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Das nicht gerade berauschende Wahlergebnis der FPÖ bei der Nationalratswahl ist von drei schweren Fehlern und Fehlentwicklungen umgeben, die für die Freiheitlichen negativer und potentiell folgenreicher sind als das Wahlergebnis selbst. Was die Sache für die FPÖ besonders schlimm macht: Die freiheitliche "Familie" ist, von der Spitze angefangen, sich bisher überhaupt nur einer dieser drei Katastrophen wirklich bewusst.
Dieses eine wohlbekannte Katastrophenpaket heißt natürlich H.C. Strache. All das, was dieser vor und auch noch nach seinem Rücktritt als Vizekanzler und Parteiobmann angerichtet hat, hat nicht nur die Wahl massiv beeinflusst, sondern wird auch noch länger ein schweres Bleigewicht an den Beinen der FPÖ sein. Trotz Suspendierung und nun Parteiausschluss.
Strache hat bis heute nicht erkannt, dass er vor zwei Jahren in Ibiza Fehler begangen hat, die so schlimm sind, dass deren Bekanntwerden seine Rückkehr in die Politik lebenslänglich völlig undenkbar macht.
Dass Strache dennoch immer noch an eine politische Zukunft denkt - mit oder ohne FPÖ -, ist freilich subjektiv nachvollziehbar. Die FPÖ war für ihn ja nicht irgendein Job, den man wechselt wie das Hemd. Sie war sein ganzes Erwachsenenleben. Strache war 14 Jahre lang Chef der FPÖ.
Strache war die FPÖ. Und die FPÖ war Strache. Er hat mit ihr arge Härtestrecken durchgemacht, die voll von persönlichen Attacken, Anfeindungen, Intrigen und Herausforderungen, aber auch Erfolgen und persönlichen Triumphen gewesen sind. Es war für ihn und die Partei eine abenteuerliche, zusammenschweißende Hochschaubahn-Reise, die sich zwischen Umfragewerten von 5 und 35 Prozent bewegte.
Strache hatte die Partei ganz am Tiefpunkt wie ein vermeintlicher Konkursverwalter übernommen. Er hat sie in der Folge wieder aufgebaut und dabei die größten Erfolge der FPÖ-Geschichte erzielt. Die Umfragewerte der FPÖ haben selbst jene unter Haider deutlich übertroffen. Diese Erfolge haben sowohl die rot-schwarze Koalition wie auch den damaligen ÖVP-Obmann politisch zertrümmert. Und selbst trotz der großen Popularitätskonkurrenz durch den neuen ÖVP-Star Sebastian Kurz, die unweigerlich zu einem Abflauen des FPÖ-Hypes geführt hat, weil ÖVP-Sympathisanten wieder von der FPÖ zur Volkspartei zurückgekehrt sind, hat Strache seine Partei bis April 2019 bei respektablen 25 Prozent halten können.
Bei einer Prägung durch solch eine Vita ist es nicht ganz unverständlich, dass Strache sich ein Leben ohne FPÖ noch immer nicht wirklich vorstellen kann. Er hat irgendwie geglaubt, dass eine rasch hingeschleuderte Entschuldigung für einen mit Alkohol erklärten Fehler reicht, dass bald wieder Gras darüber wächst. Seine Bereitschaft zu einem wirklichen Abschied von allem Politischen ist auch durch die Tatsache stark reduziert, dass er in Ibiza von extrem professionell agierenden Kriminellen und hasserfüllten Gegnern in eine Falle gelockt worden war. Auch zwei Gerichtsurteile haben diese Falle ja inzwischen schon als massiv rechtswidrig erkannt. Strache empfindet sich daher innerlich eigentlich nur als Opfer, nicht als Täter, was jedesmal klar wurde, wenn er sich äußerte.
Deswegen war und ist er nicht imstande zu begreifen, dass er trotz des tatsächlichen Bestehens dieser Opfer-Rolle als Politiker auch nach einer Abkühlphase nie mehr tragbar sein wird. Wer sich so offen dabei erwischen lässt, einer (vermeintlichen) russischen Oligarchin so offen korrupte Gegengeschäfte für eine in Aussicht gestellte und unsaubere Parteifinanzierung zu versprechen, der kann den Wählern nie mehr unbelastet ins Auge treten. Selbst wenn das ein seriöserer Financier gewesen wäre.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er sich dabei nicht strafbar gemacht hat. Das ist aber nur einem eher formalrechtlichen Zufall der österreichischen Strafrechtsinterpretation zu danken, derzufolge man keine Untreue oder Amtsmissbrauch begehen, nicht einmal versuchen kann, wenn man das angestrebte Amt noch nicht ausübt. Viele andere Rechtssysteme sehen das nicht so. Dennoch muss jede nüchterne Überlegung zu dem Schluss kommen, dass Strache durch das Bekanntwerden von Ibiza ein "lebenslänglich" bekommen hat: lebenslänglich unbrauchbar als Politiker.
