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"Warum tut sie sich das an?" Das ist wohl derzeit die am häufigsten gestellte Frage in Gesprächen beim vorweihnachtlichen Glühwein. Jeder weiß sofort, um wen man sich da Sorgen macht. Da braucht man gar keinen Namen mehr zu sagen. Eigentlich könnte einem das Schicksal der Frau ja gleichgültig sein, wenn man mit ihr weder verwandt noch befreundet ist. Jedoch: Ihre Situation ist ein Fanal einer epochalen Entwicklung in ganz Europa.
Über Pamela Rendi-Wagners persönliche Entwicklung lässt sich hingegen trefflich streiten. In der psychologischen Ferndiagnose kursieren drei Bilder, die zu erklären versuchen, warum sie sich die SPÖ-Führung weiterhin antut.
Aber egal, welches der Bilder stimmt: Das Ergebnis ist eine SPÖ-Vorsitzende, die eigentlich keine Ahnung hat, was sie jetzt tun soll, wozu sie überhaupt an diesem Schreibtisch in der Parteileitung sitzt. Egal, ob sie nun Gehorsams- oder Ehrgeiz- oder Irrtums-gesteuert an diesen gelangt ist.
Der einzige Grund, warum man sie überhaupt noch da sitzen lässt, ist die in der Partei (weniger bei den blutlüsternen Medien, die stets nach Schlagzeilen mit dem Wort "Rücktritt" gieren) von allen geteilte Befürchtung: Selbst wenn Pamela Rendi-Wagner heute zurückträte, wäre kein einziges Problem der Sozialdemokratie gelöst, wäre die Agonie einer einst großen Bewegung in keiner Weise aufgehalten. Deshalb will auch keiner wirklich an ihrer Stelle dort sitzen.
Der einzige – relative – Trost für Rendi: Diese sozialdemokratische Agonie findet weit über Österreich hinaus statt. Im Grund lässt sie sich in einer einzigen Zeile zusammenfassen, die einst Franz Schubert wunderschön vertont hat: "Wohin soll ich mich wenden?" Da Sozialdemokraten freilich meist wenig mit dem christlichen Glauben zu tun haben, hilft ihnen auch die Antwort dieses Kirchenlieds nicht weiter. Ihre kollektive Ratlosigkeit ist umso größer: Wo liegt eine Überlebenschance der Sozialdemokratie?
Ein kurzer Rundblick zeigt das allerorten:
In Großbritannien steht Labour, wenn nicht alle Umfragen total danebenliegen, vor einer schweren Niederlage und die Konservativen vor einem großen Sieg. Dabei haben hierzulande alle Medien in einer wirklich abenteuerlichen Fake-Berichterstattung den konservativen Ministerpräsidenten Boris Johnson zum debilen Widerling hinuntergeschrieben. Dabei haben sie ständig behauptet, das Ja der Briten zum Austritt aus der EU sei nur durch Lügen zustande gekommen, während inzwischen eine große Mehrheit den Brexit bereuen würde. Und dennoch gewinnt dieser Johnson jetzt. Labour hingegen weiß noch immer nicht, wohin sie sich wenden soll. Wie eine Jungverliebte zupft sie am Gänseblümchen herum: "Wir sind auch für den Austritt, wir sind doch nicht für den Austritt, wir sind auch für den Austritt, …"
In Deutschland hat die SPD jetzt schon wieder einen neuen Vorsitzenden – nein gleich zwei, weil offenbar doppelt noch schlechter hält. Die deutschen Sozialdemokraten haben geglaubt, den Grünen mit ihren schon länger rasch wechselnden Doppelspitzen offenbar jeden Unsinn nachmachen zu müssen, nachdem all ihre eigenen einköpfigen Parteivorsitzenden der letzten Jahre gescheitert sind. In den letzten Monaten war die Partei durch diese Vorsitzenden-Entscheidung aller Parteimitglieder jedenfalls noch mehr gelähmt als zuvor. Und nach dieser Wahl ist sie tiefer gespalten denn je.
Bei dieser Wahl hat ein ziemlich linkes Pärchen gewonnen, von dem keine Hälfte bisher auch nur irgendwo irgendeine Wahl gewonnen hat. Die weibliche Hälfte hat in ihrem eigenen Wahlkreis noch schlechter abgeschnitten als die Partei selber, der männliche Ko-Vorsitzende hat als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen seinen Budgetentwurf gleich dreimal vom Verfassungsgerichtshof zurückgeschmissen bekommen und sich durch hohe Schulden und den Ankauf gestohlener Daten zur Jagd auf Steuersünder einen problematischen Namen gemacht. Da zahlt es sich wohl nicht mehr aus, sich einen der beiden Namen zu merken. Die SPD ist ja schon beim 14. Parteivorsitzenden seit der Jahrtausendwende. Einzig (Be-)Merkenswertes am neuen Duo: Diesmal ist es der Mann, der aus Political Correctness einen Doppelnamen trägt.
Das überraschend gekürte SPD-Pärchen fragt sich jetzt jedenfalls ziemlich panisch, wohin es sich wenden soll. Jede Option ist problematisch.
In Frankreich, um noch das dritte der drei großen europäischen Länder zu nennen, sind die Sozialisten überhaupt von der Bildfläche verschwunden. Zwar entstammt Präsident Macron einer sozialistischen Regierungsmannschaft, geht aber heute mit seiner Führerpartei ganz eigene Wege, die weit rechts von denen der Sozialdemokratie liegen. Macron ist nicht nur von Anfang an deutlich wirtschaftsfreundlicher als diese gewesen, er fährt vielmehr neuerdings auch einen deutlich migrationskritischeren Kurs als die meisten Sozialdemokraten.
Die inhaltliche Implosion der Sozialdemokratie ist auch durch das völlige Fehlen von Führungspersönlichkeiten gekennzeichnet. Das macht der Vergleich mit früheren Jahrzehnten besonders deutlich. Bei einem solchen Vergleich denkt man etwa sofort an:
Natürlich hat es auch in anderen Lagern große Staatsmänner gegeben, aber bei der europäischen Sozialdemokratie fällt der Unterschied zur totalen Leere der letzten 15 Jahre besonders auf. Heute ist dort absolut keine interessante Persönlichkeit mit Führungsstärke und einer funktionierenden Positionierung mehr zu finden.
Wer nach den Ursachen forscht, wird vor allem auf diese sechs Faktoren stoßen:
Zurück nach Österreich: Rendi-Wagner wird dennoch den ständig weitergehenden Absturz der Sozialdemokratie kurzfristig überleben, weil ein Tausch des Führungspersonals in Zeiten einer Regierungsbildung taktisch schwachsinnig wäre, weil sich jeder potenzielle Nachfolger außerdem erst anschauen will, ob es zu Schwarz-Grün oder doch wieder Schwarz-Blau kommt, was natürlich jeweils komplett andere Strategien für die SPÖ erforderlich macht (oder genauer: die Suche nach Strategien).
Rendi hat wohl auch mittelfristig gute Überlebenschancen, da sich kaum ein potenzieller Nachfolger für die nächsten vier Jahre danach sehnt, auf den harten Oppositionsbänken zu sitzen und dort eine zerstrittene, orientierungslose und überschuldete Partei zu führen. Da sitzt es sich auf Landeshauptmanns- oder Finanzstadtrats-Sesseln viel bequemer, und man wird erst ein halbes Jahr vor der nächsten Wahl um den Parteivorsitz kämpfen.
Langfristig haben aber Rendi-Wagner wie auch die ganze SPÖ nur noch dann Chancen, wenn sie erkennen, dass sie nur ein deutlicher Rechtsruck retten kann. Vor allem, aber nicht nur in der Migrationspolitik. Wobei man es in Kauf nehmen müsste, dass sich dann die rund 20 Prozent wirklich Linken unter den Wählern bei den Grünen sammeln. Ein solcher Rechtsruck würde zwar verblüffen, wäre aber ein strategisch geschickter Vorstoß in einen leeren Raum, weil die ÖVP durch ein Zusammengehen mit den Grünen ja demnächst großräumig Positionen räumen wird müssen, die dann die SPÖ besetzen könnte, und weil gleichzeitig viele aus der linksrückenden ÖVP flüchtende Wähler halt doch nicht bei der FPÖ anstreifen wollen.
Winzige Indizien sprechen dafür, dass einige Sozialdemokraten diese Chance erkannt haben:
Das sind drei hochinteressante Indizien. Doch sonst deutet noch wenig darauf hin, dass die SPÖ wirklich die Kraft zu einer solchen Kurskorrektur haben könnte.