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Sekten in holländischen Bauernhäusern – und auf unseren Straßen

Mit wirren Weltuntergangsprophezeiungen nach Sektenart ist ein halbes Dutzend Jugendlicher über Jahre von zwei Männern, die gleichzeitig erstaunlichen Reichtum erworben haben, abhängig gemacht und von der normalen Welt getrennt worden. Es ist gespenstisch, was sich da in einem niederländischen Bauernhof abgespielt hat. Es beweist sich wieder einmal, wie leicht es ist, junge Menschen zu fanatisieren und abhängig zu machen. Offensichtlich gilt: Je wirrer, umso leichter geht es. Genau dasselbe Muster zeigt sich aber nicht nur in holländischer Einschicht und im Sektenmilieu, sondern vor unseren Augen auch in vielen europäischen Städten – und unter dem Beifall vieler Medien und Politiker.

In vielen Städten sind Jugendliche ebenfalls von einem Glauben an einen Weltuntergang fanatisiert worden. Ihr Fanatismus ist insbesondere von den Weltuntergangs-Prophezeiungen eines schwedischen Autisten-Mädchens entflammt worden, deren panikartige Ängste die Jugendlichen genau dort treffen, wo sie immer schon zu treffen waren: bei ihrer Bereitschaft, sich ganz einem Ideenkonstrukt mit ultimativer Dimension hinzugeben.

Solche Wellen des Fanatismus wallen alle paar Jahre auf, wenn eine neue kollektive Massenhysterie eine neue Generation jugendlicher Menschen ergreift. Es ist immer ein neues Ideenkonvolut, aber immer der gleiche postpubertäre Schub. Wichtig ist für die Jugendlichen dabei immer nur, sich möglichst radikal von der Welt, von den Überzeugungen und Haltungen vorhergehender Generationen absetzen zu können. Wichtig ist das gemeinsame Gefühl: Wir sind die ersten, die wissen, was richtig ist! Weg mit den alten Sitten, mit den alten Knochen!

Dabei läuft der Generationenkonflikt zum Glück bisweilen nur sehr sanft ab: durch den Wechsel von Musik-, Haartracht- oder Kleidungs-Moden etwa, durch ein Bart-Auf, Bart-Ab. Manchmal wechseln aber solche Wellen nahtlos auch vom Harmlos-Netten der Blumenkinder oder Beatles-Begeisterung hin zum blutigen Terror der Baader-Meinhof-Bande.

Dieses ständig neue jugendliche Kollektivgefühl ist entwicklungspsychologisch gut erklärbar. Plötzlich schafft man es, der eigenen Generation den Anschein zu verschaffen, die wichtigste, die klügste, die entscheidende zu sein. Plötzlich macht man selbst Schlagzeilen, während man sich fünfzehn oder zwanzig Jahre lang immer nur dem Willen der Eltern, oder Lehrer unterordnen hat müssen. Oft widerwillig und trotzig.

Das "Endlich erwachsen!" führt zu gemeinsamem Aufbegehren, aber bisweilen auch blindwütigem Revoltieren. Bei dem man keine Rücksicht mehr auf die von den Altvorderen geschaffenen Regeln und Gesetze nehmen will, bei dem es kein Abwägen verschiedener oft widersprüchlicher Fakten mehr gibt, bei dem a priori alles als falsch gilt, was die Älteren sagen und tun, bei dem jeder Dialog verweigert wird.

Das führt bei den einen zu massenhaften Alkohol- oder Drogenräuschen, bei anderen zu Selbstverstümmelung durch Tätowierungen oder Piercing. Bei wieder anderen freilich führt der postpubertäre Jetzt-bin-ich-erwachsen-und-mache-alles-anders-Schub aber glücklicherweise auch zu sensationellen Hochleistungen und kreativen Anstrengungen, zu denen man oft nur in diesem Alter imstande ist. Es ist kein Zufall, dass Erfindungen und Innovationen eher in jüngeren Lebensjahren gelingen, während man später meist das tut, wozu man Behutsamkeit und Erfahrung, Wissen und Weisheit braucht.

Diese Weisheit sollte aber auch entscheiden können, ob jugendlicher Veränderungsdrang zu positiven Innovationen oder zu fanatischen Zerstörungen führen wird. Es kann dennoch keine Frage sein: Eine Gesellschaft, also die demokratische Willensbildung aller in einem Staat lebenden Menschen, hat das Recht, sich zu wehren, wenn junge Menschen – meist sind es ja auch nur Teile jeder Generation – in ihrem Fanatismus rechtliche Grenzen überschreiten, wenn sie andere schädigen wollen.