Das haben anfangs zwar viele Freiheitliche, aber nicht seine Parteifreunde aus Wien begriffen. Sie haben ihn in den ersten Tagen nach dem Rücktritt noch eine Zeitlang allen Ernstes als Spitzenkandidat für die kommende Wiener Wahl angedacht. Was nicht gerade für die politische Denkfähigkeit dieser Parteifreunde spricht.
Noch viel schlimmer für die FPÖ war dann alles, was ein paar Wochen später folgte: All die Stories über Gucci-Taschen, über unsaubere Spesenabrechnungen, über ein maßlos überhöhtes Entgelt für Internet-Tätigkeiten seiner Frau und dann – als Tiefpunkt – über das Nationalrats-Mandat für sie, das sich Strache offensichtlich ertrotzen konnte ("ich gehe nur, wenn"), klingen gerade für FPÖ-Wähler noch viel widerlicher als Straches Korruptions-Schwadronieren von Ibiza. Durch diese Geschichten sind die beiden Straches auch in den Augen vieler freiheitlicher Wähler zu einer üblen Nehmerpartie geworden, die sich persönlich hemmungslos bereichert, was gerade für die der FPÖ lange treuen kleinen Leute das allerschlimmste Vergehen ist. Mit dem inneren Gefühl "Sie sind genauso wie alle anderen" sind dann viele dieser Wähler daheim geblieben (weil sie ja auch keineswegs zu den Porschefahrern und Diplomatenfrauen der SPÖ wechseln wollten, wo man schon länger die Tuchfühlung zu diesen einfachen Menschen verloren hat).
Wieder ist es subjektiv nachvollziehbar, dass sich der über Nacht in den Taifun gestoßene Nachfolger Norbert Hofer dann in den folgenden Wochen vorsichtig ausgedrückt schwer getan hat: ein Wahlkampf in der Schlussphase; eine hartnäckige fiebrige Erkrankung; ein Ex-Koalitionspartner mit unklarer Taktik, den Hofer nicht endgültig verprellen wollte; eine Nummer zwei in der Partei, der bei einem Teil des Fußvolkes populärer ist als er selbst, der zwar jeden offenen Konflikt vermieden hat, aber im Wahlkampf eindeutig einen anderen politischen Kurs gefahren ist; tägliche neue Enthüllungen über den Vorgänger; und vor allem das Verhalten dieses Vorgängers selbst, der ein eigenes Intrigen- und Überlebensspiel begonnen hat und für Hofer völlig unberechenbar und unbeeinflussbar ist: Das war zuviel, als dass Hofer da noch eine sensationell gute Figur machen hätte können.
