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Es ist schon einige Jahre her, da habe ich genau das Gleiche erlebt, was jetzt tausenden Männern passiert. Diese Erinnerung motiviert zu einigen unangenehmen Fragen zum scheinbar so intensiven Krisenmanagement der Republik, das aber in Wahrheit noch immer einen weiten Bogen um etliche Tabus macht (mit nachträglicher Ergänzung).
Damals, es war das Jahr 1968, musste ganz Österreich ein sehr schlimmes Schicksal befürchten. Damals spannte das Land etliche Wochen all seine Kräfte an. Auch damals leerten Menschen in Panikreaktionen die Regale der Geschäfte. Auch damals war das Land zuerst vom Schock und dann von Angst geprägt.
Ich hatte Ende August 1968 meine zwölf Monate eines (nur selten sehr sinnvoll verstreichenden) Dienstes in Uniform fast fertig absolviert. Ich hatte schon fast all meine Uniformstücke und auch meine Waffe abgegeben, als plötzlich aus dem Radio und Stunden darauf von den Vorgesetzen der Schreckensruf kam: Nix da, hiergeblieben, alle vermeintlichen Abrüster werden die Republik weiter verteidigen.
Meine Begeisterung hielt sich in engen Grenzen. Allzu konkret wollte ich meinen verbal sicher vorhandenen Patriotismus eigentlich nicht eingesetzt sehen. Wie sehr hatte ich mich auf ein paar freie Wochen vor der anstehenden Universität gefreut.
Doch zwei Tage später wich der Unmut beklemmenden Angstgefühlen: Ihr Auslöser war plötzlich ertönendes dumpfes Dröhnen. Es waren österreichische Panzer, die über eine Zwischenstation in unserer Kaserne in Richtung Norden unterwegs waren.
Da war es emotional Schluss mit lustig und zornig. Da wurde das Thema Krieg plötzlich sehr konkret – und es war uns allen klar, dass Österreich einen solchen nicht lange durchhalten konnte. Daher setzten wir uns bange mit der Perspektive auseinander: Es gibt überhaupt keine Sicherheit, dass die sowjetischen Panzer und die der anderen kommunistischen Länder nach dem Einmarsch in der Tschechoslowakei nicht auch nach Österreich weiterrollen – und dort bleiben. So wie sie unter fadenscheinigen Vorwänden aus ideologischem Imperialismus die nach Freiheit (und Ausbruch aus realsozialistischer Armut und Not) dürstenden Tschechoslowaken überfallen und niedergewalzt haben. Wir hätten sie nicht ernstlich aufhalten können, wenn sie das auch Richtung Österreich tun.
Schon damals traute nämlich niemand den Medien, dass sie alles Relevante kommunizieren.
Später – selbst auf die mediale Seite gewechselt – erfuhr ich dann, dass tatsächlich die Bundesregierung im Sommer 1968 die Medien an eine sehr kurze Leine genommen hatte. Dass es tatsächlich Pläne des kommunistischen Blocks gegeben hatte (Stichwort Polarka), quer durch Österreich das zwar ebenfalls kommunistische, aber die sowjetische Kolonialherrschaft ablehnende Jugoslawien anzugreifen und in die Zange zu nehmen. Dass sich der sowjetische Block damit einen dauernden Vorwand für Verbleib zumindest in Ostösterreich verschafft hätte, wo die Sowjets ja schon einmal zehn Jahre lang waren. Und dass damals nur die Gegendrohung der Amerikaner Österreich gerettet hat, die den Sowjets klargemacht haben: Ein solcher Vorstoß wäre ein eindeutiger Casus belli.
Heute ist der Großteil der Österreicher zu jung, um sich an jene dramatischen Tage zu erinnern. Und der (vor allem als Folge der linksradikalen Machtübernahme an den meisten historischen Universitäts-Instituten) ideologisierte Geschichtsunterricht in den Schulen befasst sich ja nur mit den Verbrechen der Nazis, aber überhaupt nicht mit denen der Kommunisten und der Nachkriegszeit.
So ist es auch irgendwie verständlich, wenn auch ahistorisch, dass Sebastian Kurz nur der Vergleich mit dem Jahr 1945 einfällt, um den Ernst der gegenwärtigen Situation klarzumachen. Es gäbe im Übrigen neben 1968 auch noch eine Reihe mindestens ebenso gefährlicher Episoden in der Geschichte der letzten 75 Jahre, mit denen man vergleichen kann, wie etwa den ungarischen Freiheitskampf 1956, wo Österreichs Freiheit noch mehr exponiert gewesen ist; wie etwa die Kubakrise, wo alle Atomraketen schon aktiviert waren. Aber zum Glück sind diese Geschichtskapitel im Gegensatz zu den schrecklichen Jahrzehnten vor 1945 nicht in die befürchtete und mögliche Katastrophe eskaliert. Sodass sie heute offensichtlich dem kollektiven Gedächtnis entschwunden sind, und auch dem des jungen Kanzlers.
Jedenfalls passiert jetzt den heutigen Präsenzdienern Ähnliches wie uns 1968. Auch sie müssen länger im Dienst der Republik bleiben als geplant. Das kommt für die meisten Soldaten genauso als unerwarteter und innerlich abgelehnter Schock wie für uns damals.
Auch für die heutigen Präsenzdiener ist der Schock weit größer als für die restlichen Österreicher (sofern sie noch gesund sind). Diese merken die Krise etwa am Ausbleiben von Aufträgen oder daran, dass sich der Terminkalender binnen Stunden rapid leert, oder daran, dass Fußballspiele im Fernsehen ohne Zuschauer eine todlangweilige Sache geworden sind. Viele werden die Dimensionen und vor allem Folgen dessen, was da passiert, erst lange nachher wirklich überschauen. Aber ich kenne auch zwei Frauen, die ob der totalen 7/24-Berichterstattung zum immer gleichen Thema total die Nerven weggeschmissen und hysterisch weinend sich psychisch außerstande erklärt haben, an ihren (noch vorhandenen) Arbeitsplatz zu kommen.
Dramatisch sind die letzten Stunden auch noch für eine weitere Gruppe geworden, die wenige Stunden davor nicht einmal im Schlaf an so etwas gedacht hätte: Erstmals müssen auch Zivildiener länger dienen als geplant, bei ihnen droht sogar einigen Ehemaligen eine neuerliche Einberufung, eine "Mobilmachung".
Das ist doppelt bemerkenswert:
Die Zwangsverpflichtung der Zivildiener ist jedenfalls ein Beweis, dass in Österreich derzeit viele Muskeln angespannt werden, um einen Feind zu bekämpfen. Der diesmal halt nicht mit tausenden Panzern anrückt, sondern mit einer unsichtbaren Armee winzig kleiner Viren. Das Verhalten Österreichs wird interessanterweise zum dritten Mal binnen weniger Jahre von vielen deutschen Medien als Vorbild dargestellt (so wie 2006 wegen der erfolgreichen Wirtschaftspolitik, so wie 2016 wegen der von Österreich koordinierten Balkansperre).
Aber dennoch sollte man selbstkritisch fragen: Spannt Österreich wirklich alle Muskeln an? Gerade in einer Situation,
in einer solchen Situation muss man ganz dringlich die von der Politik peinlich vermiedene Frage stellen: Gibt es jetzt auch nur noch einen einzigen Grund, warum nicht auch Frauen im gleichen Lebensalter eine Dienstpflicht absolvieren müssen? Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt dafür gekommen?
Erst wenn das Land, wenn die Regierung sich auch dieser Frage – nein Notwendigkeit – stellt, wird man sagen können: Ja, Österreich redet nicht nur, sondern handelt wirklich mit allen Kräften. Jetzt ist die dringende Zeit gekommen, vieles neu zu denken, überholte Tabus zu durchbrechen.
