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Es wäre selbstbeschädigender Wahnsinn, sollte sich die ÖVP für etwas anderes als eine neue schwarz-blaue Koalition entscheiden. Genauso selbstbeschädigend wäre es, sollten sich die Freiheitlichen wirklich dieser Zusammenarbeit entziehen. Diese beiden Feststellungen lassen sich mittlerweile glasklar beweisen. Ebenso wie die Tatsache, dass die Österreicher mit der ersten Regierung Kurz sehr zufrieden gewesen sind. Sensationell ist, dass der ÖVP von den Österreichern keine Schuld an den dramatischen Vorgängen in den Mai- und Juni-Tagen zugeschoben wird, obwohl eigentlich sie es war, die als erste Partei Neuwahlen verlangt hat.
Das alles lässt sich mit großer Deutlichkeit aus den von den beiden Wissenschaftlern Plasser und Sommer erhobenen und jetzt präsentierten Daten über die Meinungen der Österreicher und vor allem der einzelnen Parteisympathisanten ableiten. Dabei geht es um alle in den letzten vier Monaten wichtigen Themen sowie um die Koalitionspräferenzen. Plasser und Sommer sind seit vielen Wahlen als die weitaus seriösesten und am tiefsten in die Wählerseele hineinhorchenden Forscher bekannt. Daher wird ihren Erkenntnissen auch immer besonderes Gewicht zugeschrieben.
Erste wichtige Erkenntnis: Auch nach ihrem Scheitern sind rückblickend 58 Prozent der Österreicher mit der Regierung Kurz zufrieden. An deren Beginn waren es übrigens 57 Prozent gewesen. Wenn man bedenkt, wie sehr international fast alle Koalitionsregierungen im Laufe der Zeit einem Verschleiß und Vertrauensverlust ausgesetzt sind, dann sind diese Werte ein exzellentes Zeugnis für Schwarz-Blau. Dies ist noch viel höher zu schätzen, bedenkt man überdies, wie aggressiv der ORF die ganze Zeit gegen die Regierung angekämpft hat.
Diese Zufriedenheit mit der gestürzten Regierung findet sich nicht nur bei Wählern der ÖVP beziehungsweise FPÖ, sondern überraschenderweise auch bei mehr als einem Drittel (37 Prozent) der Neos-Wähler. Lediglich bei Rot (15) und Grün (12) ist der Anteil der mit Schwarz-Blau zufrieden Gewesenen recht gering.
Umso absurder wäre es, würde Sebastian Kurz jetzt wirklich mit jener Partei eine Koalition bilden, deren Wähler am unzufriedensten mit seiner bisherigen Regierungszeit sind. Nüchterne Beobachter warten daher in aller Ruhe ab, ob es wirklich zu Schwarz-Grün kommt. Kennt doch auch Kurz diese Zahlen.
Auch bei einer weiteren Frage zur Beurteilung der Vergangenheit sind die Grün-Wähler am weitesten von Kurz entfernt. Während nämlich insgesamt 55 Prozent der Österreicher der Meinung sind, dass Kurz die (nach Ausscheiden der Freiheitlichen gebildete) Übergangsregierung weiterführen hätte sollen, glauben das bei Grünwählern weitaus am wenigsten, nämlich nur 6 Prozent.
Für die FPÖ ergeben die Plasser-Sommer-Daten hingegen einen ambivalent zu interpretierenden Wert. Sagen doch immerhin 16 Prozent der FPÖ-Wähler: Kurz hätte die Regierung weiterführen sollen, also auch nach Hinauswurf, beziehungsweise Ausscheiden der FP-Minister.
Dieser Mehrheitswunsch, dass Kurz auch ohne Mehrheit weitermachen hätte sollen, erklärt umgekehrt am besten, warum für die meisten Österreicher SPÖ, FPÖ und "Jetzt" die Hauptschuldigen an den Neuwahlen und der instabilen Situation sind (die nach Aussage einer von allen guten Geistern verlassenen Grünpolitikerin sogar bis Ostern andauern könnte!). Dementsprechend haben genau diese drei Parteien eine feste Ohrfeige am Wahltag bekommen.