Das Kapitel Strache ist jedenfalls für Hofer und die Partei trotz des nunmehrigen Ausschlusses noch lange nicht zu Ende. Für sie hat jede einzelne der offenen Fragen rund um Strache die Qualität einer Sprengmine:
Es lässt sich lebhaft vorstellen, dass Norbert Hofer recht schlecht schläft, solange er nicht alle Antworten auf diese Fragen kennt. Freilich weiß er ebenso, dass die Karten der FPÖ schlecht sind. Aber die von Strache sind noch viel schlechter. Strache kann zwar der FPÖ noch länger schaden, hat aber selbst keine echten Chancen. Wieder aus mehreren Gründen:
Zurück zur FPÖ selber: Im großen Krisenkomplex Strache dürfte sie wenigstens alle relevanten Fragen kennen, wenn auch noch nicht die Antworten. Die beiden anderen großen Dramen der FPÖ hingegen sind der Parteispitze selber noch gar nicht ganz bewusst geworden. Dabei hat sie eines davon in den Nachwahlwochen selbst verursacht. Die Kurzfassungen dieser beiden Dramen lauten:
Befassen wir uns zuerst mit dem Thema Koalition aus FPÖ-Perspektive. Dazu ist der Rückblick auf den Wahlkampf spannend:
Ins letzte Koalitionsabkommen hatte diese Forderung ja nur in der Ankündigung einer sehr verwaschenen und unwirksamen Form von direkter Demokratie gefunden, sehr im Gegensatz zu den Versprechungen der FPÖ, aber auch zu denen der ÖVP im Wahlkampf 2017 (übrigens fand sich das Verlangen nach der direkten Demokratie auch immer wieder bei den Grünen). Daher kann die ÖVP diese Forderung nicht glaubwürdig als unüberwindliches Koalitionshindernis für ein neues Schwarz-Blau darstellen, selbst wenn Sebastian Kurz seinen mutigen Ruf von 2017 nach mehr direkter Demokratie inzwischen unter dem Einfluss der Tiefer-Staat-Fraktion in der ÖVP wieder weitgehend abgeschwächt hat. Unter "Tiefem Staat" versteht man jene Kräfte in Verwaltung, Justiz, Medien, vielen anderen staatsnahen Strukturen, insbesondere auch Nationalbank und Verfassungsgerichtshof, die über Legislaturperioden hinweg das von ihnen seit Jahrzehnten aufgebaute und stark großkoalitionär geprägte Staatsgefüge nicht sonderlich durch das Volk gestört haben wollen. Nicht durch Wahlergebnisse und schon gar nicht durch Volksabstimmungen.
Am Rande sei vermerkt: Eine Festlegung auf eine direkte Demokratie hätte leider auch dann nur eher schlechte Chancen, wenn sie den Weg in ein Koalitionsabkommen finden sollte. Denn es ist zu befürchten, dass der Verfassungsgerichtshof als Eckpfeiler des Tiefen Staates einer echten direkten Demokratie noch andere Steine in den Weg legen würde. Der VfGH könnte etwa verlangen, dass die Einführung einer solchen Referendumspflicht nur mit Verfassungsmehrheit erfolgen dürfe (weshalb dann jedenfalls die Zustimmung von mindestens drei Parteien nötig wäre). Es ist sogar denkbar, dass der VfGH eine solche Referendumspflicht zu einer sogenannten "Gesamtänderung" der Verfassung erklärt, die einer eigenen Volksabstimmung bedarf.
Dennoch sei festgehalten: Alle drei Schwerpunkte des Hofer-Wahlkampfs sind in dieser verzweifelten Lage klug gewesen.
Insbesondere war die Festlegung auf mehr direkte Demokratie ein viel seriöserer inhaltlicher Akzent als die einstige Konzentration von H.C. Strache auf die Rauchmöglichkeit in Lokalen als wichtigstes Anliegen. Darin hatten viele Österreicher das Engagement für ein sehr persönliches Interesse Straches gesehen. Ein solches persönliches Interesse so deutlich an die Spitze zu stellen, ist aber immer ein wenig suspekt. Denn logischerweise fragen sich dann viele Bürger: Wie weit stehen bei einem solchen Politiker, einer solchen Partei auch sonst deren persönliche Interessen im Vordergrund? Die so zentrale Betonung dieser Forderung nach Rauch-Cafes war daher sicher ein (weiterer) Fehler Straches. Dieser ist auch dann eindeutig, wenn man als liberaler, freiheitsliebender Mensch durchaus Sympathien für die Probleme der Raucher und Gastwirte hat, nicht zu eng von staatlichen Regulierungen schikaniert zu werden.
Aber dennoch ist dieses Problem sicher nur ein tertiäres und nicht das zentrale Problem Österreichs und auch nicht die größte Bedrohung für die Freiheit der Bürger. Da ist insbesondere die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit viel wichtiger.
Zurück zur Wahl 2019 und zur oft übersehenen Tatsache, dass die drei Schwerpunkte Hofers – also Fortsetzung des schwarz-blauen Kurses, Verhinderung von Schwarz-Grün und mehr direkte Demokratie – hauptverantwortlich für den Erfolg der FPÖ am Wahlabend gewesen sind. Die Partei hat inmitten der herumfliegenden Trümmer der Strache-Explosion damit aus der Not noch einen Erfolg machen können.
