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Heulen und Zähneknirschen herrschen seit Tagen bei den Freiheitlichen, nachdem sie bei den Wahlen fast 10 von 26 Prozentpunkten verloren haben. Die FPÖ-Spitzen hängen seither handlungsunfähig wie nach einem K.O.-Schlag in den Seilen. Sie sind in der Tat von vielen Schlägen getroffen worden, von fremd- wie selbstverschuldeten. Und – wie immer beim Boxen – der letzte war der schwerste.
Dieser Schlag bestand zweifellos in den intensiven Berichten während der allerletzten Tage vor der Wahl über Spesenmanipulationen bei den Freiheitlichen, über allzu üppige finanzielle Bonifikationen für die Familie Strache. Da war von gefälschten Abrechnungen des Langzeitobmannes H.C. Strache die Rede, von einer Gucci-Tasche, die seine Frau auf Parteikosten abgerechnet habe, davon, dass Strache seine Wohnungsmiete der Partei verrechnet habe. Oder gar davon, dass Straches Frau einen Bezug von 9500 Euro hatte. Monatlich. Und man weiß nicht ganz wofür.
Solche Vorwürfe treffen bei keiner anderen Partei so ins Gemüt der jeweiligen Wählerschaft wie bei den Freiheitlichen. Denn diese wird ja vor allem als typische Protestpartei gegen "die da oben" gewählt, gegen die auf viele Menschen sehr abgehoben wirkende städtische Kunst-, Medien- und Schickeria-Szene. Die einstige Partei nationalliberaler Honoratioren ist seit Jörg Haider eine Partei des kleinen Mannes geworden. Vor zwei Jahren hat sogar jeder zweite Arbeiter die FPÖ gewählt; diesmal war es wegen der Gucci-Affäre zwar nur noch jeder Dritte. Das ist aber immer noch mehr als bei den anderen Parteien (die ÖVP hat 27 Prozent der Arbeiter für sich gewonnen; und die einstige Arbeiterpartei SPÖ nur 25 Prozent).
Bei einer so strukturierten Wählerschaft wirken daher Vorwürfe viel stärker als bei anderen Parteien, dass der (Ex-)Parteichef sich wie ein typischer Bobo-"Nehmer" aus der verachteten Schicht derer da oben verhalten hat.
Allerdings: In ganz Österreich weiß bis auf die unmittelbaren Akteure selbst weiterhin niemand, ob und wie weit diese Vorwürfe auch rechtswidrig sind. Denn sie kamen erst so knapp vor der Wahl an die Öffentlichkeit, dass niemand sie objektiv überprüfen konnte. Daher haben sich viele FPÖ-Wähler im allerletzten Moment schwer verunsichert zum Nichtwählen entschlossen. Dieser Wechsel macht fast die Hälfte der FPÖ-Verluste aus.
Die andere Hälfte der verlorenen Wähler war schon Ende Mai nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos zur ÖVP gewechselt. Im Fall Ibiza war der FPÖ-Stimmverlust dadurch abgemildert worden, dass die Videos durch eine kriminelle, mafiöse Lauschattacke zustande gekommen sind. Das hat die Menschen mindestens ebenso empört wie die verbale Korruptionsbereitschaft Straches im alkoholisierten Zustand, die aber offenbar nie zu konkreten Taten geführt hat. Denn viele Österreicher haben ein gewisses Verständnis für "b'soffene Gschichten", noch dazu, wenn da irgendwie schöne Frauen involviert sind.
Jetzt aber kam die Spesenaffäre. Sie hat auf Kosten der FPÖ vor allem die "Partei" der Nichtwähler signifikant verstärkt. Das ist aber wiederum nicht nur für die FPÖ, sondern auch demokratiepolitisch ein ziemliches Problem, wenn rund fünf Prozent der Wähler im letzten Moment angewidert zum Schluss kommen, dass eigentlich keine Partei mehr wählbar ist, wenn so viele Menschen auf die Wahl generell pfeifen, wenn jeder vierte Österreicher einfach nicht mehr zur Wahl geht.
Diese Wirkung wurde durch die Reaktion der FPÖ noch signifikant verstärkt. Sie erschien total verunsichert. Sie erweckte den Eindruck, als stimmen alle Vorwürfe, auch wenn Hofer & Co zugleich behaupteten: Wir wissen nichts davon.
