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Grausliche Hinterzimmer-Deals haben in den letzten Tagen das Ansehen der EU stärker verschlechtert denn irgendein anderes Ereignis der letzten Jahre. Sowohl in den Augen der europäischen Bürger, wie auch vor dem Rest der Welt. Dabei wurden vielerlei Unappetitlichkeiten sichtbar: die Diktatur der Gründungsstaaten, ein ganz schmutziger Deal mit Italien, die Degeneration des Euro zum Selbstbedienungsladen, der Betrug an den europäischen Wählern, der undemokratische Charakter des EU-Parlaments, der besonders undemokratische Umgang mit den sogenannten Rechtspopulisten, die primitive Denkweise des Feminismus, die Fehlkonstruktion des EU-Vertrags, die Problematik der Personen Ursula von der Leyen, Weber und Timmermans, die Rolle Österreichs und die Fehler der EU auf vielen politischen Feldern außerhalb der Personalfragen.
Die Dinge, die einen fassungslos machen, spielen dementsprechend auf vielen Ebenen und tragen mehrere Namen.
Man fasst es eigentlich nicht: die Union besteht zwar aus 27 (eigentlich 28) Mitgliedern – aber jene sechs Länder, die vor mehr als 60 Jahren die damalige EWG gegründet haben, machen de facto weiterhin alles unter sich aus: Vier der fünf zu besetzenden Spitzenpositionen werden jetzt von diesen sechs Staaten besetzt – zumindest wenn der jetzt nach wochenlangen Kämpfen ausgehandelte Deal halten sollte. Deutschland, Frankreich, Belgien und Italien kommen zum Zug. Und auch Spanien (Beitritt 1986), das den fünften Job bekommt, ist schon ein relativ altes Mitglied mit eindeutig westlicher Geographie.
Fast fehlt nur noch Luxemburg. Aber dieses Land ist ja in der Vergangenheit überhaupt schon am häufigsten beim wichtigsten EU-Amt, dem Kommissionspräsidenten, zum Zug gekommen, nämlich drei Mal. Zuletzt mit dem – höflich ausgedrückt – glücklosen Jean-Claude Juncker.
Im nunmehrigen Paket, das angeblich ausgewogen sein soll, findet sich hingegen keine Spur von den Osteuropäern, keine Spur von den Nordeuropäern, keine Spur von den sowieso immer mutterseelenallein durchs europäische All schwebenden Neutralen.
Italien hat eine erstaunliche Rolle gespielt: Es hat zuerst das am Rande des G-20-Gipfels(!) zwischen dem Franzosen Macron und der Deutschen Merkel ausgehandelte Paket gesprengt, das den niederländischen Sozialisten Timmermans zum Kommissionspräsidenten machen wollte. Es hat den Widerstand der vier osteuropäischen Visegrad-Staaten gegen Timmermans unterstützt, womit dieser keine Chance mehr hatte. Was ja an sich sehr verdienstvoll ist.
Jetzt aber ist Italien plötzlich lammfromm zum neuen Vorschlag Ursula von der Leyen. Diese Haltungsänderung aber hängt eindeutig nicht nur damit zusammen, dass die Osteuropäer keinen Widerstand gegen die deutsche Verteidigungsministerin leisten, und dass Italien (auf die halbe Periode) wieder den Präsidenten des EU-Parlaments stellt.
Das Friedlichwerden Italiens hat ganz offensichtlich noch andere, viel schmutzigere Gründe: Denn praktisch zur gleichen Stunde hat die Juncker-Kommission völlig überraschend verkündet, das seit Monaten angedrohte Defizitverfahren gegen Italien einzustellen. Damit hat Rom das weitaus größte Problem der letzten Monate vom Tisch. Überdies bedeutet auch das Avancement der Französin Lagarde zur EZB-Chefin für Italien eine eindeutig positive Nachricht.
Unglaublich. Man hätte diese miese Packelei doch wenigstens ein paar Wochen auseinanderziehen können, damit sie nicht so provozierend aufgefallen wäre.
Wahrscheinlich eher ein Zufall ist hingegen, dass ebenfalls zur gleichen Stunde eine linke italienische Untersuchungsrichterin die deutsche Schlepper-Kapitänin freigelassen hat. Ganz sicher kann man aber auch da nicht sein. Gehört doch der neugewählte EU-Parlamentspräsident David-Maria Sassoli nicht zu einer italienischen Regierungspartei, sondern ganz zufällig zur sozialdemokratischen Opposition des Landes …
Nicht nur die völlig unbegründete Einstellung des Defizitverfahrens gegen Italien, sondern auch die Bestellung der Französin Lagarde zur neuen Chefin der Europäischen Zentralbank machen eindeutig klar: Die verheerende Euro-Politik der EZB wird weitergehen, welche die Bank zum Selbstbedienungsladen für die Schuldnerländer Europas degradiert hat.
