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Macron und Kurz – kein Vergleich

Emmanuel Macron ist sicher heute zusammen mit Boris Johnson der interessanteste Politiker Europas. Das heißt aber keineswegs, dass seine Politik umfassend zu loben wäre – aber eben auch keineswegs generell zu verdammen. Der französische Präsident hat freilich ein riesiges Problem. Das heißt: Frankreich. In diesem Land ist vernünftige Politik angesichts des nationalen Hanges zum revolutionären Gestus besonders schwierig. Aber immerhin versucht Macron zumindest, dennoch umfassend Politik zu gestalten. Was man von Sebastian Kurz immer weniger sagen kann – obwohl man ihn noch vor einem Jahr ebenfalls in die Spitzengruppe der interessantesten Politiker Europas gereiht hätte.

Heute jedoch geht Kurz einen Weg, den das – sehr im EU-Mainstream schwimmende und keineswegs rechte! – Magazin "Politico" ziemlich verachtungsvoll so beschrieben hat: Kurz verkörpere "die Widersprüche und Unvorhersehbarkeit des Durcheinanders der Politik auf dem Kontinent". Sein Austausch der FPÖ durch die Grünen spräche für die "Inkohärenz der europäischen Politik". Kurz habe den "Zeitgeist" bereitwillig angenommen.

Dem zeitgeistig-widersprüchlich-inkohärenten Kurz stellt "Politico" Macron als "Einzelgänger" gegenüber. Angesichts des sich bei jedem Denkversuch bedeckt haltenden Mittelmaßes in Europa ist ein mutiger Einzelgänger aber eigentlich genau das, was Europa dringend bräuchte – freilich nur, wenn er es schafft, auch am Ziel anzukommen.

Bei etlichen seiner politischen Akzente muss man jedenfalls anerkennen, dass mit Macron ein denkender und zugleich mutiger Staatschef am Werk ist und nicht eine Angela Merkel, die jeden Kompromiss mit der Linken vorwegnimmt, bevor sie überhaupt noch eine eigene Position hat.

An oberster Stelle ist der Versuch einer echten Pensionsreform durch Macron zu nennen und gerade in diesen Tagen zu loben. Es fehlen zwar noch die Details, aber allein die Eckpunkte des Vorhabens sind für Frankreich von historischer Bedeutung. Nämlich erstens eines Abbaus von Pensionsprivilegien für die Eisenbahner und 41 andere bevorzugte Berufsgruppen (vor allem durch ein späteres Pensionsantrittsdatum); und zweitens die Herstellung einer gerechten Relation zwischen den Einzahlungen eines Verrsicherten und den dann ausbezahlten Pensionen.

Dass nun Eisenbahner und andere bisherige Profiteure heftig dagegen protestieren, kommt einem Österreicher bekannt vor. Haben doch einst die Pensionsreformen der Regierung Schüssel dieser den größten Gegenwind ihrer Amtszeit eingebracht. Umso mehr muss man Macron die Daumen halten, dass er den gegenwärtigen Exzessen auf den Straßen Frankreichs nicht nachgibt. Vielleicht hätten dann auch in Österreich vernünftige Pensionsreformen eine kleine Chance, wenn sich in Frankreich diesbezüglich mehr Rationalität und Gerechtigkeit durchsetzen.

Freilich hat sich Macron die gegenwärtigen Massenproteste gegen die Reformpläne – die angeblich 800.000 Franzosen auf die Straße gebracht haben – selbst zuzuschreiben. Denn er hat im vergangenen Winter den ebenfalls heftigen Protesten der Gelbwesten zumindest teilweise nachgegeben. Die Gelbwestenproteste waren allerdings viel begründeter als die jetzigen Kundgebungen gegen die Pensionsreform. Sie hatten sich gegen drastische Treibstofferhöhungen gerichtet, die Macron damals als Konzession an die Greta-Religion geplant hatte. Diese Erhöhungen haben im Vorjahr vor allem die bürgerlichen Franzosen erregt, besonders jene, die außerhalb der großen Städte leben und besonders aufs Auto angewiesen sind.