Seriöserweise können Außenstehende auch jetzt noch nicht wirklich abschätzen, was genau stimmt. Ist neben der sehr großzügigen finanziellen Wattierung für den Parteiobmann über Spesen hinaus auch etwas Strafrechtswidriges passiert? Etwa durch die Fälschung von Belegen? Gab es für alles korrekte Beschlüsse? Wenn ja, dann sollten freilich auch noch ein paar andere Freiheitliche – insbesondere aus der Wiener Organisation – gehen.
Eine besonders dubiose Rolle spielt dabei ein Personenschützer Straches aus dem Kreis der Polizei, der ihn jahrelang ausspioniert und Belege kopiert hat. War er von Anfang an ein von linken Strache-Jägern auf den FPÖ-Chef abgesetzter Spion? Oder nahm er "nur" aus persönlichen Gründen Rache?
In den letzten Tagen hat man jedenfalls so viele verschiedene Erklärungsvarianten zu all dem finden können, wie man verschiedene Medien konsumiert hat. Jedenfalls aber kann es keine Zweifel geben, dass auch hinter der Aufdeckung der Spesenabrechnungen ein aggressives wie professionelles linkes Mafia-Netzwerk steckt, so wie schon in Ibiza.
Besonders gespannt sein darf man aber auch auf die Klärung, wieweit darüber hinaus die der FPÖ ja prinzipiell nie freundlich gesonnene Staatsanwaltschaft da eine üble Rolle gespielt hat, indem sie gezielt ausgerechnet in der letzten Woche vor der Wahl schwer belastende Informationen über an Strache geflossene Gelder an die Öffentlichkeit lanciert und den schon länger im Visier befindlichen Leibwächter kurzfristig festgenommen hat.
Keinen Zweifel kann es hingegen über die üble Rolle des Gebührensenders ORF und etlicher Printmedien geben, die trotz aller Unklarheiten über die Spesen-Story großflächig berichtet haben. Das fällt insbesondere deshalb sehr negativ auf, weil dieselben Medien gleichzeitig die grüne Korruptionsstory weitgehend unter den Teppich gekehrt haben, bei der der grüne Planungssprecher im Wiener Rathaus für seinen privaten Verein, der Schulprojekte in Südafrika durchführt, bei großen Immobilienfirmen Hunderttausende Euro an Spenden akquiriert hat. Die Grünen sind aber in Wien gleichzeitig zuständig für Flächenwidmungen, von denen manche Immobilienfirmen gewaltig profitiert haben. Dabei geht es insbesondere um das projektierte Hochhaus mitten in einem der schönsten Jugendstil-Gründerzeit-Biedermeier-Viertel Wiens.
Bei den Wählern durchgedrungen sind aber "dank" der Medien nur die Gucci-Taschen des Ehepaars Strache und die Übernahme eines Teils seiner Miete durch die Partei.
Auf die größte Merkwürdigkeit am ganzen Spesen-Gucci-Komplex wird überhaupt nicht eingegangen: Dass nämlich laut Staatsanwaltschaft gegen Strache wegen "Untreue" ermittelt wird. Untreue bedeutet aber, dass man jemand "anderen am Vermögen schädigt", und zwar jemanden, über dessen Vermögen man selbst verfügen konnte. Dieser Andere kann daher im konkreten Fall nur die FPÖ sein – die aber sieht sich bis heute gar nicht als geschädigt an. Daher erscheint vielen Juristen der Vorwurf als konstruiert.
Mehr noch als am Tag vor der Wahl bin ich daher ziemlich sicher, dass sich hinter der angeblichen Untreue eine klassische Steuerhinterziehung samt allzu großer Gier des Paares Strache verbirgt. Das heißt zwar nicht, dass Steuerhinterziehung nicht auch strafbar wäre. Und das heißt schon gar nicht, dass ich eine solche billigen würde.
Aber politisch ist völlig klar: Steuerhinterziehung wäre bei den FPÖ-Wählern lange nicht so negativ angekommen wie das Wort "Untreue". Noch dazu auf Kosten der eigenen Partei, die für Strache und viele FPÖ-Wähler bis heute wie die eigene "Familie" ist. Noch dazu, wo im Wertekanon der die FPÖ stark prägenden Burschenschaften die "Treue" einen traditionell hohen Platz einnimmt. Da ist "Untreue" das absolut schlimmste Vokabel, das man sich vorstellen kann.