Das hat eindeutig vorhersehbare Folgen:
Man muss Lagarde allerdings zubilligen, dass sie an sich eine starke Führungspersönlichkeit ist. Ihr Hauptfehler liegt im skizzierten Inhalt ihrer finanzpolitischen Überzeugungen. Sie ist aber gerade wegen dieser Haltung dem für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik stehenden Deutschen Weidmann vorgezogen worden!
Der französische Staatspräsident Macron spielte eine besonders widerwärtige Rolle. Er tat das ganz eindeutig primär deshalb, um nach vielen innenpolitischen Rückschlägen jetzt auf der EU-Bühne wieder den starken Mann mimen zu können. Zuerst hat er die Wahl des Bayern Manfred Weber blockiert, obwohl dieser Listenführer der als erstes durchs Ziel gegangenen Fraktion gewesen ist. Dann hat er Lagarde durchgedrückt. Dann hat er sich unter den deutschen Politikern die ihm genehmste ausgesucht, eben Von der Leyen. Und zuletzt hat er sich auch noch öffentlich der Tatsache berühmt, dass alle nun abgesegneten Spitzenleute Französisch sprechen.
Das beweist ganz eindeutig eine nationalistische Intention. Macron nimmt dabei Null Rücksicht darauf, dass weder in Nord- noch Osteuropa Französisch irgendeine Bedeutung hat (noch weniger als in Österreich). Das deckt sich aber mit der von der ersten Stunde an nachweisbaren französischen Dominanzpolitik: Paris hat durchgesetzt, dass alle wichtigen EU-Spitzenorganisationen in französisch sprechenden Städten untergebracht sind (Brüssel, Luxemburg, Straßburg). Und es erzwingt bis heute die geldverschlingende monatliche Wanderung des EU-Parlaments zwischen Brüssel und dem in Frankreich liegenden Straßburg.
Wenn sich andere Nationen so verhalten würden …
Die gesamte Neubesetzung der europäischen Spitze ist zwar eigentlich eine Folge der EU-Wahlen, aber sie ist ein Betrug an den europäischen Wählern: Denn kein einziger der jetzt an die Spitze Europas gelangenden Menschen (natürlich mit Ausnahme des Parlamentspräsidenten) hat für diese Wahlen überhaupt kandidiert.
Das ist so, als hätte es nie Wahlen gegeben.
Was glauben da die Regierungschefs eigentlich, werden sich die europäischen Wähler jetzt denken? Man kann aber auch umgekehrt fragen: Warum hat keine Fraktion fähige Leute auf ihre Kandidatenlisten gesetzt?
Daher ist es auch durchaus unsicher, ob das EU-Parlament der neuen Kommissionsführung überhaupt zustimmen wird. Allerdings hat das Parlament selbst keine eigene Mehrheit für irgendeinen Kandidaten zustandegebracht. Es ist tief sowohl nach nationalen wie auch ideologischen Bruchlinien gespalten. Noch dazu gibt es auch keine Fraktionsdisziplin, sodass jede Parlamentsabstimmung einem Russischen Roulette gleicht.
Das EU-Parlament ist zwar formal Ergebnis der Wahlen (an denen ja mehr als 200 Millionen Europäer teilgenommen haben!). Aber es ist aus gleich zwei Gründen auch selbst keineswegs demokratisch:
Das restliche EU-Parlament toleriert diesen doppelten Skandal. Womit es sich eigentlich die Legitimation zur Kritik an undemokratisch scheinenden Beschlüssen der Regierungschefs genommen hat. Womit es auch die eigene moralische Legitimation beschädigt, um Kritik an den undemokratischen Verhältnissen in Russland, der Türkei oder Venezuela zu üben.
Frankreich und Italien haben sich zwar bei den Mauscheleien im Rat der Regierungschefs gut bedienen können. Dabei wurde aber keinerlei Rücksicht darauf genommen, dass in beiden Ländern eigentlich die sogenannten Rechtspopulisten die EU-Wahl gewonnen haben.
