Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
"Unser Weg hat erst begonnen." "Tun, was richtig ist für Österreich." So plakatiert es die ÖVP landauf, landab. Man kann ihr bei beidem nur vollen Herzens zustimmen. Das tut auch mit großer Beständigkeit eine stabile und sichere Mehrheit der Österreicher. Seit Frühjahr 2017, seit Sebastian Kurz Spitzenmann der ÖVP ist, gibt es bei allen Umfragen eine massive absolute Mehrheit für Blau-Schwarz, zwischen 55 und 60 Prozent. Vor der letzten Wahl, nach dieser, während der eineinhalb Koalitionsjahre, nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos und auch im gesamten bisherigen Wahlkampf.
Nur zum Vergleich: Die "große" Koalition in Deutschland grundelt derzeit bei gemeinsamen 40 Prozent. Mit weiter abnehmender Tendenz.
Klar ist freilich auch: Diese stabile Schwarz-Blau-Mehrheit ist nicht so sehr Folge des persönlichen Charmes von Kurz oder seiner Schönheit, wie des radikalen Kurswechsels der ÖVP, für den er steht. Und dieser Kurswechsel ist eindeutig nur in einer blau-schwarzen Koalition fortsetzbar.
Da stellt sich der Mehrheit der Österreicher eigentlich nur noch eine einzige Frage: Warum ist es nicht schon längst völlig klar, dass ÖVP und FPÖ diesen Weg auch nach den Herbst-Wahlen gemeinsam weitergehen wollen und sich weiter bemühen, das zu tun, was für Österreich richtig ist?
Aber das ist ganz und gar nicht klar. Denn Teile der ÖVP glauben allen Ernstes, dass eine andere Partnerschaft besser wäre. Die einen wollen aus jahrzehntelanger Prägung (oder aus der heutigen Verfilzung in ihren Bundesländern) heraus doch wieder zu Schwarz-Rot zurückkehren, zu der Formel, mit der man sich während der ganzen Nachkriegszeit Österreich aufgeteilt hatte. Sie übersehen nur, dass Schwarz-Rot inzwischen bei den Wählern total unbeliebt geworden ist. Ein anderer Teil hat sich von den vielen grün-affinen Medien auf Schwarz-Grün trimmen lassen.
Beide Varianten sind von den politischen Inhalten her aber ein absoluter Wahnsinn. Das letzte Rot-Schwarz-Jahrzehnt ist ja nicht deshalb in unerträglichem Stillstand, in Blockaden und gegenseitigen Aversionen versumpft, weil die roten oder schwarzen Exponenten so widerliche Leute wären, sondern weil die SPÖ geistig die unbeweglichste Retro-Partei im gesamten Spektrum geworden ist. Dort besteht der eine Flügel aus Gewerkschaftern, die glauben, sich noch in den Siebzigern zu befinden, wo man sich genüsslich aus vollen Kassen bedienen konnte. Und die Exponenten des anderen Flügels, also die sich für intellektuell haltenden Bobos der Universitäts- und Kultur-Schickeria, ziehen die Partei weit nach links, wo kaum noch Wähler sind. Sie vertreten radikale Positionen von der Zwangsgesamtschule bis zum Genderismus, von der Schwulen-Verherrlichung bis zum Schuldenfanatismus, von der Wirtschafts- bis zur Familienfeindlichkeit, von der Leistungs-Aversion bis zur Migrations- und Islamisierungs-Begeisterung.
Die jüngste Aussage des früheren deutschen Sozialdemokraten-Chefs Sigmar Gabriel über seine eigene Partei gilt weitgehend auch für diesen derzeit tonangebenden Teil der SPÖ: "Die SPD ist linker als die Linkspartei geworden und ökologischer als die Grünen." Der Marsch der Sozialdemokratie nach links findet auch bei der britischen Labour-Partei oder den amerikanischen Demokraten statt. Auch dort ohne sonderlichen Erfolg – obwohl ihre rechten Gegenpole (Tories wie Republikaner) viele Fehler begehen.
All diese Inhalte, die die Sozialdemokraten weit von christlichen, liberalen und konservativen Positionen trennen, werden aber auch von den Grünen geteilt und durch Auto-Hass, Radfahr-Terror sowie neuerdings die penetrante Klimapanikmache ergänzt, die katastrophale Folgen für Österreich hätte, wenn man die grünen Forderungen wirklich erfüllen würde.
Es ist nicht vorstellbar, wie die ÖVP mit einer dieser beiden Parteien auch nur in einem einzigen Politikfeld über bloße verbale Formelkompromisse hinaus ein sinnvolles Regierungsprogramm zustandebringen wollte. Es wäre daher glatter Betrug am eigenen Wähler, wenn die ÖVP dennoch mit einer dieser beiden Parteien koalieren würde. Es ist nicht der rhetorisch oft zitierte "Respekt vor dem Wähler", das bis zum Wahltag wirklich offenzulassen, sondern Wählertäuschung, welche die Volkspartei teuer kommen könnte.
