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Kriege? Atomkriege? Was ist denn das?

Manchmal lässt dieser Wahlkampf in seiner ganzen derzeitigen Flachheit schmunzeln. Haben doch zuletzt im Stundentakt fast alle österreichischen Spitzenpolitiker die Abschaffung von Atomwaffen gefordert. Einer fängt mit so etwas an, und sofort glauben alle anderen Minister- und Wahlkampfbüros, es nachmachen zu müssen, weil sie sonst eine Wählerstimme verlieren könnten. Einige Vorschläge für die nächste Anwendung dieser Kaskadenmethode: Man könnte auch verlangen, dass der Mond heller scheint, damit man weniger Licht braucht. Und übermorgen dann, dass es keine Gewitter mehr geben darf. Wäre auch nicht blöder als viele der sonstigen Forderungen und Versprechungen dieses Wahlkampfs.

Und dann könnten die Parteien auch versprechen, dass die Beibehaltung des Bargelds in den Verfassungsrang kommt. Aber hoppla, das haben sie ja gerade schon alle versprochen. Aber auch dieses Versprechen ist genauso irrelevant wie die Forderungen nach Abschaffung von Atomwaffen. Denn wenn die Europäische Zentralbank und die EU in ihrer großen Weisheit die Abschaffung des Bargelds beschließen sollten – was durchaus von manchen Ökonomen diskutiert wird –, dann ist es völlig gleichgültig, was in Verfassung und sonstigen österreichischen Gesetzen steht. Dann gibt es kein Euro-Bargeld mehr.

Zurück zum Kriegs- und Atomwaffenverbot: Jenseits der Lächerlichkeiten der heimischen Politgartenzwerge ist global die Gefahr eines großen Krieges durchaus ernst zu nehmen. Dies umso mehr, als das Thema der Kriegsangst – abgesehen von rituellen Hiroshima/Nagasaki-Beklagungen – fast völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist. Das ist ein dramatischer Kontrast zu den achtziger Jahren, als aggressive Massendemonstrationen, unzählige Bücher, universitäre Aktionen, Leitartikel die Gefahr eines Atomkrieges jahrelang zum absoluten Topthema der gesamten Politik gemacht haben.

Heute ist der Hebel der Panik- und Aufmerksamkeitserregungsmaschinerie vollkommen umgelegt. Die "Atomkriegsangst" wurde von Hundert auf Null gestellt. Im Gegenzug hat diese Maschinerie die Angst vor einem "Hitzetod" von Null auf Hundert geschaltet. Dabei war diese Erwärmungspanik in den 80ern nicht einmal in den kühnsten Phantasien zu finden. In Sachen Klima wurde damals vielmehr von etlichen Experten ganz im Gegenteil eine neue Eiszeit prophezeit.

Doch jenseits aller Inszenierungen und jenseits der bei vielen so beliebten Panik-Liturgie, die von den Oster-Friedensmärschen einiger Altkommunisten bis zu den Schulstreiks der Greta-Anbeter reichen, sollte man die Gefahren eines großen Krieges keineswegs beiseite schieben oder gar für ausgelöscht erachten.

Gerade weil die Atomkriegsgefahr aus dem öffentlichen Bewusstsein entschwunden ist, sollte sie ernst genommen werden. Man erinnere sich ans Jahr 1914! An dessen Beginn war noch alles in der Hochstimmung einer langen Friedens- und Aufschwungszeit. Niemand dachte ernstlich an die Gefahr eines größeren Krieges. Und doch brach dann im Sommer ein furchtbarer Weltkrieg, ein dreißigjähriger Weltbürgerkrieg aus.

