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Was noch vor wenigen Wochen als böser Nationalismus beinahe ins Gefängnis geführt und zur Kollektivbeschimpfung durch alle Zeitgeistler geführt hätte, ist heute durch Corona (wieder) zur unumstrittenen Tatsache geworden: Der entscheidende Akteur der europäischen Politik ist einzig und allein der Staat, ist jenes Gebilde, das Linke verächtlich Nationalstaat nennen. Wenn es hart auf hart geht, wenn rasche und starke Entscheidungen gefordert sind, wenn die Menschen in Stunden der Not Zuflucht suchen, dann ist der Nationalstaat durch nichts zu ersetzen. Dann erweisen sich Gebilde wie EU oder UNO als bestenfalls sekundäre Überbauten. Das gilt insbesondere für Österreich und viele andere Länder, wo der Staat funktioniert. Das gilt aber auch für jene, wo das nicht der Fall ist. Das darf man erfreut wie besorgt festhalten. Das ist aber zugleich auch in gleich achtfacher Hinsicht eine gewaltige Gefahr (mit nachträglicher Ergänzung).
Fast alles, was in den letzten Wochen wichtig und richtig war, aber gewiss auch viel von dem, was es an Fehlern und Irrtümern gegeben hat, ist auf staatlicher Ebene passiert. Dabei zeigen die Staaten freilich auch unglaublichen Egoismus nach außen – so als ob sie sich alle wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts völlig feindlich gegenüberstehen würden. Die absurden Übertreibungen des elitären Supranationalismus in den letzten Jahrzehnten – insbesondere durch überregulierungsgierige, aber menschenferne Behörden und Gerichte in Brüssel und Luxemburg – sind gleichsam mit einem Federstrich ins Gegenteil gekippt worden. Jetzt schaut jeder Staat nur noch brutal auf sich selbst.
Die Staaten haben aber gleichzeitig auch von unten, von den Regionen Macht an sich gerissen. Das kann man etwa in Österreich sehr genau sehen. Da hat auf fast allen Ebenen der Bund das Sagen übernommen. Die meisten Österreicher sagen aber: zu Recht! So wie sie sich auch freuen, dass sich der Bund und nicht die ferne EU um sie kümmert.
Gleichzeitig ist fast alles, was es an erkennbaren Pannen gegeben hat, auf Landesebene passiert: der saloppe und offensichtlich grob fahrlässige Umgang Tirols mit den viel zu spät geschlossenen Krankheitsherden in Ischgl und den Arlberg-Skigebieten; die zu spät erfolgende Wegsperrung von Spitalsbesuchern in Wien und wohl auch anderen Bundesländern; die unzureichende Testung von Verdachtsfällen vor allem in Wien, wo sogar Ärzten(!!), die sich als gefährdet erklären und die dann später tatsächlich als infiziert erkannt worden sind, drei Tage lang die Testung verweigert worden ist; oder die viel zu spät einsetzende Kontrolle von China-Reisenden am Wiener Flughafen.
Erst als der Bund durchgegriffen hat, haben sich die Dinge gebessert. Freilich trägt auch der Bund für viele Pannen die Verantwortung, insbesondere für die unzureichende Kapazität der bundesweit angepriesenen Hotline.
Umgekehrt: Kann man Behörden und Politik wirklich für die diversen Pannen tadeln (was Journalisten im Nachhinein ja immer sehr gut können), wenn trotz aller Warnungen und Verbote noch vorige Woche hundert Ärzte an einem sogenannten Kongress (in Wahrheit sind das natürlich immer luxuriöse und gesponserte Ski-Ausflüge) am Arlberg teilgenommen haben?
Tatsache ist jedenfalls ganz unabhängig davon, dass die Österreicher seit zwei Wochen allabendlich in unglaublichen Mengen via die diversen TV-Sender an den Lippen des Sebastian Kurz hängen. Dieser ist mit seiner sympathischen Sachlichkeit und überzeugenden Eindringlichkeit zweifellos am Gipfelpunkt seiner politischen Laufbahn angekommen. Fast kann man sich bildlich vorstellen, wie auf der anderen Seite des Ballhausplatzes der Bundespräsident feixt und nachsinnt, ob er doch irgendwie Aufmerksamkeit und Gewicht erringen könnte. Und wie ihm doch nichts einfällt, seit wir wieder einen Bundeskanzler mit parlamentarischer Mehrheit haben und nicht ein Vakuum, das dem Bundespräsidenten Gelegenheiten zum Wichtigsein gegeben hat.
Lassen wir heute die Ahnung beiseite, dass auch für Kurz auf jeden Gipfelpunkt wieder ein Abstieg kommen muss. Halten wir jetzt einmal fest, dass da alle Erwartungen und Kompetenzanmutungen wie selbstverständlich bei jenem Mann gelandet sind, dem die Bürger und insgeheim auch die Opposition das Wichtigste in Krisenstunden zuschreibt: Leadership. Dabei ist das Gesundheitswesen eigentlich laut Verfassung Landessache, und Seuchen sind Sache des Gesundheitsministers, während der Bundeskanzler rein rechtlich da gar keine Kompetenz hat.
Aber Kompetenz bekommt man nicht, sondern die hat man. Oder eben auch nicht.
Keiner der Landeshauptleute hat in den letzten Wochen sonderliche Leadership gezeigt. Sie und ihre Gesundheitslandesräte sind zu gehorsamen Befehlsempfängern geworden, wie wenn sie bloß beamtete Bezirkshauptleute wären.
Zur Leadership des Sebastian Kurz gehört auch, dass er ständig alle geschickt einbindet: an der Spitze zweifellos den Koalitionspartner (was für ein Kontrast zu den Zeiten, da die Klimas, Faymanns oder gar Kerns den schwarzen "Partner" möglichst oft auszutricksen und zu blamieren versucht haben!). Kurz hatte schon 2017 gegenüber seinem damals blauen Koalitionspartner eine ähnliche Einbindung versucht (bis er sie im Mai 2019 freilich abrupt beendet hat). Selbst Herbert Kickl hat das am Ende als "freundschaftlich" qualifiziert. Dieses Teambuilding-Verhalten hat sich Kurz ganz eindeutig bei Wolfgang Schüssels Stil nach 2000 abgeschaut (oder angesichts seines Alters wohl genauer: nachgelesen). Auch Opposition, Sozialpartnern und Ländern gönnt er geschickt ein bisschen Luft zum Atmen. Was wiederum an Bruno Kreisky erinnert.
Aber nicht nur in Österreich hat sich in diesen Wochen gezeigt, wie entscheidend bei Krisensituationen immer die Nummer Eins ist. Staaten funktionieren immer ganz in Abhängigkeit von den Fähigkeiten des Mannes an der Spitze. Fast wie in Zeiten der absoluten Monarchie.
Das gilt übrigens nicht nur für Staaten, sondern auch für jede andere Organisation, jedes Unternehmen, jedes Medium, jede Partei: Erst in Stunden der Herausforderung merkt man wirklich, ob jemand mit Leadership an der Spitze steht. Der Sicherheit ausstrahlt. Der Gespür für die richtigen Entscheidungen im richtigen Moment hat. Der seine Entscheidungen gut kommunizieren kann. Der alle mitnimmt. Und der allen das Gefühl gibt dazuzugehören. Wobei aber insgeheim alle doch sehr froh sind, dass oben jemand anderer die letzte Verantwortung trägt, dass es einen Kapitän, einen Teamleader gibt.
Genau dieses Kollektivgefühl spricht Kurz selbst dadurch an, dass er immer wieder sagt: "Wir sind ein Team". Womit er nicht nur die derzeit ganz in Harmonie schwelgende Regierung meint, sondern ausdrücklich das ganze Volk.
Im Grund ist aber immer Kurz selbst gemeint, wenn man in diesen Stunden aus Deutschland oder der Schweiz begeisterte Stimmen über Österreich als Gegenbild zum angeblichen Versagen der eigenen Regierung hört. Wenn ein bayrischer Comedian sogar verlangt, dass er Österreicher werden will - nachdem sich gerade die Bayern jahrzehntelang über die Ösis lustig gemacht haben.
