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Was brauchen wir Wahlen, wenn wir die Staatsanwaltschaft haben

Lateinamerikanische und andere Pseudodemokratien sind durch eine sich ständig wiederholende Gesetzmäßigkeit geprägt: Nach jedem Machtwechsel (durch die Straße, durch die Armee oder auch durch Wahlen) werden die abgelösten Machthaber von der Justiz verfolgt. Auch in den USA gibt es solche Tendenzen. Siehe die Sprechchöre bei Trump-Reden in Richtung Hillary Clinton "Lock her up" – "Sperr sie ein" (bloß, weil sie als Ministerin einfachheitshalber, aber unzulässigerweise ihre private Mail-Adresse weiterverwendet hat). Siehe die massiv überzogenen Versuche einer demokratisch kontrollierten Kongresskammer, den republikanischen Präsidenten in ein Strafverfahren zu verwickeln. Viele Österreicher verachten zu Recht solche Staaten und Verhaltensweisen als mies und undemokratisch. Seit einiger Zeit sollten sie aber sehr kleinlaut sein. Denn immer mehr wird Österreich zum Glashaus, in dem man besser keine Steine werfen sollte. Nicht einmal kleinste Kieselsteine.

Denn auch Österreichs staatliche Strafverfolger verstehen sich immer mehr als parteipolitische Institution, die sich ganz ähnlich verhält. Das zeigt sich in diesen Stunden  gleich an drei staatsanwaltschaftlichen Aktionen, die sich mit juristisch extrem fadenscheinigen Vorwänden gegen jene Partei richten, die im Mai aus der Regierung geschieden ist (die noch dazu davor den tollkühnen Fehler begangen hat, die Staatsanwaltschaft zu kritisieren).

Der zuständige Justizminister bleibt – wohl aus ideologischen Sympathien eines sehr weit linksstehenden Mannes – völlig untätig. Dabei wäre es seine Pflicht, die Staatsanwälte dringend daran zu erinnern, dass wir eigentlich noch in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit auch für die Opposition leben. Höchstwahrscheinlich war der Minister sogar aktiv involviert, denn all diese Aktionen der Staatsanwälte müssen "berichtspflichtig" gewesen sein, mussten also vorher von ihm und dem Ministerium genehmigt worden sein!

Eine der drei Aktionen ist ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Graz gegen den freiheitlichen Klubobmann Herbert Kickl wegen einer Äußerung beim FPÖ-Parteitag. Ja, die Grazer ist genau jene Staatsanwaltschaft, die schon gegen die Identitären wilde Anklagen erhoben hat, damit aber vor einem unabhängigen Gericht blamabel gescheitert ist. Die Grazer Staatsanwälte haben sich aber dadurch nicht abschrecken lassen, sondern gehen nun gegen Kickl wegen eines reinen Meinungsdelikts vor!

Sie sehen in der Tatsache, dass Kickl von "aggressiven afghanischen Asylwerbern" gesprochen hat, das Verbrechen der "Verhetzung". Mit diesem Vorwurf könnten sie, wenn sie diesmal auf einen willfährigen Richter stoßen sollten, Kickl auf zwei Jahre hinter Gitter bringen.

Diese Staatsanwälte schert es nicht, dass wir seit 1867(!) die Meinungsfreiheit im Verfassungsrang haben, dass sowohl die europäische Menschenrechtskonvention wie die UN-Menschenrechtsdeklaration und neuerdings auch das EU-Recht diese Meinungsfreiheit völker- und europarechtlich hochhalten. Aber wer kritisch über Afghanen (oder in anderen Fällen den Islam) spricht, wird heute in Österreich von der Staatsmacht verfolgt, sobald einem linken Staatsanwalt diese Meinung nicht gefällt.

Das ist eine erschütternde Entwicklung, die an all dem rüttelt, was einem am demokratischen Österreich lange so wichtig und heilig war. Diese Erschütterung ist ganz unabhängig davon, ob man Kickl mag oder nicht. Fast noch beschämender ist, dass nicht sofort bei den anderen Parteien ein Proteststurm ausgebrochen ist. Wie in der Türkei zeigt sich in solchen Stunden, wie tief (in mehrfacher Hinsicht) der "Tiefe Staat" offensichtlich auch in Österreich schon ist.

Wobei Pink und Rot wenigstens zugute zu halten ist, dass sie sich bei einem anderen Versuch, die Meinungsfreiheit – konkret die einen wichtigen Teil von ihr darstellende Vereinsfreiheit – anzugreifen, klar dagegengestellt haben. Sie taten dies beim Ansinnen der ÖVP, die "Identitäre Bewegung" einfach zu verbieten. So wie in Österreich 1933/34, so wie 1938 zahllose Vereine und Parteien verboten worden sind, so wie in vielen Nachbarländern Ende der 40er Jahre ebenfalls alle unbotmäßigen Vereine und Organisationen verboten worden sind, will die ÖVP die Identitären einfach verbieten.

