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Der Wahltriumph der ÖVP ist größer als erwartet. Er übertrifft alle Umfragen der letzten Monate. Er stellt in Mandaten wie Prozentpunkten den größten Abstand der letzten hundert Jahre gegenüber der zweitplatzierten Partei her. Der hundertjährige Rivale SPÖ ist auf den weitaus tiefsten Punkt seiner Geschichte gesunken (der auch tiefer ist als alle Tiefpunkte in den durchaus ebenfalls viele Misserfolge aufweisenden Annalen der ÖVP). Rot und Blau und Pilze sind alle drei furchtbar abgestraft worden – das waren genau jene drei Parteien, die vor dem Sommer der Bundesregierung das erste Misstrauensvotum der Geschichte ausgesprochen haben. Der Wahltriumphator Sebastian Kurz kann jetzt gleich mit drei verschiedenen Parteien eine Mehrheitsregierung bilden. Darum feierten in der Volkspartei viele am Sonntag einen Tag so wunderschön wie heute. Jedoch, beim Aufwachen am Montag müssen sie Bitteres entdecken.
Denn der große Sieg war – betrachtet man ihn näher – ganz eindeutig ein Pyrrhussieg. Denn immer öfter wird nun die Frage auftauchen: Großer Sieger, was nun? Warum haben wir da die Krot‘ gefressen und sind in Neuwahlen gegangen?
Denn das Ergebnis ist numerisch toll, aber es wird sich bald als für Kurz viel unangenehmer erweisen als sein Wahlsieg vor zwei Jahren, obwohl sich der auf viel niedrigerem Niveau abgespielt hat. Mit einem Satz: Kurz wird es mit Sicherheit bei der Partnersuche wie auch beim Regieren viel schwerer haben als in den letzten zwei Jahren.
Da helfen ihm auch etliche Parlamentssitze zusätzlich gar nichts. Die guten Zeiten sind vorbei. Damals war die FPÖ ein leichter, ein geradezu dankbarer Partner. Das Härteste, was H.C. Strache bei den Koalitionsverhandlungen verlangt hatte, war die Lappalie der Nichtraucher-Regelung in Lokalen gewesen. Fast war die ÖVP überrascht, als dann nach einem Jahr ein FPÖ-Minister in zumindest einem Ressort eigenständig zu agieren begann. Dieser Minister war für die ÖVP dann auch Hauptanlass des Koalitionsbruchs, ohne dass uns jemals genau mitgeteilt wurde: Warum eigentlich?
Genau dieser Hinauswurf eines Ministers des Koalitionspartners hat jetzt alle potenziellen künftigen Partner des Sebastian Kurz gewitzt, vorsichtig, misstrauisch gemacht. Keine Partei will sich zu einem Kurz-Bejubelungsverein degradieren lassen. Hat Kurz doch schon bei der FPÖ das Prinzip der gleichen Augenhöhe zwischen den Koalitionspartnern nicht sehr lange durchgehalten, als es in Wählerprozenten noch 32 zu 26 stand. Jetzt, da die 37 Prozent der ÖVP bloßen 22, 16 oder 14 Prozent eines potentiellen Koalitionspartners gegenüberstehen, muss jeder von ihnen eben wegen der schlechten Erfahrungen der FPÖ rund um Herbert Kickl fürchten, in einer Regierung von der ÖVP auch bald an die Wand gespielt zu werden.
Kurz wird sich daher extrem schwer tun, auch nur einen einzigen der drei rechnerisch möglichen Partner wirklich ins Koalitionsbett zu bringen. Dies wird ja auch schon deshalb schwer sein, weil allen internationalen politischen Erfahrungen nach die Nummer zwei in einer Koalitionsregierung meist bei der nächsten Wahl viel schlechter abschneidet als die Nummer eins.
Am wenigsten sträuben gegen eine Koalition würde sich zwar die vierte Partei, die Neos. Aber mit denen geht sich eine Koalition rechnerisch nicht aus. Dabei waren die Neos sicher jener Partner, den sich Kurz gewünscht hätte, hätte er von einer guten Fee die Erfüllung eines Wunsches erbitten können. Diese Neos-Perspektive ist ja auch der einzige intellektuell nachvollziehbare Grund, weshalb Kurz im Mai "Genug ist genug" gesagt hat.
Bei zwei der drei möglichen Partner muss Kurz aber auch an seine eigene Zukunft denken, beziehungsweise die seiner Partei: Denn es ist absolut sicher, dass sowohl ein Bündnis mit der SPÖ wie auch eines mit den Grünen der ÖVP bei kommenden Wahlen eine dramatische Niederlage bescheren will. Man kann nicht monatelang den Wählern versprechen, dass man für die Fortsetzung einer Mitte-Rechts-Politik steht, für Disziplin im Staatshaushalt, für Kampf gegen den politischen Islam, für eine leistungsorientierte Schule, für eine weitere Reduktion der Migration, für eine wirtschaftsfreundliche Politik – und dann geht man in eine Partnerschaft mit einer Linkspartei! Sowohl Rot wie Grün stehen in allen genannten Punkten für das genaue politische Gegenteil des von der ÖVP Versprochenen.
