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Es ist absolut faszinierend: Schon ein volles Jahr hat die Welt – das bedeutet in Zeiten ohne größere Kriege vor allem die Weltwirtschaft – alle Katastrophenprophezeiungen gut überstanden. Eine überlange Hochkonjunkturphase scheint anscheinend in sanfter Landung auszuklingen. Trotz der diversen von den USA angezettelten Handelskriege, trotz des schweren Konflikts zwischen US-Kongress und US-Präsident, trotz der katastrophalen deutschen Energiepolitik mit der wachsenden Gefahr von Blackouts und Industrie-Vertreibung, trotz der schweren Belastungen für die deutsche – also die weltweit führende – Autoindustrie, trotz der fanatischen Aktionen mancher jugendlichen Klimaaktivisten, trotz Brexit, trotz Terrorismus. Alles scheint kontrolliert abzulaufen. Heute muss man sagen: Es schien so.
Denn dann kam das: Ein winziges Virus, das nur im Mikroskop sichtbar ist, legt die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und größte Werkbank der globalen Industrie lahm. Flugverbindungen werden gestoppt, riesige Territorien sind hermetisch abgeriegelt, ein Unternehmen nach dem anderen legt in China die Produktion still. Das ist ein so schwerer Schock, dass er alle anderen zuvor genannten weit übertrifft.
Gewiss ist es noch zu früh, den Schaden wirklich abzuschätzen. Gewiss ist es möglich, dass aus irgendeinem der weltweit jetzt rund um die Uhr forschenden Laboratorien schon bald die erhoffte Nachricht kommt: Wir haben einen Impfstoff! Wir haben eine Therapie!
Aber dennoch wird China nie mehr dasselbe Land sein wie in den letzten Jahren. Die Autorität der Führung ist auf Grund der verspäteten Reaktion dauerhaft angeknackst. Und in anderen Ländern ist die Bereitschaft stark reduziert worden, sich blind den chinesischen Aspirationen zu öffnen, einer neuen "Seidenstraße" quasi den Roten Teppich auszurollen.
Denn immer mehr Menschen in China und außerhalb fragen sich: Können wir Vertrauen zu einem Land haben, in dem offensichtlich ständig Daten manipuliert werden, in dem jene Ärzte bestraft werden, die frühzeitig vor dem neuen Virus gewarnt haben, dem bei jedem Problem immer nur dieselbe Antwort einfällt: irgendwelche Funktionäre als verantwortliche Sündenböcke zu feuern? Kann es in diesem System jemals Fairness und Korrektheit geben? Kann eine moderne und damit notwendigerweise arbeitsteilige Wettbewerbswirtschaft dauerhaft funktionieren und weiterblühen, ohne dass die Menschen Vertrauen in die Freiheit des Informationsflusses haben können? Ohne dass wirklich unabhängige Richter über alle Streitigkeiten nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, die nicht auf "Anregungen" der noch immer allmächtigen Partei, also auf Interessen von Politruks hören müssen?
Ich schreibe in jeder Nummer von Österreichs einziger Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung "Börsen-Kurier" die Kolumne "Unterbergers Wochenschau".