Ja, man kann durchaus von einem Erfolg reden! Nach den vielen Strache-Katastrophen des Sommers sind die 16 Prozent am Wahltag absolut als Erfolg anzusehen. Jedoch hat man das in der FPÖ offensichtlich nicht begriffen. Und die FPÖ-Gegner haben natürlich sowieso kein Interesse, irgendwo einen Erfolg der FPÖ zuzugeben. Die in allen Medien ja sehr stark vertretene Linke mobilisierte stattdessen all ihre Begeisterungskraft dafür, die 14 Prozent der Grünen zu einem historischen Erfolg und einem unbedingt zu respektierenden Regierungsauftrag hochzujubeln. In der Arithmetik der veröffentlichten Meinung sind seit der Wahl also 14 viel mehr als 16.
Gewiss: Im Vergleich zur vorletzten Wahl bedeutet das Ergebnis einen großen Zugewinn der Grünen und einen großen Verlust der Freiheitlichen. Nur steht weder in der Verfassung noch sonstwo, dass die Relation zum davorliegenden Wahlergebnis relevant sei oder gar wichtiger als die gegenwärtige Mandatszahl. Vielmehr ist jedes Prozent, jedes Mandat gleich viel wert, egal, wie viele eine Partei bei der Wahl davor errungen hat. Daher ist die einzige relevante Tatsache: Auch nach dem – selbstverschuldeten – Verlust des Ehefrau-Mandats hat die FPÖ immer noch vier Abgeordnete mehr als die Grünen.
Es ist daher absolut unverständlich, unbedacht, dumm, ja masochistisch, dass auch die Freiheitlichen selber in ihrer Reaktion die 16 Prozent des Wahlergebnisses total hinuntergemacht haben. Diese Dummheit äußerte sich in der FPÖ-Behauptung am Wahlabend, keinen "Wählerauftrag" zum Mitregieren zu haben. Dabei wird ganz vergessen, dass die Freiheitlichen ja früher bisweilen auch schon viel schlechtere Ergebnisse gehabt haben und sehr wohl zum Mitregieren bereit gewesen sind.
Ebenso wird etwas noch Spannenderes übersehen: Ein guter Teil der ob der Strachiaden verlorenen Wähler ist nur in den Wartesaal der Nichtwähler gegangen und nicht zu einer anderen Partei übergelaufen. Zwar hat die ÖVP der FPÖ etliche Stimmen direkt abnehmen können, aber lange nicht so viel wie 2002, nachdem sich damals die Freiheitlichen in Knittelfeld (wo ja übrigens auch ein gewisser Strache eine destruktive Rolle gespielt hat) selbst in die Luft gesprengt hatten. 2002 fiel die FPÖ von 27 auf 10 Prozent und die ÖVP wuchs von 27 auf über 42 Prozent, was jeweils der höchste Verlust wie auch Zuwachs von Parteien in der österreichischen Geschichte gewesen ist.
Kein einziger der 772.666 FPÖ-Wähler vom September 2019 hat jedenfalls die Partei deshalb gewählt, damit sie NICHT regiert, sondern eindeutig, damit sie das tut, was sie zentral angekündigt hat. Also damit sie das Koalitionsprogramm fortsetzt - was nur in der Regierung geht. Also damit sie mehr direkte Demokratie durchsetzt - was nur in der Regierung geht. Also damit sie Schwarz-Grün verhindert - was erst recht nur durch Teilnahme an der Regierung möglich ist.
Jeder einzelne FPÖ-Wähler muss sich daher betrogen fühlen, wenn die Partei sagt, dass sie nicht mehr regieren wolle, wenn sie gleich gar nicht um die Realisierung der eigenen Wahlversprechen kämpft. Liegen doch alle drei freiheitlichen Wahlziele im Bereich des Erreichbaren. Haben doch ÖVP und FPÖ zusammen immerhin 102 von 183 Abgeordneten.
Das aber ist das totale Gegenteil der jahrzehntelangen Ausgrenzungspolitik gegenüber der FPÖ durch die Linke und zeitweise auch die ÖVP. Jetzt grenzt sich die FPÖ selber aus. Noch dazu durch Nichteinhaltung ihrer Wahlversprechen.
Mit dieser Selbstausgrenzung hat man es der ÖVP viel zu leicht gemacht, vor ihren eigenen Wählern die dramatische Volte zu rechtfertigen, plötzlich primär mit den Grünen koalieren zu wollen. Womit freilich auch die ÖVP die eigenen Wahlversprechen bricht. Denn Sebastian Kurz hat im Wahlkampf klar gesagt, er wolle eine Fortsetzung der Mitte-Rechts-Politik. Auch wenn man jetzt noch so freundlich kuschelt, mit den Grünen ist kein Mitte-Rechts-Kurs möglich. Und er könnte das FPÖ-Nein sogar dann noch einmal vorschieben, wenn er es statt mit den Grünen mit den Roten versuchen sollte, die in ihrer derzeitigen Schwäche ja sehr handzahm geworden zu sein scheinen. Die aber trotz ihres ebenfalls ziemlich steilen Absturzes von 27 auf 21 Prozent nie gesagt haben: Jetzt haben wir keinen Auftrag mehr.