Und die ÖVP sollte wohl nicht annehmen, dass auch nur eine der beiden in eine Koalition geht, ohne in etlichen dieser zentralen Punkte eine Kursänderung gegenüber der verhassten schwarz-blauen Regierung zu verlangen und diese Änderungen auch im Koalitionspakt besiegeln zu lassen. So selbstmörderisch sind weder Rot noch Grün.
Bei der SPÖ kommt erschwerend hinzu, dass die Parteivorsitzende schwer angeschlagen ist und auch durch dümmliche Bemerkungen bei Vorwahldiskussionen das Klima zu Kurz persönlich schwer vergiftet hat.
Bei einem Bündnis mit den Grünen wiederum würde die Mitte-Rechts-Volkspartei überhaupt mit der allerlinkesten Partei koalieren. Diese würde noch dazu ermutigt durch den großen Zugewinn – zehn Prozentpunkte mehr stellen den Sechs-Prozent-Zugewinn der ÖVP in den Schatten – sehr selbstbewusst aufzutreten. Wie will da die ÖVP ihrer Identität treu bleiben können?
Wer auch nur ein wenig politische Vorstellungskraft hat, muss daher wissen, dass beide Koalitionsvarianten ein fürchterliches und dauerndes inhaltliches Würgen darstellen würden. Insbesondere ein Bündnis mit den Grünen würde die ÖVP überdies in schwere Konfrontationen mit Wirtschaft und Industrie bringen, zwei für die ÖVP nicht ganz unwichtigen Gruppen.
Dennoch scheint Schwarz-Grün das relativ wahrscheinlichste Ergebnis dieser Wahl zu sein. Denn die Medien werden mit viel Aggressivität die Volkspartei zu einem Schwarz-Grün drängen.
Dennoch würden die Wähler der ÖVP die Partei bei der nächsten Wahl für einen Linksruck schwer bestrafen. Sie haben Sebastian Kurz ja nicht wegen seiner schönen Ohren gewählt, sondern eben weil er für die genannten Inhalte gestanden ist.
Mit anderen Worten: Die Entscheidungen der nächsten Wochen legen in hohem Ausmaß jetzt schon fest, ob Kurz jemals noch einen dritten Wahlsieg einfahren wird können. Eine Entscheidung für Rot wie Grün würde für die Schwarzen mit Garantie den Rückfall auf Mitterlehner-Niveau bedeuten.
Bleibt der dritte mögliche Partner, die FPÖ. Sie hat während das ganzen Wahlkampfes gesagt, dass sie die einzige Garantie sei, die verhindert, dass Kurz nach links umfällt. Genau das zu verhindern ist jetzt wahlarithmetisch auch durchaus möglich geworden. Es wäre daher eigentlich Betrug am Wähler, wenn sie das nicht täte. Immerhin rund 16 Prozent haben sie ja genau in dieser Perspektive gewählt.
Die FPÖ hat zwar nicht nur die ohnedies erwarteten sechs Prozentpunkte verloren, sondern gleich zehn. Aber dennoch hätte die Partei jetzt als fast einzige die Möglichkeit, ihr Wahlziel punktgenau zu realisieren.
Jedoch: Sie will nicht. Die Freiheitlichen sind ob der schweren Niederlage so deprimiert, dass sie in Opposition zu gehen angekündigt haben. Sie lechzen nach Zeit, bis es eine ordentliche Klärung der Vorwürfe gegen H.C. Strache gibt. Und sie hoffen, dass nach Überwindung des Kapitels Strache und nach einer neuerlichen Stabilisierung der Partei es dann wieder größere Chancen denn je geben könnte. Aber andererseits sollte auch den Freiheitlichen klar sein: Wer sich in schwierigen Stunden drückt, wird vom Wähler vielleicht auch dann nicht mehr geholt werden, wenn die Dinge wieder besser stehen.
Es schaut derzeit jedenfalls nicht danach aus, als ob die Freiheitlichen ihre Verweigerung allzu leicht aufgeben würden.
Zumindest ein Argument sollte man ihnen dabei aber nicht durchgehen lassen – das skurrilerweise jetzt genauso auch von den Feinden der FPÖ ständig vorgebracht wird, die damit unbedingt ein schwarz-blaues Bündnis verhindern wollen. Nämlich die Phrase: Die FPÖ habe ja keinen Auftrag der Wähler zum Regieren.
Was auch immer dieser in Leitartikeln gerne als Argument verwendete "Wählerauftrag" eigentlich genau sein soll: Im Wahlergebnis selber ist kein solcher Auftrag zu finden. Kein Wähler hat außer seinem x (und eventuell – ganz selten – einen Namen) noch irgendeinen Auftrag auf den Stimmzettel geschrieben. Und 16 Prozent sind immer noch mehr als die 14 Prozent für die Grünen. Es sei denn, man erklärt die 16 Prozent für wertlose Rechtspopulisten, denen am besten gleich ganz das Wahlrecht zu entziehen sei, und die 14 Prozent für moralisch extrem hochstehende Menschen, deren Stimmen viermal so viel wert sind.
Aber wenn man nicht – wie viele Medien – so verlogen argumentiert, sondern demokratisch alle Wähler als gleichwertig ansieht, gibt es einen immer noch stärkeren Wählerauftrag für die FPÖ, an einer Regierung teilzunehmen, als für die Grünen.