Die Liste der historischen Beispiele solcher Jugendrevolutionen in jeweils anderem Gewand, aber mit der immer gleichen Grundstruktur ist lang. Sie beginnt etwa mit der neolithischen Revolution, als vor Jahrtausenden junge Menschen kühn immer weiter in unentdeckte Regionen vorstießen, um freies Ackerland für sich zu finden. Auf diese Liste gehören beispielsweise aber auch die Kinderkreuzzüge, bei denen junge Menschen (oft die zweiten, dritten, vierten Söhne, auf die daheim kein Erbe wartet) voll Begeisterung die ins christliche Palästina eingedrungenen islamischen Eroberer zurückwerfen wollten, die also ein in ihren Augen besonders edles und heilversprechendes Ziel hatten. Besonders drastisch zeigt sich das jugendrevolutionäre Muster bei den kommunistischen, sozialistischen, faschistischen, nationalsozialistischen, islamistischen Eruptionen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Immer wieder brach ein anderer kollektiver Fanatismus für irgendeine andere eindimensionale Idee aus. Immer aber dominierte die Ablehnung gegen die bestehende Welt, gegen die vorherige Generation. Dieser Fanatismus richtete oft katastrophale Schäden an, führte zu Kriegen und Massenmorden.

Einmal richtete er sich gegen die Bedrohung der Welt durch die angebliche Klassengesellschaft; ein andermal gegen die angebliche (oder manchmal auch wirkliche) Unterdrückung der eigenen Nation, des eigenen Volkes; ein andermal gegen die angebliche "Verjudung" der Welt; ein andermal gegen die Existenz noch nicht "bekehrter" Christen, Juden und sonstiger Ungläubiger; ein andermal gegen angebliche Neonazis, die arme "Fluchtsuchende" nicht aufnehmen wollen; und wieder ein andermal – voll Sehnsucht nach Rückfall in eine idealisierte Steinzeit – gegen die moderne Wohlstandsgesellschaft trotz ihrer epochalen Erfolge in Sachen Lebenserwartung, Massen-Bildung und Bekämpfung von Hunger und Not.

Das immer neue Auftauchen solcher pubertätspsychologisch verursachter Massenphänomene ist auch in Zukunft unvermeidlich. Durchaus vermeidlich ist hingegen, dass Gesellschaften jedes Mal automatisch vor ihnen zurückweichen, und immer voller neurotischer Unsicherheit sagen: "Jugend hat ja immer Recht, sie ist ja die Zukunft".

Nein, sie hat fast nie Recht – auch wenn man immer an die Möglichkeit denken sollte, dass jugendliches Neudenken bisweilen zu interessanten Innovationen führen kann. Aber jedenfalls hat eine demokratische Gesellschaft das Recht, sich und "The Rule of Law" zu verteidigen.

Sie hat vor allem deshalb das Recht dazu, weil die Geschichte zeigt, dass Jugendrevolutionen meist in einen Irrweg führen. Diese Irrwege sind bei Kommunismus, Nationalsozialismus und Islamismus mit ihren Heerscharen von Opfern eklatant. Auch bei der Jugendrevolte der sogenannten 68er ist das inzwischen eindeutig und evident. Sagt doch heute ein Großteil der einstigen 68er selbst, wie unsinnig ihr damaliges Geschwätz und erst recht die daraus folgenden mörderischen Aktionen gewesen sind. Egal, ob sie einst an Mao, Marx, Trotzki, Marcuse, Adorno, Stalin oder Dutschke geglaubt haben.

Daher haben auch die heutigen Staaten jedes Recht, sich hüpfenden Schülern in den Weg zu stellen, die zur angeblichen Rettung der Welt die heutige Welt lahmlegen wollen. Daher hat sie jedes Recht, alle Prediger und Imame auch schon prophylaktisch aus dem Verkehr zu ziehen, die Jugendliche zu einer wörtlichen Auslegung des Koran mit seinen Aufrufen erziehen wollen, Christen, Juden und andere Ungläubige zu verfolgen.

Die europäischen Staaten haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht dazu, ihre Bürger zu schützen. Sie hätten diese zumindest. Sie kommen ihr aber immer weniger nach. Aus Schwäche, aus Unsicherheit, aus Degeneration. Sie haben nur noch die Energie, gegen zwei alte Männer vorzugehen, die ein halbes Dutzend Jugendlicher wie Sektengurus in Abhängigkeit gehalten haben. Den viel gefährlicheren Großsekten gehen sie hingegen feige aus dem Wege.

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