Die historischen Fakten zeigen allerdings, dass eigentlich Kurz durch den Hinauswurf von Innenminister Kickl (nachdem ein Rücktritt des Ibiza-Übeltäters Strache die Situation eigentlich schon als geklärt erscheinen hat lassen) das Scheitern der Regierung ausgelöst und auch als erster von Neuwahlen gesprochen hat. Die Summe dieser Vorgänge und damit die politische Verantwortung werden aber eben von den Wählern anders gesehen.
Das ist wohl ein Beweis für das ziemlich geniale Taktieren und Kommunizieren des ÖVP-Obmannes in jenen Frühlingstagen, in denen er sich gleichsam vom Täter zum Opfer gehäutet hat. Hut ab vor dieser Meisterleistung – zu der freilich auch das taktische Ungeschick von Blau und Rot beigetragen hat.
Kurz hat sich auch thematisch sehr präzise auf die für seine Wählerschaft wichtigen Themen eingestellt. Ganz offensichtlich hatte er die richtigen Daten. Denn in seiner maßgeschneiderten Kampagne sind genau jene Themen ganz klar an der Spitze gelegen, die auch die späteren ÖVP-Wähler am meisten beschäftigen. Das zeigen die Antworten auf die Frage: "Welche Themen beschäftigen Sie zurzeit am meisten?". Die ÖVP wählten schlussendlich:
Das sind die höchsten Sorgenwerte der ÖVP-Wähler unter 13 verschiedenen Möglichkeiten. Genau das sind auch die Themen, auf die sich Kurz im Wahlkampf konzentriert hat.
Was für die anderen Parteien noch bedrückender ist, und was deren Wahlkampf als besonders unprofessionell erscheinen lässt: Bei allen konkret abgefragten Sorgen haben die meisten Österreicher dann die ÖVP gewählt – mit einer einzigen Ausnahme, bei der Sorge über die "hohen Miet- und Wohnungspreise". Hier gibt es einen knappen SPÖ-Vorsprung. Wer diese Sorge hegt, hat zu 31 Prozent SPÖ und nur zu 28 Prozent die ÖVP gewählt. Hingegen hat die ÖVP selbst bei den sich ums Klima sorgenden Österreichern einen knappen Vorsprung auf Grün wie Rot.
Was bei diesen 13 abgefragten Problemfeldern überdies auffällt: Am allerwenigsten Sorgen löst das Thema Ibiza aus. Ibiza hat nur 8 Prozent der Österreicher bewegt. Was für ein Unterschied zum Umfang der Berichterstattung in den letzten vier Monaten!
Die Wahlforscher sagen ganz klar: Den Abfall vieler Wähler von den Freiheitlichen haben nicht die Ibiza-Videos, sondern erst die vielen Meldungen über üppige Spesen für H.C. Strache unmittelbar vor der Wahl gebracht.
Dabei gibt es über dieses ganze Spesenkapitel auch jetzt, drei Tage nach der Wahl, noch immer in keiner Weise Klarheit. Bezeichnenderweise verhindert auch Strache selbst diese Klarheit: Selbst bei seiner nunmehrigen Rücktrittserklärung hat er neuerlich abgelehnt, darauf einzugehen. Er wolle nur mit der Staatsanwaltschaft darüber reden.
Das ist zwar sein gutes Recht. Aber das macht viele natürlich erst recht überzeugt, dass da manches stinkt. Überdies können die Ermittlungsbehörden ja nur Strafrechtsverstöße überprüfen. Alles, was hingegen nur "sich nicht gehört", was "nur" politisch anrüchig ist, wird von ihnen nicht aufgegriffen. Daher bleiben Strache und seine Spesen – die ihm ja irgendjemand in der FPÖ auch genehmigt und ausbezahlt haben musste! – wohl weiterhin für seine Partei ein Mühlstein am Hals.
Zurück zu den Erkenntnissen der Wahlforscher: Sie haben noch durch weitere Fragen die Bedeutung des Migrationsthemas abgeklopft:
Wie soll angesichts all dieser Differenzen Schwarz zu Grün passen, ohne dass sich eine der beiden Parteien selbst entmannt?