Dank der FPÖ kann die ÖVP nun aber im Falle einer Linkskoalition immer leicht sagen: Wir wollten ja eigentlich anders, aber wir finden leider, leider keinen Partner für eine Fortsetzung von Mitte-Rechts. Die FPÖ habe ja selbst - so die ÖVP wörtlich - "klargestellt, dass sie nicht bereit ist, Regierungsverhandlungen zu führen". Es mag übrigens durchaus sein, dass Kurz das freiheitliche Herumgerede vom fehlenden Wählerauftrag taktisch bewusst zu einer generellen Absage hochinterpretiert hat. Aber seine ständigen diesbezüglichen Aussagen sind jedenfalls weder von Hofer noch von Kickl relativiert worden durch ein rasches: "So war das nicht gemeint", oder pathetischer: "Wenn das Vaterland ruft, sind wir immer bereit".
Durch das Gequatsche über einen fehlenden Wählerauftrag hat die FPÖ auch noch ein Glaubwürdigkeitsproblem, sollte es am Ende monatelanger Verhandlungen wider Erwarten doch noch zu Schwarz-Blau kommen. Wie viele tausende Male wird sie sich dann anhören müssen: "Was habt ihr noch in der Regierung zu suchen, wo ihr doch nach eigener Aussage keinen Wählerauftrag dazu habt?"
Einen so schweren strategischen Fehler wie diese Absage an eine Regierungsteilnahme habe ich in vielen Jahrzehnten österreichischer Politik selten erlebt. Er gleicht der Absage von Josef Klaus an die FPÖ nach seiner Niederlage im Jahr 1970, die dann der FPÖ den Beginn der Kooperation mit der SPÖ erleichtert hat, was wiederum Bruno Kreiskys Epoche erst richtig ermöglicht hat.
Der jetzige Fehler der FPÖ wird auch nicht dadurch gemildert, dass die Parteiführung ohne Koalition erstens mehr Energien frei zu haben hofft, um die Strache-Scherben aus den freiheitlichen Eingeweiden zu entfernen. Und dass sie sich zweitens dadurch auch die Frage erspart: Wieweit kann sich die Partei eigentlich das Njet von ÖVP und Bundespräsident zu einem Ministeramt für Herbert Kickl (und auch zu einem sonstigen blauen Innenminister) gefallen lassen?
Die übertrieben negative Interpretation des Wahlergebnisses durch die FPÖ selbst zieht noch einen anderen schweren Schaden mit wohl noch viel längerfristiger Wirkung nach sich. Es wird der Linken damit gelingen, in die Gehirne vieler Österreicher die Behauptung einzuzementieren: "Schwarz-Blau endet immer im Fiasko."
Das ist von den Fakten wie auch vom Wahlergebnis her natürlich unrichtig. Denn alle Umfragen rund um den Wahltag haben trotz Ibizas eine deutliche Sympathie der Österreicher für ein weiteres Schwarz-Blau gezeigt, jedenfalls eine größere als für alle anderen Varianten. Aber wenn lang und oft genug das Gegenteil behauptet wird, dann halten die Menschen das für die Wahrheit. Jedenfalls haben erst viele Wochen der ständigen schwarz-grünen Freundlichkeiten dieser anfangs ungeliebten Variante bei den schwarzen und grünen Wählern einen Sympathiezuwachs gebracht.
Dieser Zuwachs entspricht einer alten politischen Erfahrung: Wenn einmal zwei Parteien längere Zeit nur freundlich und gut miteinander umgehen, und wenn wochenlang keine einzige inhaltliche Kontroverse nach außen getragen wird, dann findet das automatisch immer viel Zustimmung. Das passiert vor allem bei unpolitischen Menschen, denen Harmonie unter den Regierenden das Wichtigste ist, selbst wenn es eine reine Schein-Harmonie zwischen absoluten Gegensätzen ist.
