilt vor allem dann, wenn man Chef einer Regierung ist, wo ein Minister so unglaubliche Dinge sagt. Und der diese Worte bis heute nicht zurückgenommen hat.
Gegen diese beiden katastrophalen Fehler Anschobers ist es nur lächerlich, wie jetzt die Freiheitlichen versuchen, auch irgendwie wieder den Fuß auf die politische Landkarte zu bekommen: Sie wollen Anschober jetzt mit einem U-Ausschuss bedrängen – aber ausgerechnet wegen der Corona-Ansteckungen im Skiort Ischgl. Dort sind sicher in jenen Tagen Fehler passiert, weil man die Gefahren nicht richtig eingeschätzt hat. Dort hat möglicherweise auch das Gesundheitsministerium ein Eingreifen versäumt. Aber mit absoluter Sicherheit hätte der globale wie nationale Corona-Brand genauso losgelodert, wenn der Ort Ischgl gar nicht existieren würde.
Feuchte Diktatur-Träume seit ein paar Monaten im Amt befindlicher Minister sind jedenfalls tausendmal schlimmer als die Tatsache, dass einige Dutzend von Hunderttausend globalen Ansteckungen in Ischgl erfolgt sind. Wer das nicht begreift, ist halt wirklich geistig nie über tiefstes Kronenzeitungs-Niveau hinausgekommen.
Kurz täte aber auch gut daran, in den allernächsten Tagen noch an einer weiteren Front einzugreifen, wo ebenfalls die Stimmung kippt: bei der Vergabe der in der vorigen Woche beschlossenen 38 Milliarden Euro, womit Österreich die Wirtschaft in Gang halten will. Dabei ist offensichtlich mengenweise Sand im Getriebe, weil noch immer niemand die Regeln kennt, wer eigentlich wie viel wann bekommen kann, und was man alles beweisen muss, bevor man an das Geld herankommt.
Es erweist sich zunehmend als problematisch, die Wirtschaftskammer damit beauftragt zu haben. Denn die war zwar rasch mit dem Selbstlob und medienberuhigenden Inseraten, hat aber noch immer keine Nägel mit Köpfen zustandegebracht (die Vermutung ist groß, dass die Personalabbaumaßnahmen in der Kammer in den letzten Jahren allzu viele fähige Köpfe ersatzlos hinausintrigiert haben).
Außerdem ist es absurd, dass Hunderttausende österreichische Einkommensteuerzahler, die gar nicht Mitglieder dieser Wirtschaftskammer sind, jetzt bei dieser betteln gehen sollen, damit sie auch eine Unterstützung bekommen. Selbst wenn dort mit überirdischer Gerechtigkeit vorgegangen würde, würde jeder freiberuflich Tätige naturgemäß tiefstes Misstrauen haben, dass die WKO nicht ihre eigenen Mitglieder bevorzugt.
Genauso problematisch ist es, wie bürokratisch sich die von der Politik so empfohlene Kurzarbeit in der Praxis für die Arbeitgeber erweist. Hier müsste sofort das Mitsprache- (und damit auch Veto-!) Recht der Betriebsräte eliminiert werden. Kein Wunder, dass jetzt viel mehr Arbeitnehmer gleich ganz gekündigt werden, bevor sich ein Unternehmen Bürokratie und Betriebsrats-Verhandlungen antut. Wenn eh gleichzeitig der Ausnahmezustand immer mehr verlängert wird.
Die Sozialpartner haben sich (auch) in der Krise mehr als Problem, denn als Problemlöser erwiesen. Allerdings kann man jetzt den Fehler, sie in den letzten Tagen wieder eingeschaltet zu haben, nicht mehr ganz rückgängig machen. Das würde wohl zu lange dauern, würde man die Förderungen jetzt doch direkt über die republikseigenen und daher neutralen Finanzämter abwickeln statt über interventionsanfällige Interessenvertretungen. Zumindest die Ersthilfe muss jetzt wohl notgedrungen über die WKO gehen.
PS: Ich gebe offen zu, die ersten Corona-Auftritte der Herren Anschober und Nehammer durchaus positiv gesehen zu haben. Aber ich hab ja kein Problem dazuzulernen. Außerdem haben sich anfangs beide Herren nicht von ihren offenbar wahren Seiten gezeigt.
PPS: Wenn eines Tages auch der Kampf zur Rettung des Planeten nicht mehr ausreicht, um die Notwendigkeit eines totalitären Polizeistaats zu begründen, dann steht das überhaupt ultimative Diktatur-Argument schon bereit: Der Kampf gegen die fürchterlichen Bedrohung von rechts! Der ist ja schon durch den Koalitionspakt fest vorprogrammiert, wo alle möglichen rechtstaatswidrigen Methoden für den notwendigen Kampf gegen den offenbar bedrohlichen Rechtsextremismus angekündigt worden sind.