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Die bedeutungslose Republik

In Österreich hat es vor lauter Nabelbeschau kaum jemand registriert: Das Land ist international in dem halben Jahr, da eine "Experten"-Regierung genannte Beamtenriege am Werk ist, noch viel bedeutungsloser geworden, als es immer schon war. Dabei geht es nicht nur um irgendeinen Nationalstolz. Dieses Vakuum ist auch überaus schädlich für die Interessen Österreichs.

Das alles kann man sehr konkret sehen – wenn man denn sehen wollte. Aber Parteien und die nun noch eine Funktion der Parteien darstellenden Medien sind gar nicht daran interessiert zu sehen. Was für keine Partei ein Thema ist, ist auch für keines der Medien ein Thema, weil diese die Dinge dann meist gar nicht mitbekommen. Keine der Parteien hat jedoch ein Interesse, die vom Bundespräsidenten zusammengestellte Beamtenregierung zu thematisieren. Die Parteien wollen sich nur noch ständig gegenseitig anpinkeln.

Daher wird ringsum ignoriert, wie irrelevant Österreich geworden ist. Sonst hätte in den vergangenen Tagen ein besonders lauter Aufschrei der Empörung durchs Land gehen müssen, als an der Grenze in Ödenburg ein großer Festakt für den 30. Jahrestag des paneuropäischen Picknicks abgehalten worden ist.

Jenes Picknick hat 1989 rund 600 DDR-Bürgern die Flucht in den Westen ermöglicht. Das war eine der entscheidenden Episoden beim Zusammenbruch des osteuropäischen Kommunismus. Dieser Massendurchbruch durch den Eisernen Vorhang, hinter dem jahrzehntelang halb Europa im Gefängnis des Kommunismus eingesperrt gewesen ist, hatte gleich mehrfach einen direkten Bezug zur Republik:

  • Es war ja eine Grenze Richtung Österreich, die sich da plötzlich für einige Stunden aufgetan hat;
  • er war mit massiver Mithilfe aus Österreich organisiert worden, nämlich durch die damals von Otto Habsburg geleitete Paneuropa-Bewegung;
  • und Österreich hat nach der Flucht den meist ohne jedes Gepäck durch das kurzfristig geöffnete Tor gekommenen Ostdeutschen massiv geholfen (so wie es schon 1956 und 1968 bei anderen kollektiven Gefängnisausbrüchen geholfen hat).

Diese österreichische Rolle hat damals auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl mehrmals laut gerühmt. Kohl ist später sogar eigens nach Österreich gekommen, um dafür zu danken. Diese Hilfe war nämlich durchaus mit Risiken verbunden, weil niemand genau wusste, wie das kommunistische Regime reagieren würde.

Von diesem Paneuropa-Picknick führte dann eine direkte emotionale Linie zu den österreichischen EU-Beitrittsverhandlungen, bei denen der austrophile Kohl einen entscheidenden Beitrag geleistet hat, um die von Frankreich und Belgien gegen Österreich errichteten Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

2019 aber wird dieses Picknick gefeiert, ohne dass die Rolle Österreichs auch nur erwähnt wird.  Österreich ist nicht einmal eingeladen worden, an der Feier teilzunehmen. Vielmehr zelebrierten einzig der ungarische Premier Viktor Orbán und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Jahrestag. Das zeigt: Österreich ist zum bedeutungslosen Niemandsland zwischen  Deutschland und Ungarn geschrumpft.

Warum auch hätte der ungarische Premier die österreichische Regierung dazu einladen sollen? Weiß doch alle Welt, dass hier nur ein Übergangs-Beamtenkabinett fungiert, welches geradezu krampfhaft bemüht ist, nur ja nicht aufzufallen. Das nur die allernotwendigsten Aktionen setzt, und dies auch nur dann, wenn alle österreichischen Parteien damit einverstanden sind. Was selten genug ist.

Orbán hat sich viel lieber mit der für ihn hunderte Male wichtigeren deutschen Bundeskanzlerin getroffen. Er wollte das Treffen mit ihr nicht durch einen Dritten stören lassen, der für ihn völlig irrelevant ist.