Genau dieser Zusammenhang ist ja auch ein Hauptgrund, warum Schwarz-Blau sowohl nach 2017 wie auch nach 2000 ungemein populär geworden ist. Und er erklärt umgekehrt auch eindeutig, warum Schwarz-Rot in Österreich wie in Deutschland durch die öffentlichen Dauerstreitereien beiden Regierungsparteien Schaden genommen hat.
Freilich sind Stimmung und Sympathie für Harmonie nicht alles in der Politik. Denn sobald einmal konkrete Sachpolitik gemacht werden muss, muss es zwischen Schwarz und Grün regelmäßig krachen, sollte nicht eine der beiden Parteien ihre Identität total aufgeben. Denn es gibt kaum zwei Parteien, die sich inhaltlich so diametral gegenüberstehen wie Schwarz und Grün.
Die dritte sich katastrophal auswirkende FPÖ-Problematik ist die Tatsache, dass die Partei mehr innere Identitätsprobleme mit sich schleppt als alle anderen. "Wer sind wir eigentlich?" ist eine Frage, die Freiheitliche schon seit längerem nicht klar beantworten können, und schon gar nicht seit diesem Sommer.
Dieses Defizit ist dadurch völlig überdeckt worden, dass die FPÖ seit 1986 immer eine ganz auf den jeweiligen Chef ausgerichtete Führerpartei gewesen ist (womit keine dümmlichen Anspielungen durch das Wort "Führer" beabsichtigt sind). Zuerst hieß dieser Chef 14 Jahre Jörg Haider, dann nach einigen Intermezzi und Parteispaltungen 14 Jahre lang Strache. Was auch immer die beiden jeweils als Inhalte vorgaben, war Parteilinie, der alle blind folgten.
Die Folge einer solchen Entwicklung ist klar: Sobald ein solcher allmächtiger Langzeitchef plötzlich weg ist, fällt die Partei in eine Sinn- und Inhaltskrise. Niemand weiß dann: Was war eigentlich nur Anordnung, nur Meinung des gewesenen Parteiobmanns, und was ist unser eigentlicher Wesenskern? Denn inhaltlich haben beide langjährigen Chefs jeweils fast keinen Stein auf dem anderen gelassen, wie ein paar Blitzlichter in die Vergangenheit zeigen.
Die Freiheitlichen waren bei ihrer Gründung in hohem Ausmaß ein Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten gewesen (soferne diese nicht bei den beiden anderen Parteien Unterschlupf gefunden haben, was auch durchaus etliche Male der Fall gewesen ist). Diese Ehemaligen fanden sich damals mit liberal-antiklerikalen Akademikern zusammen, die des schwarz-roten Proporzes überdrüssig waren.
Heute gibt es weder die einen noch die anderen als relevante Elemente in der Partei. Die Ehemaligen waren in den 70er Jahren durch das Zusammenfinden zweier sehr unterschiedlicher Männer politisch resozialisiert worden: durch (den Ex-SS-Offizier) Friedrich Peter als FPÖ-Chef und (den einst vertriebenen Juden) Bruno Kreisky als SPÖ-Chef. Aber bald spielten die Ehemaligen schon biologisch keine Rolle mehr. Die letzten Spuren dieser einstigen Wurzeln gab es unter Jörg Haider zu finden.
Ebenso war die Partei lange in hohem Ausmaß deutsch-national, was ja etwas anderes ist als nationalsozialistisch. Sie war das länger als die SPÖ, wo in den 50er Jahren die letzten deutschnationalen Stimmen verstummt sind, und viel länger als das schwarze Lager, das in den 30er Jahren die österreichische Nation als Zentrum der eigenen Identität entdeckt hat. Sie war damit gleichsam letztes Relikt des Denkens von 1918, als noch alle drei Lager deutschnational gedacht und einen Anschluss gewollt hatten. Denn "Österreich" war damals primär das "Haus Österreich", also die Habsburger, das war noch nicht die Identität der Menschen in diesen neun Bundesländern.
Aber auch das ist in der FPÖ heute Vergangenheit. Die Ehemaligen sind ebenso aus der kollektiven Erinnerung getilgt, wie es auch in der Partei keine deutschnationalen Töne mehr gibt.
