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Straches Persilschein und das Dilemma der ÖVP

Überraschend schnell hat die Staatsanwaltschaft die Anzeigen gegen H.C. Strache und Johann Gudenus wegen ihrer abstoßenden Aussagen im sogenannten Ibiza-Video zurückgelegt. Dieser Umstand hat mehr Sprengkraft für den Wahlkampf, als auf den ersten Blick erscheint. Er wird vor allem für die ÖVP sehr peinlich. Peinlich ist aber auch, wie die SPÖ-Medien, der ORF an der Spitze, die Mitteilung der Staatsanwaltschaft gleich wieder umzuinterpretieren versuchen, um nur ja den Eindruck zu erwecken, gegen Strache werde wegen Ibiza weiterhin ermittelt.

Denn lediglich beim Verdacht der "Untreue" gehen laut Korruptionsstaatsanwaltschaft die Ermittlungen zu Ibiza weiter. Dieser Vorwurf aber kann sich nur sehr indirekt und nur in einem hypothetischen Extremfall gegen ihn richten – und wenn, dann sind viele andere Politiker genauso fällig. Hauptzielscheibe des "Untreue"-Vorwurfs können nämlich nur die Manager jener Unternehmen sein, über die Strache im Video behauptet hat, sie würden Gelder an Parteien fließen lassen.

Es gibt vier verschiedene Möglichkeiten, wie sich diese Behauptung zur Wirklichkeit verhalten könnte:

  1. Strache hat in Ibiza – auch in diesem Punkt – aufgeschnitten und die Unwahrheit gesagt.
  2. Eigentümer von Unternehmen haben aus ihrem versteuerten Gewinn Gelder an Parteien oder parteinahe Firmen gespendet.
  3. Geschäftsführer beziehungsweise Vorstände haben im Interesse des Unternehmens Gelder an Parteien fließen lassen und das auch korrekt so verbucht.
  4. Oder aber sie haben Gelder nicht korrekt verbucht, beziehungsweise die Spenden sind nicht im Interesse des Unternehmens gewesen.

Es ist ganz klar: Nur die vierte Variante würde ein strafbares Delikt bedeuten, eben jenes der "Untreue". Aber dann wäre es jedenfalls eine Untreue durch die Geschäftsführer gewesen und nicht durch Strache. Es ist nicht ganz unverständlich, dass die Staatsanwaltschaft dieser Möglichkeit nachgeht. Immerhin gibt es durch Straches Herumgerede ja eine Art Beweis dafür.

Allerdings ist die vierte Variante die unwahrscheinlichste von allen vier Möglichkeiten. Ein Geschäftsführer, der so etwas tut – also heimlich und nicht im Firmeninteresse Gelder an eine Partei zu schleusen –, ist nur extrem schwer vorstellbar.

Noch viel unwahrscheinlicher ist, dass Strache bei einem solchen Untreue-Akt strafbare Beihilfe begangen hat. Das hätte er nämlich nur dann getan, wenn er Spenden von Geschäftsführern genommen hätte, von denen er gewusst hat, dass sie das gar nicht dürfen.

Man kann also fast wetten, dass auch dieser Punkt letztlich zu einer Einstellung führen wird. Genauso wie es bei den von Ibiza unabhängigen – und gestern hier abgehandelten – Vorwürfen eines anonymen Briefes der Fall sein dürfte, Strache hätte für die Zustimmung von Aufsichtsräten zur Bestellung eines Casino-Vorstandsmitglieds konkrete rechtswidrige Zusagen gemacht.

Würde der auf dem Ibiza-Video basierende Untreue-Vorwurf wider alle Erwartungen weiterverfolgt und zur Anklage gebracht werden, dann kämen neben den betreffenden Managern sowie Strache und den FPÖ-Finanzverantwortlichen unweigerlich noch andere unter schweren Verdacht und müssten wohl ebenfalls auf der Anklagebank sitzen: Das sind die Finanzverantwortlichen der anderen Parteien! Denn auch sie sollen ja laut dem Ibiza-Gerede von den genannten Unternehmen genommen haben. Das wäre vor allem für ÖVP und SPÖ hochpeinlich. Es ist undenkbar, wenn das nur bei der FPÖ Konsequenzen hätte.

Das ist ein zusätzlicher Grund, der jedem Österreicher klarmacht, dass auch dieser Untreue-Vorwurf irgendwann im Sand verlaufen wird.

Aber offenbar hat die Korruptionsstaatsanwaltschaft dennoch vorerst vor, sich noch eine Zeitlang mit ihrer neuen Methode Es-kann-nicht-ausgeschlossen-werden herumzuspielen.