Etwas anderes wäre eine Koalition der ÖVP mit den Neos. Die Pinken stehen zwar gesellschafts-, migrations- und schulpolitisch auch sehr weit links. Mit ihnen hätten die Schwarzen aber jedenfalls ein großes Feld der inhaltlichen Überschneidung in der gesamten Wirtschafts- und Reformpolitik. Diese Formel Schwarz-Pink wäre sogar die einzige, bei der eine substanzielle Pensions- und Krankenkassen-Reform möglich scheint. Die Pinken würden dafür etlichen frischen Wind mitbringen.
Nur: Es gibt keine einzige Umfrage, dass Schwarz-Pink eine Mehrheit hätte. Und im Bundesrat, der zweiten Parlamentskammer, würde eine Koalition dieser beiden, wenn sie sich doch ausgehen sollte, ständig von der dortigen rot-blauen Mehrheit gejagt werden.
Da man nicht annehmen kann, dass Sebastian Kurz auch nur eine Sekunde von einer absoluten Mehrheit geträumt hat – wenn doch, würde er ja entmündigt gehören –, so bleibt eine einzige realistische Möglichkeit zur Erfüllung seines Wunsches und dem vieler Österreicher, den "begonnenen Weg" fortzusetzen: Das ist ein weiteres Schwarz-Blau.
Immerhin haben die Blauen – im Gegensatz zur Epoche Jörg Haider und Herbert Haupt – viel von ihrem sozialpolitischen Lizitationsgehabe abgebaut, das damals so störend gewesen war. Und immerhin ist mit dem Abgang des Ibiza-Haupttäters Gudenus auch das zweite fundamental störende Inhaltselement der FPÖ weitgehend entsorgt, ihre seltsame Russland-Liebe.
Die Gründe, warum Schwarz-Blau in den letzten Wochen dennoch nicht zur a priori logischen Perspektive geworden ist, liegen vielmehr rein auf der persönlichen Ebene. Mit Sebastian Kurz und Herbert Kickl stehen da einander zwei Alpha-Tiere gegenüber, die einander nicht mehr riechen können. Beide sind hochintelligent, aber wenig kompromissbereit. Noch schlimmer: Jeder von den beiden will der führende Kopf im Kampf gegen die Migration sein. Diese Rivalität trennt mehr, als es verbindet. Dabei hat Kurz auch in diesem Wahlkampf den Migrationsstopp ausdrücklich als sein oberstes Ziel bezeichnet und sich auch schon als Minister sehr darum bemüht. Dabei war Kickl als Innenminister für die Migrationsthemen zuständig und dabei auch durchaus erfolgreich unterwegs.
Kurz hat wegen Kickl die Koalition gesprengt und Neuwahlen herbeigeführt, ohne dass er bis heute einen nachvollziehbaren Grund dafür genannt hätte. Denn die von Kurz angedeutete Sorge ist hanebüchen, dass Kickl als Minister die strafrechtlichen Erhebungen wegen der Strache-Äußerungen im Ibiza-Video gebremst oder behindert hätte.
Auch wenn Kurz das im Jus-Studium vielleicht noch nicht gelernt hat, müsste er nämlich wissen, dass die Staatsanwaltschaft (und die sehr linke Korruptionsstaatsanwaltschaft erst recht) jeden einzelnen Erhebungsschritt und jede Befragung an sich ziehen kann, wenn sie der Polizei misstraut. Daher wäre da der Minister völlig irrelevant geblieben. Und wer Österreich nur ein wenig kennt, weiß, dass es keine 24 Stunden geheim geblieben wäre, wenn Kickl dennoch irgendwie in die Erhebungen einzugreifen versucht hätte. Ganz abgesehen davon, dass jetzt auch ohne Kickl die diesbezüglichen Erhebungen offenbar nicht sonderlich erfolgreich verlaufen (auch wenn anzunehmen ist, dass in der Woche vor der Wahl irgendwelche selektiven und aus dem Zusammenhang gerissenen Aktenteile im "Falter" landen).
Tatsache ist andererseits aber auch, dass Kickl sicher jener Minister ist, der Kurz am öftesten widersprochen hat. Und seit seinem Abschuss reitet er überhaupt jeden zweiten Tag heftige und provozierende Angriff auf die Volkspartei, auf geheimnisvolle schwarze Netzwerke, besonders auf die niederösterreichische ÖVP. Auch wenn er dann an den Tagen dazwischen seine Liebe zu Schwarz-Blau beteuert und von "freundschaftlichen" Beziehungen zur ÖVP spricht, stößt er mit diesen Attacken doch viele jener Wähler vor den Kopf, die irgendwo in der Mitte zwischen Schwarz und Blau stehen, die sich seit Mai überlegen, überhaupt verärgert die Wahl zu boykottieren. Und die ganz sicher nicht an die Wahlurne zurückgeholt werden, wenn eine der beiden Parteien so über die andere redet.