Zugleich haben aber vier mittelosteuropäische Staaten gezeigt, dass es selbstbeschädigend für die EU ist, wenn sie glaubt, über Europas Rechtspopulisten drüberfahren zu können, statt sich um ihre Einbindung zu bemühen. Denn Italien (wo im Gegensatz zu Frankreich auch die Regierung rechtspopulistisch geprägt ist) und die ebenfalls als rechtspopulistisch geltenden Visegrad-Vier waren entscheidend dafür, dass der Timmermans-Deal nicht durchgegangen ist. Timmermans hat nämlich in der Vergangenheit als zuständiger EU-Kommissar das Verfahren gegen Ungarn und Polen wegen angeblicher Verletzung der Rechtsstaatlichkeit in Gang gebracht. Jetzt hat die verständliche Rache der Diskriminierten zurückgeschlagen.
Besonders peinlich ist der – auch von der österreichischen Bundeskanzlerin gekommene – Jubel, dass zwei Spitzenpositionen von Frauen besetzt worden sind. Dieser Jubel erweckt bei vielen den Eindruck: Nicht die Qualifikation, sondern das Geschlecht ist in der EU entscheidend.
Dieser Jubel reduziert gleichzeitig auch den Wert der beiden Frauen. Selbst wenn sie noch so gut wären, wird sich der Großteil der Europäer denken: Das sind halt Quotenfrauen, und Frauenquoten sind halt jetzt modisch.
Überdies macht es diese Betonung der Gender-Proportionalität doppelt provozierend für alle Nord-, Ost- und Mitteleuropäer, dass sie sich überhaupt nirgends wiederfinden können. Da spielt die angebliche "Gerechtigkeit" plötzlich keine Rolle mehr …
Noch nie hat sich so deutlich gezeigt wie in diesen Tagen, dass der gegenwärtige EU-Vertrag eine überkomplizierte Fehlkonstruktion ist. Wenn man so viele Gremien mitentscheiden lässt, wenn es gleichzeitig im EU-Parlament keine klare Regierungsmehrheit gibt, wenn im Europäischen Rat überdies das "Doppelte Mehr" einer qualifizierten Mehrheit von Einwohnern und Ländern wirksam ist, dann sind die problematischen Folgen unvermeidlich. Diese können eines Tages vielleicht sogar letal für das – wirtschaftlich so wichtige – Projekt Europa ausgehen.
Wirklich jede Demokratie der Welt hat bessere und klarere Formen der Wahl ihrer Spitzenvertreter.
Leicht polemisch könnte man fragen: Ist diese Fehlkonstruktion ein Wunder, wenn aus Österreich damals ausgerechnet der einstige grüne Selbstdarsteller Voggenhuber führend am Verfassungsprojekt mitgearbeitet hat? Weniger polemisch formuliert: Das kommt halt heraus, wenn man Zwitterkonstruktionen baut, die eben auch in der Politik nicht funktionieren können (selbst wenn ein "Allen Seiten Rechtgetan" auf dem Papier gut aussieht). Man kann nicht gleichzeitig Staatenbund und Bundesstaat sein. Man kann nicht gleichzeitig die europäischen Bürger wie auch die Versammlung der Regierungschefs wie auch das Parlament zum obersten Machtträger machen (alle hat man ja beim letzten EU-Vertrag gleichzeitig aufzuwerten versucht).
Genausowenig ist das jenseits einer vertraglichen Grundlage in den letzten Jahren von vielen EU-Freaks angebetete zusätzliche "Spitzenkandidatenprinzip" wirklich durchdacht gewesen. Es wird jetzt wohl wieder gekübelt werden. Denn es schränkt die Auswahl für den wichtigsten Job in Europa überflüssig ein. Außerdem haben viele Parteien und Länder dieses Prinzip von Schwarz und Rot nicht geteilt.
Die Persönlichkeit der nun als Kommissionspräsidentin vorgeschlagenen deutschen CDU-Politikerin Von der Leyen ist nur eine zweitklassige Lösung. Aber im Vergleich zu den drittklassigen Angeboten Weber und Timmermans könnte man sie noch als das eindeutig geringere Übel einordnen – hätte sie bei den Wahlen überhaupt kandidiert und wäre sie nicht erst im letzten Augenblick in höchster EU-Not irgendwie von irgendwem ins Gespräch gebracht worden. Das ist mehr als nur ein Schönheitsfehler.
Allerdings sollten da gerade Österreicher mit ihrer Kritik zurückhalten. Denn gleich zwei der drei letzten Bundeskanzler haben vorher nie bei Wahlen kandidiert, weder Herr Kern noch Frau Bierlein. Das hat den Bundespräsidenten dennoch nicht gehindert, sie ins höchste Regierungsamt zu befördern.