Aber egal, wie berechtigt oder unberechtigt die jeweiligen Proteste sind: Macron hat ihnen jedenfalls schon einmal nachgegeben. Das wissen jetzt naturgemäß auch die Gewerkschaften. Sie wollen daher nun ihrerseits den Präsidenten beim Bereich Pensionen in die Knie zwingen. Und damit überdies beweisen, dass Gewerkschaften doch noch zu etwas imstande sind.

Angesichts der Tatsache, dass es um Frankreich geht, wo seit 1789 der Begriff "Revolution" emotional zur Ehre der Altäre erhoben ist, kann man sicher sein, dass die Unruhen nicht nach ein paar Tagen vorbei sein werden, dass sie noch schwere Schäden anrichten werden.

Alle Miteuropäer müssen jedenfalls hoffen, dass Macron bei seinem Vorhaben stark bleibt. Denn: Der finanzielle Zustand Frankreichs geht in Zeiten von EU und Euro die Menschen in Oberwart fast genauso an wie die in Montpellier. Ist doch Frankreich (bald) das zweitgrößte Land in EU und Euroland. Sein Zustand hat daher noch viel direktere Auswirkungen auf uns als griechische oder italienische Krisen.

Genauso zujubeln wie den Intentionen seines Pensionsprojekts muss man einigen Punkten der Sicherheitspolitik Macrons. Da gehört an erster Stelle die Tatsache genannt, dass Frankreich in etlichen nordafrikanischen Ländern mit militärischer Präsenz den Regierungen hilft, die mörderischen Einschüchterungsattacken der Terrorbanden des "Islamischen Staates" und anderer islamistischer Milizen zu bekämpfen.

Gewiss: Das sind ehemalige französische Kolonien, wie an dieser Stelle manche rechte wie linke Kritiker sofort höhnisch einwerfen werden. Aber das ändert doch nichts daran, dass diese Hilfe notwendig wie positiv ist. Es wäre vielmehr schön, wenn sich auch andere ehemalige Kolonialländer ein wenig mitverantwortlich für ihre Exkolonien fühlen würden. Es ist lobenswert, dass Frankreich mit diesen Ländern auch heute noch ein emotionales Naheverhältnis pflegt und ihnen gegen eine Bedrohung beisteht. Die übrigens mit den mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Kolonialzeiten absolut nichts zu tun hat.

Das Lob für Frankreichs Engagement ändert freilich nichts daran, dass Interventionen früherer französischer Präsidenten gegen nicht-islamistische Diktatoren in islamischen Ländern (etwa in Libyen oder Syrien) überaus unheilvoll geendet haben.

Auch in Sachen Nato ist die Position Macrons von hellem Licht und gleichzeitigem Schatten geprägt. Er hat einfach Recht gehabt, als er die Nato als "hirntot" bezeichnet hat. Die mangelnde Verteidigungsfähigkeit vieler europäischer Staaten, die katastrophalen Alleingänge des Nato-Mitglieds USA in Nordsyrien, die verbrecherischen Angriffskriege des Nato-Mitglieds Türkei, die offene Distanzierung der USA von jenen Staaten, die selber nicht genügend für ihre Verteidigung tun, sowie die Uneinigkeit der Nato in Sachen Selbstbestimmungs- und Sezessionsrecht (obwohl dieser Themenbereich heute neben dem Islamismus die größten Herausforderungen für den Frieden bedeutet): Das sind mehr als klare Indizien dafür, dass Macron recht hat. Auch wenn er der erste in der Nato war, der laut gerufen hat: "Der Kaiser ist ja nackt!" Während die anderen weiterhin verlegen herumstottern.

Zwei weitere Beispiele, wo Macron zeigt, dass er die sicherheitspolitischen Notwendigkeiten über das Afrika-Engagement und Nato-Kritik hinaus ernst nimmt:

  • Frankreich ist bereit, Kriegsschiffe in der Golfregion einzusetzen, um den für Europa wichtigen Ölnachschub zu sichern. Deutschland, das größte Land Europas, steht hingegen demonstrativ abseits.
  • Frankreich droht Teheran wegen dessen atomarer Aufrüstung mit UN-Sanktionen. Deutschland hingegen klingt so, als wäre es weiterhin der Pressesprecher des Mullah-Regimes.

