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Die politmediale Szene befasst sich wieder einmal intensiv mit ihrem liebsten Objekt: mit der 80 Jahre zurückliegenden Vergangenheit. Der nun – teilweise – vorgelegte Bericht über die braunen Flecken der FPÖ ist neuer Anlass dazu. Dieser Historikerbericht wie auch die Reaktionen darauf zwingen zu etlichen kritischen Anmerkungen.
Diese sind ganz unterschiedlicher Art:
Es stimmt einfach nicht, wenn jetzt vom freiheitlichen Rechtshistoriker Brauneder behauptet wird, die FPÖ sei eine Partei wie jede andere. So richtig es ist, dass auch die beiden anderen großen Parteien ehemalige Nationalsozialisten in ihren Reihen hatten, so eindeutig ist dennoch: Der 1949 antretende VdU (Verband der Unabhängigen) und erst recht die später gegründete und den VdU ablösende FPÖ waren in viel größerem Ausmaß ein Sammelbecken für ehemalige Parteigenossen und NS-Sympathisanten als die anderen Parteien. Das wurde schon dadurch auch nach außen besonders deutlich gemacht, dass der erste Parteichef der FPÖ früher ein hochrangiger Nazi und ein späterer ein hochrangiger SS-Offizier gewesen ist. Das sind Fakten, deren Vertuschen und Beschönigen nur peinlich sind.
Nur: Das hat lange die anderen Parteien nicht gestört. Erst als ab 1970 Bruno Kreisky die FPÖ als Trittbrett zur absoluten Macht benutzte, erwachte in der ÖVP vehemente Kritik an den Freiheitlichen. Und als ab 1986 die FPÖ unter Jörg Haider von der Unterstützung der SPÖ Abschied nahm und größere Nähe zur ÖVP entwickelte, erwachte auf der Linken ein heuchlerischer "Antifaschismus".
Dieser ist mittlerweile – also nach dem Tod von 99 Prozent aller "Ehemaligen" – überhaupt zum wichtigsten Identifikationsfaktor für die Linke geworden. Dazu muss man dann freilich erst sehr mühsam falsch interpretierte Gedichtlein eines freiheitlichen Lokalpolitikers oder alte Karikaturen heranziehen, die ein Jahr lang niemandem störend aufgefallen sind. Diese sogenannten Einzelfälle, die zum Axiom vieler Leitartikler geworden sind, sind fast alle total lächerlich, sobald man sie näher analysiert. Sie sorgen aber bei willigen Medien und sonstigen Ahnungslosen immer noch auf Knopfdruck für Empörung, bewegen die Wähler freilich überhaupt nicht. Zu Recht. Weil allzu deutlich ist, dass sie nur künstlich zu parteipolitischen Zwecken hochgezwirbelt worden sind. Weil im Grund jeder Österreicher weiß, dass von den Freiheitlichen - ob man nun ihre konkrete Politik mag oder nicht - ganz sicher keine Bedrohung für Demokratie, Frieden oder Rechtsstaat ausgeht.
Dieser Antifaschismus linker "Intellektueller" ist vor allem deshalb so artifiziell und verlogen, weil er sich praktisch überhaupt nicht über die in mancher Hinsicht ebenso schlimmen braunen Flecken der SPÖ alteriert. Die da etwa sind:
Geradezu lächerlich ist die Aufregung der linken Historiker, dass nicht sie mit der Aufarbeitung der FPÖ-Geschichte beauftragt worden sind, sondern sich die FPÖ selber Historiker gesucht hat, die ihr nicht prinzipiell mit Hass gegenüberstehen. Diese Aufregung zeigt, dass es bei der großen Aufarbeitungswelle zwei Generationen danach immer auch um Auftragsbeschaffung für die vielen arbeitslosen linken Historiker geht.
Diese Aufregung ist auch verlogen, weil die SPÖ mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit ja ganz ähnlich primär Linke beauftragt hat. Jedenfalls stehen das von der Gemeinde Wien hochsubventionierte "Dokumentationsarchiv" DÖW (das vom ORF auch in diesen Stunden wieder in zahllosen Sendungen gegen die FPÖ in Stellung gebracht wird) und der Historiker Wolfgang Neugebauer eindeutig ganz links.
Als noch niederträchtiger entpuppt sich die Kritik der SPÖ, dass die Ersteller des Berichts zu FPÖ-nahe seien, wenn man erfährt, dass die Freiheitlichen auch einen prominenten und durch viele Bücher bekannten Historiker aus den Reihen des ÖVP-nahen CVs zur Mitarbeit am Bericht eingeladen haben. Was aber sein Arbeitgeber, der ORF (wo er im Radio als letzter Nichtlinker arbeitet), unter Druck des knallinken Redaktionsausschusses verhindert hat. Einige Rotgrüne sind also selber an dem mitschuld, was jetzt andere Rotgrüne so heuchlerisch kritisieren.
Wirklich infam ist auch die vielerorts erhobene Kritik, dass in dem Bericht über die NS-Vergangenheit nicht der geistigen Nähe zwischen FPÖ und den Identitären nachgegangen worden ist. Denn – ob man nun ihren Aktionismus mag oder nicht – die Identitären sind eine junge, eher studentische Bewegung, die absolut nichts mit dem Nationalsozialismus oder Deutschnationalismus zu tun hat, sondern sich akzentuiert zur österreichischen Identität bekennen. Überdies kann eine islamkritische Bewegung wie die Identitären auch deshalb mit Sicherheit nicht in einen Topf mit den Nazis geworfen werden, weil sich die Nazis geistig eng mit den Arabern und Moslems verwandt gefühlt haben. Nicht zuletzt wegen des gemeinsamen Antisemitismus.
Ich werde nie mein einziges langes Gespräch mit Friedrich Peter vergessen. Der langjährige FPÖ-Obmann und einstige SS-Offizier, drückte dabei sehr emotional seine tiefe persönliche Dankbarkeit gegenüber Kreisky aus. "Er hat uns erstmals wieder als Menschen anerkannt", waren seine Worte. Und es fiel auch das Wort "Rehabilitierung".
Damit sind wir beim Kernproblem des Themenkreises "Vergangenheitsbewältigung": Das ist die Tatsache, dass Österreich nach der NS-Zeit mit Hunderttausenden in irgendeiner Weise belasteten Mitbürgern dagestanden ist.
Die Republik hat in den ersten Jahren nach 1945 zwar durchaus eine ganze Reihe von Strafprozessen und auch Todesurteile(!!) exekutiert. Im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße waren das mehr als in Deutschland. Sie tat das überall dort, wo konkrete Schuld über das opportunistische Mitläufertum hinaus auffindbar und nachweisbar gewesen ist. Aber alle anderen waren nach einer Entnazifizierungsrunde bald wieder gleichberechtigte Österreicher.
1949 ist die strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Verbrechen auf Jahrzehnte weitgehend eingeschlafen. Darüber kann man zwar 80 Jahre nachher vom hohen Ross aus die Nase rümpfen. Aber wer sich nur ein wenig mit der verzweifelten Situation des Landes nach 1945 befasst hat, der wird nachvollziehen, dass man nicht Hunderttausende wegsperren konnte. Man brauchte all die Ärzte, Rechtsanwälte, Beamten, Facharbeiter, Kaufleute dringend, um das Land wieder in Gang zu bringen.
Das war doppelt notwendig, weil der Großteil der jüdischen Österreicher – die für viele entscheidende Bereiche besonders wichtig waren – ermordet oder vertrieben worden war, weil über 30.000 aus anderen Gründen umgebracht worden waren, weil 100.000 Österreicher zu Kriegsende in Gefangenschaft waren, weil eine Viertelmillion in Hitlers Krieg gefallen war, zu denen noch eine große Zahl an Invaliden kam. Wenn man damals auch alle ehemaligen Nationalsozialisten eingesperrt, ausgesperrt oder zu Unberührbaren erklärt hätte, hätte sich die Nachkriegskatastrophe verdoppelt.
Das ist für jeden eindeutig und nachvollziehbar, der sich mit der damaligen Situation befasst. Das hindert andere aber nicht daran, 80 Jahre nachher ahnungslos über die Großväter-Generation zu moralisieren. Das hindert Rot und Grün nicht am Versuch, daraus billiges parteipolitisches Kleingeld zu machen (und die schweren eigenen Sünden der SPÖ großzügig zu übersehen).
Dieses Verhalten in den österreichischen Nachkriegsjahren ähnelt ganz der Entwicklung in Osteuropa nach der Wende:
Wann wird dort eine neue Generation anfangen, die Frage zu stellen: Wie konntet ihr nur?
Oder haben sie erkannt, was auch bei uns die große Leistung der zweiten Republik gewesen ist? Die wichtigste nationale Aufgabe ist - vor allem nach so verbrecherischen Perioden, wie es Nationalsozialismus und Kommunismus gewesen sind - die Versöhnung großer Teile des Volkes, wenn es in eine gute Zukunft gehen soll. Zuerst geschah das bei uns zwischen Schwarz und Rot, die sich in der Zwischenkriegszeit so wild bekämpft haben, und dann mit dem "dritten Lager". Eine solche Versöhnung ist durchaus auch dann möglich, wenn man zugleich alle konkreten Untaten bestraft.
Um solche Bestrafung kann es aber 80 Jahre nachher nicht mehr gehen. Jeder vernünftige Mensch weiß das. Politmediale Brandstifter und Dummköpfe wissen das nicht.