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Europa schiebt gerne den Gedanken weit weg von sich, wie nahe und wichtig Russland für unser aller Gegenwart und Zukunft ist. Lässt man allein die Meldungen der letzten Tage Revue passieren, dann zeigt sich, wie (überlebens-)wichtig es wäre, eine Strategie gegenüber diesem Nachbarn zu finden.
Vor wenigen Wochen erst wurde ein Unfall in einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage publik, der eine radioaktive Wolke über einen Teil des Kontinents trieb. Dieser Zwischenfall wurde nicht bekannt, weil die Russen informiert hätten, sondern weil westliche Wissenschafter durch punktgenaue Berechnungen der Zusammensetzung und der Route der Wolke den Vorfall lokalisieren und identifizieren konnten. Jetzt erfahren wir, dass es einen schweren Unfall mit mehreren Toten gegeben hat, als Putins Lieblings-Raketenprojekt – eine atomar betriebene Langstreckenrakete, mit der er angeblich "jeden Winkel dieser Welt" treffen kann – beim Start explodierte. Dieses Unglück war angeblich der größte Zwischenfall seit Tschernobyl. Weil es – auch zivile – Tote gab, sahen sich die Behörden in Moskau gezwungen, mit einigen Tagen Zeitverzug die Wahrheit zu melden. Und wir lesen, dass das erste "schwimmende" Atomkraftwerk gelauncht wird.
Man kann noch so positiv zur Atomkraft stehen: Der Umgang der Russen mit dieser Technologie ist nicht gerade vertrauenseinflößend und von Information halten sie nun einmal nicht viel. Offensichtlich sind ihnen zivile Opfer immer noch wenig wichtig. In Sowjetzeiten war jedermann klar, dass Menschen, also die eigenen Bürger, dem Staat ziemlich egal waren. Man hatte ja genug davon. Und das westliche Ausland zählte noch weniger.
An dieser Einstellung der Regierenden hat sich de facto nichts geändert. Nur ist das Verheimlichen in Zeiten des Internets und viel präziserer wissenschaftlicher Mess-Systeme schwieriger geworden. Noch besser wäre es, würde sich Europa in dieser Frage – wie in einigen anderen – intensiv um eine strukturierte Art des Informationsflusses bemühen.
Aber: Mit Putin wird nicht geredet. Punkt.
Dieses Unheil hat 2014 begonnen: Mit dem Bruch des Völkerrechts bei der Annexion der Krim, mit der personellen und waffentechnischen Aufmunitionierung der so genannten Separatisten im Donbass, womit er die nach Europa strebende Ukraine dauerhaft schädigt, mit der verheerenden Sanktionsschlacht, die keine Ende findet, hat sich eine Spirale der Feindschaft hochgeschraubt.
Dann hat es Putin verstanden, die immense Kapazität an ingenieurswissenschaftlich traditionell gut ausgebildeten jungen Menschen zu nützen: War zu Beginn des Jahrtausends noch eine völlig unübersichtliche, völlig unberechenbare individualistische Computerfreak-Szene unterwegs, so hat er es verstanden, diese unruhigen Geister – mit guter Bezahlung – an den Staat zu binden. Und er lehrt mit ihrem Einsatz die Demokratien besonders in Wahlzeiten via Internet das Fürchten. Die USA versuchen immer noch, den Impakt der russischen digitalen Störmanöver auf die letzte Präsidentschaftswahl genau nachzuvollziehen. In der EU hat man sich bei vermeldeter russischer Einmischung in die EU-Wahl mit Lamentieren begnügt.
Jetzt kommt noch dazu, dass Putin der Held der europäischen Rechten ist – und damit ein Hassobjekt des linken Mainstreams. So wird versucht, dem Italiener Salvini anzuhängen, er ließe sich durch russisches Billigöl finanzieren. (H.C. Strache fördert dieses verschwörungstheoretische Szenario der russisch-rechtspopulistischen Achse des Bösen dann auch noch, indem er ausgerechnet dem russischen Desinformations-Sender RT sein erstes Interview nach Ibiza gibt.) Was übersehen wird: Die Russen versuchen nicht nur über die Rechten in Europa Unruhe in die Welt zu bringen, in Südamerika etwa benutzen sie dazu die Linke…
Es geht Putin also ganz eindeutig um Unruhe, nicht um Ideologie.
Auf eine vernünftige Art die Gesprächsbasis wiederherzustellen, wäre eine der vordringlichsten Aufgaben der neuen EU-Kommission. Und zwar im kurz-, wie im langfristigen Interesse ihrer Bürger.