Wir sollten uns der tragischen Tatsache bewusst bleiben: Selbst, wenn alle bekannten Atomwaffen verschrottet würden, bliebe dennoch das Wissen in der Welt, wie man Atombomben baut. Daher wird immer auch die Gefahr weiterbestehen, dass irgendein sich irgendwie bedroht fühlendes (oder gar aggressive Absichten hegendes) Land heimlich welche behält oder baut. Genau aus diesem Grund ist es so gut wie ausgeschlossen, dass eine der bisherigen Atommächte seine diesbezüglichen Kapazitäten und die damit für sich erhoffte höhere Sicherheit jemals aufgeben wird.

Gewiss: Die bis in die achtziger Jahre besonders im Vordergrund stehende Gefahr, warum ein großer Krieg ausbrechen könnte, ist heute nicht mehr vorhanden. Das war die ideologische Aggressivität des Sowjetkommunismus. In Moskau haben kommunistische Führer lange vom Ziel geträumt, durch eine Weltrevolution ganz Europa oder die ganze Welt sozialistisch zu machen. Aus diesem Grund – sowie wegen der schon seit Jahrhunderten nachweisbaren russischen Paranoia – waren die Armeen des Warschauer Paktes in konventioneller Hinsicht damals die weitaus umfangreichsten der Erde. Und der Westen, der nach dem Weltkrieg ja weitgehend abgerüstet hatte, wusste sich nur durch die Drohung mit einem atomaren Gegenschlag gegen die Gefahren zu sichern, die von den Zehntausenden Panzern auf der Ostseite des Eisernen Vorhanges ausgingen.

Heute gibt es keinen Eisernen Vorhang mehr, keinen Weltkommunismus, keine Weltrevolutions-Rhetorik. Aber was es noch immer gibt, sind die Atomwaffen und Atomraketen. Und diese gibt es nicht mehr nur wegen der in Moskau wie in Washington – dort vor allem durch den US-Kongress – neubelebten Angst vor der jeweils anderen Supermacht. Heute gibt es vielmehr rund um den Globus solche Waffen in weit mehr Händen denn je zuvor. Während im Kalten Krieg die Sicherheit und das Ausbleiben einer großen Konfrontation vor allem darauf beruhten, dass beide Supermächte sich gegenseitig, aber auch den gesamten Rest der Welt unter Kontrolle hatten, hat heute niemand mehr etwas in gleicher Weise unter Kontrolle.

Damit ist die Gefahr eines durch ein Missverständnis oder durch eine technische Panne entstehenden Atomkonflikts größer denn je. Gibt es doch nicht mehr nur zwei Armeen, bei denen so eine Panne passieren kann, sondern viel mehr. Es sind nicht mehr bloß zwei Machthaber, die die Lage falsch analysieren und eine folgenreiche Fehlentscheidung treffen könnten. Damit ist auch die Gefahr deutlich größer, dass irgendein regionaler Konflikt zu einem großen eskaliert, bei dem weder die Russen noch die Amerikaner die Dinge unter Kontrolle haben.

Damit ist auch jene Entwicklung nicht mehr möglich, die in den achtziger Jahren die Weltgeschichte nach einer gefährlichen Periode durch einen bipolaren Interessenausgleich in eine sehr glückliche Richtung gebracht hatte. Überdies fehlen heute weit und breit Persönlichkeiten mit dem strategischen Denkvermögen und Verantwortungsbewusstsein, wie es damals der Deutsche Helmut Schmidt, der Amerikaner Ronald Reagan und der Russe Michail Gorbatschow hatten.

Insbesondere Schmidt hatte die Bedrohung für Westeuropa und damit vor allem Deutschland erkannt, die damals neuentwickelte sowjetische Atomraketen kürzerer Reichweite gebracht haben, denen der Westen nichts Gleichwertiges entgegenzustellen hatte. Dadurch wurde es für die Europäer plötzlich fraglich, ob die USA als Antwort auf einen begrenzten Einsatz sowjetischer Kurzstreckenraketen gegen Westeuropa einen interkontinentalen Gegenschlag führen würden. Denn damit würden sie ja die Zerstörung ihrer eigenen Städte riskieren, während die Sowjets erkennbar "nur" Europa angegriffen haben.

Damit war der amerikanische Schutzschirm fragwürdig geworden, unter dem man jahrzehntelang westlich des Eisernen Vorhanges in komfortabler Sicherheit gelebt hatte. Schmidt brachte die USA daher dazu, im Gegenzug zu den sowjetischen Kurzstreckenraketen auch selber welche in Westeuropa aufzustellen. Er hatte damit Erfolg – trotz der dagegen gerichteten unglaublich emotionalen Massenproteste der sogenannten "Friedensbewegung" in Deutschland und Umgebung. Dass diese Bewegung in hohem Ausmaß vor allem aus der DDR gesteuert war, erfuhr man ja erst nach der Wende.

Jedenfalls erreichte der Westen dadurch letztlich genau das, was beabsichtigt war: sowjetisch-amerikanische Abkommen zur gegenseitigen Rüstungsbegrenzung und zum Raketenabbau. Das reduzierte zusammen mit dem Kollaps im Osten einige Jahrzehnte signifikant die Kriegsgefahr.

Doch heute ist man sich des Werts einer genauen Einhaltung dieser Abkommen nicht mehr bewusst. Heute regiert in Moskau ein Wladimir Putin, der im Gegensatz zu Gorbatschow wieder Lust an militärischer Kaftprotzerei hat und der vor allem den Verlust des sowjetischen Imperiums als größten Schock seines Lebens bedauert. Heute regiert in Washington ein Donald Trump, der sich keinesfalls nachsagen lassen will, irgendeine Schwäche zu zeigen (auch wenn er letztlich pazifistischer eingestellt ist als fast all seine Vorgänger).

Zugleich müssen sich die USA heute keineswegs nur um das Gegenüber in Russland kümmern, sondern um eine Mehrzahl von globalen Akteuren, bei denen man sich absolut nicht sicher sein kann, ob sie auch so verantwortungsbewusst sind wie einst ein Gorbatschow oder die Atommächte Frankreich und Großbritannien (Frankreich hat übrigens aus einem ähnlichen Motiv wie Helmut Schmidt seine Atommacht aufgebaut: Es war sich des amerikanischen Atom-Schutzschirms nicht mehr sicher gewesen).

Da gibt es vor allem die Atommacht China, das in vielen technologischen Bereichen heute schon viel weiter ist als Russland, auch wenn es noch nicht so viele Raketen hat. Diese Aufrüstung Chinas ist ein zusätzlicher wichtiger Grund, weshalb sich Amerika und Russland militärisch neu aufzustellen begonnen haben und weshalb es wohl keine bilateralen Abkommen mehr geben wird.

Daneben gibt es auch noch eine weitere Reihe von Atommächten – oder Ländern, bei denen es ziemlich sicher scheint, dass sie Atomwaffen sehr weit entwickelt haben. Das sind vor allem Pakistan, Indien, Israel, Iran und Nordkorea. Und es würde mich nicht sonderlich überraschen, wenn in einem Jahrzehnt der Kreis der Atommächte noch deutlich größer sein sollte (etwa durch Saudi-Arabien, Vietnam, die Türkei, die Ukraine und einige andere Schwellenstaaten – und selbst in Ländern wie der Schweiz gab es zeitweise eine einschlägige Diskussion, ob Atombewaffnung nicht die beste Sicherheitsgarantie ist).

Die Welt hat sich jedenfalls heute schon längst mit der atomaren Kapazität der drei erstgenannten abgefunden (Israel hält seine diesbezüglichen Fähigkeiten zwar geheim, hat sie aber eindeutig dennoch, während Indien und Pakistan damit geradezu protzen). Bei Iran und Nordkorea hingegen führt Donald Trump noch einen verzweifelten Kampf, um sie zu einem echten Verzicht auf Atomwaffen zu bringen. Durch Sanktionen, durch Schmeicheleien, durch Drohungen, durch das Angebot diverser Deals.