Zentral ist aber jedenfalls, dass sie den bisherigen Hauptvorwurf so rasch eingestellt hat, Strache habe eine Bestechung verlangt. Dieser Vorwurf trifft juristisch deshalb nicht, weil Strache zur Zeit des Ibiza-Videos kein Regierungsamt gehabt hat und in Opposition gewesen ist. Als Oppositioneller kann man sich nach der geltenden Rechtslage gar nicht bestechen lassen.

Das ist juristisch eher unbefriedigend. Viel spricht dafür, dass da eine Rechtslücke zu schließen ist. Es kann ja nicht in Ordnung sein, dass ein Oppositioneller zu Financiers straflos sagen kann: "Wenn ich einmal an der Macht bin, dann werde ich folgende konkrete Schweinereien zu euren Gunsten begehen, sofern ihr mich jetzt im Wahlkampf kräftig unterstützt …" Um das künftig strafbar zu machen, sollte – freilich erst nach einer sorgfältigen Diskussion unter Strafrechtsexperten – wohl eine Gesetzesnovelle überlegt werden. Dabei könnte es freilich hochinteressante Konsequenzen geben: Müssten dann nicht auch leichtfertige Wahlkampversprechen - eine Subvention für ein konkretes Anliegen etwa - auf die Anklagebank führen?

Rückwirkend kann Strache aber jedenfalls wegen seines korruptionären Geredes nicht mehr erwischt werden. Es ist daher praktisch sicher, dass ihn Ibiza nicht auf die Anklagebank bringen wird. Auch wenn das der ORF - vor allem in der ZiB in mieser Art zu verwischen versucht.

Aber ebenso eindeutig ist, dass Straches Verhalten zutiefst widerlich und verachtenswert war und bleibt, welche der vier genannten Varianten auch immer zutreffen mag. Denn entweder hat er schamlos gelogen und mit Erfundenem geprahlt. Oder aber er hat Parteispender überflüssigerweise völlig fremden Menschen gegenüber geoutet.

Diese fremden Menschen waren noch dazu vermeintliche russische Oligarchen, also Menschen, die im Geruch stehen, es mit Geldwäsche und anderen Rechtsvorschriften nicht sonderlich ernst zu nehmen. Dass seine Gesprächspartner in Wirklichkeit gar keine solchen Oligarchen gewesen sind, sondern miese Betrüger, verkleinert die moralische und politische Schuld Straches überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil.

Denn der ehemalige Vizekanzler hat damit auch ein ihn für jedes Amt disqualifizierendes Ausmaß an Dummheit gezeigt. Zusammen mit seinen sonstigen Ibiza-Äußerungen kann man deshalb nur zu dem klaren Urteil kommen: Strache ist völlig ungeeignet, jemals ein mit Verantwortung ausgestattetes Amt in dieser Republik zu übernehmen. Aus charakterlichen Gründen wie auch aus Mangel an Intelligenz.

Wie kommt die ÖVP jetzt aus der Affäre heraus?

Für die ÖVP ist die überraschend schnelle Ausstellung eines De-Facto-Persilscheins für Strache durch die Korruptionsstaatsanwaltschaft  allerdings extrem unangenehm. Denn jetzt wird in der Schlussphase des Wahlkampfs die Frage doppelt drängend und neuerlich aktuell: Warum eigentlich hat die ÖVP die Koalition aufgekündigt? Oder genauer: Warum hat Bundeskanzler Kurz Innenminister Kickl nachträglich hinausgeworfen, nachdem Strache schon zurückgetreten war.

Erst am Tag vor Bekanntgabe der Anzeigen-Zurücklegung durch die Staatsanwaltschaft hat die frühere ÖVP-Staatssekretärin Edtstadler in einem Interview (in der "Presse") den ÖVP-Vorwurf an Kickl wiederholt: "Der Grund, warum Sebastian Kurz die Entlassung von Kickl als Innenminister beantragt hat, hängt mit dem fehlenden Willen zur vollständigen und unabhängigen Aufklärung zum Ibiza-Video zusammen."