Nur: Auch Macron hat keine wirklichen alternativen Perspektiven zur Nato anzubieten. Solange Deutschland so gelähmt bleibt wie heute – und das wird es, solange dort eine schwarz-rote Koalition amtiert –, gibt es keine Hoffnung, dass man dort sicherheitspolitische Notwendigkeiten begreift. Und damit bleibt Macron mit seiner Kritik eben eine Einzelgänger.

Dabei hätte die Sicherheitspolitik schon von Anfang an im Zentrum jeder funktionierenden europäischen Integration stehen müssen. Es ist einfach absurd, in welche unnötigen Aspekte sich die EU überall einmischt, wenn sie seit Jahrzehnten die grundlegenden Fragen des gegenseitigen Beistands bei wirklichen Bedrohungen total ausklammert.

Noch in einem weiteren Punkt ist Macron prinzipiell zuzustimmen: Er hat in den letzten Monaten die relativ ernsthaftesten Versuche unter allen EU-Staaten unternommen, um die Völkerwanderung zu bremsen, die Europa zu überrollen droht. Aber auch hier scheint er recht alleine zu stehen. Regieren doch in den anderen drei großen EU-Staaten (Deutschland, Spanien, Italien) derzeit Linksregierungen, die keine echten Anti-Migrationsmaßnahmen wollen.

Schließlich ist Frankreich seit Jahrzehnten auch dafür Tribut zu zollen, dass es kontinuierlich auf die Atomkraft setzt, während Deutschland unter doppelter Grünhysterie gerade sowohl Atom- wie Kohlekraftwerke abdreht. Das bringt Deutschland nicht nur wirtschaftliche Nachteile durch explodierende Energiekosten, sondern auch das hohe Risiko eines großen Blackouts mit katastrophalen Folgen.

Manchen Lesern mag das zuviel Weihrauch für Frankreich sein. Aber er ist berechtigt. Genauso jedoch wie gellende Pfiffe und Pfui-Rufe für vier katastrophale Todsünden des Macron-Reiches:

  1. Frankreich ist das Haupthindernis für ein gerechtes Zollabkommen der EU mit den USA, weshalb der gegenwärtige transatlantische Handelskrieg weiter eskalieren wird. Denn die Amerikaner sind entschlossen, die Industrieexporte aus Europa zu behindern, wenn es nicht Zugang für seine Agrarexporte nach Europa bekommt. Das aber verhindert die französische Regierung unter Druck der eigenen (nicht sonderlich konkurrenzfähigen) Bauern.
  2. In einem internationalen Ranking der Steuerwettbewerbsfähigkeit liegt Frankreich an 36. Stelle unter 36 untersuchten Industrieländern. Das ist eine Katastrophe für die französische Wirtschaft und für die erhofften, aber trotz des günstigen Strompreises ausbleibenden Investitionen.
  3. Frankreich führt eine Digitalsteuer gegen die großen amerikanischen Digitalkonzerne ein. Das löst prompt amerikanische Revancheakte gegen französische Exporte (vom Champagner bis zum Käse) aus. Und veranlasst die USA, gleich auch die Ausdehnung der fünfprozentigen Werbeabgabe von Printprodukten aufs Internet durch Österreich kritisch anzuschauen.
  4. Frankreich zwingt die EU im Alleingang, monatlich einmal den Sitz des EU-Parlaments von Brüssel nach Straßburg zu transferieren. Das ist Sinnlosigkeit pur, die ganz Europa zu finanzieren hat.

Angesichts dieser gewaltigen ToDo-Liste wäre es umso notwendiger, dass Macron die Pensionsreform durchbrächte, ohne dass das Land explodiert. Sonst haben die anderen Notwendigkeiten überhaupt keine Realisierungschance. Sonst wird seine große Macht (Präsident samt parlamentarischer Mehrheit) nutzlos verpuffen. Sonst ist er halt doch nur ein weiterer europäischer Tiger, der zu einem gewaltigen Sprung ansetzt, aber dann als Bettvorleger landet. Seite an Seite übrigens mit Sebastian Kurz, wenn dieser wirklich in eine Koalition mit den Grünen gehen sollte.

Macron wird dann wenigstens an dem unverdaulichen Brocken Frankreich gescheitert sein, Kurz hingegen an den eigenen Fehleinschätzungen im letzten Halbjahr.

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