Dieses Ziel ist dem US-Präsidenten moralisch hoch anzurechnen, ist er doch fast der einzige Politiker seit langem, der aktiv gegen die Ausbreitung der atomaren Kapazitäten kämpft. Dennoch hat er keine Chance, dieses Ziel auch nur annähernd zu erreichen. Denn weder Irans noch Nordkoreas Machthaber sind zu einem solchen Gesichtsverlust bereit. Sie fühlen sich vielmehr beide subjektiv bedroht, sowohl als Land wie auch als Führungsclique. Da scheint ihnen die Atombombe die weitaus beste Sicherung zu geben.

Was besonders tragisch ist: Sie dürften mit dieser Annahme auch Recht haben. Das haben sie an einem der beiden einzigen Länder sehr drastisch lernen können, die jemals Atomwaffen auf- (oder zurück-)gegeben haben, nämlich an der Ukraine (das zweite Land ist Südafrika, wo sich einst die weiße Minderheitsregierung mit atomarer Aufrüstung in ihrer internationalen Isolation sichern wollte).

Aber die Ukraine wäre mit Sicherheit niemals von Russland überfallen und um die Krim und den Donbass beraubt worden, hätte sie die aus sowjetischen Zeiten zurückgebliebenen Atomwaffen behalten und nicht den feierlichen Garantien aus Washington und Moskau vertraut, dass das Land auch ohne Atomwaffen sakrosankt sei. Die heutige Schwäche der Ukraine ist für alle strategischen Lehrbücher und insbesondere für die Herrscher in Iran und Nordkorea ein historisches Exempel, dass nichts besser die nationale Sicherheit schützt als Atomwaffen.

Daher werden wir – jenseits aller lieben Appelle von Frau Bierlein und Kollegen – weiterhin mit einer Atomwaffenwelt leben müssen. Und wir können nur hoffen, dass auch weiterhin die gegenseitige Abschreckung und Vernunft deren Einsatz verhindert und so erstaunlicherweise dafür sorgt, dass eine Welt mit Atomwaffen auch künftig weniger Kriege erleben muss als jede Epoche davor ohne Atomwaffen. Aber man sollte dennoch die große Zahl vor allem jener Konflikte sehr genau beobachten, in die Atommächte verwickelt sind. Wie:

  • die gerade in den letzten Tagen wieder explodierenden indisch-pakistanischen Reibereien um Kaschmir;
  • die zahllosen Auseinandersetzungen, in denen China aktiv ist (wie jene mit Taiwan oder die um die territoriale Expansion Chinas durch Bau künstlicher Inseln in Gewässern, die eigentlich von mehreren anderen südostasiatischen Ländern mit Unterstützung der USA beansprucht werden);
  • die russische territoriale Expansion auf Kosten der Ukraine und Georgiens, sowie die ständigen militanten Provokationen Russlands gegen die baltischen Staaten, die immerhin der Nato angehören;
  • der Syrien-Krieg, in den jedenfalls Russland, die Türkei, Iran und die USA verwickelt sind;
  • der Konflikt zwischen einer Reihe islamischer Staaten und Israel;
  • der Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien;
  • der Afghanistankrieg;
  • und das nach wie vor konfliktträchtige Verhalten Nordkoreas.

Was nicht heißt, dass die anderen Kriege (etwa jener im Jemen, etwa die grässliche Blutspur des "Islamischen Staates" quer durch viele Länder, etwa der Bürgerkrieg in Somalia, etwa die türkischen Gasbohrungen in Gewässern Zyperns) und Demolierungen von Ländern wie Zimbabwe oder Venezuela durch verbrecherische Regierungen weniger schlimm sind. Aber dort ist derzeit keine Atommacht verwickelt.

Das macht dort zumindest derzeit eine atomare Eskalation unwahrscheinlich. Das hat andererseits dort ganz offensichtlich bei vielen Warlords und Politikern zu noch viel unverantwortlichem Verhalten geführt, weil sie eben nicht mit einer atomaren Eskalation rechnen müssen.

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