Kehren wir zum großen Comeback der Nationalstaaten als "Leader of last resort" zurück, um eine Bezeichnung aus der Währungspolitik abzuwandeln. Wohl kein einziger Österreicher glaubt, dass es besser gewesen wäre, wenn statt der Bundesregierung in diesen Tagen die EU die Zügel in der Hand hätte (sie ahnen, dass in diesem Fall wohl noch heute über die ersten Maßnahmen gestritten würde - unter den Mitgliedsstaaten, und zwischen Rat, Kommission und Parlament). Oder wenn man sie in den Händen der Länder und Gemeinden schleifen lassen hätte.
Dieses Comeback ist nicht nur am derzeitigen internationalen Hype für Österreich ablesbar (Österreich hat im Verhältnis zur Bevölkerung zwar recht viele Infizierte – aber überaus wenige Todesopfer, was entweder ein gutes Gesundheitssystem beweist oder ein effizientes Erfassen der vom Virus Infizierten, während es anderswo noch eine riesige Dunkelziffer gibt). Die zentrale Rolle der Staaten ist auch an der starken Performance einiger anderer Länder ablesbar – aber genauso auch am Tadel für etliche andere Regierungen.
Das muss man derzeit vor allem von Deutschland bis Großbritannien, von Italien bis Amerika erfahren. Dabei lassen wir einmal beiseite, dass linke Ideologie-Anstalten wie der ORF nur die rechten Regierungen in London und Washington attackieren, aber nie die linken in Rom und Berlin, obwohl überall grobe Handlungsdefizite zu beobachten sind.
Es geht bei diesen Defiziten immer um die gleichen zwei Dinge:
Aber immer sind eben die Nationalstaaten die Adressaten von Lob wie Tadel. Niemand kommt derzeit auf die Idee, sich Orientierung und Hilfe suchend an die EU oder UNO zu wenden.
Die EU kann gegen die Nationalstaaten nicht einmal das mehr durchsetzen, wozu sie eigentlich geschaffen worden ist, und wo sie auch weiterhin sinnvoll und wichtig wäre: den Binnenmarkt für Waren. So haben Frankreich und Deutschland kurzerhand für mehrere Tage den Export wichtiger Medizingüter an andere EU-Länder gestoppt. Dabei geben sich gerade diese beiden sonst ständig als EU-Vorzugsschüler, haben aber offensichtlich damit immer nur die eigene Rolle als Dominatoren der EU gemeint.
Das muss man sich einmal vorstellen: Die Regierung Merkel will zwar – gegen den Willen von drei Viertel der EU-Mitgliedsstaaten – 1500 illegale Migranten von griechischen Inseln auf Europa umverteilen, sie hat aber gleichzeitig bei bestimmten Waren die Grenzen geschlossen. Wider jedes EU-Recht.
Dabei empfehlen Vernunft und Erfahrung genau das Gegenteil: einerseits ist – wäre – die volle Freizügigkeit von Waren in einem Binnenmarkt für alle Europäer weiterhin sinnvoll; andererseits erweist sich die volle Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit für Personen jeden Tag mehr als historische Fehlentwicklung der EU. Noch viel mehr zeigt sich das beim Asylrecht, das von weltfremden Höchstrichtern gegen den Willen der meisten EU-Bürger zu einem Bleiberecht für Millionen Nichteuropäer gewandelt worden ist.
Wie sehr die Brüsseler Behörden derzeit neben der europäischen Realität stehen, zeigt die Instinktlosigkeit bei ihren derzeitigen Aktivitäten:
Bei aller Beunruhigung über das Virus ist es angesichts dieser Entwicklung in Brüssel daher sehr beruhigend, dass als Folge von Corona jetzt niemand mehr von "Vereinigten Staaten von Europa" zu sprechen wagt, nicht einmal die Neos.
Dennoch sollte man auch nüchtern alle Gefahren und Fehlentwicklungen sehen und ihnen vorzubauen versuchen, die durch eine heftige Stärkung der Staaten während der Corona-Krise auch noch für die Zeit danach drohen:
Wir sehen wieder einmal: Es gibt keine schlechte Entwicklung (Corona), die nicht auch gute Seiten hätte (die Renaissance der Staaten), die wiederum nicht auch schlechte Seiten hätten (eben die genannten sieben Gefahren).
Nachträgliche Ergänzung: Deutschland hat jetzt endlich ein paar blockierte Transporte für Medizinprodukte freigegeben - aber noch immer nicht die EU-widrigen Ausfuhrbeschränkungen gänzlich aufgehoben.