So katastrophal sich auch das Agieren H.C. Straches im letzten Halbjahr erwiesen hat, so wenig er ein brillanter Jongleur wie Haider gewesen ist, so hat er sich doch ein großes, ja historisches Verdienst erworben: Er hat die FPÖ zu einer bodenständigen österreichischen Identität geführt. Das muss gerade bei harter Kritik an Strache fairerweise als wichtige Leistung anerkannt werden. Unter ihm gab es – bis auf ganz wenige provinzielle Randerscheinungen – keine hinter dem Rücken gekreuzten Finger mehr, kein Augenzwinkern mit einem "Aber zur deutschen Kulturnation gehören wir schon". Er hat mit allen Randerscheinungen recht erfolgreich aufgeräumt.
Eine linke Truppe versucht zwar seit Jahr und Tag, durch das krampfhafte "Auffinden" 14 Jahre alter Liederbücher bei Mittelschulverbindungen, das noch krampfhaftere Hochspielen missglückter Rattengedichte, oder durch die geradezu ans Lächerliche grenzende Umdeutung der Karikatur eines unsympathischen Arabers in die eines Juden der Öffentlichkeit anderes zu suggerieren. Aber gerade die Krampfhaftigkeit, die Marginalität und das Alter dieser von einer ganzen Armee von FPÖ-Jägern zusammengesammelten "Einzelfälle" beweisen in Wahrheit das Gegenteil des Beabsichtigten. So wie ja auch auffällt, dass sich Strache im Ibiza-Rausch zwar zu korrupten, aber nie zu braunen oder großdeutschen Tönen verleiten hat lassen. Die Video-Inszenierer haben aber mit Sicherheit versucht, ihn genau zu solchen Aussagen zu verleiten.
Im Kern der FPÖ ist sowohl das braune wie das großdeutsche Denken de facto mausetot. So wie in der ÖVP die Ständestaat-Nostalgie. Oder in der SPÖ die Anbiederung eines Karl Renners an Stalin oder eines Heinz Fischers an Nordkorea. Trotzdem gehört es da wie dort halt zur Vergangenheit.
Paradoxie am Rande: Strache hatte seinen Wiederaufstieg wohl nur durch stärkeres Hereinholen der von Haider und Riess-Passer eher ferngehaltenen Burschenschaften geschafft. Sonst hätte er nirgendwo halbwegs qualifiziertes Personal gefunden. Zugleich gibt es in etlichen dieser Burschenschaften am ehesten noch immer Elemente, wo großdeutsches Denken zur Identität zählt.
Das trifft aber nicht mehr auf die eigentlich von den Verbindungen unabhängige FPÖ zu.
Das beweist im Grund nur die erstaunliche Tatsache, dass auffallend viele Studentenorganisationen durch einen geistigen Rückgriff auf das 19. Jahrhundert geprägt sind, und zwar in alle Richtungen: Etwa durch die ständige Wiederbelebung der krausen Theorien eines Karl Marx; etwa durch monarchistische Nostalgie; etwa durch Singen von Liedern der deutschnationalen Freiheits- und Einigungskämpfe gegen Napoleon und Metternich, etwa durch das Tragen von Uniformen aus jener Zeit.
Aber ob Rot, Schwarz(-Gelb) oder Blau: Nach dem anachronistischen Eintauchen in alte Gedankengebäude während der Studentenzeit, die dem 21. Jahrhundert in Wahrheit absolut nichts mehr zu sagen haben, werden dann die meisten Angehörigen solcher Studentengruppen recht bald recht vernünftig. Dennoch bleibt der Widerspruch vermerkenswert, dass Strache einerseits auf die eher deutsch-nationalen Burschen- und Sängerschaften zurückgegriffen hat, und andererseits gleichzeitig die FPÖ von einer deutsch-nationalen in eine österreichisch-nationale Partei gewandelt hat.
Aber was ist die FPÖ inhaltlich sonst? Österreichisch-national sind die anderen ja auch, selbst der von ganz links – wo man eigentlich Internationalist zu sein hat – kommende Van der Bellen hat mit dem Schlagwort "Heimat" Wahlkampf gemacht. Wirtschafts- und sozialpolitisch haben die Freiheitlichen nie wirklich eine klare Identität gefunden, sondern wild zwischen einem mutigen Liberalismus (etwa mit der Forderung nach einer Flat-Tax, also einem prozentuell einheitlichen Einkommensteuersatz) und einem linken Forderungs-Populismus oszilliert. Auch die Felder Außenpolitik (wo die Freiheitlichen unter Strache mangels anderer Freunde ausgerechnet an Russland anzudocken versucht hatten) oder Bildungs- und Kulturpolitik machen die FPÖ in den Augen der Österreicher nicht klar identifizierbar.