Jetzt ist diese – von Anfang an als Anlass für die gewaltigen Konsequenzen fadenscheinige – Argumentationslinie jedoch komplett zusammengebrochen. Denn:

  • Kickl hat inhaltlich (wenn er überhaupt jemals Korruptions-Ermittlungen gegen Strache behindern hätte wollen, wofür kein Beweis bekannt ist!) durch die nicht gerade FPÖ-freundliche Korruptionsstaatsanwaltschaft jedenfalls weitgehende Genugtuung erfahren - es haben aber auch andere seriöse Strafrechtsexperten von Anfang gesagt, dass die Suppe zu dünn sei;
  • dass strafrechtlich gegen Strache wenig herauszuholen ist, bestätigt auch ein vor einigen Tagen erschienenes Buch zweier deutscher Linksjournalisten, die  das Video veröffentlicht haben und die behaupten, auch alle übrigen Ibiza-Aufnahmen und Aussagen Straches zu kennen;
  • wie jeder halbwegs Strafrechtskundige von Anfang wissen musste, werden solche spektakulären Ermittlungen in ganz starkem Ausmaß von der Staatsanwaltschaft und nicht  von der Polizei geführt;
  • selbst dort, wo die Polizei für Zuarbeiten zu den Ermittlungen eingeschaltet wird, geschieht dies im Auftrag der StA und kann daher in keiner Weise vom Innenminister gebremst werden;
  • Und selbst die stärksten Kritiker Kickls können nicht ernsthaft behaupten, dass dieser auch gegen den nun noch offenen Rest der Ermittlungen gewesen sein sollte, nämlich gegen die Suche nach den Hintermännern der mafia-artigen Falle für Strache. Kickl hat die anfangs schlappe Art dieser Ermittlungen vielmehr intensiv kritisiert.

Wie kommt da die ÖVP jetzt aus dem Fehler ihrer Kickl-Überreaktion heraus? Gewiss, in der Politik ist alles irgendwie möglich. Peinlich dürfte es aber jedenfalls bleiben.

Bei den Ermittlungen zu dieser Falle – wo es um viel mehr und viel eindeutigere Rechtsverletzungen geht – tappen wir hingegen weiterhin voll im Dunkeln. Wer war der Auftraggeber eines dubiosen Privatdetektivs und  eines ebenso dubiosen Anwalts? Wer hat das alles bezahlt? Warum ist das zwei Jahre zurückgehalten worden?

Nun hat der Interims-Innenminister Peschorn in einem Fernsehinterview einige düstere Andeutungen zu diesem Fragenkomplex gemacht. Er hat auf die Frage, ob es der Öffentlichkeit noch nicht bekannte Hintermänner der Ibiza-Falle gebe, geantwortet: "Natürlich", ohne das aber irgendwie zu konkretisieren.

Jedoch dürfte die aufgeregte Reaktion vieler Medien auf dieses Wort eine völlige Überinterpretation sein. Denn dass es solche Hintermänner geben muss, ist ja seit Mai "natürlich" völlig klar. Daher ist das im Grund eine völlig nichtssagende Antwort auf eine dumme Frage.

Die einzig relevante Frage hingegen, ob Peschorn die Hintermänner auch kennt, blieb jedoch offen. Schön wäre es ja. Es wäre schon zu Zwecken der Generalprävention überaus wichtig, dass solche mafiaartigen Aktionen zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Jedoch bin ich in Kenntnis der Persönlichkeit Peschorns nicht so sicher, dass er die Hintermänner kennt. Wären sie den Behörden wirklich bekannt, müssten sie ja verhaftet werden, weil Verdunkelungsgefahr besteht. Es sei denn, es gibt die behauptete Verwicklung ausländischer Geheimdienste, auf die man nicht zugreifen kann. Gefühlsmäßig tippe ich jedenfalls eher auf Wichtigmacherei eines Mannes, der zeigen will, wie toll er als Innenminister ist, als dass die Behörden schon die wahren Drahtzieher gefunden hätte..

PS: Manche vermuten, dass der überraschend schnell ausgestellte Persilschein der Korruptionsstaatsanwaltschaft für Strache in Sachen Ibiza auch der insgeheime Versuch einer Wiedergutmachung für die durch die gleiche Behörde in Sachen Casinos überaus voreilig vorgenommene Hausdurchsuchung bei Strache ist. Auch da kann ich nur gefühlsmäßig antworten: Das glaube ich eher nicht – schon deshalb, weil der nunmehrige Einstellungsbeschluss wohl nicht aus heiterem Himmel erfolgt ist.

PPS: Als unterste Fußnote sei unbescheiden hinzugefügt: Die Entwicklung der letzten Stunden ist eine Bestätigung für das Tagebuch, das von Anfang an prophezeit hat, Ibiza werde zu keiner Verurteilung Straches führen. Wo ich allerdings – wenn auch marginal – schon Probleme für ihn gesehen hätte, ist der Komplex "Geldwäsche". Aber nicht im Bereich der von der Staatsanwaltschaft meiner Meinung recht künstlich hochgzwirbelte "Untreue".

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