Der zweite Vorfall: Eine ebenfalls steirische Staatsanwaltschaft geht gegen einen FPÖ-Abgeordneten wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" vor, weil dieser ein Buch besitzt. Gewiss, das Buch, ein Liederbuch einer rechten Burschenschaft, enthält einige Lieder (unter vielen), die einschlägig widerlich sind. Aber es sind keinerlei Aktionen bekannt, wo der Mann das Buch propagiert, vorgelesen oder weitergegeben hätte. Das einzige Delikt besteht im Besitz eines 14 Jahre alten Buches.

Es macht absolut fassungslos, dass deswegen auch nur eine Minute lang ein Staatsanwalt aktiv werden kann. Und es erinnert daran, dass in der österreichischen Geschichte schon mehrmals der bloße Besitz eines Buches oder Bildes in einem Regal der häuslichen Bibliothek den Besitzer ins Gefängnis gebracht hat. Etwa 1938 solche der Herren Engelbert Dollfuß, Kurt Schuschnigg oder Otto Habsburg. Oder gar der Besitz einer österreichischen Fahne.

Der dritte aktuelle Vorfall in dieser Republik ist mindestens genauso arg: Die in den letzten Monaten schon mehrfach beschämend aufgefallene Korruptionsstaatsanwaltschaft hat bei einer Reihe hochrangiger ÖVP-Exponenten Hausdurchsuchungen vorgenommen, darunter auch bei den beiden früheren Finanzministern Löger und Pröll, sowie den Herren Walter Rothensteiner und Thomas Schmid. Gewiss könnte man jetzt sagen, diese Aktion passe nicht ganz ins zuvor skizzierte Muster, weil es ja um ÖVP-Exponenten geht, und die ÖVP zweifellos auch der nächsten Regierung angehören wird. Aber:

  • Eigentliches Ziel der Aktion ist ja die FPÖ – und die Tatsache, dass die ÖVP mit ihr regiert hat.
  • Die ÖVP ist eben derzeit nicht in der Regierung, was einen idealen Zeitpunkt ergibt, um gegen sie vorzugehen.
  • Die Opfer der spektakulären Staatsanwaltschafts-Aktion zählen nicht zum engsten Kreis der Macht um Sebastian Kurz, sie sind – nach einem populär gewordenen Farbenspiel – eher "Schwarze" und keine "Türkisen" (auch Löger ist offensichtlich bei Sebastian Kurz in Ungnade gefallen, sonst müsste der letzte Finanzminister als Inhaber des weitaus wichtigsten Ressorts ja eindeutig mit im Zentrum der Regierungsverhandlungen sitzen).
  • Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat schon öfter den Eindruck erweckt, sich komplett als Speerspitze der politischen Linken zu verstehen.

Der ganze Anlass dieser serienweisen Hausdurchsuchungen ist die Bestellung eines Freiheitlichen zum Vorstandsmitglied der Casinos Austria. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass der Mann wohl nicht der bestmögliche Kandidat gewesen ist, so relativieren folgende Tatsachen die von der Linken geschürte Aufregung um seine Bestellung:

  1. Die anderen Eigentümer und Exponenten im Aufsichtsrat der Casinos haben sich auf diesen FPÖ-Mann Sidlo festgelegt; daher hätte ein unangenehmer, öffentlich ausgetragener Konflikt unter den Eigentümern gedroht, wenn sich die Vertreter des Bundes dagegengestellt hätten (solche Konfrontation will man auch in jeder anderen Aktiengesellschaft möglichst vermeiden, schon um die Betriebsräte nicht in eine Dirimierungsrolle im Aufsichtsrat zu bringen).
  2. Die behauptete Gegenleistung für die Bestellung dieses Freiheitlichen (nämlich eine angeblich laut einer anonymen(!) Anzeige gewünschte Gesetzesänderung zugunsten des Miteigentümers Novomatic) hat nie stattgefunden, was als einziges wirklich bedenklich gewesen wäre.
  3. Die Empfehlungen einer Personalberatungsfirma für einen bestimmten Kandidaten haben – im Gegensatz zu Beschlüssen der Personalkommissionen im Staatsbereich – keine rechtliche Bindung (solche Berater werden sehr oft nur deswegen eingeschaltet, um eine schon vorher unter den Eigentümern ausgemachte Lösung geschickt zu vermarkten).
  4. Und vor allem: Kein einziger Staatsanwalt hat jahrzehntelang jemals irgend etwas gegen rot-schwarze Proporz-Packelei bei Personalbesetzungen unternommen. Obwohl auch da sehr oft nicht der Bestqualifizierte zum Zug gekommen ist. Obwohl es da immer wieder die wildesten Deals gegeben hat. Obwohl die parteipolitische Farbe für zahllose Positionen sogar oft schon Teil der geheimen Koalitionsvereinbarungen am Beginn einer Regierung gewesen ist (Ihr bekommt diesen, diesen und diesen Job – in Nationalbank, in ausgegliederten Gesellschaften, in Staatsbetrieben, in Höchstgerichten usw. – wenn wir dafür folgende andere Posten, sowie Gesetze und Förderungen im Interesse der von uns vertretenen Gruppen bekommen …).