Besonders frappant ist, dass die FPÖ lange die einzige Partei gewesen ist, die für die volle Teilnahme Österreichs an der europäischen Integration gekämpft hat. Heute hingegen ist sie führend bei der Kritik an den vielen Fehlern der EU, hat zeitweise sogar die Möglichkeit eines EU-Ausstiegs angedeutet, während wiederum für die einstigen linken Integrationsskeptiker die EU geradezu Glaubensdogma geworden ist.
Inhaltlich haben die Freiheitlichen ihre Erfolge langfristig eigentlich nur folgenden zwei relativ durchgehenden Identifikationspunkten zu verdanken:
Beides war wirksam – aber nicht mehr in den letzten beiden Jahren. Denn sobald die FPÖ in der Regierung sitzt, geht die Protestfunktion verloren. Und die Anti-Migrations-Linie wurde vor zweieinhalb Jahren von einer anderen Partei, der von Kurz übernommenen Volkspartei, geradezu gehijackt. Wobei Kurz durch seine persönliche Ausstrahlung damit erfolgreicher war als die schon lange dieses Thema besetzende FPÖ. Hatte Kurz doch zugleich den Vorteil, dass die ÖVP in zentralen Politikfeldern wie Wirtschaft und Außenpolitik seit jeher viel mehr Kompetenz hatte als die sprunghafte und international relativ isolierte FPÖ.
Aber die große Frage bleibt: Kann die FPÖ wirklich immer nur in der Opposition aufblühen? Ist dieses Abhängigsein von den Defiziten anderer wirklich die ganze Existenzberechtigung der FPÖ? Das wird wohl nicht reichen, wenn die Partei so erfolgreich werden will wie andere Rechtsparteien, die etwa in Italien oder Spanien die alten christdemokratischen Parteien total marginalisiert haben.
Was aber müsste die FPÖ tun, um wirklich erfolgreich zu werden? Die Antwort in einem Satz: Sie müsste sich auf allen vernachlässigten Politikfeldern personelle Qualität und echte Substanz erarbeiten. Diese Substanz kann nicht nur in Kritisieren und Schimpfen auf die anderen bestehen, sondern setzt harte Arbeit, geistige Auseinandersetzung mit schwierigen Fragen, Zuhören, viele Begegnungen mit seriösen Wissenschaftern voraus. Emotionale Bierzeltauftritte können da maximal das Beiwerk der wirklichen Arbeit sein.
Und sie müsste in ihrer ideologischen Orientierung so wie etwa auch die "Alternative für Deutschland" unbeirrt den Weg zu einer Partei für alle bürgerlichen und wertkonservativen Menschen gehen. Das heißt konkret: Von der Mann-Frau-Kind-Familie bis zum Wert von Heimat und Vaterland, von der Bedeutung der christlichen Fundamente Europas bis zur Wichtigkeit von Law and Order, von der Notwendigkeit einer funktionierenden Landesverteidigung bis zum Leistungsbegriff, von der zentralen Wichtigkeit des Begriffs "Freiheit" bis zur kulturellen Identität Dinge hochzuhalten, die bei der Merkel-CDU komplett in den Müllereimer geworfen worden sind, und die bei der ÖVP zum Teil angeknabbert worden sind. Und die dort noch vielmehr in Gefahr geraten, wenn die ÖVP wirklich wieder mit einer Linkspartei koalieren sollte.
Zugleich kann die FPÖ nur dann zu einer dauerhaft ernstzunehmenden Partei werden, wenn sie wirklich regieren will, wenn sie eine klare Vision hat, wie das Land gestaltet werden soll. Und nicht, wenn sie in jeder Krise den bequemen Weg der Opposition, des bloßen Dagegenseins vorzieht, auf dem man nur zu hoffen braucht, dass einem die Wahlerfolge in den Schoß fallen, sobald die Regierung genug Fehler macht. Aber irgendwann könnte auch für die FPÖ der Zeitpunkt kommen, wo diese Erfolge ausbleiben, weil sich die Wähler sagen: Warum soll ich die eigentlich noch wählen? Die wollen ja eh immer nur Opposition machen.
PS: Noch eine Lehre aus einer ganz anderen Ecke sollte für die FPÖ abschreckend sein: Mit dem lautstarken Verkünden, nicht regieren zu wollen, hat auch schon ein Peter Pilz sein endgültiges Ende herbeigeführt.
Dieser Text ist in ähnlicher Form auch in der Zeitschrift "Freilich" erschienen.