Kickl desavouiert damit aber auch die Strategie des eigenen Parteiobmanns Hofer, der viel besser die einzige strategische Chance der Freiheitlichen erkannt hat: Sie muss die im Mai zu Kurz gewechselten Blau-Wähler zurückholen. Ihm kommt deshalb kein böses Wort über die ÖVP oder irgendwelche Schwarzen über die Lippen. Er lockt diese Wählergruppe vielmehr mit dem ständigen Argument, dass nur eine FPÖ-Stimme die einzige Garantie für eine weitere schwarz-blaue Regierung unter Sebastian Kurz wäre.
Die Hofer-Strategie einer verbalen Umarmung der Volkspartei ist für diese am Wahltag viel gefährlicher als die Kickl-Verschwörungstheorien. Diese Strategie wird freilich nicht nur durch Kickl unterminiert, sondern etwa auch durch den burgenländischen FPÖ-Obmann, der öffentlich für Rot-Blau plädiert. Was natürlich für viele bürgerliche Wähler ebenso abschreckend ist wie Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.
Die natürliche, logische und richtige Fortsetzung einer schwarz-blauen Koalition stößt freilich noch auf zwei weitere gravierende Hindernisse.
Das eine heißt Alexander van der Bellen. Kurz hat den Bundespräsidenten in den vergangenen Wochen viel stärker ins Spiel gebracht, als es notwendig gewesen wäre. Er hat ihn nicht nur ständig gelobt, sondern auch als oberste Instanz behandelt, die über der Regierung stünde. Das mag Kurz zwar taktisch als hilfreich erschienen sein. Das ist aber langfristig dumm und gefährlich, weil man damit einem deklariert linken Bundespräsidenten über die Verfassung hinaus eine große Macht gegenüber der rechten Mehrheit der Bevölkerung gibt, die er nicht so leicht wieder hergeben wird.
Der Altgrüne wird nach der Wahl mit der neugewonnenen Macht zweifellos alles tun, um gegen ein neuerliches Schwarz-Blau zu intrigieren, mehr als er das 2017 getan hat. Man vergleiche im Gegensatz dazu Wolfgang Schüssel, der im Jahr 2000 mit großer Konsequenz den damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil in die Schranken gewiesen hat. Klestil hatte sich damals ebenfalls so wie jetzt sein Nachnachfolger als Oberregierungsregierung zu gerieren und Schwarz-Blau zu verhindern versucht.
Das andere Hindernis heißt H.C. Strache. FPÖ-Chef Hofer war nicht imstande, eine unüberwindliche Trennmauer zwischen der Partei und Strache zu errichten. Ganz im Gegenteil: Strache wird vielmehr von der FPÖ allen Ernstes als Spitzenkandidat für die Wien-Wahl im kommenden Jahr gehandelt. Seine Ehefrau hat er jetzt schon in vorderer Position auf die FPÖ-Kandidatenliste gebracht.
Strache ist zwar bei den FPÖ-Stammwählern populär; waren sie es doch durch ein Jahrzehnt gewohnt, gegen alle untergriffigen Attacken auf Strache zu ihm zu stehen. In der FPÖ begreift man aber nicht, dass Straches Aussagen in Ibiza einen völlig anderen Charakter haben als die lächerlichen "Einzelfälle", die regelmäßig und gezielt von "Falter" und ORF hochgezwirbelt werden, sobald die FPÖ nicht mit der SPÖ kooperiert. Strache hat sich vielmehr durch Ibiza als für alle Nicht-Stammwähler völlig unakzeptabel erwiesen. Sein Versprechen an vermeintliche russische Oligarchen, als Gegenleistung für viel Geld einseitig in staatliche Ausschreibungen eingreifen zu wollen, ist und bleibt ein unerträglicher Skandal, der den Mann dauerhaft für politische Ämter diskreditiert. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Staatsanwaltschaft letztlich keine Anklage erheben sollte, weil sie Straches Gerede bloß als untauglichen Versuch einstufen könnte. Daran ändert es auch nichts, dass ihm eine widerliche Falle gestellt worden war – aber bei jeder Falle gehört immer auch ein Dummer dazu, der hineinplumpst. Daran ändert es auch absolut nichts, dass Strache einen eindeutig und massiv rechtswidrigen Vorschlag mit dem Sätzchen garniert hat, aber es dürfe dabei nichts Rechtswidriges geschehen.
Oder will die FPÖ Österreich wirklich zu einem Land machen, wo nur eine formelle strafrechtliche Verurteilung jemanden als unakzeptabel für politische Ämter macht?
In der FPÖ sollte man sich umgehend von dieser Einstellung trennen und auf Strache in jeder Hinsicht verzichten. Und in der ÖVP sollte man jetzt unbedingt eines tun: einen langen Abend für die Herren Kurz und Kickl unter vier Augen bei einer Flasche Wein zu arrangieren. Oder bei zwei.
Die Mehrheit der Österreicher will Kurz als Kanzler genauso wie sie Schwarz-Blau will und eine effiziente Antimigrationspolitik, die nur mit Kickl möglich ist.
Dieser Text ist in ähnlicher Form in der Wochenzeitung "Zur Zeit" erschienen.