Das Widerliche an dem brutalen und aufsehenerregenden Vorgehen der Staatsanwaltschaft in Sachen Casinos ist eben ihre totale Untätigkeit, wenn die Packelei "nur" unter Rot und Schwarz abläuft. Hätte sie dagegen regelmäßig etwas unternommen, dann wäre das Vorgehen im Fall Sidlo moralisch ja in Ordnung.

Natürlich kann man – und sollte sogar sagen: Der Staat, die Politik hat generell nichts in einem privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen verloren. Wo es solche Staatsanteile noch gibt, gehören diese daher umgehend privatisiert, so wie es schon ab der zweiten Hälfte der 80er Jahre auch schon mehrfach getan worden ist (von der Voest bis zu den Banken war das übrigens fast immer auch zum Vorteil der Unternehmen). Aber was in einem anständigen Land absolut nicht gehen sollte, ist ein absolut einseitiges Vorgehen der Staatsanwaltschaft mit offensichtlich rein parteipolitischen Motiven.

Und diesen Vorwurf kann man der Staatsanwaltschaft nicht nur im Falle der skandalösen Ungleichbehandlung von blau-schwarzen und rot-schwarzen Postenbesetzungen machen. Dieser Vorwurf trifft noch viel mehr zu bei ihrem Untätigwerden angesichts der beiden größten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte.

  • Das eine ist die jahrelange Peinigung Tausender Heimkinder durch den Apparat der Gemeinde Wien, der die ihr in die Hände gefallenen Kinder als wehrlose Sexsklaven an – vorerst unbekannte – Verbrecher mit guten Beziehungen zum Rathaus ausgeliefert hat.
  • Das andere ist die Hunderte Millionen ausmachende korruptionäre Vergabe von Bestechungsinseraten im rein parteipolitischen Interesse an willfährige Medien, damit diese nicht zu kritisch schreiben. Auch hier wieder ist das rote, und jetzt rotgrüne Wien eindeutiger Haupttäter; Wien hat aber ab der Ära Faymann auch auf Bundesebene Nachfolgetäter gefunden, zuerst durch rote, dann auch schwarze und blaue Minister.

Angesichts dieses ungeheuerlichen Nichtagierens der Staatsanwaltschaft in all diesen Fällen ist es wirklich ein widerlicher Machtmissbrauch, wenn jetzt plötzlich gegen die Einsetzung eines unqualifizierten Blauen in eine Vorstandsfunktion mit der großen Artillerie vorgegangen wird. Und eben nur gegen diese.

PS: Pikanterweise ist in diesen Stunden noch ein mit der Besetzung des Casino-Finanzvorstandes vergleichbarer – nein ein zehnmal schlimmerer Fall hochgepoppt: Ein Geheimbericht ausländischer Nachrichtendienste zerreißt den österreichischen Verfassungsschutz BVT in der Luft. Beim BVT gibt (gab?) es keinerlei ausreichende Schutzvorkehrungen gegen Spionageattacken (via Internet, via Abhören, via fahrlässige Mitarbeiter), wie sie international bei vergleichbaren Einrichtungen Standard sind. Das heißt im Vergleich zum konkreten Fall hatte die einstige Bestellung des unfähigen Herrn Gridling zum alleinherrschenden Chef des Verfassungsschutzes viel gefährlichere Folgen als die Bestellung des unfähigen Herrn Sidlo zu einem von mehreren Vorstandsmitgliedern eines für die Staatssicherheit völlig irrelevanten Unternehmens (von der auch überhaupt keine negativen Folgen bekannt sind). Warum ermittelt da kein Staatsanwalt  gegen BVT-Chef Gridling – obwohl doch die wichtigste "Qualifikation" bei seiner Bestellung der Umstand gewesen sein dürfte, dass er halt ebenso aus dem Tiroler ÖAAB kommt wie sein damaliger Minister???

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