Gewiss, es kann manches geben, was wir nicht wissen. Aber ebenso gewiss ist, dass eines Tages die Staatsanwaltschaft ihre Karten auf den Tisch legen wird müssen. Und dann sollte sie gute Karten haben – denn sonst hätten wir den größten Skandal überhaupt in der zuletzt nicht gerade skandalarmen Geschichte der Staatsanwaltschaft. Denn dann hätte diese gezielt – schon allein durch die zeitliche Abfolge ihrer Aktionen und Kommunikation! – in die wichtigste demokratische Wahl des Landes eingegriffen. Dann wäre all das, was man sich derzeit etwa in den USA gegenseitig als Wahlmanipulationen vorwirft, auf gut österreichisch ein Lercherl.
Was heißt das alles nun für die Freiheitlichen selbst? Sollte nicht wirklich ein Staatsanwaltschafts-Skandal platzen, bedeutet die Spesencausa jedenfalls einmal das endgültige politische Ende für die Straches. Jedes Comeback ist dann ausgeschlossen.
Intern zur Diskussion steht aber auch Parteichef Hofer. Ihm ist keine gute Reaktion auf die Spesenberichte geglückt. Er wirkte überdies auch im Wahlkampf selbst ein wenig unsicher und nicht wirklich kämpferisch – er war aber auch wochenlang durch eine hartnäckige fiebrige Erkältung stimmmäßig behindert, wofür er zwar nichts kann, was aber unterschwellig nicht gerade positiv auf die Wähler wirkt. Und er hat – im Nachhinein betrachtet – auch nie den richtigen Umgang mit Strache gefunden: Was sich insbesondere daran gezeigt hat, dass die Wiener FPÖ Straches bisher recht politikfremde Frau auf ein – fast – sicheres Abgeordnetenmandat gesetzt hat.
Mit Gewissheit wird es aber zu keiner Parteispaltung kommen. Wahrscheinlicher ist, dass relativ einvernehmlich irgendwann der konfrontationsfreudige Herbert Kickl die Parteiführung übernehmen wird, sollte die FPÖ in die Opposition gehen.
Vorerst ist aber anderes dringlicher:
Zwar haben jetzt alle FPÖ-Gewaltigen angekündigt: "Wir gehen in Opposition." Zwar wird Wahlsieger Sebastian Kurz wohl etliche Wochen primär mit den Grünen – die ja noch mehr Prozentpunkte dazugewonnen haben als die ÖVP – verhandeln. Aber es ist durchaus fraglich, ob es dabei zu einem Ergebnis kommen wird. Sind doch die Grünen inhaltlich von der Migrations- bis zur Steuerpolitik jene Partei, die weitaus am fernsten zur ÖVP steht.
Daher könnte durchaus gegen Ende des Jahres der Zeitpunkt kommen, wo Kurz doch noch ernsthaft bei der FPÖ anklopft und anfragt: "Wollen wir es nicht doch noch einmal versuchen?" Und dann sollte die FPÖ – wenn sie nicht von allen guten Geistern verlassen ist – doch Ja zu ernsthaften Verhandlungen sagen. Immerhin haben ja trotz der freiheitlichen Wählerverluste noch immer über zwei Prozent der Wähler mehr für die FPÖ gestimmt als für die Grünen. Die FPÖ hat also noch immer einen größeren Wählerauftrag als diese.
Und vor allem spricht der zurückliegende FPÖ-Wahlkampf selbst gegen eine Verweigerungshaltung der FPÖ. Trugen doch ihre letzten beiden Plakate die Slogans: "Schwarz-Grün gefährdet DEINE Zukunft"; und: "Ohne uns kippt Kurz nach links". Wie will man da den immerhin 16 Prozent der Österreicher, von denen viele ja genau aus diesem Grund trotz allem die FPÖ gewählt haben, erklären, dass man seine Wahlkampfankündigungen bricht – obwohl man die Aussagen dieser beiden zentralen Plakate problemlos realisieren könnte? Tatsache ist: Eine dauerhafte Verweigerungshaltung der FPÖ würde Kurz geradezu zum Links-Kippen und zu Schwarz-Grün oder zu Schwarz-Rot zwingen.
Oder will die FPÖ jetzt auch noch jene Wähler vor den Kopf stoßen, die ihr trotz Gucci die Treue gehalten haben?
PS: Wie "lustig" es bei der FPÖ zugeht, zeigen jetzt auch offen ausgetragene Kontroversen zwischen einst führenden Exponenten aus dem blauen Lager.
Ich schreibe gelegentlich für die Seite "jungefreiheit.de".