Für Von der Leyen spricht immerhin lange Regierungserfahrung, die Herkunft aus dem größten EU-Land, das seit vielen Jahren nirgends zum Zug gekommen war, und, ja, auch die erfreuliche Tatsache, dass sie neben den politischen Jobs sieben Kinder großgezogen hat. Für sie spricht auch das seltsame Verhalten der deutschen Sozialdemokraten, die heftiger als fast alle anderen Gruppierungen ihre Kandidatur bekämpfen, obwohl Von der Leyen eine Landsmännin ist, obwohl die SPD mit ihr seit Jahren ohne irgendwelche Proteste in der gleichen Regierung sitzt, obwohl Sozialdemokraten sonst immer sofort in blinde Ekstase ausbrechen, wenn ein Kandidat eine Frau ist.
Gegen Von der Leyen spricht, dass sie als Familien- und Arbeits-Ministerin immer noch teurere Wohlfahrtsausgaben durchgesetzt hat. Und vor allem, dass sie zuletzt als Verteidigungsministerin alles andere als eine gute Figur gemacht hat. Heute macht die einst stolze deutsche Bundeswehr – vor allem als Folge des freilich nicht der Ministerin allein anzulastenden Geldmangels – einen jämmerlichen Eindruck. Zugleich hat sich Von der Leyen blamiert, weil sie als erste bekanntgewordene Maßnahme die Anschaffung von Schwangeren-Uniformen für weibliche Soldaten angeordnet hat; weil sie wegen eines eindeutigen Einzelfalls die ganze eigene Bundeswehr verdächtigt hat, rechtsradikal zu sein; weil es bei etlichen Projekten Kostenexplosionen gegeben hat; und weil sie allzu üppige Ausgaben für externe Berater zu verantworten hat. Überdies fehlen ihr europa- und wirtschaftspolitische Erfahrungen.
Sie wird wohl jedenfalls nicht zu einer starken internationalen Persönlichkeit werden, die auf Augenhöhe mit den Machos Trump, Putin und Xi dealen könnte. Diese Drei werden sich wohl weiterhin primär an das Duo Merkel-Macron als das eigentliche europäische Machtzentrum wenden.
Manfred Weber war zwar Spitzenkandidat, der als erster – wenn auch mit deutlichen Verlusten – durchs Ziel gegangenen Europäischen Volkspartei. Aber er hat nie irgendwo irgendein Regierungsamt innegehabt, wo er Regieren lernen hätte können. Er hat sich nach rechts scharf abgegrenzt, aber links keine andere Fraktion für sich gewinnen können. Er hat sich als schwache und unsichere Person erwiesen. Er hat sich insbesondere dadurch disqualifiziert, dass er die Aussagen des jetzigen Papstes zu seiner obersten Richtschnur in Sachen Migrationspolitik erklärt hat, die ja stets eine vehemente Unterstützung für die Massenmigration nach Europa gewesen sind.
Weber wäre ein noch schwächerer EU-Kommissionspräsident als Juncker geworden – insofern muss man Macron mit seiner Ablehnung Webers sogar Recht geben. Weber wäre zweifellos noch mehr als Juncker ein bloßer Hampelmann des Duos Merkel-Macron geworden.
Timmermans wieder hat sich disqualifiziert, weil seine sozialdemokratische Liste – nach ebenfalls herben Verlusten – bei der Wahl nur zweite mit einem bloßen Fünftel der Sitze geworden ist. Weil er den aggressiven Rammbock der Linken gegen Ungarn und Polen gemacht hat, wodurch er die EU-Einheit fundamental bedroht hat. Und weil er jetzt nicht einmal bereit ist, das Parlamentsmandat anzutreten, für das er kandidiert hat.
Eine solche ist mir unbekannt.
Gäbe es eine, dann würde sich vielleicht doch jemand daran erinnert haben, dass der Vater des linksliberale Belgiers Michel, der neuer Ratspräsident nach dem rechtsliberalen Polen Tusk wird, im Jahr 2000 durch besondere Österreich-Feindlichkeit aufgefallen ist.
Sebastian Kurz hat wohl Recht, dass die EU einen ganz anderen Vertrag bräuchte. Aber er ist ja aus eigenem Entschluss aus dem europäischen Spiel draußen ...
Da käme man aus der Aufzählung gar nicht heraus. Diese müsste etwa umfassen: