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Das überrascht nun wirklich: Das Internationale Olympische Komitee und die Welt-Anti-Doping-Agentur sperren Russland gleich für vier Jahre von allen Olympischen Bewerben und Weltmeisterschaften aus. Nie hätte man geglaubt, dass die wirklich so konsequent ernst machen. Davon könnte sich die Welt der Politik eine ordentliche Scheibe abschneiden. Ist sie doch schon seit längerem mit genau dem gleichen Grundproblem konfrontiert: Russland ist unter Putin wieder zu einem Staat geworden, der sich in allen Bereichen eiskalt über alle Regeln hinwegsetzt, der brutal alles durchzudrücken versucht, was seinen nationalen Interessen – vermeintlich – dient.
Gewiss: Russland ist seit 30 Jahren nicht mehr kommunistisch. Es hat keine Intentionen mehr, die Welt durch Propaganda oder Eroberung zum Sozialismus zu bekehren. Das ist jedenfalls positiv festzuhalten. Der real existierende Sozialismus des Moskauer Imperiums in Osteuropa lag freilich schon lange vor seinem endgültigen Ende inhaltlich, wie ökonomisch, wie in Sachen Glaubwürdigkeit und Ausstrahlung in Agonie – ähnlich übrigens wie der real existierende Sozialdemokratismus des Westens derzeit.
Aber es war ein großer Irrtum zu glauben, dass Russland deswegen auch automatisch und dauerhaft in die Kategorie der Rechtsstaaten übergewechselt ist. Denn der alte russische National-Chauvinismus ist noch immer oder schon wieder so agil, wie er schon 1914 gewesen ist, als er die Lunte zu einem 30-jährigen Krieg gezündet hat. Und der russische Nationalismus war auch immer sehr autoritär.
Allerdings fragt man sich in letzter Zeit zunehmend, ob dieser Nationalismus der Ära Putin nicht doch auch von insgeheim wieder wachsenden Sympathien für das kommunistische Zeitalter begleitet ist, die über bloße Nostalgie hinausgehen. Darauf deutet die auffallende russische Freundschaft ausgerechnet zu Staaten wie Kuba, Nordkorea oder Venezuela hin. Kaum bezeichnet sich ein Land als sozialistisch, ist abgewirtschaftet und undemokratisch, zeigt Machthaber Wladimir Putin reflexartig innige Sympathien. Echte Freundschaft zu irgendeiner echten Demokratie ist hingegen bei ihm kaum zu entdecken.
Offensichtlich denkt die Herrschaftselite weiterhin nicht daran, die Macht wirklich mit dem Volk zu teilen. Offensichtlich ist die jahrhundertelange Prägung durch zuerst den zaristischen, dann den kommunistischen Totalitarismus so gewaltig, dass man gar nicht begreift, was die Herrschaft des Rechts und echte Demokratie wirklich bedeuten würden.
Spiegelbildlich tut sich der Westen extrem schwer im Umgang mit Putin. Es gibt keine kohärente Politik, keinen Konsens, wie mit seinem Reich umgegangen werden soll.
Da meinen manche sogar, Russland wäre eine Demokratie. Was freilich horrender Unsinn ist. Zur Demokratie würde gehören, dass nicht immer derselbe ganz automatisch die Wahlen gewinnt, dass Oppositionspolitiker freien Zugang zu den Medien haben und nicht regelmäßig eingesperrt werden, dass es unabhängige Gerichte gibt, dass es pluralistisch aufgefächerte Zeitungen und Fernsehstationen gibt. Und vieles andere mehr.
Aber bei diesen Punkten geht es nur um innerrussische Vorgänge. Da kann man natürlich sagen: Das geht die Außenwelt nicht direkt etwas an – bei einer Atommacht schon gar nicht. Nicht ignorieren kann man hingegen das, was Russland auch außerhalb seiner Grenzen an schweren Rechtsverletzungen verschuldet. Und doch tut sich Europa enorm schwer mit der Reaktion, obwohl es dabei um viel schlimmere Regelverletzungen als im Sport geht.
Umso mehr Respekt nötigt einem die Sportwelt ab, die jetzt so konsequent und mutig gegen Russland vorgeht. Sie sperrt Russland für vier Jahre von allen Großereignissen, weil es ganz offensichtlich in breitester Front durch Doping betrogen hat. Das russische Doping bestand nicht bloß wie anderswo in heimlichen Einzelaktionen von Sportlern und Trainern. Im Reich Putins hat vielmehr der Staat selbst ständig und organisiert beim Doping mitgeholfen und Testergebnisse gefälscht. Die russische Anti-Doping-Agentur hat sich nicht nur einmal, sondern seit Jahren und in breiter Front als Pro-Doping-Agentur betätigt.
Aber beim Doping im Sport geht es "nur" um Betrug und selbstzugefügte gesundheitliche Schäden. Während es in anderen Aspekten der russischen Politik um Leben und Tod, um großangelegten Landraub geht. Was zweifellos weit schlimmere Delikte sind.
Aber man soll dennoch die Hoffnung nie aufgeben: Vielleicht ist sogar die energische Reaktion der Sportwelt mehr als die unsicheren Reaktionen der Politiker anderer Länder imstande, um Moskau wachzurütteln. Um dem Land klarzumachen,
Europa, die Welt der rechtsstaatlichen Demokratien, müsste eine komplizierte Doppelstrategie fahren. Einerseits ist Russland überall dort konsequent entgegenzutreten, wo es das Völkerrecht bricht. Andererseits ist der zweifellos von unberechtigten Minderheitskomplexen und absurden Einkreisungsängsten geplagten russischen Seele beharrlich klarzumachen: wie gerne wir Russland als gleichberechtigten Freund in unserer Mitte hätten; wie sehr wir die große russische Kultur von der Musik bis zur Literatur respektieren und lieben; wie sehr wir uns alle gefreut haben, als unter Gorbatschow und Jelzin das große Land in die absolut richtige Richtung marschiert ist.
Europa müsste eine solche Doppelstrategie ohne Rücksicht auf die USA umsetzen. Ist doch deren Politik Russland gegenüber oft nicht wirklich nachvollziehbar. Kongress und Präsident verfolgen dort in Sachen Russland eine ständig wechselnde und eindeutig primär den innenpolitischen Konflikten untergeordnete Politik. Das soll freilich in keiner Weise heißen, dass das oft rätselhafte und auch tadelnswerte Verhalten der USA moralisch auf eine Stufe mit dem Verhalten Putin-Russlands zu stellen wäre. Eher scheint es so zu sein, dass der amerikanische Neo-Isolationismus russischer Hemmungslosigkeit geradezu den Weg geebnet hätte.
Freilich: Die Hoffnung auf eine kohärente Russland-Politik Europas ist eine illusionsbeladene Utopie. In Wahrheit ist die Russland-Politik der einzelnen Staaten Europas mindestens genauso chaotisch und untereinander zerstritten wie zwischen den einzelnen Akteuren in Washington. Während etwa Frankreich für eine Annäherung an Russland plädiert, ist für Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine der Wunsch nach einer stark antirussischen Politik der EU absolut dominant. Während diese Länder stets die Nord-Stream-Gaspipeline strikt abgelehnt haben, waren Deutschland und auch Österreich dabei die engsten Partner Russlands.
PS: Es wäre übrigens ein überaus kluger Akzent der österreichischen Freiheitlichen, würden sie – auch aus den diversen genannten Anlässen heraus – ihren Freundschaftspakt mit der russischen Machtpartei sistieren. Das müsste ihnen umso leichter fallen, als diese Politik ja führend vom obersten Ibiza-Dummkopf Gudenus eingefädelt worden war. Es hilft ja einer Partei – oder einem Land wie Ungarn – nicht, sich Russland an die Brust zu werfen, weil man in Westeuropa vom politmedialen Mainstream schwer diskriminiert wird, weil man zeigen will, dass man Alternativen hat. Damit verprellt man mehr Gutmeinende, als einem eine Freundschaft mit dem Putin-Russland einbringt (nämlich gar nichts).