Für die Sozialdemokraten erschütternd sind die Antworten ihrer eigenen Wähler auf die Frage, warum sie eigentlich die SPÖ gewählt haben: Da nennen nur 13 Prozent Pamela Rendi-Wagner als Wahlmotiv. Das ist der weitaus schlechteste Wert aller Spitzenkandidaten. Nicht weniger als neun andere Motive waren für SPÖ-Wähler wichtiger. Das ist ein gravierendes Indiz, weshalb man sicher sein kann, dass Rendi-Wagner die Partei nicht mehr in die nächsten Wahlen führen wird, dass sie sogar jetzt schon sehr bald weg wäre, hätte die Partei irgendeine brauchbare Alternative (die nicht lieber in Kärnten oder im Burgenland Landeskaiser bleibt).
Bei den ÖVP-Wählern nennen hingegen 44 Prozent Kurz als Wahlmotiv. Relativ ähnlich hoch – was eigentlich überraschend wirkt – ist der Wert von 39 Prozent der FPÖ-Wähler, die Norbert Hofer als Wahlmotiv nennen; Herbert Kickl wurde von 30 Prozent als Motiv genannt. Beide Werte sind höher als die Werte aller übrigen Spitzenkandidaten bei den Wählern ihrer Partei. Beide werden also von den FPÖ-Wählern geschätzt. Für Hofer besonders wichtig ist aber, dass er vor Kickl liegt. Das stärkt seine Chefrolle ein wenig.
Eingehend nachdenken sollte die FPÖ jedoch darüber, dass nicht weniger als 85 Prozent ihrer eigenen Wähler eine klare Koalitionspräferenz geäußert haben: nämlich für Schwarz-Blau. Und 30 Prozent haben die Partei sogar ausdrücklich dazu gewählt, "um eine schwarz-grüne Koalition zu verhindern".
Beide Werte sind ein krasser Widerspruch zum jetzigen Verhalten der Parteispitze, die erklärt hat, in die Opposition gehen zu wollen. Dabei ist völlig klar: Wenn sich die FPÖ wirklich jeder Regierungszusammenarbeit entzieht, erzwingt sie ja geradezu, dass Schwarz und Grün koalieren.
Es wäre politischer Selbstmord, sollte sich eine Partei wirklich dauerhaft so krass gegen den Willen der eigenen Wähler stellen, die ja immerhin noch immer 16 Prozent der Österreicher ausmachen. Will man diese alle in kindischem Trotz bestrafen dafür, dass es halt diesmal (aus parteieigenem Verschulden) nicht mehr 26 Prozent waren?
Sollte es am Ende wirklich am Njet von Hofer und Kickl liegen, dass es kein neues Schwarz-Blau gibt, ist die Konsequenz klar: Viele jetzige ÖVP- (und frühere FPÖ-)Wähler werden auch dann nicht zu Blau zurückwechseln, wenn sie über eine Koalition der Schwarzen mit den Grünen empört sind. Aber warum soll man zu den Freiheitlichen wechseln, wenn die selbst die Hauptschuldigen sind, dass es zu Schwarz-Grün gekommen ist?
Andererseits sollte aber auch die ÖVP die Daten genau studieren und auch ihrerseits in erster Linie den Weg zu den Freiheitlichen suchen. Denn auch bei ihren eigenen Wählern ist die Variante ÖVP+FPÖ mit 34 Prozent die beliebteste, wenn auch dieser Wert nicht so eindeutig ist wie bei der FPÖ. Diesen 34 stehen nur 6 Prozent Anhänger von Schwarz-Grün gegenüber; und die Variante ÖVP+Grün+Neos wird von weiteren 20 Prozent unterstützt (wobei es aber durchaus fraglich ist, wie viele davon auch noch einer Neos-freien Koalition mit den Grünen zustimmen).
Schließlich wird von Plasser und Sommer neuerlich ein schon länger anhaltender Trend bestätigt, nämlich der einer stark gewachsenen Wechselfreude der Wählerschaft: Diesmal wählte sogar schon deutlich mehr als ein Drittel eine andere Partei als bei der Wahl 2017. Weniger als ein Drittel aller Österreicher hat hingegen noch eine emotionale Bindung an irgendeine Partei. Vor dreißig Jahren haben sich hingegen 60 bis 70 Prozent gefühlsmäßig fix mit einer bestimmten Partei verbunden gefühlt.
Es gibt also fast keine Stammwähler mehr, auf die sich die Parteien verlassen können. Sie müssen bei jeder Wahl um fast jede Stimme von Null auf kämpfen. Das macht Wahlen immer spannender – was wiederum die kriminelle Energie erklärt, die immer öfter rund um Wahlen von manchen angewendet wird.