Aber auch auf anderen Ebenen dämpfen einige Beobachtungen den strahlenden Anschein, dass es wirklich eine gesamtösterreichische Anstrengung gibt:
So legt in der Justiz eine unsichere Ministerin die nötigen Entscheidungen in die Hände der Richter, statt dass sie – wie es die anderen Ressorts tun – übers Wochenende ein Gesetz durchgebracht hätte, das für die Justiz dekretieren würde:
Aber auch der Innenminister müsste eigentlich in seinem Bereich dringend einige nötige Gesetze einbringen. Diese Gesetze müssten alle Familienzusammenführungen und alle laufenden Asylverfahren stoppen, die sich nicht auf unmittelbare Nachbarländer Österreichs oder der EU beziehen. Gewiss, das verstößt vorerst – vorerst! – noch gegen die bisherigen internationalen Normen. Ringsum ist aber die Diskussion rasch im Wachsen, dass die Asyljudikatur dringend geändert werden muss.
Und eine Sistierung der gegenwärtigen Asyl(missbrauchs)praxis ist jedenfalls eine weit geringere Verletzung des konkreten EU-Rechts als das Verhalten Deutschlands, das korrekt gekaufte Medizinprodukte nicht mehr ans EU-Ausland liefern lässt, oder das Forscher, wie weiland die DDR, an der Ausreise hindern möchte, denen aus den USA attraktive Forschungsmöglichkeiten im Kampf gegen Corona angeboten werden.
Und noch ein Gebiet sei genannt, wo die angeblich allgemeine Muskelanspannung noch nicht überall eine solche ist. Dabei geht es um die große – und berechtigte – Sorge, dass bei einem weiteren Steigen der ernsten Krankheitsfälle die heimischen Spitäler trotz allergrößter Anspannungen nicht ausreichen. Da wird zwar schon über die Anmietung von Messehallen verhandelt – aber nirgendwo ist die längst fällige Räumung und Umwidmung von Rehabilitationszentren der Pensionsversicherung in Angriff genommen worden.
Diese sind halt eine andere Baustelle als das Gesundheitssystem und werden daher einfach übersehen. Dabei geht es nicht um die orthopädischen Rehab-Zentren, sondern um die internistischen (nach Herz- und Kreislauferkrankungen muss man ja ohnedies oft monatelang auf die Rehab- und Kurplätze warten, wo es ja salopp ausgedrückt vor allem um Gewichtreduktion geht). Diese Zentren sind zumindest zum Teil sehr gut ausgestattet. Dort gibt es Sauerstoffgeräte. Dort gibt es Internisten (die sich auch selbst wundern, dass die Rehab-Zentren nicht schon längst für die erwartete Corona-Welle geräumt worden sind). So hat das internistische Rehab-Zentrum im steirischen St. Radegund 15 Ärzte und 150 gut ausgestattete Betten (die vermehrbar sind). Klingt irgendwie sinnvoller als Messehallen.
Gewiss, alles ist sehr rasch gekommen. Gewiss, an manches hat man noch nicht wirklich gedacht. Die nächsten Tage werden jedenfalls zeigen, ob man es wirklich ernst nimmt mit dem Kampf, oder ob es primär nur um Show geht. Denn die jetzt beschlossene Lahmlegung der Republik wird sich mit Gewissheit nicht monate- oder gar jahrelang durchhalten lassen, wenn man Maßnahmen wie die hier aufgezählten aus Angst vor Tabus außen vor lässt.
Nachträglicher Ergänzung: Einen halben Tag nach Erscheinen dieses Textes hat sich bei den Rehab-Zentren Grundlegendes geändert: Auch sie sind jetzt voll in die Betten- und Behandlungsstrategie für das österreichische Gesundheitssystem einbezogen worden. Respekt.