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Die einzige Chance für die SPÖ

Gewiss bin ich nicht gerade amtlich befugt, der SPÖ gute Ratschläge zu geben, wie sie sich strategisch positionieren müsste, um wieder relevant zu werden. So wenig mir jedoch die SPÖ nahesteht, so sehr schätze ich dennoch die positiven Aspekte ihrer historischen Rolle. Sie hat verhindert, dass die österreichische Arbeiterschaft kommunistisch geworden ist. Sie hat sich zwischen 1945 und 1955 mutig der sowjetischen Besatzung entgegengestellt (1938 war ihre Rolle allerdings weniger lobenswert). Aber auch heute könnte ihre Rolle im politischen Mächtevieleck eine positive sein. Es ist eigentlich total verblüffend, dass dort niemand die wahren Chancen der Partei sieht.

Die SPÖ liegt bei Meinungsumfragen mit 17 Prozent nur noch einen Punkt vor Grün und Blau. Das ist ein keineswegs signifikanter Unterschied. Jene Partei, die zwischen 1971 und 1983 noch die absolute Mehrheit hatte, könnte also in Wahrheit heute bei Wahlen schon an vierter Stelle landen. Das ist ein dramatischer Absturz. Doppelt dramatisch ist, dass es keine Sicherheit gibt, dass es für die SPÖ nicht noch weiter bergab geht. Dennoch veranlasst das niemanden in der SPÖ und bei den vielen ihr zumindest einst (vor den Grünen) nahestehenden Mainstream-Journalisten zu einer tiefgehenden Analyse.

Stattdessen begnügen sich fast alle Analysen nur mit der Oberfläche. Dabei werden meist als Hauptursache der roten Krise Pamela Rendi-Wagner und die letzten vier Parteichefs Klima, Gusenbauer, Faymann, Kern genannt: Über keinen dieser Vier wurde im letzten Jahr irgendwo ein positives Wort verloren, nicht einmal im "Falter" oder im ORF. Sie werden alle verschämt totgeschwiegen. In der SPÖ würde man sie wohl am liebsten aus den Annalen streichen, wenn das möglich wäre.

Das ist auch für den Außenstehenden vier Mal gut nachvollziehbar. Mir fällt zu keinem einzigen der letzten SPÖ-Vorsitzenden eine positive Leistung für Österreich – oder auch nur für die Partei ein.

Selbst in der ja massiv geschichtsliebenden SPÖ werden von den Vorsitzenden des letzten Dreivierteljahrhunderts praktisch nur die Herren Kreisky und Vranitzky erwähnt. Genauso deprimierend für jeden, der noch an der Sozialdemokratie hängt, ist die Tatsache, dass Pamela Rendi-Wagner zwar eine tüchtige Sektionschefin in einer unbedeutenden Sektion gewesen ist, dass sie aber als Parteichefin um mindestens drei Stufen zu hoch eingesetzt ist.

Noch deprimierender sind die beiden Gründe, warum Rendi dennoch Chancen hat, einige Zeit weiter zu amtieren:

  • Es ist überhaupt niemand mehr an ihrem Amt interessiert. Das gilt für alle drei Kandidaten, die eine gewisse Bekanntheit und Chancen haben, wenigstens einen zweistelligen Prozentsatz zu erzielen. Aber alle drei bleiben lieber Landeshauptleute in ihrer Provinz als SPÖ-Vorsitzender in Wien. Das beweist mehr als alles andere, dass die Genossen nicht einmal mehr selbst an ihre Partei glauben.
  • Rendi-Wagners Chancen auf Verbleib an der Parteispitze gründen aber auch darauf, dass sie eine Frau ist. Und das "Hauptsache Frau" ist ja zum obersten ideologischen Glaubensartikel der SPÖ geworden. Daher kann man eine Frau nicht so einfach abservieren, wie man es bei den Vorgängern konnte (einziger Trost der SPÖ: Auch Schwarz und Grün sind vom gleichen Frauenfundamentalismus befallen. Denn auch bei der Erstellung der Ministerliste hat zuletzt das "Hauptsache Frau" eindeutig mehr gegolten als jeder andere Aspekt).

So richtig das alles ist, so naiv wäre es , in den Personen die Hauptursachen der SPÖ-Agonie zu sehen. Viel wichtiger ist da seit langem die voranschreitende Kernspaltung der inhaltlichen SPÖ-Identität. Auf der einen Seite stehen da die traditionellen Arbeiter und Pensionisten; auf der anderen die 68er-Bobos, also städtische Möchtegern-Intellektuelle aus Berufskreisen, die von der Arbeiterschaft extrem weit entfernt sind.

Diese Polarisierung hat die einst starke innere Bindung der SPÖ-Mitglieder und -Wähler an die Partei drastisch reduziert. Die Arbeiterwähler fühlen sich einfach nicht mehr daheim bei einer Partei, die ständig Feminismus- und Schwulen-Themen spielt, die ganz massiv auf Pro-Migrationskurs liegt, die sich (auf Kosten dieser Wähler) primär für kulturelle Provokationen exponiert. Die Bobos auf der anderen Seite verachten den ihrer Meinung nach widerlichen Mief des traditionellen Betriebsrats-, Arbeiter- und Pensionisten-Milieus. Sie haben ihn nur in Kauf genommen, solange die SPÖ den besten Zugang zu Jobs und Subventionen bedeutet hat. Jetzt braucht niemand mehr die Partei dazu.