Orbán hat es nachher auch deutlich genossen, dass europaweit die in Ödenburg gefallenen versöhnlichen Töne zwischen Deutschland und Ungarn sehr breit berichtet worden sind. Denn bei den Worten Merkels war nichts mehr davon zu merken, dass noch Monate davor Ungarn wegen angeblichen Verstoßes gegen europäische Werte auf die Strafbank gesetzt werden sollte. Orbán selbst fand ein paar freundliche Worte für die zuletzt von wenig Glück verfolgte Deutsche, ohne irgendwelche Abstriche von seiner Migrations-Politik zu machen. Die beiden machten gemeinsam Witze über den Italiener Salvini, und schon war alles wieder gut. Nur noch sehr Linksradikale können seither glauben, dass Ungarn noch jemals bestraft werden wird.

Der schlaue Ungar weiß halt, wie man Politik macht. Und Merkel ihrerseits hat es zweifellos genossen, einmal nicht als Klon der Sozialdemokratie auftreten zu müssen.

Österreich hingegen kommt nicht mehr vor. Freilich hat es gegenüber Ungarn nicht erst als Folge des Nullgewichts seiner Beamtenregierung, sondern auch schon unter der Regierung Kurz an Stellenwert verloren. Das geschah vor allem deshalb, weil die ÖVP sich nicht geschlossen und vehement den antiungarischen Initiativen der Brüsseler Juncker-Kommission und der europäischen Linken entgegengestellt hat (wohl unter Einfluss des Othmar Karas). Dabei hatte sich Ungarn sehr lange um enge Kooperation mit Kurz und Schwarz-Blau bemüht. Dabei sind die Ungarn auch traditionell schon seit vielen Jahren sehr Österreich-freundlich gewesen. Aber internationale Politik ist halt immer ein "Do ut des", ein Gegengeschäft. Wenn jedoch die eine Seite nichts gibt, gibt halt auch die andere nichts.

Jetzt brauchen die Ungarn Österreich nicht mehr. Wirkliche Freundschaft hätte man ihnen nur in schlechten Zeiten beweisen können.

Orbán hat schon vor Ödenburg einen ersten Erfolg erzielt: Denn das Land – das ähnlich groß ist wie die Alpenrepublik – gilt heute als entscheidend, dass Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin geworden ist. Orbán hat diesen Triumph jedenfalls unwidersprochen gefeiert. Überdies gilt die langjährige deutsche Verteidigungsministerin seit längerem als emotional sehr ungarnfreundlich.

Diese Vorgänge sind wohlgemerkt nicht nur diplomatisches Kleingeld, sondern für Ungarn viel wert: Kein Investor wird seit der Picknick-Feier noch wegen der skurrilen Werte-Diskussion der EU zögern, in Ungarn Geld anzulegen. Das alles hat Ungarn wohlgemerkt erreicht, ohne auch nur einen Millimeter von seiner strikten Migrationspolitik abgerückt zu sein.

Das (auch) außenpolitische Vakuum des gegenwärtigen Österreichs war in den letzten Wochen aber auch bei den eigentlichen EU-Agenden zu merken. Im Tauziehen rund um die Besetzung der EU- und EZB-Spitzenpositionen hat sich Österreich nicht ein einziges Mal auch nur andeutungsweise irgendwo einzubringen versucht.

Zwar ist es gewiss nicht so, dass Österreich das entscheidende Wort bei der Besetzung der europäischen Präsidentenjobs führen hätte können. Aber es hätte weit mehr tun können, als nur meinungslos zu warten, was Deutschland und Frankreich aushandeln. Auch ein mittelgroßes Land hat bei solchen Entscheidungen im EU-Rat eine relevante Stimme und es kann jedenfalls Stimmung machen. Österreich hätte jedenfalls versuchen müssen, im diplomatischen Kuhhandel Gegenleistungen für seine Stimme einzukaufen.

Etwa nach der Devise: Wenn wir dich als Kommissionspräsidentin unterstützen,

  • dann wird jetzt schon für den österreichischen EU-Kommissar ein wichtiges Ressort fixiert; oder
  • dann wird die künftige EU-Kommission keine Einwände mehr gegen das österreichische Gesetz erheben, dass Familienbeihilfen für nichtösterreichische EU-Bürger nur noch gemäß den Lebenshaltungskosten im Heimatland der Bezieher ausbezahlt werden; oder
  • dann verspricht die neue Kommissionspräsidentin den Entwurf einer neuen Richtlinie, die den Wahnsinn der bisherigen EU-Linie stoppt, dass alle Deutschen in Österreich (gratis!) studieren dürfen, selbst dann, wenn ihre Schulnoten für eine Studium in Deutschland zu schlecht sind; oder
  • dann werden österreichische Maßnahmen gegen den Transit über den Brenner genehmigt.

Man könnte noch etliche andere Interessen der Republik anführen, deren Durchsetzung man im Gegenzug für die österreichische Stimme zumindest versuchen hätte können. All jene, die sagen, das dürfe man bei wahrer europäischer Gesinnung nicht, das Verlangen nach solchen Deals wäre doch unseriös, haben keine Ahnung von den Usancen in der europäischen Politik. Es ist ja keineswegs nur Ungarn gewesen, das bei den EU-Personalbesetzungen sehr geschickt gedealt hat. Hingegen ist das heutige Österreich in seinem Nullgewichtszustand völlig außerstande, politisch zu agieren.

Ein ähnliches Versäumnis war auch bei der Bestellung des österreichischen EU-Kommissars zu beobachten. Auch da hätten Möglichkeiten inhaltlicher Deals bestanden. Etwa nach dem Motto: Wenn du (in deinem Feminismus-Spleen) unbedingt eine Frau als Austrokommissarin haben willst, dann bekommst du auch eine – aber wir bekommen dafür auch etwas. Eben einen der oben genannten Punkte.

Freilich: Wie soll eine Regierung solches auch nur versuchen, wenn sie mangels eigener Mehrheit ihre ganze Energie schon dafür aufbringen hat müssen, dass sie für einen Kommissars-Kandidaten den Konsens aller Parteien findet! Das ist schon mühsam genug gewesen. Für mehr hat die Energie nicht gereicht.

All diese Selbstbeschädigungen der Republik sind Folge der – bekannten – Ereignisse, die im Vorsommer aufgepoppt sind. Die da sind:

  • die Ibiza-Falle ganz im Stile des üblen Kern-Agenten Silberstein,
  • das irrwitzige Korruptionsgerede von H.C. Strache gegenüber einer (vermeintlichen) russischen Oligarchin, die ihn und seinen Mephisto Gudenus mit dem Versprechen großer Geldsummen hirnlos gemacht hat,
  • die überflüssige und leichtfertige Aufkündigung der Koalition durch Sebastian Kurz trotz des Rücktritts der beiden Dummköpfe,
  • der Sturz der daraufhin gebildeten Minderheitsregierung Kurz durch Rot, Blau und grüne Pilze,
  • und die Unfähigkeit des Bundespräsidenten, die Pflichten eines Staatsoberhaupts zu erfüllen. Das wären erstens Rettungsversuche für die bestehende Regierung gewesen. Das wäre zweitens die Verhinderung von Neuwahlen gewesen (siehe den vorerst durchaus erfolgreichen Kampf des italienischen Präsidenten gegen leichtfertige Neuwahlen– obwohl auch der von einer Oppositionspartei kommt!). Und das wäre drittens, wenn man mit beidem gescheitert wäre, die Aufgabe gewesen, für einen ehestbaldigen Wahltermin zu kämpfen, damit Österreich wieder aktionsfähig wird (obwohl Rot und Blau aus panischer Angst vor dem Wähler einen möglichst späten Termin wollten).

Die skizzierten außenpolitischen Schäden als Folge dieser Ereignisse kommen zu den vielen anderen schon bekannten dazu, wie vor allem zu dem populistischen Ausräumen der Staatskassen durch das Wahlzuckerl-Verteilen aller drei Großparteien. Das im September wohl einen weiteren Höhepunkt erreichen wird.

Auch dieser außenpolitische Schaden ist ganz besonders ebenfalls dem Bundespräsidenten anzulasten. Immerhin vertritt er laut Bundesverfassung "die Republik nach außen". Aber Van der Bellen begreift wohl gar nicht, dass er da (in Tateinheit mit den genannten anderen Politikern) ein übles Vakuum gerissen hat. Er ergeht sich lieber in narzisstischer Begeisterung über sich selbst, weil er selbst wenigstens einmal in der Geschichte eine Rolle gespielt hat.

Freilich eine bei der Anrichtung vielfachen Schadens.

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