Von beiden SPÖ-Flügeln sind daher in den letzten Jahren viele Wähler zu anderen Parteien gewechselt: zu Grün die Bobos, wo sie bis vor wenigen Tagen die von jeder Realität freie reine Utopie genießen konnten. Und zu Blau die Arbeiter. Seit Sebastian Kurz bei der ÖVP amtiert, kann auch er diese ehemals roten Stimmen fischen – Kurz kann das noch dazu in beiden einstigen SPÖ-Teichen tun.

Noch schlimmer ist, dass die inhaltlichen Differenzen zwischen den beiden SPÖ-Identitäten immer größer werden. Sodass die Parteiführung das Ganze längst nur noch mit rhetorischen Formelkompromissen zusammenhalten kann.

Spätestens seit Ausbruch der Greta-Weltuntergangshysterie ist etwa klar, dass der SPÖ die Anhänger im Gleichschritt in Richtung Grünpartei weglaufen. Umgekehrt spürt die einstige SPÖ-Kernschicht, also die Facharbeiter, dass sie vom grünen Flügel in der Partei jetzt mit der Klimapanikmache endgültig hinausgedrängt werden. Dabei haben die leistungsorientierten Arbeiter schon bisher mit wachsendem Missfallen die Entwicklung der Partei zu einer Interessenorganisation der türkischen Migranten, der von Sozialhilfe lebenden "Flüchtlinge" und der einheimischen Arbeitsunwilligen beobachtet.

Solange die SPÖ sich nicht entscheidet, wo sie in all diesen Konflikten steht, wird ihr Weg nur eine Richtung haben: die nach unten. Mit und ohne Rendi.

Gewiss kann die Partei nicht mehr zu den alten Kreisky-Zeiten zurückkehren, von der viele Genossen seit Jahrzehnten tagträumen. Aber sie könnte sich klar positionieren und damit wieder eine sichere Basis zurückgewinnen. Dafür zeichnen sich drei Möglichkeiten ab:

  1. Am wenigsten Wähler würde die von der Parteivorsitzenden derzeit präferierte Möglichkeit bringen, die in eine Koalition mit der ÖVP gegangenen Grünen künftig von links anzugreifen. Weil die Grünen nicht alle ihre Forderungen gleich umsetzen können, weil sie der ÖVP in Sachen Wirtschaftspolitik nur wenig Gegengewicht bieten. Diese Strategie eines SPÖ-Kampfes von links klingt zwar am einfachsten, wird aber wenig bringen. Denn dadurch wird man (noch) mehr Wähler vertreiben, als man zurückgewinnen kann.
  2. Die zweite Möglichkeit wäre die Entwicklung der SPÖ zu einer Immigrantenpartei. Historisches Vorbild wäre der Umstand, dass ja auch in der Monarchie viele die Sozialdemokratie tragenden Arbeiter Zuwanderer aus anderen Sprachregionen der Monarchie gewesen waren. Eine Immigrantenpartei würde heute freilich rasch zu einer reinen Moslem-Partei werden, die von allen nichtislamischen Immigranten total gemieden würde. Und von den autochthonen Österreichern und antiklerikalen Laizisten in der SPÖ erst recht. Die SPÖ-internen Anhänger dieser Strategie übersehen, dass die geistig-kulturell-ideologische Kluft der Österreicher zu Türken, Afghanen, Tschetschenen und Arabern eine viel tiefere ist, als es einst die bloß sprachliche Kluft zwischen deutsch und tschechisch sprechenden Untertanen des Kaisers gewesen ist (und selbst diese relativ harmlose Kluft war die größte interne Krise in der Abenddämmerung des k. und k. Staates gewesen!).
  3. Bleibt eine dritte strategische Möglichkeit: Das ist die Interessenvertretung des mittleren Österreich, also jener, derer sich zuletzt Sebastian Kurz recht geschickt anzunehmen versucht hat. Er hat sie anschaulich als jene Familien bezeichnet, wo nicht nur die Schulkinder in der Früh zeitig aufstehen. Das sind jene Österreicher, die sich etwas aufgebaut haben, die etwas zu verlieren haben, die aber gleichzeitig ganz weit weg von irgendwelchen gutmenschlichen oder weltrettenden Spintisierereien einer abgehobenen Elite sind.

Diese dritte Gruppe wird von Tag zu Tag größer. Sie wäre daher ein gutes Reservoir für eine neue SPÖ. Man erreicht sie aber gewiss nicht über Betriebsräte und Gewerkschaften, haben doch diese alten SPÖ-Bastionen ebenso rasch an Ansehen und Mitglieder verloren wie die Partei selbst. Neue Wähler aus dieser Gruppe erreicht man nur durch eine neue und konkrete Politik. Diese Politik müsste in etwa so aussehen:

  • Interessenvertretung der Sparer, die ja schon einmal von der Partei betrieben worden ist, als SPÖ-Gewerkschafter den Eckzinssatz auf dem Sparbuch zu ihrem zentralen politischen Anliegen gemacht hatten. Die Sozialdemokratie kümmert sich heute jedoch überhaupt nicht mehr um die Sparer. Dabei wird die Empörung vieler Menschen über die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank ständig größer und berechtigter. Insbesondere bei (einstigen) SPÖ-Wählern, die sich ein bisschen etwas für das eigene Alter erspart haben. Während Gutverdienende durch Aktien oder Immobilien ihre Zukunft abzusichern versuchen, ist das vielen anderen zu kühn und riskant. Sie sehen aber zugleich, dass es die Sozialdemokraten in Europa sind, die diese Nullzinspolitik am stärksten verteidigen, obwohl diese lediglich den Interessen der südeuropäischen Schuldnerländer dient.
  • Kampf um eine gute Bildung für die Kinder. Gerade der untere Mittelstand weiß, dass Aufstieg nur mit Bildung und diese wiederum nur mit Hilfe von Leistungsanforderungen zu erreichen ist. Die derzeitige SPÖ trat hingegen gerade in der Bildungspolitik immer nur als Nivellierer nach unten in Erscheinung, der jede Leistungsanforderung ablehnt, dem Inklusion von Behinderten aller Art wichtiger ist als der Erfolg der eigenen Kinder.
  • Interessenvertretung der österreichischen Staatsbürger gegen die Grünpolitik, die den Nichtösterreicher agitiert, wie etwa das Wahlrecht (Zumindest diesen Punkt hat der SPÖ-Burgenländer Doskozil richtig erkannt).
  • In den nächsten Jahren droht überhaupt ein Anschlag der radikalen Grünpolitik nach dem anderen auf die Lebensweise der typischen (Ex-)SPÖ-Wähler:
    - Heizen wird dramatisch teurer,
    - Benzin- und vor allem die (besonders von zur Sparsamkeit gezwungenen Menschen angeschafften!!) Dieselautos werden ebenso stark teurer,
    - Fliegen wird teurer.
    Eine moderne sozialdemokratische Politik würde daher die Bürger gegen die totalitäre Greta-Politik verteidigen. Derzeit aber macvht die Partei diese begeistert mit.
  • Immer mehr Chancen könnte die SPÖ auch im intellektuellen Milieu erobern, wenn sie einen intensiven Kampf für Meinungsfreiheit führen würde (den der langjährige Justizsprecher Jarolim schon begonnen hat). Immerhin stand dieser Kampf 1848 auch an der Wiege der Sozialdemokratie. Heute zeigt sich ja immer mehr, dass Schwarz und Grün durch einen gemeinsamen Hang und Drang zu Zensur und zur Verbotslust geistig verbunden sind: Die eine Regierungspartei scheint süchtig zu sein, die Diktatur der Political correctness noch weiter auszubauen und "Klimaleugner" ebenso wie Islamkritiker zu jagen. Bei der anderen Regierungspartei scheint es nach 170 Jahren ein Revival der Herren Metternich und Gentz zu geben, die jede kritische Regung gegen die absolute Diktatur des Herrscherhauses bekämpft haben. Diese schwarz-grüne Aggressivität gegen alle Bürger, die unbotmäßige Gedanken hegen, äußerte sich schon in den ersten Tagen von Schwarz-Grün ganz massiv in der Absicht, kritische – aber vollkommen gesetzestreue – Vereine wie die Identitären wegen reiner Meinungsdelikte zu verbieten, oder jetzt in der Hysterie wegen ein paar widerlicher Postings gegen neue Regierungsmitglieder gleich die gesamte Meinungsfreiheit noch weiter einzudämmen. 

Eine Neupositionierung der SPÖ in der skizzierten Art wäre wohl der einzige Weg zu einem Überleben anstelle der drögen Forderungen a la "Wir wollen noch mehr Grundsicherung" (auf Kosten unserer ehemaligen Wähler!). Damit würde die SPÖ auch die unzweifelhaft bevorstehende Renaissance der Freiheitlichen einbremsen.

Eine solche Neupositionierung wäre freilich auch nur dann glaubwürdig, wenn man die dumme Ausgrenzung der FPÖ beenden würde. Denn nur in Koalition mit der FPÖ hat die SPÖ eine Chance auf eine langfristige Alternative zur gegenwärtigen Koalition. Man kann doch keine Wähler zurückgewinnen, wenn man ihnen die Botschaft schickt: "Ihr habt verbrecherische Rechtsextremisten gewählt, euch mögen wir nicht."

Warum ich mir den Kopf der SPÖ zerbreche?  Weil Österreich, weil jede Demokratie immer eine Alternative braucht. Weil eine kluge Sozialdemokratie durchaus einen positiven Beitrag leisten könnte.

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